Aktives Zuhören

Kommunikation
 

In der Auseinandersetzung mit seiner Umwelt, seinen Freunden, Erziehern und anderen Erwachsenen ergeben sich besonders für den jungen Menschen Probleme. Er wird enttäuscht, geängstigt, gedemütigt, zurückgesetzt, verunsichert. In diesen Situationen liegt die große Chance, dem Gesprächspartner als Helfer und Berater bei der Bewältigung seiner Probleme zur Seite zu stehen.

In solchen für ihn schwierigen Situationen gibt es für die Kommunikation mit dem Gesprächspartner eine wirkungsvolle Methode: das "Aktive Zuhören". Es wurde von professionellen Helfern, Psychotherapeuten, Erziehungs- und Familienberatern entwickelt und verwandt. Dieses Arbeitsblatt geht auf folgende Fragen ein:

  • Was ist aktives Zuhören?

  • Warum aktives Zuhören?

  • Was muß der Berater bei der Anwendung des aktiven Zuhörens beachten?

1. Was ist aktives Zuhören?

Den inneren Zustand des Gesprächspartners, seine Bedürfnisse, Gefühle, Empfindungen und Gedanken können wir nur indirekt erfahren: er wird vom Gesprächspartner verschlüsselt, er teilt sich dem Berater über die sprachlichen und nicht-sprachlichen Äußerungen (Körpersprache) mit. Will der Berater an der Erlebniswelt des Gesprächspartners teilhaben, so muß er dessen Botschaften entschlüsseln.

Der Berater (Empfänger) versucht zu verstehen, was der Gesprächspartner (der Sender) empfindet, formuliert es in eigenen Worten und meldet es dem Gesprächspartner zurück. Er sendet dabei keine eigenen Botschaften, wie: Urteile, Ratschläge, Ermahnungen usw. (s. Arbeitsblatt "Du-Botschaften").

Ein Beispiel: Der Gesprächspartner fühlt sich zurückgesetzt und sagt (verschlüsselte Botschaft): "Wonach es sich wohl richtet, wer gefördert wird und wer nicht?"

Der Berater entschlüsselt die Worte, denkt: "Er fühlt sich wahrscheinlich zurückgesetzt" und sagt: "Du fühlst dich anderen gegenüber zurückgesetzt."

Der Berater hat die Botschaft hier richtig entschlüsselt. Er hätte auch andere Reaktionen zeigen können: z.B. "Jeder nach seiner Leistung!" oder "Sowas ist oft Zufall." oder "Da muß man sich manchmal etwas vordrängen."

Weitere Beispiele: 

  1. Gesprächspartner: "Gestern hat meine Freundin wieder nicht angerufen."
    Berater: "Du ärgerst dich, daß sie nichts von sich hören läßt."
     

  2. Gesprächspartner: "Jetzt habe ich ein paar prima Leute kennengelernt,
    mit denen kann man richtig diskutieren.
    Berater: "Du fühlst dich richtig wohl in diesem Kreis.

Hier kann sich jedesmal ein längeres Gespräch des Beraters mit seinem Gesprächspartner anschließen, in dem der Berater aktives Zuhören anwendet.

2. Warum aktives Zuhören?

Aktives Zuhören des Beraters in der Kommunikation mit dem Gesprächspartner

  • hilft dem Gesprächspartner bei der Klärung und Verarbeitung eigener Empfindungen. Er wird eigene
    negative Empfindungen weniger fürchten, wenn er erfährt, daß der Berater sie ebenfalls akzeptiert.
     

  • verbessert und vertieft die Beziehung zwischen Berater und Gesprächspartner durch das Gefühl:
    "Der Berater versteht mich, ich kann ihm vertrauen", es schafft die Basis für Mitteilung eigener
    Gedanken, Ideen, Wünsche, für indirekte Einflußmöglichkeiten des Beraters.
     

  • erlaubt dem Gesprächspartner die Klärung eigener Probleme und schafft somit die Voraussetzung
    für psychische Reifung, größere Selbständigkeit und Unabhängigkeit.

3. Was ist vom Berater bei der Anwendung des aktiven Zuhörens zu beachten?

Die Methode des Aktiven Zuhörens ist kein Trick, kein mechanisches Werkzeug. Ohne eine echte annehmende Einstellung, die den Gesprächspartner als selbständige Person mit eigenen Problemen und dem Recht, selbst Erfahrungen zu machen, akzeptiert, werden Berater keine längerfristigen Erfolge haben. Das erfordert oftmals eigene Veränderungen des Beraters, was sehr schwer fällt und Zeit braucht.

Aktives Zuhören ist eine Methode, den Gesprächspartner dahin zu bringen, daß er selbst Lösungen für seine eigenen Probleme finden kann, das heißt:

  • nicht die Problemeigentümerschaft übernehmen.

