... so wahr mir Gott helfe - ?
Antworten von Politikern auf eine Umfrage
Die überwiegende Mehrheit unserer Politiker fügt ihrem Amtseid den Nachsatz "... so wahr mir Gott helfe" an, obwohl der Eid auch ohne religiöse Beteuerung geleistet werden kann. Was veranlaßt Verantwortung übernehmende Menschen unserer aufgeklärten Zeit dazu, an derartigen Formeln festzuhalten? Wo doch selbst Jesus in der Bergpredigt jegliches Schwören ablehnt und spätestens seit Erich Fromm die Fragwürdigkeit und Bedenklichkeit der Verwendung eines Gottesbegriffs überhaupt - zumindest unter redlichen Intellektuellen - bekannt sein dürfte. Eine Umfrage unter Spitzenpolitikern sollte klären, wie ihre Aussage vom Wort und vom Inhalt her zu verstehen ist, und was sie persönlich damit meinen. In der Zeit von Anfang 1994 bis Anfang 1995 wurden im Rahmen der Münchner Initiative 'Humanistische Aktion' neben dem Bundespräsidenten, dem Bundeskanzler und der Bundestagspräsidentin alle Bundesminister, Ministerpräsidenten der Länder beziehungsweise die entsprechenden Oberhäupter der Stadtstaaten angeschrieben. Es wurde gefragt, wie die Aussage des Politikers "... so wahr mir Gott helfe" vom Wort und vom Inhalt her zu verstehen sei und was er/sie persönlich damit gemeint habe. Geantwortet haben - teilweise erst nach mehreren Anfragen - von 37 bis zur Drucklegung 34 Politiker beziehungsweise Politikerinnen. Nicht reagiert haben - nach jeweils drei beziehungsweise vier Anfragen - die Ministerpräsidenten Oskar Lafontaine und Dr.Bernhard Vogel sowie Bundesminister Carl-Dieter Spranger. Hier kann sich der Staatsbürger und Wähler fragen, ob diese drei Politiker Schwierigkeiten haben, das was sie öffentlich gesagt haben zu erklären oder aber dazu zu stehen. Nachfolgend die Antworten in der Reihenfolge des Eingangs. Es werden hier nur die inhaltlich wesentlichen Teile der Antworten wiedergegeben und, was Angaben über Ort, Amt und Geschlecht betrifft, diese soweit ausgelassen beziehungsweise neutralisiert, daß die Aussagen zunächst einmal unvoreingenommen betrachtet werden können. Eine Liste mit den Namen befindet sich am Schluß dieses Textes. Politiker(in) 1 Anfrage: 07.02.94; persönliche Antwort 15.02.94: "... Ich habe meine sehr persönliche Auslegung dieser Formel und ich möchte sie auch weiterhin allein betrachten. ..." Politiker(in) 2 Anfrage: 18.02.94; Antwort durch Referent/in 22.04.94: "... hat Ihren Brief aufmerksam und mit Interesse zur Kenntnis genommen. Bei der von Ihnen angesprochenen Formel "... so wahr mir Gott helfe" handelt es sich um eine religiöse Beteuerung. ..." Politiker(in) 3 Anfrage: 21.04.94; persönliche Antwort 28.04.94: "... Die Formel "... so wahr mir Gott helfe" macht uns Menschen bewußt, daß all unser Handeln und Bestreben fehlbar und begrenzt ist. In diesem Bewußtsein muß es unser Ziel sein, nach bestem Wissen und Gewissen zu handeln. ..." Politiker(in) 4 Anfrage: 06.04.94; Antwort durch Referent/in 26.04.94: "... Der Amtseid des Bundespräsidenten nach Artikel 56 Satz 1 GG und der Bundesminister nach Artikel 64 i.V.m. Artikel 56 Satz 1 GG ist öffentlich abzulegen, um - verstärkt durch die Übertragung in den Massenmedien - eine öffentliche Bindung und die Übernahme von Verantwortlichkeit zu dokumentieren. Auf diese Bindung verpflichtet sich der neue Amtsträger vor der Öffentlichkeit, indem er verspricht, das Amt so zu führen, wie es der Verfassung und vor allem seinen verfassungsrechtlichen Möglichkeiten und Grenzen entsspricht. Die religiöse Form, in der der Amtseid des Bundespräsidenten und der der Regierungsmitglieder immer noch überwiegend geleistet wird, zeigt das deutlich: Der jeweilige Amtsinhaber verspricht - unter Berufung auf etwas, was ihm höher als jeder politische Vorteil und jede rechtliche Bindung steht - eine korrekte und vor allem auch verfassungsgemäße Amtsführung. Der Schwörende bindet seine Amtsführung so an sein innerstes Selbstverständnis und an den Kern seiner Persönlichkeit. In allen Fällen, in denen er die religiöse Beteuerung bei der Eidesformel verwendet, stellt er seine religiöse Überzeugung - wie immer sie im einzelnen aussehen mag - in den Dienst seiner Absicht, den rechtlichen Bindungen des Grundgesetzes eine weitere für ihn besonders verpflichtende Bindung hinzuzufügen. Auch ein weltanschaulich neutraler Staat, wie es die Bundesrepublik Deutschland nach ihrer Verfassungsstruktur und durch die Säkularisierung ist, kann seinen wichtigsten Amtsträgern die Möglichkeit einräumen, sich bei ihrer Amtsführung auf ihre Gläubigkeit zu berufen. Auf diese Weise wird die Selbstbindung, die durch die Öffentlichkeit der Eidesleistung entsteht, um eine weitere, ethische Kategorie erweitert. ..." Politiker(in) 5 Anfrage: 21.04.94; Antwort durch Referent/in 03.05.94: "... Artikel 64 Abs. 2 des Grundgesetzes bestimmt, daß der Bundeskanzler und die Bundesminister bei der Amtsübernahme vor dem Bundestag den in Artikel 56 Grundgesetz auch für den Bundespräsidenten vorgesehenen Eid zu leisten haben. Die Frage, ob ein Bundesminister auf die religiöse Formel "So wahr mir Gott helfe" oder - was möglich ist - auf die nichtreligiöse Formel zurückgreift, ist eine höchstpersönliche Entscheidung, die sicherlich etwas mit dem persönlichen Glaubensbekenntnis zu tun hat, aber keiner öffentlichen Kommentierung oder Auslegung bedarf. Im Kommentar zum Grundgesetz von Schmitt-Bleibtreu-Klein heißt es zudem zu Artikel 64 auf Seite 682 Randnummer 7: "Die Eidesleistung ist eine vom Grundgesetz auferlegte Pflicht. Durch die Eidesleistung erwerben die Bundesminister keine besonderen Rechte und Pflichten. Der Eid stellt ein feierliches Gelöbnis dar und ist als eine transzendentale Legitimation eines unverbrüchlichen Versprechens anzusehen." ..." Politiker(in) 6 Anfrage: 21.04.94; Antwort durch Referent/in 05.05.94: "... wie bereits heute telefonisch besprochen, hat ... als gläubige(r) Christ(in) den Eid auf die Verfassung mit dem Nachsatz "... so wahr mir Gott helfe" geleistet. Da der Glaube eine sehr private Angelegenheit ist, sehe ich mich außerstande, Ihrem Anliegen nachzukommen. ..." Politiker(in) 7 Anfrage: 21.04.94; Antwort durch Referent/in 06.05.94: "... Gläubige Christen wissen, daß politische Probleme allein durch menschliche Vernunft und ohne die Hilfe Gottes nicht zu lösen sind. Auf diesen Zusammenhang hat ... in der Öffentlichkeit häufig hingewiesen. Christlicher Glaube ist untrennbar mit dem Auftrag verbunden, die Welt zu gestalten und am Werk des Schöpfers mitzuarbeiten. Wenn es auch keine "christliche