Aus dem Briefwechsel (2)

Beispiele zur Information und Anregung

 
Themenbereiche:

Rückbindung 26.11.98
Nicht-Humanisten 13.11.98
Richtigstellung 02.10.98
Fragen, Fragen 10.11.98
Wähler-Wünsche 24.10.98
Humanismus - ethisches Immunsystem 13.07.98
Sexualität (Clinton) 28.09.98
Wahl-Daten 21.09.98
Religion 01.08.97
Jugoslawien 23.10.93


 

Rückbindung 

 
Humanistische AKTION  für mehr Menschlichkeit
Gemeinnützige Initiative seit 1994

München, 26.11.98

ZIST Bildungs-Zentrum
Vorstand
Zist 3
82377 Penzberg

Sehr geehrter Herr Dr. B.,
sehr geehrte Damen und Herren,

wie der ersten Seite Ihres interessanten Programms zu entnehmen ist, gründet Ihre Arbeit auf einer soliden Kenntnis von wesentlichen Ursachen unserer gesellschaftlichen Probleme und dient der Hinführung zum ganzen Menschen, um Sinn zu finden und wesensgemäß zu leben.

Ich denke, daß dazu auch eine eigenständige und unmittelbare ganzheitliche Rückbindung an die Mitwelt gehört, die in den letzten Fragen eine agnostische Haltung zuläßt und so einerseits ein Offensein für neue Erkenntnisse ermöglicht, und andererseits eine innere Sicherheit, das Nichtwissen zu ertragen, entstehen läßt, die eine wichtige Voraussetzung zur Persönlichkeitsentfaltung und sinnerfüllenden Lebensgestaltung ist.

Beiliegend sende ich Ihnen den Text 'Gedanken über das Heil' als ein kleines Beispiel meiner Intention sowie ein Verzeichnis weiterer kurzer Texte zu wesentlichen Themen zu Ihrer Information. Vielleicht haben Sie oder jemand von Ihren Gruppenleitern Interesse am Hinterfragen der traditionellen Religiosität und an dem Gedanken einer direkten, tabufreien Rückbindung an das Ganze und auch an einem Gedankenaustausch.

Ich würde gern sehen und dazu beitragen, daß auf diesem Gebiet mehr als bisher geschieht, um mehr
an innerer Sicherheit und eigenständiger Identität in den einzelnen Menschen als den Teilen unserer Gesellschaft zu ermöglichen.

Ich bitte freundlich um eine kurze Mitteilung, inwieweit es mir gelungen ist, Ihnen zu vermitteln, um was es mir geht, und ob Sie Interesse an diesem Thema haben.

Mit freundlichem Gruß

Rudolf Kuhr 

Anlage: Gedanken über das Heil; Liste vorhandener Texte
 


Antwort

ZIST - Zentrum für Individual- und Sozialtherapie, e.V. gemeinnütziger Verein
Zist 3
82377 Penzberg

Herrn
Rudolf Kuhr
Humanistische AKTION
Artillerstr. 10
80636 München

9. Dezember 1998

Sehr geehrter Herr Kuhr,

herzlichen Dank für Ihr Schreiben vom 26.11.98. Ich mag und ich teile Ihre 'Gedanken über das Heil'.

Wir tun hier, was wir können. Ich freue mich, immer wieder zu hören, daß wir in unserem Bemühen nicht allein sind. Ich pflege diese Erinnerung als ein gutes Mittel gegen die Selbstüberschätzung, die einen all zu leicht zum Ausbrennen bringt.

Sollten Sie einmal bei uns vorbeikommen, würde ich mich über einen Besuch sehr freuen.

Mit guten Wünschen und freundlichen Grüßen

Dr.med.Wolf E. B.  


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Nicht-Humanisten


Klaus F. St.
16. Nov. 1998

Herrn
Rudolf Kuhr
Fax 089 1293530

Lieber Herr Kuhr,

vielen Dank für Ihr Schreiben vom 13.11.

