Humanistische Orientierung

Grundlage für eine stabile Gesellschaft und Umwelt 

Konzepte und Strategien auf nationaler und internationaler Ebene zur Sicherung der Lebensgrundlagen zukünftiger Generationen dürfen sich nicht länger einseitig auf technische oder politische Bereiche beschränken. Wenn nicht nur Symptome bekämpft sondern dauerhafte Wirkungen erzielt werden sollen, dann müssen die geistig-existentiellen Bereiche des Menschen stets mit einbezogen, wenn nicht sogar vorangestellt werden. Dauerhaft tragfähig können nur ganzheitliche Konzepte und Maßnahmen sein, die das sinngebende Selbstverständnis des Menschen immanent enthalten.

Eine zukunftsfähige Gesellschaft braucht Stabilität, und zwar nicht nur im politischen, wirtschaftlichen oder technischen Bereich, sondern vor allem im menschlichen, denn Instabilität geht meist vom Menschen aus. Stabilität im gesellschaftlichen Gefüge muß aber auch durch Stabilität der Umwelt ergänzt werden. Beides hängt letztlich grundlegend von der psychischen Stabilität möglichst vieler einzelner Menschen ab. Und diese psychische Stabilität der einzelnen Menschen wiederum setzt eine stabilisierende Grund-Einstellung oder Grund-Haltung, eine geistige Orientierung voraus, die den Menschen als Teil des Ökosystems begreift und dem Sinn des menschlichen Lebens entspricht.

Die derzeitige Lage der Menschheit ist gekennzeichnet von Gespaltenheiten, z.B. zwischen arm und reich, zwischen Nord und Süd, zwischen Gefühl und Verstand. Eine wesentliche Spaltung liegt im Fortschritt auf materiellen Gebieten einerseits, und andererseits in der Stagnation der Entwicklung im menschlichen Bereich. Von vielen verantwortlichen Menschen wird nicht erkannt, daß unser Wohlstand lediglich ein materieller ist, der auf Kosten von Mensch und Natur besteht, und daß die immer wieder geforderte Leistung fast ausschließlich auf Wirtschaftswachstum und weniger auf die Entwicklung des Menschlichen gerichtet ist. Forschung im materiellen Bereich, z.B. nun auch vermehrt zugunsten der Umwelt, wird gefördert. Es fehlt aber an der Arbeit am Menschen, an seiner Innenwelt. Menschsein ist schließlich nicht nur ein Zustand, sondern eine permanente Aufgabe, ebenso wie die Demokratie.

In unserer Gesellschaft ist allgemein ein gewisses Defizit an psychischer Stabilität des Einzelnen festzustellen, entstanden durch eine nicht genügend stabilisierende religiöse bzw. weltanschauliche Orientierung und einen mengenmäßigen und inhaltlichen Mangel an Zuwendung und liebevoller Auseinandersetzung in Kindheit und Jugend. Dieses Defizit hindert einerseits daran, die Schwächen der eigenen Person wahrzunehmen und daran zu arbeiten, und es treibt andererseits an zu Aktivitäten, die nach außen gerichtet sind, um durch äußere Erfolge das Defizit zu kompensieren. Auch Destruktivität, gegen die Mitwelt oder gegen sich selbst gerichtet, kann daraus entstehen.

Sowohl bei Jugendlichen, als auch bei Erwachsenen ist mitunter ein exzessiver Erlebnishunger zu beobachten, der auch mit diesen inneren Defiziten zu tun hat. Oftmals werden Abenteuer gesucht, bei denen sowohl Gesundheit, als auch das eigene Leben und nicht selten auch das anderer aufs Spiel gesetzt wird. Die ganze Palette der Süchte wie Drogen, Spielen, Essen, Arbeiten und dergleichen mehr, sie alle resultieren mehr oder weniger aus dem inneren Defizit der Menschen und sind im Grunde eine Suche nach sich selbst, nur in der entgegengesetzten Richtung, nämlich außerhalb der eigenen Person. Persönliche Energie ist genügend vorhanden, es fehlt jedoch an der Orientierung am Menschlichen.

