Abenteuer Menschsein

Worum es mir wirklich geht im Leben 

Zur Einstimmung in das Thema ein Zitat von Johann Wolfgang von Goethe: Hierbei bekenn' ich, daß mir von jeher die große und so bedeutend klingende Aufgabe:"erkenne dich selbst!" immer verdächtig vorkam, als eine List geheim verbündeter Priester, die den Menschen durch unerreichbare Forderungen verwirren... wollten. Der Mensch kennt nur sich selbst, insofern er die Welt kennt, die er nur in sich und sich nur in ihr gewahr wird. Jeder neue Gegenstand, wohl beschaut, schließt ein neues Organ in uns auf. Am allerfördersamsten sind aber unsere Nebenmenschen, welche den Vorteil haben, uns mit der Welt aus ihrem Standpunkt zu vergleichen und daher nähere Kenntnis von uns erlangen, als wir selbst gewinnen mögen. Ich habe daher in reiferen Jahren große Aufmerksamkeit gehegt, inwiefern andere mich wohl erkennen möchten, damit ich in und an ihnen, wie an so viel Spiegeln, über mich selbst und über mein Inneres deutlicher werden könnte... Von Freunden... lasse ich mich ebenso gern bedingen als ins Unendliche hinweisen, stets merke ich auf sie mit reinem Zutrauen zu wahrhafter Erbauung.

Angeregt durch wiederholte Enttäuschungen in einem Gesprächskreis, der sich zu dem überaus bedeutsamen Thema Worauf es wirklich ankommt zusammenfand, und der anfangs ziemlich unstrukturiert über Gott und die Welt diskutierte, entstand in mir die Frage nach den hintergründigen Bedürfnissen der Teilnehmer. Ich hatte den Eindruck, daß diese den meisten gar nicht bewußt waren, so daß es mir oft so erschien, als ginge es eigentlich mehr um die Lust am Reden, am Streiten, um Unterhaltung und Geselligkeit als um das Thema selbst.

Unsere Hauptaufgabe ist nicht zu erkennen, was unklar in
weiter Ferne liegt, sondern das zu tun, was klar vor uns liegt.

Thomas Carlyle

Erst als ich mich bereits zurückgezogen hatte, fiel mir ein, was ich übersehen hatte: In dem Motto des Kreises 'Worauf es wirklich ankommt' fehlte das Wörtchen mir sowie das allgemeine Bewußtsein von dessen Bedeutung. Und deshalb fehlte es mir im Umgang miteinander an Echtheit und Einfühlung, wie dieses nur ganz selten anzutreffen ist, wenn Menschen zusammen kommen, die dann entweder über diese Zusammenhänge wissen und sich grundsätzlich oder zufällig entsprechend einfühlend verhalten.

Unser Ziel ist, einander zu erkennen und einer im anderen das zu sehen
und ehren zu lernen, was er ist; - des andern Gegenstück und Ergänzung!

Hermann Hesse

Um es nicht beim kritisieren zu belassen, möchte ich, gewissermaßen in einem Selbstversuch, meine eigenen hintergründigen Bedürfnisse offenlegen. - Das, worum es mir wirklich geht, wenn ich mich z.B. in meiner Freizeit mit anderen Menschen zu tiefergehenden Gesprächen treffe, das kann ich eigentlich nur mit Hilfe von einfühlsamen Mitmenschen herausfinden, weil auch das Unbewußte eine Rolle spielt, und ich dieses Unbewußte nur sehr subjektiv bewußt machen kann. Unangenehmes wird da wohl nur zu leicht verdrängt. Wer vermag schon ohne fremde Hilfe die egoistischen Anteile an seinen altruistischen Handlungen einigermaßen genau einzuschätzen? Ich denke hier an das Sprichwort Die schlimmste Form des Egoismus ist der Altruismus.

Um fremden Wert willig und frei anzuerkennen, muß man eigenen haben.
Arthur Schopenhauer

Wenn ich vom Verstand her an die Frage herangehe, dann geht es mir vor allem um Authentizität, um Echtheit, - ich möchte mich möglichst wenig in mir selber täuschen und andere selbstverständlich auch nicht. Außerdem geht es mir um eine sinnvolle Lebensgestaltung. Hierzu brauche und suche ich gleichgesinnte Menschen zur gegenseitigen Unterstützung in diesen Zielen. Mit diesen gleichgesinnten - möglichst einfühlsamen - Mitmenschen möchte ich mich in offener und wohlwollender Weise mit möglichst wenig Einschränkungen austauschen, um mehr über mich zu erfahren, um mich weiterzuentwickeln und den anderen in gegenseitigem Austausch ebenso dabei zu helfen. Ich möchte, daß ich ohne Scheu und Tabus in allen möglichen Bereichen hinterfragt und auf mögliche Fehler aufmerksam gemacht werde, ich bitte ausdrücklich um Einmischung, auch in persönliche Angelegenheiten. Es gibt für mich in dieser Konstellation keine indiskreten Fragen, allenfalls indiskrete Antworten.

Was ist am schwersten zu erreichen? -
Daß man sich selber hinter die Schliche kommt.
Wilhelm Busch

Ich kann nicht garantieren, daß ich mich zu allem äußern und gegebenenfalls ändern werde, wohl aber verspreche ich, für jeden aufrichtig gemeinten Hinweis dankbar zu sein und darüber nachzudenken. Ebenso verspreche ich, daß ich mich bemerkbar machen werde, wenn mir etwas zuviel wird. Dasselbe wünsche ich mir auch von meinen Gesprächs-Partnern.