Politik" und keinen "christlichen Staat" im engeren Sinne gibt, so ist für ... politisches Handeln doch untrennbar mit christlicher Verantwortung verbunden. Für ... bedeutet das christliche Verständnis vom Menschen eine ethische Grundlage für verantwortliche Politik. Daher ist es für ... selbstverständlich, den Amtseid mit der religiösen Formel zu leisten. Darüber hinaus bringt die Berufung auf Gott auch die Überzeugung zum Ausdruck, daß jedem menschlichen Handeln - und damit auch der Politik - Grenzen gesetzt sind. Es gibt Dinge, über die weder der einzelne noch ein Gemeinwesen verfügen darf. So sind die unantastbare Würde jedes Menschen und das Grundrecht auf menschliches leben der staatlichen Ordnung vorgegeben und dürfen von dieser nicht zu Disposition gestellt werden. Schließlich macht die Hoffnung auf den Beistand Gottes auch deutlich, daß ein Politiker, wie jeder Mensch, irren und auch schuldig werden kann. Diese Einsicht bewahrt vor der Gefahr, Politik zu ideologisieren. ..." Politiker(in) 8 Anfrage: 21.04.94; Antwort durch Referent/in 18.05.94: "... Als gläubige(r) protestantische(r) Christ(in) hat der Eid für sie/ihn genau die Bedeutung, die der Wortlaut wiedergibt. Der Eid soll den festen Willen zum Ausdruck bringen, alles "Menschenmögliche" einzubringen, um den hohen Anforderungen des Amtes gerecht zu werden. Darüber hinaus kann er auch als Bitte nach Gottes Beistand verstanden werden. ..." Politiker(in) 9 Anfrage: 21.04.94; persönliche Antwort 18.05.94: "... Ich verstehe mich selbst als bekennende(r) Katholik(in) und fühle mich in der christlichen Denktradition und Wertegemeinschaft beheimatet. Deshalb sehe ich mich in meinem Amt als Bundesminister(in) nicht nur allen Bürgerinnen und Bürgern der Bundesrepublik Deutschland verpflichtet, sondern auch Gott verantwortlich. Der Satz "So wahr mir Gott helfe" besitzt deshalb eine zweifache Bedeutung: Erstens besagt er, daß ich in allen politischen Entscheidungen mein Handeln noch einmal vor Gott rechtfertige. Zweitens besagt er aber auch, daß wir alle als Menschen auf die Hilfe Gottes angewiesen sind. Die politische Realität und die umfassende Aufgabenstellung, die ein(e) Minister(in) zu erledigen hat, kann er bzw. sie nur bewältigen, wenn deutlich ist, daß ein einzelner Mensch alleine nicht alle politischen Probleme lösen kann. ..." Politiker(in) 10 Anfrage: 16.06.94; Antwort durch Referent/in 21.06.94: "... eine längere Stellungnahme ist uns zu Ihrer Frage derzeit leider nicht möglich. Ich erlaube mir, ein Interview der Zeitschrift ... beizulegen, das Ihnen vielleicht etwas weiterhilft." Auszüge daraus: "... das Christentum ist für mich Leitbild, ... Man muß Gott mehr gehorchen als den Menschen. ... Ob ich als Christ Politik mache, das ist schwer zu beantworten. Schließlich garantiert das Christsein noch nicht, die politisch richtigen Antworten auf die tagtäglichen Probleme zu haben. Vermutlich liegt das unterscheidend Christliche mehr im Selbstverständnis oder im Beweggrund des Handelns als in den Zielen, d.h. im Glauben an Gott und nicht so sehr in bestimmten Sachaussagen. ..." Politiker(in) 11 Anfrage: 16.06.94; Antwort durch Referent/in 21.06.94: "... Wie alle übrigen ... der Christlich Demokratischen Union hat auch ... seinen/ihren Amtseid ... mit dem von der Verfassung wahlweise angebotenen Zusatz "... so wahr mir Gott helfe" versehen. Damit wollte er/sie zum Ausdruck bringen, daß das Gelingen menschlichen Handelns nicht nur vom Menschen selber, sondern auch von Gott abhängt. Ohne Gottes Hilfe kann das menschliche Handeln auch in der Politik keinen Erfolg haben, was die individuelle Verantwortung des Menschen nicht schmälert, sondern stärkt. Nicht der Mensch, sondern Gott ist das Maß aller Dinge. ..." Politiker(in) 12 Anfrage: 16.06.94; Antwort durch Referent/in 24.06.94: "... der/die ... hat seinen/ihren Amtseid ohne Zusatz geleistet. Zu Ihrer Information füge ich einen Auszug aus dem Plenarprotokoll ... bei. ...Die Entscheidung darüber, ob eine religiöse Beteuerung beigefügt wird, ist naturgemäß persönlicher Art und hängt auch nicht unbedingt damit zusammen, ob jemand Mitglied einer Kirche ist oder nicht. Eine solche Entscheidung ändert natürlich auch nichts an der Bedeutung und dem Gewicht eines Eides, den jemand leistet. ..." Politiker(in) 13 Anfrage: 23.03.94, 16.06.94; Antwort durch Referent/in 27.06.94: "... Ihre Frage, die Sie als Staatsbürger und Wähler stellen, ist sehr gut. Der mündige Bürger hat nicht nur das Recht, sondern sogar die Pflicht sich zu informieren, z.B. welches Menschenbild Politiker vertreten. Ohne Menschenbild gerät jede Politik in Beliebigkeit. Politiker und Politik müssen angeben können, wer Absender und Empfänger, Subjekt und Objekt des Handelns ist. Die christliche Anthropologie integriert dieses Subjekt/Objekt-Verhältnis im Begriff Personalität, die das Fundament der Würde jedes Menschen ist. Die Personalität des Menschen hat ihre stärkste Verankerung in jenem biblischen Menschenbild, das alle Menschen als Kinder Gottes auszeichnet. Abendländische Moralität ist ohne diese Substanz aus jüdisch-christlicher Herkunft überhaupt nicht verständlich. Die Würde des Menschen ist die beste Erbschaft des christlichen Abendlandes für die Welt. Als christliche(r) Politiker(in) vertritt ... diesen Standpunkt. Seine/ihre persönliche Einstellung ist vor die Beantwortung Ihrer eigentlichen Frage gestellt worden, damit die nachfolgend kurze Antwort leichter verständlich wird. Für den/die Minister(in) beinhaltet der Schlußsatz der Eidesformel "... so wahr mir Gott helfe!" im weitesten Sinn das Bekenntnis zu einer Verantwortung vor Gott und den Menschen. Zusätzlich sind diesem Schreiben seine/ihre Standpunkte und Perspektiven in gedruckter Form beigefügt. Vielleicht finden Sie dort noch zusätzliche Antworten auf Ihre Frage. ..." Auszüge daraus: "... Eine christliche Anthropologie wird nicht nur von der Bibel gestützt, sondern findet Orientierung auch in der Selbstvergewisserung des Menschen. Als unverwechselbar Einzelner erfährt er sich in Grenzsituationen seines Lebens, von denen der Tod seine letzte ist. Dort ist er unvertretbar zurückgeworfen auf sich selbst. Kein Intelligenzquotient, soziales Prestige, Reichtum oder sonst etwas rettet ihn davor, sich als unverwechselbar Einziger erfahren zu müssen. Für seinen Tod findet der Mensch keinen Stellvertreter. Im Sterben ist der Mensch allein. Andererseits ist der Mensch wie kein anderes Lebewesen auf Sozialität angewiesen. Seine Natur ist schwach. Er bedarf der Kultur