Erziehung - oder Bildung
durch Be-ziehung?
Bedeutung und Wirkung des
Begriffs
Als Vater von zwei inzwischen erwachsenen Kindern und vor allem als ehemaliges
Kind, das erst sehr spät seine eigene Kindheit reflektiert hat, möchte
ich zum Thema Erziehung aus meiner eigenen Erfahrung heraus einige Gedanken
mitteilen. Ich bin also kein Experte der akademischen Erziehungs-Theorien,
sondern eher ein Experte des gewöhnlichen aber bewußten Lebens.
Vor etwa fünfundzwanzig Jahren, als wieder einmal die Erziehung im Blickfeld
der Öffentlichkeit stand und ich mich auch mit der Schulproblematik
meiner Kinder auseinanderzusetzen hatte, las ich in einer Zeitschrift eine
einfache Antwort von psychologisch gebildeten Eltern auf die Frage nach ihrer
Erziehungsmethode. Sie sagten:
Wir erziehen unsere Kinder nicht, wir leben mit
ihnen zusammen.
Diese Antwort hat mich sehr beeindruckt, zumal mir aus der theoretischen
Erkenntnis heraus schon damals klar war, daß die beste Erziehung im
Grunde die Selbst-Erziehung ist. Mit dieser Erkenntnis stand ich damals jedoch
erst am Beginn, zu spät leider für die Erziehung der eigenen Kinder.
Eigentlich ist in dem Begriff Erziehung bereits das ganze Dilemma der
menschlichen Zivilisation enthalten. Der Mensch im allgemeinen sieht und
empfindet sich zu wenig als ein Teil der Welt und ist stets geneigt, seine
Umwelt zu verändern, noch bevor er sich selbst erkannt, angenommen und
mit als Aufgabe gewählt hat. Je weniger er mit sich selbst zurecht kommt,
umso mehr möchte er seine Mitwelt beeinflussen. Im Jugendalter mag dieser
Zustand durchaus seinen Sinn haben, im Erwachsenenalter ist er gefährlich.
Selbst bei einer wohlwollenden Auslegung enthält der Begriff Erziehung
eine grundsätzliche Haltung, die heute von verantwortungsbewußten
Menschen nicht mehr bedingungslos akzeptiert werden kann. Er enthält
zu viel an Einflußnahme, Manipulation, Selbstüberschätzung,
Überheblichkeit seitens der Erwachsenen. Deshalb wird heute sogar hin
und wieder von einigen Experten bereits schon der Begriff Kind als
diskriminierend angesehen. Dies kann man als übertrieben empfinden,
man kann es aber auch als ein Zeichen beginnender, verstärkter
Einfühlung werten.
In einer Ausgabe des Brockhaus von 1985 ist zu lesen:
Erziehung ist die körperliche, geistige und
sittliche Formung des Menschen, besonders der Jugend. Sie beginnt in der
Familie ("Kinderstube"), die seit Jahrhunderten mehr und mehr durch die Schule
unterstützt wird. Außerdem wirken die Kirchen- und
Jugendorganisationen mit. Ziel ist, den jungen Menschen in die bestehende
Kultur einzufügen und ihn zur selbständigen Persönlichkeit
zu entwickeln. Mittel der Erziehung: Belehrung, Willensbildung, Übung,
Gewöhnung, Vorbild.
Zu dieser Definition ist zu sagen, daß die Realität heute
größtenteils sehr viel anders aussieht. Weder Elternhaus, noch
Schule, noch Kirchen- und Jugendorganisationen sind heute allgemein in der
Lage, den jungen Menschen die nötige Zuwendung zu geben, wie dies vor
wenigen Jahrzehnten noch möglich war. Es wird jetzt immerhin schon von
einer psychischen Obdachlosigkeit gesprochen. Außerdem kann eine
Entwicklung zur selbständigen Persönlichkeit weniger durch Formung,
als durch Ermöglichung, und weniger durch Einfügung in eine bestehende
Kultur, als vielmehr durch Befähigung zur Mitgestaltung, zur
Veränderung und damit Belebung erfolgen.