Der Bericht von Dietward Inderfurth über die Hauptversammlung des 'Dachverband Freier Weltanschauungsgemeinschaften' war nur sehr oberflächlich, inhaltlich ist er ja kaum auf die Dinge eingegangen. In KRISTALL steht etwas mehr, ebenso im pfw. Aber: einiges steht auch dort nicht drin, was sich in Oberthulba abgespielt hat. Wichtig war uns gewesen, das Papier "Grundsätze und Selbstverständnis des DFW" zu verabschieden. Dieses Papier war im November 1996 eingebracht worden mit der Bitte, Änderungswünsche aufzugeben. Immer wieder wurde darauf hingewiesen, eventuelle Änderungswünsche bekannt zu geben. Keine Reaktion von irgendeiner Seite. Drei Tage vor der Hauptversammlung kommt plötzlich der BFGD mit sechs Seiten Änderungen, ca. 50 Änderungswünsche. Da der bfg Bayern seinen Eintritt in den DFW jedoch von diesem Papier abhängig machte, mußten wir diese vielen Änderungen zunächst behandeln. Damit ist die gesamte zur Verfügung stehende Zeit der Hauptversammlung draufgegangen. Nichts anderes konnte mehr angesprochen werden (Ausnahme: Beiträge). Das Papier wurde dann beschlossen, Sie können es sicherlich demnächst in KRISTALL lesen. Kontrahenten waren hier BFGD und bfg Bayern, die sich oftmals sehr unversöhnlich gegenüber standen, letztendlich wurde aber Konsens erzielt.

Dennoch: mein Antrag bezüglich HUMANISMUS wurde aus Zeitgründen nicht behandelt. Aber eine Chance, akzeptiert zu werden, hatte er auch nicht. Als erstes hatte sich der bfg Bayern - vertreten durch Herrn Steuerwald - vehement gegen die Einführung des Begriffs Humanismus in den DFW ausgesprochen. Drei Tage vor der Hauptversammlung haben dann die Delegierten des BFGD sich gegen Humanismus entschieden, und die unitarischen Delegierten wollten dem offensichtlich auch nicht zustimmen. Vorgestern und gestern hat sich das Präsidium der Unitarier nochmals mit diesem Antrag befaßt, Ergebnis: einhellige Ablehnung. Nicht einmal die abgeschwächte Form "Die dem DFW angeschlossenen Mitgliedsverbände sollten sich - möglichst satzungsmäßig - zur Förderung und Durchsetzung einer humanistischen Weltanschauung verpflichten" mochte man akzeptieren. Das geschäftsführende Präsidium des DFW wird sich jetzt auf seiner nächsten Sitzung in ca. 3 Wochen nochmals damit befassen. Ich selbst bin nach wie vor von der Idee des Humanismus überzeugt.

Herzliche Grüße Ihr

K. St. 


Antwort
  
Humanistische AKTION  für mehr Menschlichkeit

Gemeinnützige Initiative seit 1994

München, 04.01.99

An die
Gesellschaft für freigeistige Kultur e.V.
K.F. St.
Osterloher Weg 111
25421 Pinneberg

Lieber Herr St.,

danke für Ihr Fax vom 16.11.98. Es ist schon traurig, wie die Vertreter der verschiedenen Organisationen auf die Vorschläge zur Verwendung des Humanismus-Begriffs reagieren. So wenig an Weitsicht und menschlicher Größe zur Überwindung von liebgewordenen Gewohnheiten wie es eigentlich nur in kirchlichen Kreisen zu erwarten wäre. Dies zeigt den Mangel an Erkenntnis der Notwendigkeit zu Veränderungen und an alternativen Ideen zur Weiterentwicklung der Gesellschaft.
...

Mit besten Wünschen zum neuen Jahr
und herzlichen Grüßen
Ihr
Rudolf Kuhr

Liberalismus ist die Freiheit,
keine Gesinnung zu haben und zu
behaupten, gerade das sei Gesinnung.
Karl Kraus, Schriftsteller (1874-1936) 


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Richtigstellung 

Humanistische AKTION  für mehr Menschlichkeit
Gemeinnützige Initiative seit 1994

München, 02.10.98

Humanistischer Verband Deutschlands
Redaktion diesseits
Hobrechtstr. 8
12043 Berlin

Sehr geehrte Damen und Herren,

wir bitten freundlich um einen Hinweis in "diesseits", daß wir mit unserer seit 1994 bestehenden Initiative "Humanistische AKTION" weder mit der "Humanistischen Partei", noch mit der "Humanistischen Bewegung" zu tun haben ("diesseits" 3/98, S.18). Nach unseren Kenntnissen trat die HB zuletzt im Jahre 1993 mit einer "Humanistischen Aktion gegen Ausländerfeindlichkeit und Diskriminierung" an die Öffentlichkeit.
. . .