zum Überleben. Kein Instinkt sichert sein Verhalten. Er muß sich selbst Regeln geben, die er als Konventionen mit anderen aufstellt. Der Mensch überlebt nur als soziales Wesen. Die Personalität des Menschen ist janusköpfig. Sie hat ein soziales und ein individuelles Gesicht. Die christliche Soziallehre hat diese Spannung produktiv verarbeitet. Das christliche Weltverständnis ist kein Privatissimum und nicht nur am heimischen Herd verwendbar, wie es häufig frömmlerisch mißverstanden wurde. Jeder Mensch drängt nach Entfaltung seiner selbst mit anderen in die soziale Dimension. Christliches Weltverständnis ist sowohl auf Individualität wie auf die Sozialität des Menschen ausgerichtet." Politiker(in) 14 Anfrage 16.06.94; persönliche Antwort 27.06.94: "... Auf den ersten Blick scheint der Nachsatz in einem doppelten Sinn un-, ja widerchristlich zu sein. Denn zum ersten verbietet das Evangelium das Schwören überhaupt (Mt 5,37 f.). Überdies scheint es dann um so mehr anmaßend, nach der Mißachtung dieses Gebots durch den Schwur auch noch göttliche Hilfe anzurufen. Dazu ist folgendes zu sagen: Grundgesetz und Landesverfassung sind gesetztes (positives), profanes Recht, das Evangelium ist göttlichen Rechts (ius divinum). Die Benutzung einer Schwurformel im profanen Recht ist deshalb legitim. Sie hat die Absicht und den Sinn, den Amtsinhaber in besonderer und nachdrücklicher Form vor der Öffentlichkeit, für die er Verantwortung tragen soll, in die Pflicht zu nehmen. Ist der Amtsinhaber gläubig, stellt ihm das Recht frei, Gott um Beistand bei der Ausübung seines Amtes anzurufen. Dieses Verhalten ist nicht genuin christlich, auch andere Religionen und sogar heidnische Gebräuche kennen das Ritual der Anrufung einer Gottheit im Angesicht schwieriger Unternehmungen und Entscheidungen. Grundgesetz und Landesverfassung unterstellen jedoch in der Ausgestaltung des Eids die Anrufung des christlichen Gottes. Ich persönlich habe mich als Christ für die Benutzung der Bekräftigungsformel entschieden. Damit brachte ich den Glauben an meine unbedingte Verwiesenheit auf göttlichen Beistand in allen Worten und Taten, ja in meiner ganzen Existenz zum Ausdruck. ..." Politiker(in) 15 Anfrage 16.06.94; Antwort durch Referent/in 28.06.94: "... Als Christ ist es für ... selbstverständlich, bei der Ablegung des Amtseides die von Ihnen zitierte Fassung zu sprechen. Ihre Bedeutung ist allgemein bekannt und bedarf keiner besonderen Erläuterung. ..." Politiker(in) 16 Anfrage: 14.06.94; persönliche Antwort 30.06.94: "... Ich bin Christ(in), und von daher war es für mich selbstverständlich, bei meiner Ernennung zum(r) ... für ... die religiöse Eidesformel zu sprechen. Nach meinem Verständnis habe ich damit deutlich gemacht, daß ich mich nach Kräften bemühen will, mein Amt zum Wohl unseres Landes auszuüben und daß ich mir dabei gleichzeitig bewußt bin, daß diesem Bemühen Grenzen gesetzt sind. Dietrich Bonhoeffer hat diese Begrenztheit menschlichen Vermögens treffend beschrieben: 'Das letzte Nichtwissen des eigenen Guten und Bösen und damit das Angewiesensein auf Gnade gehört wesentlich zum verantwortlichen geschichtlichen Handeln'. ..." Politiker(in) 17 Anfrage: 16.06.94; persönliche Antwort 30.06.94: "... ich habe bei Ableistung des Amtseides vor dem ... Landtag auf die Anfügung der religiösen Beteuerung verzichtet. ... Meiner Entscheidung liegen höchstpersönliche Überlegungen zugrunde, die ich nicht öffentlich erörtern möchte. ..." Politiker(in) 18 Anfrage: 16.06,94; persönliche Antwort 05.07.94: "... gerne bin ich bereit, Ihnen zu erläutern, warum ich auf die Anfügung der religiösen Beteuerung bei der Ableistung meines Amtseides verzichtet habe. Was das Schwören angeht, halte ich es mit der Bergpredigt: 'Ich aber sage Euch, daß Ihr überhaupt nicht schwören sollt, weder beim Himmel, denn er ist Gottes Thron; noch bei der Erde, denn sie ist der Schemel seiner Füße, noch bei Jerusalem, denn sie ist die Stadt des großen Königs. Auch sollst Du nicht bei Deinem Haupt schwören, denn Du vermagst nicht ein einziges Haar weiß oder schwarz zu machen. Eure Rede aber sei: Ja, ja; nein, nein. Was darüber ist, das ist von Übel'. ..." Politiker(in) 19 Anfrage: 14.06.94; persönliche Antwort 06.07.94: "... ich bin gläubige(r) Christ(in) und praktizierende(r) Katholik(in). Daher bemühe ich mich, mein Leben so zu gestalten, daß ich den Ansprüchen des Christentums gerecht werde. Es war für mich daher selbstverständlich, bei meiner Vereidigung als ... für ... um die Hilfe Gottes bei der Bewältigung des neuen Amtes zu bitten. ..." Politiker(in) 20 Anfrage: 14.06.94; Antwort durch Referent/in 06.07.94: "... Wie Sie wissen, kann derjenige, der von der Möglichkeit der religiösen Form des Eides Gebrauch machen will, diesen mit dem religiösen Zusatz "... so wahr mir Gott helfe" sprechen. Damit wird Gott als Zeuge angerufen, aber auch um seinen Beistand bei der Ausübung des jeweiligen Amtes gebeten. In diesem Falle gilt Gott dem Eidgeber als "Eidwächter", aber auch als "Eidhelfer". ..." Politiker(in) 21 Anfrage: 16.06.94; Antwort durch Referent/in 08.07.94: "... ich übersende Ihnen im Auftrag von ... eine Rede, die möglicherweise hilft, Ihre Frage zu beantworten. ..." Auszug daraus: "... Ich bekenne mich zu den Christen, die in der sozialen und politischen Befreiung des Menschen einen zentralen Bestandteil des Glaubens sehen. ..." Politiker(in) 22 Anfrage: 16.06.94; persönliche Antwort 11.07.94: "... Durch die feierliche Form des Eides wird dem Volk und seiner Vertretung, dem Landtag, versichert, daß sich die Leiter der Exekutive ihrer Verantwortung bewußt sind und alle Kräfte daran setzen, ihr gerecht zu werden. Getreu dem von mir geleisteten Eid will ich alles tun, um meine verfassungsmäßigen Pflichten zu erfüllen. Die religiöse Beteuerungsformel "so wahr mir Gott helfe" könnte zwar auch unterbleiben oder durch eine andere ersetzt werden, ohne daß deshalb die verpflichtende Wirkung des Eides entfiele. Für mich als christlichem(r) Politiker(in) war es aber eine Selbstverständlichkeit, meinen Amtseid religiös zu bekräftigen. ..." Politiker(in) 23 Anfrage: 16.06.94; Antwort durch Referent/in 13.07.94: "... ... ist Protestant(in) und hat eine inhaltlich sehr intensive Beziehung zu seiner/ihrer Kirche. Die religiöse Form, die er/sie bei der Abgabe des Amtseides verwandt hat, ist Ausdruck dieses Grundverhältnisses. ..." Politiker(in) 24 Anfrage: 16.06,94; Antwort durch Referent/in 14.07.94: "... Durch den Amtseid und die religiöse Beteuerungsformel als