Für mich verbinden sich mit dem Begriff Erziehung die Begriffe
ziehen, Zucht und Zögling, alles doch
gewissermaßen mit mehr oder weniger Gewalt verbundene Begriffe. Es
sei in diesem Zusammenhang auch an die umschreibende Verwendung für
sado-masochistische Sexualpraktiken erinnert. Interessant ist auch, daß
der Begriff Erziehung im pädagogischen Bereich fast ausschließlich
in Bezug auf Kinder verwendet wird, während man für Erwachsene
lieber den Begriff Bildung verwendet. Der direkte Vergleich zwischen den
Begriffen Erwachsenen-Bildung und Erwachsenen-Erziehung läßt schon
vom Klang her einen deutlichen Unterschied spürbar werden. Wer würde
sich beispielsweise von der Werbung für eine Veranstaltung der
Erwachsenen-Erziehung angesprochen fühlen?
Die Begriffe, die man sich von was macht, sind sehr
wichtig.
Sie sind die Griffe, mit denen man die Dinge bewegen kann.
(Bertolt Brecht)
Begriffe sind auch Werkzeuge, und für feine Arbeiten sind feine Werkzeuge
angebracht. Wenn überhaupt heute im Zusammenhang mit Menschen von Erziehung
gesprochen werden soll, dann allenfalls von
Selbst-Erziehung. Und auch in diesem Fall wäre
Bildung ein viel geeigneterer, weil weniger gewaltsamer Begriff, sind wir
doch oftmals uns selbst gegenüber viel zu wenig einfühlsam. Insofern
erscheint es mir sinnvoll, künftig statt von Erziehung grundsätzlich
von Bildung zu sprechen. Und da das eigene Beispiel, das Vor-leben immer
noch die beste Art ist, um Wissen, Einstellungen und Verhalten zu vermitteln,
sei auch hier ausdrücklich noch einmal darauf hingewiesen.
Bildung ist bewußte, planmäßige
Entwicklung der natürlich vorhandenen geistigen und körperlichen
Anlagen des Menschen. Auch der durch diese Entwicklung erreichte Zustand
wird Bildung genannt im Gegensatz zu Unbildung, Halb-Bildung.
(Brockhaus von 1985)
Bildung hat weniger etwas von Eingreifendem, Manipulierendem, sondern eher
von Ermöglichendem, von Angebot und geht bereits vom Wort her von einem
mehr oder weniger bewußten Bild aus, von einem Vor-Bild oder Ideal-Bild,
von einem Menschen-Bild und Welt-Bild. Optimal wäre es, wenn jeder junge
Mensch bereits in seiner Kindheit Gelegenheit
hätte, sich seine eigenen, bewußten Leit-Bilder, die ein konstruktives
Miteinander mit seiner Mitwelt ermöglichen, frei für seine eigene
Bildung zu bilden, ohne durch eine noch so gut gemeinte, letztlich aber doch
nur egoistische Einflußnahme auf ein einziges, bestimmtes Leitbild
hingeführt zu werden, wie das etwa mit der Taufe geschieht. Kein
vernünftiger Mensch käme heute beispielsweise auf die Idee, sein
Kind kurz nach der Geburt in eine politische Partei aufnehmen zu lassen,
von der es sich erst als Jugendlicher gegen Zahlung einer Gebühr auf
dem Standesamt wieder trennen kann.
Man sollte sich zur heiligsten Pflicht machen, dem
Kinde nicht zu früh einen Begriff von
Gott beibringen zu wollen. Die Forderung muß von innen heraus geschehen,
und jede
Frage, die man beantwortet, ehe sie aufgeworfen ist, ist verwerflich. Das
Kind hat vielleicht seine ganze Lebenszeit daran zu wenden, um jene irrigen
Vorstellungen wieder zu verlieren.
Friedrich von Schiller
Wie viele Neurosen, innere Unsicherheiten und Spaltungen entstehen durch
unterschwellige Zwänge einer zu sehr einflußnehmenden Erziehung,
die meist auf beiden Seiten nicht bewußt wird. Selbstzweifel, Unsicherheit,
Zerrissenheit, Verweigerung, Haß und Gewalt sind nicht selten die Folge.