Danke!

Mit freundlichem Gruß

Rudolf Kuhr 



Humanistischer Verband Deutschlands

E-Mail am 06.10.98

 Lieber Herr Kuhr,
. . .

Auf die Humanistische Partei möchten wir in "diesseits" nicht noch einmal
eingehen; dadurch würde diese Gruppe nur noch bekannter.

Mit freundlichen Grüßen

Unterschrift 


Humanistische AKTION
E-Mail am 07.10.98

Lieber . . .,
sehr geehrtes Redaktions-Team,

danke für Ihren Brief vom 6.10. . . .

Ich kann verstehen, wenn Sie persönlich oder als Verband vermeiden, durch ein nochmaliges Benennen etwas indirekt zu unterstützen, was den eigenen Grundsätzen teilweise aber wesentlich widerspricht. Da Sie dies aber durch ein nachhaltiges Angebot von aufklärenden Broschüren über die 'Humanistische Partei' bzw. 'Humanistische Bewegung' dennoch tun, könnte der Eindruck entstehen, daß es Ihnen auch darum geht, unsere 'Humanistische Aktion' nicht erwähnen zu müssen.

Menschlich ist das verständlich. Einem humanistischen (ich denke doch, nicht Alleinvertretungs-) Anspruch würde es aber wohl eher entsprechen, "ökumenisch" zu denken und zu handeln, die Realitäten anzuerkennen, das Verbindende zu verstärken und über Trennendes in fairer Weise öffentlich zu diskutieren, um es zu überwinden. Andernfalls würde der humanistische Anspruch unglaubwürdig, der ja nicht nur die Toleranz gegenüber den eigenen menschlichen Schwächen enthält, sondern vor allem auch ein Streben nach menschlicher Größe.

Wenn es schon schwer fällt, mit unseren Mitmenschen anderen Bekenntnisses einen konstruktiven Dialog zu führen, dann sollten wir dies zumindest mit Gleichgesinnten oder -bekennenden unbeirrt anstreben nach dem Motto 'Aus Feinden Gegner, aus Gegnern Partner, aus Partnern Freunde werden lassen'. Und zu echter Freundschaft gehört auch, Kritik nicht nur zu ertagen, sondern sich zu wünschen. Von welcher ethischen Orientierung sonst, als von einer humanistischen können wir denn heute noch eine Weiterentwicklung in Richtung mehr Menschlichkeit erwarten - wenn es uns wirklich nicht nur um unsere persönlichen Besitzstände geht?

Ich fände es fair, wenn Sie unser Anliegen zumindest in einer - Ihren Vorstellungen entsprechenden - Notiz in der Rubrik 'Leserbriefe' berücksichtigen würden.

In diesem Zusammenhang möchte ich daran erinnern, daß ich bereits am 21.07.95 freundlich um Informationen über die Mitgliedschaft im HVD als Einzelperson sowie als Initiative gebeten hatte und nie eine Antwort erhielt.
. . .

Mit freundlichen Grüßen
Rudolf Kuhr

Antwort: keine! - Die gewünschte Notiz ist nicht erschienen  


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Fragen, Fragen 

Liebes Redaktions-Team,

in Ihrem ARD-Morgenmagazin vom 09.11.98 brachten Sie zum 60. Jahrestag der 'Reichs- Pogromnacht' ein Gespräch mit einem Rabbiner, der aus der Schweiz nach Deutschland kam, um hier eine jüdische Gemeinde zu betreuen sowie mit einer Schülerin und einem Schüler jüdischen Glaubens einer höheren Schule.

Wenn ich mich richtig erinnere, dann begründete der Rabbiner die Wichtigkeit einer religiösen Erziehung für eine innere Stabilität der Persönlichkeit. Die in Deutschland geborenen Schüler gaben an, später einmal in Israel leben zu wollen, weil dort ihre Wurzeln seien.

Was werden die heutigen Schüler dann später als Erwachsene in Israel tun? Werden sie Palästinenser bekämpfen und gegebenenfalls auch töten, um ihre Wurzeln zu verteidigen? Diese Fragen kamen mir spontan bei Ihrem Gespräch.