Es gäbe im menschlichen Bereich genügend spannende Abenteuer zu erleben, in der ehrlichen und konstruktiven Auseinandersetzung mit sich selbst und mit den Mitmenschen. Aber die Weichen der Sinn-Orientierung werden meist schon in der frühen Kindheit von defizitären und deshalb instabilen Erwachsenen in eine Richtung gestellt, die nicht hin zum Menschen führt, sondern von ihm fort, entweder materiellen oder jenseitigen Zielen entgegen oder auch zu beiden gleichzeitig. Eine festgeschriebene, religiöse Glaubensrichtung aus vordemokratischen Zeiten behindert die Entwicklung zur Identitätsfindung in sich selbst und damit zu einem Mindestmaß an Mündigkeit, die Voraussetzung für ein sowohl eigenverantwortliches als auch mitverantwortliches Leben in einer funktionsfähigen, stabilen Demokratie und Umwelt wäre.

Selbst ansonsten sehr realitätsbezogene Menschen wie Politiker, die von ihren Wählern und Steuerzahlern eine lebenslange Lernbereitschaft fordern, halten ihrerseits jedoch fest an diesem anerzogenen, traditionellen Glauben und verwenden ihn wie einen Talisman, wie einen Joker oder wie eine geistige Droge und bekennen sich auch noch öffentlich dazu, indem gerade überwiegend sie ihrem Amtseid den Zusatz "so wahr mir Gott helfe" anfügen. Obwohl es realistischer und sinnvoller wäre, die Hilfe der Mitmenschen in Anspruch zu nehmen. Hier wird mittels einer individualisierenden, jenseitigen Autorität ein hierarchisches System aufrecht erhalten und damit die Verwirklichung der Demokratie behindert.

Hilfe aus dem Jenseits zu erhoffen, mag der Masse der weniger gebildeten Menschen, die vor Jahrhunderten in noch vordemokratischen Systemen wenig Chancen hatten, ein sinnvolles, weitgehend selbstbestimmtes Leben zu führen, gut getan haben. Heute ist es im wahren Sinne des Wortes not-wendig, den Sinn unseres Lebens - in aller Bescheidenheit und gleichzeitig mit aller Anforderung an uns selbst - in der Vervollkommnung unserer Persönlichkeit mit dem Ziel der Mündigkeit zu sehen, hier und jetzt in gnostischer Weise das Wesentliche zu erkennen, zu tun und uns darauf zu beschränken, und das Jenseitige in agnostischer Gelassenheit auf uns zukommen zu lassen.

Orientierung an einem neuen, ganzheitlich verstandenen Humanismus wäre jetzt sinnvoll und erforderlich. Im Gegensatz zu allen anderen Religionen bzw. Konfessionen und Ideologien, die schon von ihren Namen her andere Menschen und Bereiche ab- und ausgrenzen, schließt der Humanismus als die Geisteshaltung vom verantwortlichen Menschentum alle Menschen dieser einen Welt mit ein. Der ganzheitliche Humanismus ist Weg und Ziel in einem und enthält in konsequentem Verständnis sowohl die Arbeit an der eigenen Persönlichkeit als auch die Mitverantwortlichkeit für die Mitwelt, bestehend aus Mensch und Natur.

Nur dann wird eine Gesellschaft zukunftsfähig sein, wenn sie menschlich und somit solidarisch ist. In einer humanistisch orientierten und gelebten Gesellschaft können weder Technik, noch Politik so leicht wie heute zur Gefahr für Mensch und Umwelt werden.
 

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In diesem Kreis von Grundwerten sind die wesentlichen zusammengehörenden Kriterien enthalten, an denen sich die Menschen mit ihren Handlungen orientieren können, um Stabilität für Gesellschaft und Umwelt zu gewährleisten.

Rudolf Kuhr

 

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Humanistische AKTION
3/1995,2
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Aktualisiert am 17.06.09