Eine Erziehung zum Glauben an Anzweifelbares kann sehr leicht zu innerer
Gespaltenheit zwischen kritischem Verstand und sehnsüchtigem Gefühl
und zur Missionierung Andersgläubiger bis hin zu deren Vernichtung
führen, wie wir es fast täglich berichtet bekommen.
Um der Gefahr einer Bildung, die den Menschen zu sehr in eine einseitige,
außerhalb desselben liegende Richtung und damit von sich selbst weg
führt, schon im Ansatz zu begegnen, möchte ich den Begriff
Menschen-Bildung vorschlagen.
Angesichts der Tatsache, daß die Probleme unserer Welt ihre Ursachen
fast ausschließlich im Menschen und den von ihm mitgetragenen Strukturen
haben, er selbst aber das schwächste Glied in der Kette der lebendigen
Ereignisse ist, liegt es nahe, daß die Stabilisierung des Einzelnen
heute die wichtigste Aufgabe zur Stabilisierung von Gesellschaft und Umwelt
sein müßte. Nach den enormen Entwicklungen und Veränderungen
auf technischen und wirtschaftlichen Gebieten wäre es jetzt dringend
geboten, dem Wirtschaftswachstum ein Wachstum an
Menschlichkeit folgen zu lassen. Daß der gern zitierte Wohlstand,
der immer wieder beschworen wird, lediglich ein materieller ist, und daß
dieser auf Kosten von Menschlichkeit und Natur erreicht wurde, wird gern
verdrängt. Was die Menschlichkeit betrifft, so kann Deutschland durchaus
als ein Entwicklungsland angesehen werden, das von manchen sogenannten
unterentwickelten Ländern der "dritten Welt" lernen könnte.
Zu viel Er-ziehung geht meist zu Lasten der Be-ziehung. Jede aktive Erziehung
ist fast immer auf Unsicherheit und Angst oder Egoismus, auf jeden Fall auf
Defiziten des Erziehenden selbst oder auf Zeitmangel begründet. Ein
gutes Beispiel für die Problematik der Erziehung ist das christliche
vierte Gebot: Du sollst Vater und Mutter ehren, auf daß es dir
wohlergehe und du lange lebest auf Erden. Solch ein
Gebot kann nur in einer menschlich wenig entwickelten
Gesellschaft entstanden sein, in der Kinder vernachlässigt, zu viel
oder falsch erzogen wurden. Besser wäre eine Empfehlung wie:
Achte die Kinder als eigenständige Menschen,
sei ihnen mündiges Vorbild
mit eigenen Bedürfnissen, gib ihnen so viel an Zuwendung und Liebe wie
möglich,
fördere und fordere sie und zeige ihnen ihre Grenzen so oft wie
nötig.
Wenn Kinder von ihren Eltern nicht genügend geachtet wurden, dann
nützt ein Gebot wie das vierte auch mit seinem Tantieme-Versprechen
wenig. Um eine solide Grundlage für menschliche
Erziehung, Bildung oder Beziehung zu bekommen wäre es erforderlich,
das eigene Welt- und Menschenbild zu überprüfen und wenn nötig,
den heutigen Erkenntnissen entsprechend zu korrigieren. Genauso wie wir
vernünftigerweise technische Hilfsmittel regelmäßig einer
Sicherheitsprüfung unterziehen, wäre dies auch für unsere
geistigen Hilfsmittel erforderlich.
Die Wurzel für innere, das heißt im Menschen selbst befindliche
Sicherheit, und damit für humanes und
konstruktives Verhalten, liegt in der Religion oder Weltanschauung. Eine
Orientierung an zweitausend Jahre unverändert beibehaltenen Vorstellungen,
die einen Hitler und Auschwitz ermöglicht beziehungsweise nicht verhindert
haben, und die heute noch immer Ungerechtigkeit und Gewalt gegenüber
Mensch und Natur ermöglichen, zumindest nicht verhindern, bedarf dringend
einer Überprüfung und Erneuerung. Nicht der tabuisierte Glaube
an angenehme aber irreale Vorstellungen und das Verdrängen der unangenehmen
Realität bringt wirkliche innere Sicherheit, sondern der hinterfragbare
Glaube an die diesseitigen Möglichkeiten und die mutige Auseinandersetzung
mit der Realität.