Und weitere Fragen sind entstanden: Liegt die eigentliche Ursache von Konflikten nicht überwiegend in einer Erziehung zu abgrenzenden Konfessionen? Warum lernen Menschen wie Juden nicht aus ihrer Geschichte und bringen so ihre Kinder immer wieder in die Lage von Außenseitern? Leben sie vom Märtyrertum? Brauchen sie Feindbilder zu ihrer Identitätsfindung? Ist das erwachsen, menschenwürdig?

Warum können sie sich nicht zum universellen Menschentum bekennen und ihren Kindern eine freie Wahl zur Entfaltung einer eigenen, individuellen Rückbindung ermöglichen, die ihnen eine friedliche Eingliederung in die Menschheitsfamilie gewährleistet? Warum verhindern jüdische Eltern durch einseitige Indoktrinierung mit einer abgrenzenden Tradition, daß sich ihre Kinder in ihrem jeweiligen Lebensbereich einwurzeln?

Warum stellen Journalisten ihren Gästen nicht solche Fragen? Dürfen sie nicht, können oder wollen sie nicht? Bedeutet Infotainment Unterhaltung auf Kosten der Information? Und bedeutet Information nur Mitteilung des zufällig Wahrgenommenen? Bestehen Maßstäbe für die Qualität journalistischer Arbeit? Wie weit geht die Verantwortung von Journalisten für ihre Arbeit? Gibt es ein Berufs-Ethos für Journalisten?

Fragen über Fragen, ausgelöst durch ein kleines Gespräch im Morgenmagazin - hoffentlich nicht nur bei mir!

Informationen zum Thema Religion und ethische Grundhaltung:

1) Das Buch: Joel Kramer / Diana Alstad: Die Guru Papers - Masken der Macht; Mechanismen autoritärer Glaubensstrukturen und ihre persönlichkeitsverändernden Auswirkungen in allgemeinverständlicher Form dargestellt. "Das Buch ist Bestform kritischer Aufklärung, eine Demaskierung, die Spuren hinterläßt." ('Psychologie Heute' 9/95). Verlag Zweitausendeins, Ffm. 1995, 460 Seiten, Personen- u. Sachregister; jetzt nur noch DM 12,--

2) 'Religion - abschaffen oder reformieren?', ein kurzer Text im Internet unter der Adresse  www.humanistische-aktion.de/religion.htm

Mit besten Wünschen und freundlichen Grüßen

Rudolf Kuhr

  *
 

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Wähler-Wünsche

Nachfolgend zwei Briefe an die rot-grüne Bundestagsfraktion, von denen der erste auch als Leserbrief in der AZ München unter der Überschrift 'Mehr Demokratie ohne Gottes Hilfe' am 28.10.98 erschien.


 
Am 24.10.98 an die Bundestagsfraktionen der SPD und Grüne:

Betr.: Wähler-Wünsche an die neuen Abgeordneten

Die Erwartungen der Wähler an unsere neue Regierung sind groß. Ebenso groß dürfte inzwischen allgemein die Erkenntnis sein, daß die begrenzten Geldmittel zu erheblichen Kompromissen zwingen.

Sehr groß sind aber auch die Möglichkeiten zu gesellschaftlichen Verbesserungen ohne Inanspruchnahme von Steuergeldern. Die täglichen Börsenberichte zeigen, wie beeinflußbar selbst sachbezogene Fakten von menschlichen Zeichen und Stimmungslagen sind.

Wirksames Zeichen einer politischen Wende könnte beispielsweise sein, wenn die Abgeordneten der rot-grünen Koalition mit einem Bruchteil ihrer neuen Einkünfte neue Arbeitsplätze schaffen und in jedem Bundesland ein rot-grünes Bürger- und Informationsbüro einrichten zur Entgegennahme von Anregungen und Kritik ihrer Wähler.

Wirksames Zeichen der Erneuerung wäre beispielsweise ein Verzicht auf militärische Ehren bei Staatsakten.

Wirksames Zeichen für mehr Gerechtigkeit wäre eine Umlegung der KFZ-Steuer auf den Benzinpreis.

Wirksames Zeichen für Grundsatztreue wäre die Aufhebung des Einzugs der Kirchensteuer durch den Staat.