  • nicht Ratschläge, Argumente, Meinungen, Tröstungen, Ablenkungen usw. geben.

Gefahr:

  • Ungeduld: Ein Gespräch muß nicht immer sofortige Lösungen haben (Langzeitwirkung)

  • Mißbrauch: Aktives Zuhören wird benutzt, um eigene Ansichten zu unterschieben, zu manipulieren.

  • Tür öffnen und dann zuschlagen: Zunächst durch aktives Zuhören eine vertrauensvolle Atmosphäre
    schaffen und die offenen Mitteilungen dann gegen den Gesprächspartner verwenden.

Ich-Botschaften

Im Umgang mit dem Gesprächspartner ergeben sich für den Berater häufig Situationen, in denen er sich durch den Gesprächspartner enttäuscht fühlt, geängstigt, vor den Kopf gestoßen, verletzt. Er kann das Verhalten des Gesprächspartners nicht annehmen. Er steht vor einem Problem, das er grundsätzlich auf drei Arten lösen kann. Er kann 

  • die Umwelt ändern,

  • sich ändern,

  • den Gesprächspartner ändern (bzw. seine Einstellung und sein Verhalten).

Dieses Merkblatt beschäftigt sich mit der Methode, den Gesprächspartner zu verändern. Dabei geht es darum, im Gespräch eine besondere Art von Kommunikation zu finden: "Ich-Botschaften". Im folgenden werden die Fragen beantwortet: 

  • Was sind Ich-Botschaften?

  • Warum Ich-Botschaften?

  • Was muß man beachten beim Ich-Botschaften-Senden?

1. Was ist eine Ich-Botschaft?

Ich-Botschaften sind Botschaften, in denen der Berater seine Gefühle und Empfindungen, das was er denkt, mitteilt. Er öffnet sich durch sie, er teilt durch sie mit: "Ich bin jemand, der enttäuscht, verärgert werden kann, der verletzbar ist, der in Verlegenheit gebracht werden kann".

Ein Beispiel:

Berater 1 ist verärgert und gibt die (verschlüsselte) Botschaft: "Du Dummkopf". Der Gesprächspartner entschlüsselt: "Ich bin zu nichts nutz."

Berater 2 ist verärgert und gibt eine unverschlüsselte Ich-Botschaft: "Ich ärgere mich darüber, wenn du ..."
Der Gesprächsprächspartner versteht sofort: "Wenn ich ..., dann ärgert er sich"

Die erste Botschaft (Du-Botschaft) wird vom Gesprächspartner als Bewertung seiner selbst, die zweite wird als Feststellung in Bezug auf den Berater entschlüsselt.

2. Warum Ich-Botschaften?

Normalerweise führt in einer Konfliktsituation die Konfrontation der Interessen Berater - Gesprächspartner zu einer Verschärfung des Konflikts. Wir wissen: Ein Wort gibt das andere. Ich-Botschaften-senden bedeutet hingegen einen Weg, die Situation zu entspannen. Sie wird also sowohl für den Berater als auch für den Gesprächspartner weniger bedrohlich. Nachgeben und Einlenken wird leichter (Deeskalation).  

  • Ich-Botschaften machen deutlich: Der Berater ist ein Mensch mit Empfindungen, mit Stärken und Schwächen und nicht ein Halbgott, der über den Dingen steht. Dadurch wird aus einer hierarchisch-autoritären eine partnerschaftliche Beziehung.
     

  • Ich-Botschaften legen die Verantwortung für das weitere Handeln in die Hände des Gesprächspartners. Z.B. sagt der Berater: "Ich bin enttäuscht, daß du mich belogen hast. Irgendwie hat mich das entmutigt." Dem Gesprächspartner steht es nun frei, weiterhin so zu wirken. Das ist aber nicht wahrscheinlich, denn ohne Grund will er seinen Berater nicht ärgern, vor den Kopf stoßen oder gar verletzen.
     

  • Ich-Botschaften des einen Menschen in einer Beziehung fördern Ich-Botschaften des anderen. Dadurch entsteht eine Atmospähre der Offenheit und Vertrautheit. Das wird sowohl vom Berater als auch vom Gesprächspartner einfach als schön empfunden. Deshalb sind Ich-Botschaften so effektiv.

3. Was ist zu beachten beim Ich-Botschaften-Senden?

Häufig entstehen Schwierigkeiten, wenn Berater versuchen, Ich-Botschaften in die Praxis umzusetzen. Es entmutigt sie, wenn sich nicht sofort ihre Erwartungen von einer guten Beziehung erfüllen. Im folgenden werden einige Probleme angesprochen, die beim Ich-Botschaften-Senden auftreten können. 