Ist denn so groß das Geheimnis, was Gott und
die Welt und der Mensch sei?
Nein, doch niemand hört's gerne - da bleibt es geheim.
Johann Wolfgang von Goethe
Warum mag es niemand gerne hören? Vermutlich deshalb, weil es sehr
ernüchternd ist und den Menschen zur Arbeit an sich selbst
zurückverweist. Erich Fromm sagte:
Der Mensch echt religiöser Kulturen könnte
vielleicht mit einem Kind von acht Jahren verglichen werden, das einen Vater
als Retter braucht, das jedoch angefangen hat, die Lehren und Prinzipien
des Vaters in sein Leben zu übernehmen. Der zeitgenössische Mensch
ähnelt jedoch einem Kind von drei Jahren, das nach dem Vater ruft, wenn
es ihn braucht, und sonst zufrieden ist, wenn es spielen kann.
Die zerstörerischen Auswirkungen der bisherigen technischen und geistigen,
auch wissenschaftlichen Spielereien der Menschheit machen jetzt eine Entscheidung
zwingend notwendig, ob der pubertäre Zustand beibehalten oder zugunsten
einer umfassenden, echten Mündigkeit überwunden werden soll.
Mündigkeit bedeutet nämlich mehr als nur Volljährigkeit.
Mündigkeit heißt, eine kritische Distanz
nicht nur zu seiner Mitwelt,
sondern auch zu sich selbst zu haben, für sich selbst voll- und
für seine Mitwelt mitverantwortlich sein zu können und zu wollen.
Mündigkeit ermöglicht und erfordert Arbeit am Menschen, an seiner
Innenwelt. Menschsein ist schließlich nicht nur ein Zustand, sondern
eine permanente Aufgabe, ebenso wie die Demokratie.
In unserer Gesellschaft ist allgemein ein gewisses Defizit an psychischer
Stabilität des Einzelnen festzustellen, entstanden durch eine nicht
genügend stabilisierende religiöse bzw. weltanschauliche Orientierung
und einen mengenmäßigen und inhaltlichen Mangel an Zuwendung und
liebevoller Auseinandersetzung in Kindheit und
Jugend. Dieses Defizit hindert einerseits daran, die Schwächen der eigenen
Person wahrzunehmen und daran zu arbeiten, und es treibt andererseits an
zu Aktivitäten, die nach außen gerichtet sind, um durch
äußere Erfolge das Defizit zu kompensieren. Auch Destruktivität,
gegen die Mitwelt oder gegen sich selbst gerichtet, kann daraus entstehen.
In den Herzen der folgsamen Kinder nistet knisternd
und raschelnd die Rache
H. C. Flemming
|
Sowohl bei Jugendlichen, als auch bei Erwachsenen ist mitunter ein exzessiver
Erlebnishunger zu beobachten, der auch mit diesen inneren Defiziten zu tun
hat. Oftmals werden Abenteuer gesucht, bei denen sowohl Gesundheit, als auch
das eigene Leben und nicht selten auch das anderer aufs Spiel gesetzt wird.
Die ganze Palette der Süchte wie Drogen, Spielen, Essen, Arbeiten und
dergleichen mehr, sie alle resultieren mehr oder weniger aus dem inneren
Defizit der Menschen und sind im Grunde eine Suche nach sich selbst, nur
in der entgegengesetzten Richtung, nämlich außerhalb der eigenen
Person. Persönliche Energie ist genügend vorhanden, es fehlt jedoch
an der Orientierung am Menschlichen.
Es gäbe im menschlichen Bereich genügend spannende
Abenteuer zu erleben, in der ehrlichen und
konstruktiven Auseinandersetzung mit sich selbst und mit den Mitmenschen.
Aber die Weichen der Sinn-Orientierung werden
meist schon in der frühen Kindheit von defizitären und deshalb
instabilen Erwachsenen in eine Richtung gestellt, die nicht hin zum Menschen
führt, sondern von ihm fort, entweder materiellen oder jenseitigen Zielen
entgegen oder auch zu beiden gleichzeitig. Eine festgeschriebene, religiöse
Glaubensrichtung aus vordemokratischen Zeiten behindert
die Entwicklung zur Identitätsfindung in sich selbst und damit zu einem
Mindestmaß an Mündigkeit, die Voraussetzung für ein sowohl
eigenverantwortliches, als auch mitverantwortliches Leben in einer
funktionsfähigen, stabilen Demokratie und Umwelt wäre.