Wirksames Zeichen in Richtung mehr Demokratie wäre eine Empfehlung der neuen Regierung an die Bundeskultusminister, in den Schulen eine Bewertung der Lehrer durch die Schüler einzuführen und den Religionsunterricht durch das Fach Lebenskunde-Ethik-Religion zu ersetzen.

Wirksames Zeichen für ihre Glaubwürdigkeit wäre beispielsweise ein Verzicht der neuen Politiker auf den fragwürdigen (freiwilligen!) Zusatz zu ihrem Amtseid "so wahr mir Gott helfe". (siehe hierzu auch die Umfrage unter Spitzenpolitikern *)

Wirksames Zeichen für eine Weiterentwicklung wäre die öffentliche Diskussion einer neuen Formel des Amts-Eides, der in 4 Jahren vielleicht lauten könnte: "Ich verspreche, daß ich meine Kraft dem Wohl meiner Mitwelt widmen, ihren Nutzen mehren, Schaden von ihr wenden, die Gesetze wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde. Ich bitte um kritische Begleitung und verpflichte mich zu regelmäßiger Supervision."

Dieses und vieles mehr würde keinen Pfennig an Steuergeldern kosten und trotzdem viel bewirken.

Rudolf Kuhr
Humanistische AKTION
Artillerstr. 10, 80636 München
 

*) Internet: http://www.humanistische-aktion.de/eid.htm  


 
Am 25.10.98 an die Bundestagsfraktionen der SPD und Grüne:

Betr.: Amts-Eid (Beispiel Gerhard Schröder)

Liebe künftige Amts-TrägerInnen,

Sie sind mit dem Anspruch angetreten, eine neue Politik zu machen, und deshalb auch gewählt worden. Sie können gleich zu Beginn Ihrer Amtszeit ein deutliches Zeichen Ihres Neubeginns setzen. Sie können auf den freiwilligen Zusatz zum Amts-Eid "so wahr mir Gott helfe" verzichten.

Auch Gerhard Schröder hat bei seiner Vereidigung als Ministerpräsident darauf verzichtet. Er erklärte auf eine Anfrage dazu: "... gerne bin ich bereit, Ihnen zu erläutern, warum ich auf die Anfügung der religiösen Beteuerung bei der Ableistung meines Amtseides verzichtet habe. Was das Schwören angeht, halte ich es mit der Bergpredigt: 'Ich aber sage Euch, daß Ihr überhaupt nicht schwören sollt, weder beim Himmel, denn er ist Gottes Thron noch bei der Erde, denn sie ist der Schemel seiner Füße, noch bei Jerusalem, denn sie ist die Stadt des großen Königs. Auch sollst Du nicht bei Deinem Haupt schwören, denn Du vermagst nicht ein einziges Haar weiß oder schwarz zu machen. Eure Rede aber sei: Ja, ja nein, nein. Was darüber ist, das ist von Übel.' (Matth.5,34). ..."

(siehe hierzu auch die Umfrage unter Spitzenpolitikern im Internet: http://www.humanistische-aktion.de/eid.htm)

Liebe Ausgewählte, es geht um Ihre Glaubwürdigkeit, Sie vergrößern diese keineswegs damit, wenn Sie traditionelle Formulierungen unkritisch übernehmen und öffentlich nachsprechen, im Gegenteil. Sie würden damit eine opportunistische Haltung bekunden, nicht aber ein Bemühen um Wahrhaftigkeit, welches dringender gebraucht wird als ein kindlicher Glaube an zweifelhafte Wahrheiten. Im Vertrauen auf und in Verantwortung vor Gott kann man leichter Atomkraftwerke befürworten als im Wissen um die Gefahren menschlicher Selbstüberschätzung und in Verantwortung für die nachfolgenden Generationen und für die Natur.

Haben Sie den Mut, alte Zöpfe abzuschneiden, das kostet keine Steuergelder, allenfalls Kritik aus konservativen Kreisen. Unsere Gesellschaft braucht keine Lippenbekenntnisse, sondern deutliche Zeichen der menschenwürdigen Neugestaltung. Und sie braucht glaubwürdige PolitikerInnen!

Ich bitte um eine kurze Bestätigung des Eingangs und der Weiterleitung dieses Textes. Danke!