Bestandteil des Amtseides des ... hat der/die ... zum Ausdruck bringen wollen, daß er/sie nach bestem Wissen und Gewissen seine/ihre Kraft dem Wohl des Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm abwenden, Verfassung und Recht wahren und verteidigen, seine/ihre Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegenüber allen üben werde. Ebenso wird zum Ausdruck gebracht, daß das politische Handeln, ebenso wie das Gundgesetz und die ... Landesverfassung aus und durch die christlich-abendländische Kultur- und Werterhaltung geprägt ist. ..." Politiker(in) 25 Anfrage: 14.06.94; persönliche Antwort 14.07.94: "... Wie Sie sicherlich wissen, leisten Bundesminister bei der Amtsübernahme vor dem Bundestage den im Artikel 56 Grundgesetz vorgesehenen Eid. In Artikel 56 GG ist wiederum ausdrücklich festgelegt, daß der Eid auch ohne religiöse Beteuerung geleistet werden kann. Wie sich die einzelne Person nun persönlich entscheidet und die Eidesformel mit oder ohne Zusatz wählt, bedarf damit m.E. keiner Rechtfertigung und Erklärung. ..." Politiker(in) 26 Anfrage: 16.06.94; Antwort (persönlich) 26.07.94: "... Wie Sie sicherlich wissen, ist es jedermann freigestellt, bei der Ablegung eines Eides - ob vor Gericht oder bei anderer Gelegenheit wie beim Amtseid - mit oder ohne Berufung auf Gott zu schwören. Dahinter steht der richtige Gedanke, daß nur derjenige den Namen Gottes im Zusammenhang mit der Ableistung eines Eides anrufen sollte, der an die Existenz Gottes glaubt, für den Gott eine "Instanz" ist, die über den Menschen hinausreicht. Für einen bewußten Christen drückt die Anrufung Gottes bei der Leistung des Amtseides zunächst einmal die Bekräftigung vor Gott aus, seine Pflichten gut und gewissenhaft zu erfüllen. Das sollte allerdings selbstverständlich sein. Für wesentlicher halte ich aber, daß der Amtsinhaber mit der Berufung auf Gott bei der Eidesleistung zum Ausdruck bringt, daß ihm bewußt ist, daß er auf die Hilfe Gottes für die Führung seines Amtes angewiesen ist. Ohne den Segen Gottes, ohne seine Hilfe, so heißt es in der Bibel, ist alles menschliche Tun vergebens. Und noch etwas hat die Bitte um Gottes Hilfe im Zusammenhang mit dem Amtseid zum Inhalt: Der Gott des Neuen Testamentes verlangt keine Perfektion, man darf auch Fehler machen. Er ist ein Gott der Vergebung und des "Neu-Anfangen-Könnens". Das heißt gewiß nicht, der Verantwortlichkeit vor den Menschen entzogen zu sein. Gegebenenfalls müssen da auch Konsequenzen für Fehler getragen werden. Der letzte und eigentliche Richter freilich ist Gott und sind nicht die Menschen. Das schafft für einen Christen ein großes Maß an innerer Freiheit bei der Ausübung des Amtes. ..." Politiker(in) 27 Anfrage: 08.06.94; Antwort durch Referent/in 28.07.94: "... Zu Ihren Fragen im Zusammenhang mit dem Amtseid hat sich der/die ... in seiner/ihrer Kommentierung zu Art.56 des Grundgesetzes abschließend geäußert. Er/sie hat mich gebeten, Ihnen eine Kopie seiner/ihrer Ausführungen zu übermitteln. Ihm/ihr ist es wesentlich, den Bürgern zu zeigen, daß er/sie die Verpflichtung des Eides mit allen Bindungen eingeht, deren er/sie fähig ist. ..." Politiker(in) 28 Anfrage: 16.06.94; persönliche Antwort 06.08.94: "... Meinen Amts-Eid habe ich mit der Wendung "... so wahr mir Gott helfe" beschlossen. Damit habe ich meine der Tradition der Kirchen entsprechende Auffassung öffentlich vor den Anwesenden bezeugt, daß auch das Amt eines(r) Ministerpräsidenten(in) in Verantwortung gegenüber Gott wahrzunehmen ist, und zugleich bin ich die Verpflichtung eingegangen, mich demgemäß bei der Wahrnahme meines Amtes erinnern zu lassen an die besondere Verpflichtung, in der ein Mensch in Regierungsverantwortung steht. ..." Politiker(in) 29 Anfrage 06.04.94, 16.06.94, 17.08.94; persönliche Antwort 29.08.94: "... Als gläubige(r) Katholik(in) habe ich selbstverständlich bei meinem Amtsantritt die Bekräftigungsformel '... so wahr mir Gott helfe ' gewählt. Ich vertraue bei meinem Tun - und dies bezieht sich nicht nur auf meine Arbeit - auf die Stärke und Kraft Gottes. Leider läßt mir meine berufliche Tätigkeit nicht immer die Zeit, den Gottesdienst zu besuchen. Aber beten kann man nicht nur in der Kirche, sondern an jedem anderen Ort der Welt. Es ist nicht so wichtig, seinen Glauben nach außen zu praktizieren, sondern viel ehrlicher ist in meinen Augen, christlich zu handeln. ..." Politiker(in) 30 Anfrage 14.06.94, 17.08.94; persönliche Antwort 09.09.94: "...Tatsächlich habe ich meinen Amtseid mit der religiösen Beteuerung "so wahr mir Gott helfe" geleistet. Als Katholik(in) war das für mich keine Frage. Dieser Zusatz ist für mich keine Floskel. Ich hatte mich nicht nach einem Ministeramt in ... gedrängt ... ich bin fest davon überzeugt, daß unsere Demokratie, Staat und Gesellschaft zu wertvoll sind, als daß man sich der Verantwortung entziehen könnte. Die Bürger wollen in der Politik keine Streitereien und Profilneurosen, sie wollen ernsthafte und sachliche Arbeit, die die Probleme unseres Landes anpackt und zu lösen versucht. Ich habe mich jedenfalls nach besten Kräften darum bemüht. Wenn ich darum auch Gottes Hilfe zur Erfüllung meines Amtseides erbeten habe, so geschah dies aus Überzeugung. ..." Politiker(in) 31 Anfrage: 14.06.94, 17.08.94; persönliche Antwort 17.10.94: "... Obwohl Art.56 des Grundgesetzes die Leistung des Amtseides auch ohne religiöse Beteuerung gestattet, habe ich diese religiöse Beteuerung bewußt verwandt, um auch meiner Verantwortung vor Gott Ausdruck zu verleihen. In einer Zeit, in der große Teile der Gesellschaft sich von der Kirche abwenden, war es mir wichtig, mit meinem öffentlichen Gelöbnis zu dokumentieren, daß ich bei der Erfüllung meiner Pflichten vor Gott bestehen muß. ..." Politiker(in) 32 Anfrage: 14.06.94, 17.08.94; persönliche Antwort 15.11.94: "... Als gläubige(r) Katholik(in) habe ich diesen Zusatz zu meinem Amts-Eid bewußt verwandt. Allerdings bitte ich Sie herzlich um Ihr Verständnis, daß ich Ihre Frage nach Wort und Inhalt dieses Zusatzes und meiner persönlichen Meinung dazu nicht beantworten kann, da mir meine Tätigkeit als ... nicht die notwendige Zeit läßt, um Ihre philosophische Frage im gebotenen Umfang zu beantworten. ..." Politiker(in) 33 Anfrage 16.06.94, 17.08,94, 09.12.94; Antwort durch Referent/in 19.01.95: "... Verfassungskommentatoren sehen den Sinn und Zweck des Eides weniger im rechtlichen, sondern primär im moralisch-ethischen Bereich. Der Eid ist ein Gelöbnis, er verkörpert das Bekenntnis zu Verfassung und Recht sowie zu