Selbst ansonsten sehr realitätsbezogene Menschen wie Politiker, die
von ihren Wählern und Steuerzahlern eine lebenslange Lernbereitschaft
fordern, halten ihrerseits jedoch fest an diesem anerzogenen, traditionellen
Glauben und verwenden ihn wie einen Talisman, wie einen Joker oder wie eine
geistige Droge und bekennen sich auch noch öffentlich dazu, indem sie
überwiegend ihrem Amtseid den Zusatz "so wahr mir Gott helfe" anfügen
*). Obwohl es realistischer und sinnvoller wäre, die Hilfe der Mitmenschen
in Anspruch zu nehmen. Hier wird mittels einer individualisierenden, jenseitigen
Autorität ein hierarchisches System aufrecht erhalten und damit die
Verwirklichung der Demokratie behindert.
Hilfe aus dem Jenseits zu erhoffen, mag der Masse der weniger gebildeten
Menschen, die vor Jahrhunderten in noch vordemokratischen Systemen wenig
Chancen hatten, ein sinnvolles, weitgehend selbstbestimmtes Leben zu
führen, gut getan haben. Heute ist es im wahren Sinne des Wortes not-wendig,
den Sinn unseres Lebens - in aller Bescheidenheit
und gleichzeitig mit aller Anforderung an uns selbst - in der Vervollkommnung
unserer Persönlichkeit mit dem Ziel der
Mündigkeit zu sehen, hier und jetzt in gnostischer
Weise das Wesentliche zu erkennen, zu tun und uns darauf zu beschränken,
und das Jenseitige in agnostischer Gelassenheit auf uns zukommen zu lassen.
Orientierung an einem neuen, ganzheitlich verstandenen
Humanismus wäre jetzt sinnvoll und erforderlich.
Im Gegensatz zu allen anderen Religionen bzw. Konfessionen und Ideologien,
die schon von ihren Namen her andere Menschen und Bereiche ab- und ausgrenzen,
schließt der Humanismus als die Geisteshaltung vom verantwortlichen
Menschentum alle Menschen dieser einen Welt mit ein. Der ganzheitliche Humanismus
ist Weg und Ziel in einem und enthält in konsequentem Verständnis
sowohl die Arbeit an der eigenen Persönlichkeit, als auch die
Mitverantwortlichkeit für die Mitwelt, bestehend aus Mensch und Natur.
Erziehung oder besser Bildung zur Selbst-Erziehung, vor allem durch das eigene
Vorbild, unter der übergeordneten Orientierung an einem ganzheitlich
verstandenen Humanismus mit dem Ziel des mündigen Menschen, der in
bewußter Verbundenheit zur Mitwelt lebt, das könnte eine Grundhaltung
für Eltern und Schule sein, eine Haltung, die sowohl für die
Schüler, als auch für die Lehrer erlebnisreich und sinnvoll wäre.
Nicht mehr Schulbildung zur Anpassung der Schüler an das Wirtschafts-System,
sondern Menschenbildung zur Humanisierung der Gesellschaft und damit zur
Stabilisierung von Demokratie und Mitwelt, das
wäre heute dringend geboten.
Rudolf Kuhr
________________________
*) Siehe hierzu unter "...so wahr mir Gott
helfe!" - Antworten von 37 Spitzen-Politikern des Bundes und der
Länder auf eine Umfrage nach ihrer persönlichen Auslegung
dieses religiösen Zusatzes zur Eidesformel.
Obigen Text gibt es jetzt - zusammen mit weiteren 43
wesentlichen Seiten dieser Homepage -
in dem Handbuch 'Wachstum an Menschlichkeit - Humanismus als Grundlage'
siehe Info.
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Viele Kinder haben
schwererziehbare Eltern.
Jean-Jacques Rousseau (1712-78)
Das Wort Erziehung sollte man
ausstreichen!
Das Wort Vorbild sollte man dafür hinsetzen.