Rudolf Kuhr
Humanistische AKTION
Artillerstr. 10, 80636 München


Antwort

Bündnis 90 / Die Grünen
Bundestagsfraktion - Justitiarat - 53090 Bonn
2.11.98

Sehr geehrter Herr Kuhr,

Herr Fischer dankt Ihnen für Ihre Schreiben vom 26.10.1998. Aufgrund der Regierungsbildung
ist Herr Fischer zur Zeit überlastet und hat daher mich gebeten, Ihnen zu antworten.

Herr Fischer hat Ihre Vorschläge mit großem Interesse gelesen. Er wird Ihre wertvollen
Anregungen bei der parlamentarischen Arbeit berücksichtigen.

Wir danken Ihnen für Ihr Interesse und das uns entgegengebrachte Vertrauen.

Mit freundlichen Grüßen

Unterschrift


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'Säkularer Humanismus' versus 'Religiöser Humanismus'?
 
Aus einem Brief  vom 13.07.98 an einen Bekannten zu dem obigen Thema,
das bei der 'Humanistischen Akademie' zur Diskussion stand. 

... Humanismus ist unteilbar! Humanismus enthält die ganze Fülle menschlicher Möglichkeiten, so auch Liberalität, Toleranz und Solidarität, das macht seine Ganzheitlichkeit, Größe und Stärke aus. Im Humanismus hat alles Platz, was Menschlichkeit ausmacht, sogar irreale Wunschvorstellungen, denn auch irren ist menschlich. Dies ist möglich, weil der Humanismus besonders auch die ständige Forderung nach Hinterfragen, Überprüfen, Weiterentwickeln und Vervollkommnen enthält, was ihn für viele, die an bequemen Zwischenstationen menschlicher Entwicklung festhalten wollen, unbequem sein läßt. So haben Mündigkeit und Vernunft im Humanismus immer wieder ihre ordnende und weiterführende Aufgabe und bilden im Zweifelsfall stets die letzte Instanz. Humanismus ist universell, wer ihn aufteilen und für seine Zwecke anpassen will, der ist dessen Anforderungen noch nicht gewachsen, dies läßt er durch einschränkende Bezeichnung wie säkularer oder sozialer Humanismus erkennen.

Deshalb ist es auch für einen ganzheitlich eingestellten Humanisten zumindest unbefriedigend, wenn Menschen, die den Begriff Humanismus zwar uneingeschränkt verwenden, wie dies bei der 'Humanistischen Union' der Fall ist, diesen umfassenden Begriff dann aber nur eingeschränkt anwenden, indem sie ihn auf den juristischen Bereich beschränken.

Humanismus ist gewissermaßen ein ethisches Immunsystem, das in der Lage ist, in humanistisch orientierten Gehirnen geistige Viren in Form von irrationalen, unethischen, unmündigen und menschen-unwürdigen Vorstellungen selbsttätig durch Antikörper der Vernunft, Ethik und Menschenwürde zu neutralisieren. Dagegen sind in nicht humanistisch orientierten Gehirnen die Antikörper unterentwickelt, sie werden von den Viren angegriffen und klein gehalten.

Ähnlich wie im Immunsystem des menschlichen Körpers, wo es wenig Zweck hat, mit Sterilität und Antibiotika Bakterien und Viren völlig ausmerzen zu wollen, so hat es auch im geistigen Organismus wenig Sinn, mit Mitteln wie Atheismus und Anti-Religion eine ideologische Sterilität zu schaffen, da so die gesunderhaltenden Antikörper aus der Übung kommen. ...

Rudolf Kuhr

 

Diesen Text gibt es jetzt - zusammen mit weiteren 43 wesentlichen Seiten dieser Homepage -
in dem Handbuch 'Wachstum an Menschlichkeit - Humanismus als Grundlage' siehe Info.


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Leserbrief zu den Berichten über die Clinton-Affaire
 
(Süddeutsche Zeitung 28.09.98) 

Das unwürdige Theater um die Sex-Affaire des USA-Präsidenten Bill Clinton zeigt wieder einmal die Unaufrichtigkeit der zivilisierten Gesellschaft mit ihrer christlich geprägten Moral, die einen politisch und sexuell potenten Menschen zum Meineid nötigt. Ein privates Ereignis, das eigentlich nur die Beteiligten etwas angeht, wird zum Politikum, weil es zu den Tabuthemen gehört. Noch immer wird verdrängt, daß Sexualität einer der stärksten Triebe und jeder normale Mann im Grunde von Natur aus ein potentieller Triebtäter ist.