den besonderen Pflichten des Amtes. Dazu zählt die Pflicht zu "aktivem" Eintreten für die Verfassung, die Amtsausübung im Dienste des Allgemeinwohls sowie das Verantwortungsbewußtsein für Staat und Volk. Deshalb basiert der auch heute noch dem Eid innewohnende Sinn auf seiner in der christlichen Kulturauffassung verankerten ethischen Bedeutung. Er hat eine Appellfunktion an das Gewissen des Amtsträgers und an seine positive innere Einstellung zum Amt, seinen Aufgaben und Pflichten. So gesehen ist die Beteuerungsformel ein Versprechen für künftiges Verhalten im Interesse des Staatswohls. In der Eidesleistung kommt die Verantwortlichkeit der Regierungsmitglieder gegenüber dem Parlament - und damit gegenüber den Regierten - besonders zum Ausdruck. Einem ohne die religiöse Beteuerungsformel "So wahr mir Gott helfe" geleisteten Eid wird nach Auffassung unseres Bundesverfassungsgerichts nur die Bedeutung eines weltlichen Gelöbnisses beigelegt. Von Herrn/Frau ... ist bekannt, daß er/sie sich als aktive(r) Christ(in) zu unserer christlichen Kulturauffassung bekennt. Er/sie teilt die Auffassung, daß uns der christliche Glaube mit seinem Verständnis vom Menschen eine ethische Grundlage für verantwortliche Politik gibt. Für Herrn/Frau ... war und ist es daher selbstverständlich, für seine/ihre schwere Verantwortung als ... Kraft und Hilfe auch aus seinem/ihrem christlichen Glauben zu schöpfen und deshalb den Amtseid vollständig mit der religiösen Beteuerungsformel zu leisten. ..." Politiker(in) 34 Anfrage: 06.04.94, 16.06.94, 17.08.94, 25.04.95; Antwort durch Referent/in 15.05.95: "... Ich muß gestehen, daß mir Ihre Frage nicht ganz verständlich ist. Der Nachsatz zum Amtseid "... so wahr mir Gott helfe" ist doch vom Wort und Inhalt her eindeutig: Er ist die Bitte um Gottes Hilfe bei der Erfüllung der zuvor genannten Pflichten. Im übrigen bringt dieser Nachsatz auch das zum Ausdruck, was in der Präambel des Grundgesetzes ebenfalls verankert ist, nämlich die Letztverantwortung allen menschlichen Tuns vor Gott. Daß das, was Herr/Frau ... "auf Eid" genommen hat, er/sie auch so meint wie er/sie es gesagt hat, dürfen Sie als selbstverständlich voraussetzen. ..." Politiker(in) 35 Anfrage: 05.07.04, 20.01.05; Antwort durch Referent/in 28.02.05:
"... Sie haben richtig beobachtet: Herr/Frau ... hat den bei
seiner/ihrer Amtsübernahme vorgeschriebenen Eid nach Artikel 56
Grundgesetz mit der religiösen Beteuerung geleistet. Dies entspricht
der religiösen Grundeinstellung des/der ..., die weitere Erläuterungen
entbehrlich macht. ..." Soweit die mehr oder weniger aussagekräftigen Antworten der Politiker und Politikerinnen. Tragen sie dazu bei, die Zweifel an der Sinnhaftigkeit der religiösen Formel zu beseitigen und die Glaubwürdigkeit der Politiker zu erhöhen? Eher das Gegenteil scheint der Fall zu sein. Ist es besser, einem Politiker bezüglich einer schwerwiegenden Entscheidung z.B. in Sachen Kernkraft zu vertrauen, der seinerseits auf Gottes Hilfe vertraut, oder einem solchen, der auf sein eigenes Gewissen vertraut und sich deshalb gegen die Kernkraft entscheidet, weil er es anders vor seinen Nachkommen und gegenüber der Natur nicht verantworten kann? Besteht nicht die Gefahr, daß ein Politiker, der auf die Hilfe eines Gottes - von vielen auch als allmächtig und allwissend anerkannt - vertraut, zu größeren, vielleicht gar unkalkulierbaren Risiken bereit ist, als der, der nur sich selbst und seinen Mitmenschen vertraut? Wurde und wird nicht im Vertrauen auf Gott und in seinem Namen genügend Unheil angerichtet? Es sei hier nur an den in früheren Zeiten oft verwendeten Spruch 'Gott mit uns' erinnert. Kritischen und verantwortungsbewußten Staatsbürgern und Wählern muß aufgrund ihrer Erfahrungen mit den von ihnen gewählten und oft enttäuschenden Politikern, neben der Fragwürdigkeit des Schwures an sich, besonders aber diese religiöse Beteuerung rätselhaft und befremdend erscheinen. Weniger bewußt lebende Menschen kann sie irritieren und auch an Unglaubhaftigkeit gewöhnen. Müssen nicht unklare geistige Grundlagen folgerichtig zu Problemen im Handeln führen? Was hat diese religiöse Beteuerung zu bedeuten, was soll sie bewirken? Wenn sie die Zuversicht oder Gewißheit ausdrücken soll, daß Gott hilft, würde dann eine Formulierung wie "Ich vertraue dabei auf Gottes Hilfe" nicht klarer sein? Wenn sie eine Hoffnung oder Bitte darstellen soll, müßte es dann nicht heißen "Gott möge mir dabei helfen"? Soll aber beides gelten, dann könnte es heißen "Ich bitte dabei um Gottes Hilfe und vertraue darauf". Das wäre dann verständlicher. In der bisherigen altertümlichen Wortwahl aber könnte es auch gedeutet werden als "soweit mir Gott hilft", das heißt, ich schwöre ... unter dem Vorbehalt, daß mir Gott hilft, und wenn nicht, dann ist es nicht allein meine Schuld. Derartige Überlegungen kann sich ein nachdenklicher Mensch machen und auch andere darüber befragen, und er wird mit großer Wahrscheinlichkeit keine befriedigende Antwort erhalten. Wer versucht, sich kundig zu machen, der kann zunächst zum Thema Eid im 'Taschenlexikon der Religion und Theologie', Vandenhoek 1984 folgendes lesen: In der Bergpredigt lehnt Jesus alles Schwören ab; in seiner Nachfolge soll das schlichte Ja oder Nein seiner Jünger glaubhaft genug sein (Mt 5,33 ff.). Auch der Jakobusbrief fordert auf, nicht mehr zu schwören (Jak 5,12). ... Das zur Staatsreligion aufgestiegene Christentum gestattete christliche Eide im öffentlichen Leben und führte selbst eidliche Gelöbnisse in das kirchliche Amts- und Ordensrecht ein. ... Auch der heutige "nachchristliche" Staat benutzt unverändert den religiös bezogenen Eid als Fahneneid der Soldaten, Treueid der Beamten und Gerichtseid der Zeugen und Sachverständigen. In der Bundesrepublik wird der Eid in der Regel mit den Worten "Ich schwöre bei Gott dem Allmächtigen und Allwissenden..." und der Schlußformel "... so wahr mir Gott helfe" geleistet; ... Der Schwurpflichtige darf den Eid auch ohne religiöse Beteuerung leisten (Art.136 IV WV); auf dieses Recht muß er sich allerdings ausdrücklich berufen. ... Mit dem heute durchgesetzten Verzicht auf eine rechtlich erzwungene Anrufung Gottes fällt das Hauptbedenken weg, daß der Staat seinen Bürgern Glaubensakte gebietet und die Angst vor jenseitigen Strafen für diesseitige Zwecke ausnutzt. Ein heute freiwillig in religiöser Form geleisteter Eid ermöglicht eher dem Schwörenden bei Gelegenheit seiner Aussage ein Bekenntnis zu seinem Glauben. Da aber gerade das Neue Testament dem Gebrauch