Peter Rosegger, Schriftsteller (1843-1918)
Die Eltern möchten den Kindern
meistenteils nur
gewähren, was sie selbst in früherer Zeit genossen.
- - -
Man könnt' erzogene Kinder gebären,
wenn die Eltern erzogen wären!
- - -
Zwei Dinge sollten Kinder
von ihren Eltern bekommen:
Wurzeln und Flügel.
Goethe
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Erzieher - nicht Kinder - brauchen
Pädagogik
Alice Miller
... Im Gegensatz zur allgemein verbreiteten Meinung und zum Schrecken der
Pädagogen kann ich dem Wort "Erziehung" keine positive Bedeutung abgewinnen.
Ich sehe in ihr die Notwehr des Erwachsenen, die Manipulation aus der eigenen
Unfreiheit und Unsicherheit, die ich zwar verstehen kann, deren Gefahren
ich aber nicht übersehen darf. So kann ich verstehen, daß man
Delinquenten in Gefängnisse einsperrt, aber nicht sehen, daß der
Freiheitsentzug und das Leben in Gefängnissen, das allein auf Anpassung,
Hörigkeit und Unterwürfigkeit ausgerichtet ist, wirklich zur Besserung,
d.h. zur Entfaltung des Gefangenen beitragen kann. Im Wort "Erziehung" liegt
die Vorstellung bestimmter Ziele, die der Zögling erreichen soll - und
damit wird schon seine Entfaltungsmöglichkeit beeinträchtigt. Aber
der ehrliche Verzicht auf jede Manipulation und auf diese Zielvorstellungen
bedeutet nicht, daß man das Kind sich selbst überläßt.
Denn das Kind braucht die seelische und körperliche Begleitung des
Erwachsenen in einem sehr hohen Maße. Um dem Kind seine volle Entfaltung
zu ermöglichen, muß diese Begleitung folgende Züge
aufweisen:
-
Achtung vor dem Kind;
-
Respekt für seine Rechte;
-
Toleranz für seine Gefühle;
-
Bereitschaft, aus seinem Verhalten zu lernen
a) über das Wesen dieses einzelnen Kindes,
b) über das eigene Kindsein, das die Eltern zur Trauerarbeit
befähigt,
c) über die Gesetzmäßigkeit des Gefühlslebens, die beim
Kind viel deutlicher als beim Erwachsenen zu beobachten ist, weil das Kind
viel intensiver und im optimalen Fall unverstellter als der Erwachsene seine
Gefühle erleben kann.
aus: Ulrich Klemm (Hrsg.): Quellen und Dokumente der
Antipädagogik, Alice Miller, Erzieher - nicht Kinder - brauchen
Pädagogik; dipa-Verlag, Ffm., 1.A.1992 ISBN 3-7638-0183-9
*
Gefühle ernst nehmen
Es wäre wünschenswert, daß Kinder in Zukunft
früh lernen könnten, ihre Gefühle ernst zu nehmen, sie zu
verstehen und einzuordnen. Elternhaus, Kindergarten, Schule könnten
ihnen Hilfestellung dabei leisten, sobald die Berechtigung, ja
Notwendigkeit für diese Form von »Erziehung« endlich
anerkannt wird. In diesem Sinne könnten die neuen Untersuchungen der
Neurobiologen einen positiven Beitrag zur Aufklärung der
Pädagogen leisten.
Alice Miller 'Das Drama des begabten Kindes - Eine Um- und
Fortschreibung' © 1995 Suhrkamp, Ffm
http://www.alice-miller.com/offenebriefe_de.php
*
Das Beste
In unserer Seele ist etwas, daß wir Interesse nehmen 1. an unserem
Selbst, 2. an anderen, mit denen wir aufgewachsen sind, und dann
m u ß 3. noch ein Interesse am Weltbesten statt finden.
Man muß Kinder mit diesem Interesse bekannt machen, damit sie ihre
Seelen daran erwärmen mögen. Sie müssen sich freuen über
das Weltbeste, wenn es auch nicht der Vorteil ihres Vaterlandes oder ihr
eigener Gewinn ist.