  • Die verkleidete Ich-Botschaft
    Manche Ich-Botschaft ist nicht echt. Hinter ihr versteckt sich genauso ein Vorwurf,
    eine Beschuldigung, ein Urteil wie hinter einer ineffektiven Du-Botschaft.
    Ein Beispiel: "Ich finde, du bist schlampig" ist ebenso sehr ein Urteil wie "Du bist schlampig".
     

  • Die unvollständige Ich-Botschaft
    Häufig teilen Berater nur einen Teil (meist den negativen) der Gefühle und Empfindungen mit.
    Ein Beispiel: "Es ärgert mich, daß du heute morgen schon wieder zu spät kommst"
    Vollständig würde es heißen: "Es ärgert mich, daß du heute morgen schon
    wieder zu spät kommst; aber ich freue mich, daß dir nichts passiert ist."
     

  • Die abgeschwächte Ich-Botschaft
    Offen und aufrichtig die eigenen Empfindungen mitteilen bedeutet, sie auch so zu verstehen geben,
    wie sie wirklich sind. Häufig fällt es Beratern schwer, auch starke Empfindungen auszudrücken.
    Ein Beispiel: "Ich war so erschrocken, als ich sah, daß du den Wagen nicht mehr halten konntest."
    Völlig echt würde es heißen:"Ich war ganz starr. Mir geht es jetzt noch heiß und kalt den Rücken
    runter."

Eine gute Hilfe für das Senden von Ich-Botschaften ist es, wenn sich der Berater fragt: 

  • Was geht in mir vor?

  • Welche meiner Bedürfnisse sind durch das Verhalten des Gesprächspartners bedroht?

  • Worin bestehen meine eigenen primären Empfindungen?  

Arbeitsblatt "Du-Botschaften"

Im folgenden werden die von Erziehern sehr häufig gebrauchten Reaktionen in schwierigen Erziehungssituationen aufgeführt.
Man kann sie zu zwölf verschiedenen Reaktions-Tendenzen zuordnen: 

  1. Befehlen, anordnen, kommandieren
    Dem Kind sein Verhalten vorschreiben: "Hör auf, dich zu beklagen!"
     

  2. Warnen, ermahnen, drohen
    Dem Kind sagen, welche Folgen eintreten, wenn es etwas tut: "Noch so eine Bemerkung wie
    diese und du verläßt das Zimmer!"
     

  3. Zureden, moralisieren, predigen
    Dem Kind sagen, was es tun müßte oder sollte: "Du sollst das Hemd in die Hose reinstecken!"
     

  4. Beraten, Lösungen geben, Vorschläge machen
    Dem Kind sagen, wie es seine Probleme lösen soll: "Geh und freunde dich mit ein paar
    anderen Mädchen an!"
     

  5. Vorhaltungen machen, belehren, logische Argumente anführen
    Das Kind mit Fakten, Gegenargumenten, Logik oder der eigenen Meinung zu beeinflussen
    versuchen: "Wie kannst du das tun, wenn du doch weißt, daß Mutter allein im Haus ist?"
     

  6. Urteilen, kritisieren, widersprechen, beschuldigen
    Das Kind negativ beurteilen und sein Verhalten bewerten: "Das ist dein unreifer Standpunkt!"
     

  7. Loben, zustimmen
    Das Verhalten des Kindes positiv beurteilen oder bewerten: "Nun, also ich finde dich hübsch."
     

  8. Beschimpfen, lächerlich machen, beschämen
    Das Kind in eine Lage bringen, wo es sein Gesicht verliert: "Du bist ein verzogenes Gör!"
     

  9. Interpretieren, analysieren, diagnostizieren
    Dem Kind das Gefühl vermitteln, es sei durchschaut: "In Wirklichkeit glaubst du
    das doch wohl selber nicht!"
     

  10. Beruhigen, bemitleiden, trösten, unterstützen
    Dem Kind seine Gefühle ausreden, sie relativieren, ihre Heftigkeit leugnen:
    "Morgen denkst du anders darüber."
     

  11. Forschen, fragen, verhören
    Gründe, Motive, Ursachen zu finden suchen, die helfen sollen, das Problem zu lösen:
    "Wann hattest du dieses Gefühl zum ersten Mal?"
     

  12. Zurückziehen, ablenken, aufheitern, zerstreuen
    Das Kind von der Beschäftigung mit seinem Problem abzubringen: "Denk einfach nicht mehr daran."

 

Das beste Mittel, sich kennenzulernen,
ist der Versuch, andere zu verstehen.

 
André Gide

... und umgekehrt!
R.K.

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 Mit freundlichen Empfehlungen 
Humanistische AKTION  
2/2000 


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Aktualisiert am 11.11.11