des Eides ein Nein entgegensetzt, sollte für den Christen ein mit seinem Glauben begründetes Absehen vom religiösen Eid oder von der Eidesleistung überhaupt mindestens ebenso nahe liegen. Dem Staat droht dadurch kein Schaden, da er ohnehin den heutigen säkularen Bürger mehr durch wirksame Strafdrohungen als durch glaubensbetonte Eidesformen beeindrucken dürfte. Allerdings sollten auch die Kirchen ihre eigene Gelöbnispraxis in diesem Sinne überprüfen. Nach dieser Auskunft dürfte nun umso mehr interessieren, warum fast alle Politiker unseres nachchristlichen, säkularen Staates dieses religiöse Gelöbnis, das doch sogar von Jesus abgelehnt wurde, trotzdem heute noch verwenden. Glauben die Politiker wirklich, daß ihnen dieser Glaube helfen kann oder glauben sie, daß dieses öffentliche Bekenntnis ihrem Ansehen bei den Bürgern dient? Täuschen sie sich vielleicht - unbewußt oder bewußt - selbst oder die Bürger? Liegt hier vielleicht die Wurzel für die oftmals vorhandene Widersprüchlichkeit zwischen den Äußerungen und den Taten und die deshalb von immer mehr Bürgern empfundene Unglaubwürdigkeit von Politikern? Unsere Politiker, die von ihren Wählern gern ein lebenslanges Lernen fordern, sind anscheinend ihrerseits nicht dazu bereit. Andernfalls müßten sie spätestens mit Erich Fromm ihre religiöse Einstellung revidieren. Nachfolgend einige aufschlußreiche Zitate aus seinem Buch 'Die Kunst des Liebens' (Ullstein-TB 1979): ...Vorhin wurde festgestellt, daß die Grundlage für unser Verlangen nach Liebe in dem Erlebnis der Getrenntheit und dem daraus resultierenden Verlangen liegt, die Angst der Getrenntheit durch das Erlebnis der Vereinigung zu überwinden. Die religiöse Form der Liebe, die Liebe zu Gott, ist psychologisch gesehen nichts anderes. Sie entspringt ebenfalls dem Verlangen, die Getrenntheit zu überwinden und Einheit zu erleben. Tatsächlich hat die Liebe zu Gott genauso viele Formen und Aspekte wie die Liebe zum Menschen - und zu einem großen Teil finden wir auch die gleichen Unterschiede. In allen theistischen Religionen, seien sie nun polytheistisch oder monotheistisch, verkörpert Gott den höchsten Wert, das höchste Gut. Daher hängt die besondere Bedeutung Gottes immer von dem ab, was dem Menschen als höchstes Gut erscheint. Die Analyse des Gottesbegriffes muß daher bei der Analyse der charakterlichen Struktur des Menschen beginnen, der Gott anbetet. ... Wenn man die reifende Idee des Monotheismus in ihren weiteren Konsequenzen verfolgt, kommt man zu dem einzigen Schluß: Gottes Namen überhaupt nicht zu erwähnen, nicht ü b e r Gott zu sprechen. ... Da Gott der Vater ist, bin ich das Kind. Ich habe mich noch nicht von dem frommen Wunsch nach Allwissenheit und Allmacht gelöst. Ich habe noch nicht jene Objektivität erreicht, um meine Grenzen als menschliches Wesen, meine Unwissenheit und meine Hilflosigkeit zu erkennen. Wie ein Kind behaupte ich immer noch, daß es einen Vater geben muß, der mir hilft, der mich behütet und mich bestraft - einen Vater also, der mich liebt, wenn ich gehorche, der sich geschmeichelt fühlt, wenn ich ihn preise, und der zornig ist, wenn ich ungehorsam bin. Ganz offensichtlich hat die Mehrheit der Menschen in ihrer persönlichen Entwicklung dieses infantile Stadium noch nicht überwunden, und dementsprechend ist der Glaube an Gott bei den meisten Menschen der Glaube an einen helfenden Vater - eine kindliche Illusion. Trotz der Tatsache, daß dieser Begriff der Religion von einigen großen Meistern der Menschheit und von einer Minderheit der Menschen überwunden wurde, ist er immer noch die vorherrschende Form des religiösen Glaubens. ... Der wirklich religiöse Mensch bittet, wenn er dem Wesen der monotheistischen Idee folgt, nicht um irgend etwas und erwartet nichts von Gott; er liebt Gott auch nicht so, wie ein Kind seinen Vater oder seine Mutter liebt. Er hat vielmehr jene Demut erreicht, in der er weiß, daß er nichts von Gott weiß. "Gott" wird für ihn ein Symbol, in welchem der Mensch in einem früheren Stadium seiner Evolution das Höchste ausgedrückt hat, was er anstrebt: Liebe, Wahrheit und Gerechtigkeit. Er hat Vertrauen in die Prinzipien, die "Gott" verkörpert; er denkt wahr, lebt in Liebe und Gerechtigkeit und empfindet sein Leben nur insofern als wertvoll, als es ihm die Möglichkeit gibt, zu einer vollen Entfaltung seiner menschlichen Kräfte zu gelangen - als die einzige Realität, die zählt, als das einzige Objekt "letzter Erkenntnis". Und schließlich spricht er nicht über Gott, erwähnt nicht einmal seinen Namen. Gott zu lieben, wenn wir das Wort hier gebrauchen wollen, würde bedeuten, nach der Erreichung der vollen Fähigkeiten des Liebens zu streben, nach der Verwirklichung Gottes (bzw. der in ihm verkörperten Prinzipien, R.K.) in uns selbst. Von diesem Gesichtspunkt aus ist die logische Konsequenz des monotheistischen Gedankens die Negation der gesamten "Theo-logie", des gesamten "Wissens über Gott". Und doch bleibt ein Unterschied zwischen einer derartigen radikalen Ansicht und einem nicht-theistischen System, wie wir es zum Beispiel im frühen Buddhismus oder Taoismus finden. Alle theistischen, auch die nicht-"theologisch"-mystischen Systeme, setzen eine spirituelle Realität voraus, die den Menschen transzendiert und den geistigen Kräften des Menschen sowie seinem Streben nach Erlösung und innerer Geburt Bedeutung und Wert verleiht. Im nicht-theistischen System gibt es keine spirituelle Realität, die außerhalb des Menschen liegt und ihn transzendiert. Die Späre der Liebe, der Vernunft und der Gerechtigkeit besteht als Realität nur, weil und insofern der Mensch fähig gewesen ist, diese in ihm liegenden Kräfte im Prozeß seiner Evolution zu entwickeln. In dieser Sicht hat das Leben keinen "Sinn", außer jenem allein, den der Mensch ihm selbst gibt. (und die Natur z.B. in der Pflanze ihm vorlebt: Suchst du das Höchste, das Größte? Die Pflanze kann es dich lehren. Was sie willenlos ist, sei du es wollend; - das ist's! (Friedrich von Schiller) und: Es gibt etwas, was man an einem einzigen Ort in der Welt finden kann. Es ist ein großer Schatz, man kann ihn die Erfüllung des Daseins nennen. Und der Ort, an dem dieser Schatz zu finden ist, ist der Ort, wo man steht. (Martin Buber) - R.K.). Nachdem ich von der Liebe zu Gott gesprochen habe, möchte ich klarstellen, daß ich persönlich nicht in theistischen Konzepten denke und daß der Gottes b e g r i f f für mich nur historisch bedingt ist; in ihm hat der Mensch das Erlebnis seiner höchsten Kräfte und sein Streben nach