Wie viele Enttäuschungen über "die Männer, die immer nur das Eine wollen" blieben den Frauen erspart, wenn sie wüßten, daß der Mann von der Natur her den Auftrag hat, so viele Nachkommen mit so vielen Frauen wie möglich zu zeugen, nicht anders als Hirsch oder Hahn. Wie viele Konflikte zwischen Männern und Frauen, wie viele Verbrechen könnten vermieden werden, wenn endlich erkannt und anerkannt würde, daß "das Tier im Menschen nicht ausgerottet werden kann, sondern diesem Tier ins Auge gesehen und mit ihm gelebt werden muß" (Sigmund Freud).

Die Würde des Menschen und die Höhe einer Kultur besteht nicht aus dem Verdrängen der Natur, sondern aus einer genauen Kenntnis durch Aufklärung und einem sinnvollen Einbeziehen ins tägliche Leben. Die Lösung muß ja nicht in einer ungehemmten Sexualität liegen, es würde durchaus reichen, wenn das Wissen über den Sinn und die Auswirkungen naturgegebener Triebe und über die Möglichkeiten eines kultivierten Umgangs damit ohne Hemmungen verbreitet würde. Hier gäbe es für uns Kulturmenschen noch viel zu lernen.

Man muß kein Feminist sein, um sich durch den Fall Clinton wieder einmal bestätigt zu fühlen in dem Wissen um die grundlegende Problematik des Männlichen in unserer Welt. Man muß auch kein Nationalist sein bei dem guten Gefühl angesichts der Vorzüge unseres deutschen Rechtssystems. Man muß auch kein Antichrist sein, um die Notwendigkeit einer humanistisch orientierten Ethik zu erkennen, welche die Wirklichkeit nicht verdrängt, sondern einen sinnvollen Umgang damit ermöglicht.

Rudolf Kuhr, München 


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Wahl-Berichterstattung 


Humanistische AKTION
Rudolf Kuhr
Artillerstr. 10, 80636 München, 21.09.98

Fax an
Infratest Dimap
Richard Hillmer
Moosbachstr. 7-9
12435 Berlin

Wahlen

Sehr geehrter Herr Hillmer,
sehr geehrte Damen und Herren,

im Hinblick auf die bevorstehende Bundestagswahl möchte ich anregen, bei der laufenden Bekanntgabe der Zwischenergebnisse sowie der Endergebnisse stets auch die Zahl der Wahlbeteiligung mit anzugeben. Für jeden Bürger, der sich für die Zusammenhänge in Politik und Gesellschaft interessiert, ist diese wichtige Information unerläßlich.

Erst unter Einbeziehung dieser Zahl kann er sich ein ganzes Bild über die politischen Verhältnisse in der Bevölkerung machen. Erst wenn ein Ergebnis von beispielsweise 50% im Verhältnis zur Wahlbeteiligung von beispielsweise 70% gesehen wird, kann deutlich werden, daß nicht etwa die Hälfte der Bevölkerung die betreffende Partei gewählt hat und deren Richtung vertritt, sondern lediglich gut ein Drittel, nämlich 35%.

Zu einer Politik, die das ganze Volk betrifft, gehört eigentlich auch eine ganzheitliche Information über die wichtigsten Daten seiner Wahlentscheidung.

Ich bitte freundlich um eine baldmögliche kurze Stellungnahme, was Sie von dieser Anregung zur genaueren Angabe der Wahlergebnisse halten. Gern hätte ich auch eine Abbildung von Ihrem Schema, mit dem die Wahlergebnisse bekanntgegeben werden.

Mit freundlichem Gruß

Rudolf Kuhr 


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Religion 


RUDOLF KUHR
80636 München
Artillerstr. 10

01.08.97

Europäische Kirchenfreie Rundschau
Sonnenuhrgasse 6/14
A-1060 Wien


Leserbrief zum Artikel 'Die Angst erfand die Götter in 'EKR' März/Juni 97

Sehr geehrter Herr S.!