Immanuel Kant, Philosoph (1724-1804) über
Pädagogik
... Kommunikation geht über Gefühle. Kommunikation geht über
Liebe, und das muss jeder Lehrer und jede Lehrerin dieser Welt wissen. Sie
haben einen schwierigen Job, aber Kommunikation ist nicht Technik, nicht
System, sondern die Frage: Wie verstehen sich unsere Augen? Wie fühlen
wir zusammen? Das gilt für Erwachsene genauso wie für Kinder. Wenn
man diese Angst vor Gefühlen weglässt und sich richtig verausgabt
- auch auf die Gefahr hin, dass man ausgenutzt wird, das spielt keine Rolle
-, dann ist das, was man zurückbekommt, enorm, besonders von Kindern.
...
Daniel Goeudevert, Internationaler Berater, im Gespräch
mit Werner Reuß BR-Alpha-Forum 31.01.2002
|
Die Jugend von heute liebt den Luxus, hat schlechte Manieren und verachtet
die Autorität. Sie widersprechen ihren Eltern, legen die Beine
übereinander und tyrannisieren ihre Lehrer.
Sokrates
Immer dasselbe?
Väter und Söhne, Mütter und Töchter - So war es schon
bei Plato
Wohlan mein Freund, wie steht es mit der Diktatur? Ist es nicht so, daß
sich die Demokratie selber auflöst durch eine gewisse Unersättlichkeit
in der Freiheit? Wenn sich die Väter daran gewöhnen, ihre Kinder
einfach gewähren und laufen zu lassen, wie sie wollen, und sich vor
ihren erwachsenen Kindern geradezu fürchten, ein Wort zu reden, oder
wenn die Söhne schon so sein wollen, wie die Väter, also ihre Eltern
weder scheuen, noch sich um ihre Worte kümmern, sich nichts mehr sagen
lassen wollen, um ja recht erwachsen und selbständig zu erscheinen.
Auch die Lehrer zittern bei solchen Verhältnissen vor ihren Schülern
und schmeicheln ihnen lieber, statt sie sicher und mit starker Hand auf einen
geraden Weg zu führen, so daß die Schüler sich nichts mehr
aus ihren Lehrern machen.
Überhaupt sind wir schon so weit, daß sich die Jüngeren den
Älteren gleichstellen, ja gegen sie auftreten in Wort und Tat, die Alten
aber setzen sich unter die Jungen, um sich ihnen gefällig zu machen,
indem sie ihre Albernheiten und Ungehörigkeiten übersehen oder
gar daran teilnehmen, damit sie nicht den Anschein erwecken, als seien sie
Spielverderber oder gar auf Autorität versessen.
Auf diese Weise werden die Seele und die Widerstandskraft aller Jungen
allmählich mürbe. Sie werden aufsässig und können es
schließlich nicht mehr ertragen, wenn man nur ein klein wenig Unterordnung
von ihnen verlangt. Am Ende verachten sie dann auch die Gesetze, weil sie
niemand und nichts mehr als Herr über sich anerkennen wollen, und das
ist der schöne jugendfrohe Anfang der Tyrannei. !
"Politeia", Platon (427-348 v.u.Z.)
(Merke: Erziehung ist Selbst-Erziehung!)
|
Jean-Jacques Rousseau
(1712-78)
Großen Einfluß auf die Pädagogik übte der zunächst
heftig kritisierte Erziehungsroman Émile ou de l'éducation
(1762, Émile oder über die Erziehung) aus. Rousseau stellt hier
- als Gegenbild zu der in den beiden Discours angeprangerten Entfremdung,
die die moderne Zivilisation prägt - die gelungene Sozialisierung eines
einzelnen dar. Ziel der gelungenen Erziehung ist Emiles Liebes- und
Toleranzfähigkeit sowie seine soziale und familiäre Bindung in
kritischer Loyalität. Der Erzieher hat in Rousseaus Konzept mehr die
Aufgabe, die Anlagen und Fähigkeiten des Individuums den verschiedenen
Kindes- und Jugendaltern gemäß zu wecken und sich entwickeln zu
lassen, als selbst aktiv diese zu bilden - in der Anlage ist der einzelne
gut, erst durch die verdorbene Gesellschaft kommt das Böse in und über
ihn.