Wahrheit und Einheit in einer bestimmten historischen Periode ausgedrückt. Ich glaube aber auch, daß die Konsequenzen des konsequenten Monotheismus und eines nicht-theistischen Erlebnisses der spirituellen Realität zwei Konzepte sind, die zwar verschieden sind, sich aber gegenseitig nicht bekämpfen müssen. ... Wie im indischen und sokratischen Denken ist auch im taoistischen Denken das Höchste, zu dem Denken führen kann, das Wissen, nichts zu wissen. "Wissen, daß man nichts weiß, ist das Höchste; Nichtwissen für Wissen achten, ist Leiden. (Laotse)" Es ist nur eine Konsequenz dieser Philosophie, daß der höchste Gott keinen Namen haben kann. Die letzte Wirklichkeit, das letzte Eine kann weder in Worten noch in Gedanken eingefangen werden. Laotse sagt dazu:"Der S i n n, den man ersinnen kann, ist nicht der ewige S i n n. Der Name, den man nennen kann ist nicht der ewige Name." ... "Der Erkennende redet nicht (über das Tao); der Redende erkennt nicht." ... In der Vedanta gilt die Vorstellung von einem allwissenden und allmächtigen Gott als höchste Form von Unwissenheit. ... Die einzige Möglichkeit, die Welt letztlich zu erfassen, liegt nicht im Gedanken, sondern in dem Erlebnis der Einheit. Sowohl im Brahmanismus als auch im Buddhismus und Taoismus liegt das letzte religiöse Ziel nicht im rechten Glauben, sondern im richtigen Handeln. ... Das östliche Denken führte also zu Toleranz und zu dem Bemühen der menschlichen Selbsttransformation (aber nicht zur Technik), der westliche Standpunkt dagegen zur Intoleranz, zu Dogma und Wissenschaft, zur katholischen Kirche und zu der Entdeckung der Atomenergie. (östlich: mehr konkret, dem Leben verbunden, westlich: mehr abstrakt, zur Materie hin orientiert. R.K.) ... Wenn die Gesellschaftsstruktur die der Unterwerfung unter eine Autorität - unter eine offene oder unter die anonyme Autorität des Marktes und der öffentlichen Meinung (oder der Wissenschaft R.K.) - ist, muß die Liebe zu Gott und zum Menschen infantil und weit entfernt von dem reifen Konzept sein, dessen Samen man in der Geschichte der monotheistischen Religionen finden kann. ... Der Verfall der Liebe zu Gott hat die gleichen Ausmaße erreicht wie der Verfall der Liebe zu den Menschen. Diese Tatsache steht in krassem Widerspruch zu der Vorstellung, wir wären Zeugen einer religiösen Renaissance, die in unserer Zeit stattfände. Nichts könnte von der Wahrheit weiter entfernt sein. Was wir miterleben (auch wenn es Ausnahmen gibt), ist der Rückfall in ein götzenhaftes Konzept von Gott und einer Umwandlung der Liebe zu Gott in ein Verhältnis, das der entfremdeten Charakterstruktur entspricht. Der Rückfall in ein götzenhaftes Konzept von Gott ist leicht zu erkennen. Die Menschen sind ängstlich, ohne Grundsätze und ohne Vertrauen, und sie haben kein Ziel mehr vor sich - abgesehen von dem einen, weiterzukommen; daher bleiben sie Kinder und hoffen, daß der Vater oder die Mutter ihnen schon helfen wird, wenn sie einmal Hilfe brauchen. ... Die Prinzipien, auf denen unsere weltlichen Bestrebungen aufgebaut sind, sind Gleichgültigkeit und Egoismus (letzterer oft unter der Bezeichnung "Individualismus" oder "individuelle Initiative"). Der Mensch echt religiöser Kulturen könnte vielleicht mit einem Kind von acht Jahren verglichen werden, das einen Vater als Retter braucht, das jedoch angefangen hat, die Lehren und Prinzipien des Vaters in sein Leben zu übernehmen. Der zeitgenössische Mensch ähnelt jedoch einem Kind von drei Jahren, das nach dem Vater ruft, wenn es ihn braucht, und sonst zufrieden ist, wenn es spielen kann. ... Unter irrationalem Glauben verstehe ich den Glauben (an eine Person oder an eine Idee), der auf der Unterwerfung unter eine irrationale Autorität beruht. Im Gegensatz dazu ist rationaler Glaube eine Überzeugung, die im eigenen Denk- oder Gefühlserlebnis verwurzelt ist. Rationaler Glaube ist in erster Linie nicht der Glaube an etwas, sondern die Gewißheit und Festigkeit, die der auf dem eigenen echten Erlebnis gegründeten Überzeugung eigen ist. Glaube ist ein Charakterzug der Gesamtpersönlichkeit, und nicht etwas, was sich auf bestimmte, als wahr hingenommene Gedankeninhalte bezieht. Rationaler Glaube ist in der schöpferischen, intellektuellen und affektiven Aktivität verwurzelt. Im rationalen Denken, in dem für Glauben angeblich kein Platz ist, bildet der rationale Glaube eine wichtige Komponente. Soweit Erich Fromm. Es empfiehlt sich, die Kapitel vollständig zu lesen. Ein Zitat des Schriftstellers Axel Eggebrecht soll von der philosophischen wieder auf die gesellschaftliche Ebene zurückführen: Religion ist Privatsache, so oder ähnlich steht es heute in den meisten Verfassungen. Nur frage ich mich sofort, ob das wirklich so sei. Kirchenglocken dröhnen in die Ohren aller, ob sie in die Kirchen gehen oder nicht. Jeden Morgen hält ein christlicher Geistlicher Andacht im Rundfunksender ab; entsprechende Veranstaltungen für die sogenannten Ungläubigen sind unbekannt. Vor allem aber bedroht das Strafrecht die Gotteslästerung: kein Paragraph verbietet es, die Überzeugung zu diffamieren, es gäbe keinen persönlichen Gott. ... In Religionsdingen leben wir dahin in einer heuchlerischen Bewußtseinsspaltung; sie unterscheidet sich von dem bekannten doppelbodigen Verhalten unter einer Diktatur dadurch, daß es dort um Freiheit und Leben geht; heute und hier um Erfolg, Geltung, gesellschaftliche Anerkennung. Der zur Freiheit aufgerufene Mensch der westlichen Welt unterwirft sich gehorsam dem christlichen Tabu. Damit zerstört er seine innere Sicherheit, seine Würde und Wahrhaftigkeit. ... Formulierte Religion ist Menschenwerk und wird damit zum Ausdruck menschlichen Willens. ... Liegt die Befürchtung nicht nahe, dadurch ginge dem einzelnen das Gefühl der Verantwortung für sein Leben verloren? Mehr noch: Wird der Mensch nicht durch den Verzicht auf diese eigene Verantwortung geradezu abgerichtet, alle Greuel seiner Geschichte und alle Schrecken seines Schicksals hinzunehmen? Mir jedenfalls hat es immer zu denken gegeben, daß so viele erfolgreiche Soldaten fromme Leute waren. Ich begreife es nicht, wie sie es sein konnten. ... Der Gottlose wagt keinen Anspruch zu erheben als den, jeder müsse jeden Mitmenschen achten und schonen, da alle dem gleichen Gesetz unterliegen. Über jedem steht, ob er es weiß oder nicht, das Unerforschliche, von dem Goethe sagt: Wir können es nur schweigend in Ehrfurcht verehren. - Das ist alles. - Und kein Menschenglaube an einen Menschengott kann mehr geben. Diese Gedanken von