Es ist so angenehm, zugleich die Natur und sich selbst zu erforschen,
weder ihr noch dem eigenen Geist Gewalt anzutun, sondern beide
in sanfter Wechselwirkung miteinander ins Gleichgewicht zu bringen.

Johann Wolfgang von Goethe

Ich sehe den von der Natur her gegebenen Sinn jedes Lebewesens darin, daß es sich je nach Anlage und Mitweltbedingungen bestmöglich entwickelt. Für den Menschen allgemein und damit auch für mich bedeutet dies: Menschsein ist nicht nur ein gegebener Zustand, sondern eine ständige Aufgabe. Da der Mensch ein Teil der Natur und der menschlichen Gesellschaft ist, ohne die er nicht lebensfähig geworden wäre, schließt die Aufgabe Menschsein folgerichtig einen Dienst an Gesellschaft und Natur mit ein.

Sich selber erforschen, um sich selbst zu erkennen, ist das erste Studium.
J. M. Sailer

Erst ein mündiger Mensch, der eine kritische Distanz zu sich selbst und eine bewußte Verbundenheit zu seiner Mitwelt hat, kann für sich selbst voll- und für seine Mitwelt mitverantwortlich sein. Deshalb ist Mündigkeit ein wichtiges Ziel, das es zu erreichen und zu erhalten gilt. Einen Menschen in Unmündigkeit zu bringen oder zu halten, verstößt gegen die in den Menschenrechten verankerte freie Entfaltung der Persönlichkeit. Einem Menschen nicht zu helfen, der in Gefahr ist in Unmündigkeit zu geraten, kommt demnach einer unterlassenen Hilfeleistung gleich. Deshalb ist Aufklärung - auch über mich selbst - für mich Pflicht. Ich halte es mit Mahatma Gandhi, der sagte:

Wir selbst müssen die Veränderung sein, die wir in der Welt sehen wollen.

Ich wünsche mir Einmischung zur Aufklärung über Möglichkeiten und Gefahren, die ich noch nicht erkenne, und ich wünsche mir Mitmenschen, die das gleiche wollen. Meine, allem anderen übergeordnete Orientierung, ist der ganzheitlich verstandene Humanismus, das Ideal vom verantwortlichen Menschentum. Mir geht es um Menschlichkeit durch Wahrhaftigkeit. Mensch, lerne dich selbst erkennen, das ist der Mittelpunkt aller Weisheit! so Gotthold Ephraim Lessing.

Ich lade ein zum Abenteuer Menschsein!

Rudolf Kuhr

 

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 Homepage - in dem Handbuch 'Wachstum an Menschlichkeit - Humanismus als Grundlage' siehe Info.

 
Es ist eine Krankheit der Menschen, daß sie ihr eigenes Feld vernachlässigen,
um in den Feldern der anderen nach Unkraut zu suchen.

Vicky Baum, österreichische Schriftstellerin (1888-1960)

 

Einander aufrichtig begegnen      

Ich wünsche mir Mitmenschen,
bei denen ich ohne Herzklopfen und innere Anspannung anklopfen kann,
denen mein Erscheinen nicht von vornherein lästig ist,
die mich nicht an der Türe abfertigen,
sondern herein bitten und in Ruhe zuhören.

Ich wünsche mir Mitmenschen,
die gern einmal wohlwollend oder aufmerksam über den Zaun schauen,
bei denen man eine Nachricht für mich hinterlassen kann,
die sich Sorgen machen und fragen, was los ist,
wenn sie mich länger nicht gesehen haben.

Ich wünsche mir Mitmenschen,
die ich in der Not nicht anbetteln muss,
bei denen Freundschaft und Nächstenliebe nicht eine leere Floskel,
sondern eine Selbstverständlichkeit ist.

Ich wünsche mir Mitmenschen,
denen ich so viel wert bin, dass sie mir nicht nach dem Munde reden,
sondern mich aufmerksam machen,
auf Fehler, Spinnereien, Risiken, Gefahren.
Ich wünsche mir aufrichtige Gegenüber, die nicht mit zwei Zungen reden,
freundlich und anerkennend mir ins Gesicht,
aber geringschätzig und abfällig  - hinter meinem Rücken.

Ich wünsche mir Mitmenschen,
die bei Gegensätzen meinen Standpunkt achten
und nach seiner Begründung fragen, wenn sie ihn nicht verstehen,
die meinen Stolz nicht demütigen und meine Gefühle achten.

Ich wünsche mir Mitmenschen,
die bei Schicksalsschlägen und in Traurigkeiten
mir Mut machen, mich niemals aufzugeben.

Ich wünsche mir Mitmenschen,
mit denen ich lachen kann,
die Worte nicht auf die Goldwaage legen,
die sich auch einmal auf den Arm nehmen lassen
und Spaß verstehen, die nicht gleich oder für alle Ewigkeit
eingeschnappt sind, die es mit einer Entschuldigung
bewendet sein lassen und mich nicht um Abbitte
auf die Knie zwingen.

Ich wünsche mir von Herzen,
ein solcher Nächster meinem Nächsten sein zu können.

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Humanistische AKTION
12/1996,6 
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und Belegexemplar erwünscht. Kürzungen und Änderungen nach Absprache möglich.
  

 
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Aktualisiert am 25.05.09