Philosophielexikon/Rowohlt-Systhema 1994
Jean-Jacques Rousseau: Émile oder Über die Erziehung
'Uni-Taschenbücher S' ISBN 3825201155; 13,90 EUR u. 'Reclams Universal
- Bibliothek' ISBN 3150009014; 14,60 EUR
|
Erziehung macht Spaß - der
Erziehungsführerschein
Grundkurs in allgemeinen Erziehungsfragen für Mütter und
Väter. (www.erziehungsführerschein.de)
Weitere Texte zum Thema Kinder /
Erziehung
Zitate zu Bildung
Der Bildungsbegriff entwickelt sich im Laufe des 18. Jahrhunderts
allmählich aus dem Aufklärungsgedanken. Die Aufklärung
bemühte sich in erster Linie um die Ausbildung von Verstand und Vernunft,
während die Bildungsbewegung dies hingegen als eine unerlaubte
Verkürzung und damit Verkümmerung des Menschen ansieht und eine
allseitige Ausbildung des Menschen unter Einbeziehung der Leidenschaften,
Gefühle und auch des Körpers zum Ziel hat. Bildung ist daher immer
gleich auch Geschmacks- und Herzensbildung. Dabei ging es sowohl um die Bildung
einer einzelnen - sozial verantwortlichen - Persönlichkeit; als auch
um die Bildung der Gesellschaft und des Staates, ja dem Anspruch nach gar
des gesamtes Menschengeschlechts. Mensch und Bürger sollten so
gleichermaßen zu einem wahren Weltbürgertum gebildet werden.
Aufklärung und Bildung waren folglich schon im 18. Jahrhundert
außerordentlich soziale, ja politische Anliegen, auch wenn das
Bürgertum selbst damals politisch weitestgehend bedeutungslos blieb.
Quelle: Veranstaltungs-Programm 'Aufklärung durch Bildung
- Kulturelles Themenjahr in Sachsen-Anhalt 2004', Franckesche Stiftung,
Halle/Saale
*
Die Welt ist nicht dazu da, um von uns erkannt zu werden, sondern uns
in ihr zu bilden.
Georg Christoph Lichtenberg
*
...Sonne, Bäume, Blumen, Wasser und Liebe. Freilich, fehlt letztere
im Herzen des Beschauers, so mag das Ganze wohl einen schlechten Anblick
gewähren, und die Sonne hat dann bloß so und so viele Meilen im
Durchmesser, und die Bäume sind gut zum Einheizen, und die Blumen werden
nach den Staubfäden klassifiziert, und das Wasser ist naß.
Heinrich Heine, "Die Harzreise" (1824)
*
Nur durch Bildung wird der Mensch, der er ganz ist, überall menschlich
und von der Menschheit durchdrungen.
Friedrich Schlegel
*
Gebildet ist, wer für sich allein sein kann, ohne sich zu
langweilen.
Otto von Bismarck
(Zusatz: ... und gleichzeitig Verbindung hält zu seiner Mitwelt.)
*
Es gibt verschiedene Formen und Arten der Bildung: z.B. Ausbildung, Einbildung,
Verbildung, Schulbildung, Berufsbildung, Geschmacksbildung, Herzensbildung
und schließlich - Menschenbildung.
*
Außerhalb ihrer Spezialbildung haben die meisten heutigen Gebildeten
an den gleichen Gemeinplätzen Anteil wie die einfachen Zeitungsleser.
Etienne de Greeff
(Untergang durch die Instinkte?; Matth.-Grünewald-Vlg,
Mainz (1963?)
*
Die Bildung wird täglich geringer, weil die Hast größer
wird.
Friedrich Nietzsche
*
Bildung ist das, was übrig bleibt, wenn wir alles vergessen, was
wir gelernt haben.
Albert Einstein
*
Menschen bilden bedeutet nicht ein Gefäß zu füllen, sondern
ein Feuer zu entfachen.
Aristophanes 445-385 v.u.Z
*
Humanistische
AKTION
5/1995,2
Kritik, Anregungen zu Form und Inhalt
Dialog sowie unveränderter Nachdruck bei Quellenangabe
und Belegexemplar erwünscht. Kürzungen und Änderungen nach
Absprache möglich.
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