Erich Fromm und Axel Eggebrecht können dazu beitragen, das Unbehagen, das jeden nachdenklichen Menschen bei der religiösen Beteuerungsformel beschleicht, zu überwinden und nach neuen Formen einer zeitgemäßen religiösen Orientierung und schließlich nach einer entsprechenden Verpflichtungsformel zu suchen. Ich denke, daß die Lage in unserer Gesellschaft und in der Welt uns dazu zwingt, grundlegende Reformen auf dem viel zu lange tabuisierten und noch immer grundlegend bestimmenden Gebiet der Religion durchzuführen, um zu einem zeitgemäßen Glauben und damit zu mehr Glaubwürdigkeit und zu einem realistischeren Handeln zu kommen. Während auf Gebieten wie Technik, Medizin und Wirtschaft enorme Entwicklungen stattgefunden haben, ist bei der Religion keine Weiterentwicklung erfolgt. Während Fachliteratur beispielsweise von Zeit zu Zeit den neuesten Erkenntnissen angepaßt wird, es erscheinen hier immer wieder verbesserte, überarbeitete Neuauflagen, hat das Buch der Bücher, die Bibel seit zweitausend Jahren keine inhaltliche und wesentliche formelle Überarbeitung erfahren, die geistige Weiterentwicklung der Menschheit wird nicht berücksichtigt. Wer würde einem Fachmann auf irgendeinem Fachgebiet vertrauen, der sich nach einem zweitausend Jahre alten, formell und inhaltlich unveränderten Fachbuch richten würde? Der Unterschied zwischen der Entwicklung auf den Gebieten der Naturwissenschaften und denen der Geisteswissenschaften ist grotesk. Genauso grotesk ist die innere Gespaltenheit des zivilisierten Menschen. Man muß sich das einmal klarmachen: der Atomwissenschaftler mit der religiösen Orientierung eines Dreijährigen. Aber das ist die katastrophale menschliche Situation unserer modernen Welt. In russischen Kernkraftwerken hängen beispielsweise Heiligenbilder über der Instrumententafel im Schaltraum! In den öffentlich-rechtlichen Medien, die heute einen enormen Einfluß auf die Gesellschaft ausüben und gewissermaßen als "Schule der Nation" gesehen werden können, wird der Verkündigung des Christentums noch immer sehr viel Platz eingeräumt, die Tradition wird meistens kritiklos gepflegt und damit immer wieder die Möglichkeit unterstützt, aus diesseitigen Verantwortlichkeiten in jenseitige Zufluchten auszuweichen. Neue, realistische Wege geistiger Orientierung werden so gut wie nicht gesucht. Ist denn so groß das Geheimnis, was Gott und die Welt und der Mensch sei? Nein, doch niemand hört's gerne - da bleibt es geheim, sagte Goethe. Warum hört's niemand gerne? Vermutlich weil es unbequem ist. Das ganze religiöse Geheimnis besteht im Grunde lediglich aus der Endlichkeit und der relativen Unbedeutsamkeit des einzelnen Menschen. Und diese nüchterne Wahrheit ist unbequem weil verunsichernd. Es würde Arbeit an der eigenen Person bedeuten, die gewünschte Sicherheit in sich selbst durch das Ertragenlernen der Wahrheit herzustellen. Hier liegt offensichtlich das große Geheimnis, nämlich in dem Mangel an innerer Sicherheit, im Inneren des einzelnen Menschen selbst. Das Beheben dieses Mangels würde Psychologie bedeuten, und die scheut meist selbst der aufgeklärteste Mensch "wie der Teufel das Weihwasser". Das Streben nach Sicherheit ist stärker als der Sinn für die Wirklichkeit. Deshalb sucht der innerlich unsichere Mensch lieber nach materiellen und geistigen Drogen als nach den Ursachen in sich selbst. Deshalb neigt er dazu, Begriffe in ihr Gegenteil zu verfälschen, wie z.B. den Begriff Religion, der ja im Grunde alles andere bedeutet, als das, für was man ihn heute meistens gebraucht. Diese Verfälschung ist vermutlich eine grundlegende geistige Ursache vieler Probleme des Menschen. Wenn heute Religion nicht länger als geistige Droge benützt, sondern wieder in ihrer ursprünglichen Bedeutung im Sinne der Achtsamkeit und des Hinterfragens verstanden und betrieben würde, dann könnten Selbsttäuschung, Scheinsicherheit und Gespaltenheit überwunden werden. Dann könnte in konsequenter Weiterführung von Theologie und auch Philosophie über die Psychologie zu verantwortlicher Menschlichkeit gelangt werden. Menschlichkeit, im Humanismus neuer Auslegung als Bekenntnis zum Menschentum verstanden, wäre Weg und Ziel in einem; es enthält die Verbundenheit sowohl zum Organismus der menschlichen Gemeinschaft, dessen Teil der einzelne Mensch ist, als auch die Verbundenheit zum Organismus der Natur, deren Teil wiederum die Menschheit ist. Orientierung am Humanismus würde am ehesten ein Ausweichen auf Gebiete, die außerhalb des Menschen liegen, erschweren und eine Arbeit am Menschen zur Stabilisierung des schwächsten Gliedes allen Lebens auf dieser Welt fördern. Da die Ursache fast aller Probleme unserer Welt der instabile, in sich selbst unsichere Mensch ist, könnte eine ursächliche Lösung am ehesten bei der psychischen Stabilisierung des Menschen eine Aussicht auf Erfolg haben. Humanismus, bisher lediglich als schulische Bildungsrichtung und geschichtliche Epoche der Aufklärung verstanden, kann in einem neuen, umfassenden Verständnis als ein Ideal vom Menschentum zu einer, Christentum, Judentum, Deutschtum und andere abgrenzende Gruppierungen ablösenden, übergeordneten, alle Menschen dieser einen Welt vereinenden Orientierung werden. Die in Artikel 56 des Grundgesetzes niedergelegte Eidesformel lautet derzeit: Ich schwöre, daß ich meine Kraft dem Wohl des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde. So wahr mir Gott helfe. Dieser Eid kann auch ohne religiöse Beteuerung geleistet werden. Wäre es nicht vorstellbar, daß die Politiker statt dieses bisherigen Amtseides ein Versprechen abgeben, das folgendermaßen lauten könnte?:
Rudolf Kuhr ___________________________________
Die Namen der angeschriebenen Politiker/innen
die auf eine Umfrage nach
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Zitate zum Gottes-Begriff - von 36 verschiedenen, mehr oder weniger bekannten Persönlichkeiten für die Gemeinsame Verfassungskommission des Deutschen Bundestages und des Bundesrates aus Anlaß der Diskussion um den Gottesbegriff in der Präambel des Grundgesetzes der BRD.
siehe auch 'Klausel' - 'Chance für Neuorientierung' - 'Ganzheitliche Politik' Für ein Grundgesetz ohne Gottesbegriff! - mit Liste zum eintragen. Humanistische AKTION 7/1995,2 Kritik, Anregungen zu Form und Inhalt Dialog sowie unveränderter Nachdruck bei Quellenangabe und Belegexemplar erwünscht. Kürzungen und Änderungen nach Absprache möglich. nach oben - Service - Menue - Texte-Verzeichnis - Stichwörter www.humanistische-aktion.de/eid.htm |
Aktualisiert am 04.10.10