Zur Definition von Religion zitiere ich gern Friedrich Schiller: "Welche Religion ich bekenne? Keine von allen, Die du mir nennst. - Und warum keine? - Aus Religion!" Genau genommen gibt es keine Religion-en, so wie es (noch) keine Esoterik-en gibt. Gemeint sind meist religiöse Konfessionen, Ideologien. Religion ist meines Erachtens auch dann keine Privatsache, wenn sie uns nicht in der Öffentlichkeit begegnet.

Jeder Mensch ist mitverantwortlich für seine Mitwelt, ob er will oder nicht. Und wer sich als Demokrat versteht, der müßte eigentlich Mündigkeit anstreben. Und dies würde eigentlich ein öffentliches Bekenntnis seiner privaten Religion oder besser Konfession verlangen und das Beziehen auf ein Ideal, das ein Führerprinzip enthält, ausschließen. Ein Demokrat dürfte sich eigentlich konfessionell nicht auf - im Grunde pubertäre, weil negierende und distanzierende - Bezeichnungen wie nichtreligiös, atheistisch oder konfessionslos beschränken, sondern er müßte sich konsequenter- und verantwortlicherweise zum Humanismus bekennen.

Die Zurückgebundenheit kann sich meines Erachtens auch nicht nur auf mich selbst beschränken, sondern müßte sich auf meine gesamte Mit-Welt beziehen, bestehend aus menschlicher Gesellschaft und Natur, deren Teil ich bin, da ein Bedürfnis nach Zurückbindung ja erst aus dem Getrenntsein von der übrigen Welt entsteht. Auch sehe ich da die Gefahr des Narzißmus oder gar Autismus, wenn ich mich nur auf mich selbst beziehe. Zu mir selbst sollte ich eine gewisse Distanz gewinnen, um größtmögliche Selbsterkenntnis und -Kontrolle zu erreichen.

Religion aber ist das geistige und psychische Heil-Mittel, das unser - durch den Verstand bedingtes - verunsicherndes Getrenntsein von unserer Mitwelt überwinden helfen soll und muß, wenn wir ganzheitlich und friedlich leben wollen. Dieses Heil-Mittel kann aus einer illusionären, unrealistischen Konfession bestehen, das wäre der bequeme Weg, oder aus einer realistischen Welt-Anschauung oder -Sicht und einem entsprechenden Menschen-Bild, das würde Orientierung am Humanismus und Arbeit am Selbst und ein öffentliches Bekenntnis dazu bedeuten.

Zu viele Menschen halten noch an unrealistischen Ideologien fest, weil sie so erzogen wurden, und weil sie noch keine ansprechende Alternative wie den Humanismus gefunden haben. Andere wehren sich lieber gegen alte und auch gegen neue Vorstellungen, als neue zu entwickeln, zu praktizieren und zu propagieren. Damit komme ich zurück auf die Entgegnung 'Humanistische Orientierung' von Egon Ludovici in Heft 119 auf meinen Beitrag in Heft 116. Seine Ausführungen sind ein kennzeichnendes Beispiel für die destruktive Haltung der meisten Atheisten, Konfessionslosen, Freidenker, -geister und Intellektuellen.

Es gibt ganz sicher genügend Beispiele und Argumente, die gegen eine ethische Orientierung am Humanismus sprechen, um in Resignation und in einer Antihaltung zu verharren. Unsere Gesellschaft bräuchte aber Menschen, die sich bemühen, über die nötige Kritik hinaus und allen bisherigen Erfahrungen zum Trotz ein konstruktives humanistisches Potential zu entfalten und sich für mehr Menschlichkeit einzusetzen. Humanismus ist ein Denken und Handeln, das sich an der Würde des Menschen orientiert und dem Ziel menschenwürdiger Lebensverhältnisse dient. Zur Menschenwürde gehört auch das Bemühen um eine kritische Selbstwahrnehmung, um persönliche Weiterentwicklung und um Mitverantwortung. Skeptizismus ist wichtig, Humanismus ist wichtiger.

Mit freundlichen Grüßen

Rudolf Kuhr

Anlage
Abenteuer
Banken
Karte 'Aufgabe' (79)


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Leserbrief zum Thema Jugoslawien 
(gekürzt in 'diesseits' 1/94 erschienen) 

Leserbrief zum Thema Jugoslawien in Heft 23 + 24

Wie lange kann man zu Jugoslawien schweigen? lautete ein Artikel. Ich frage dagegen: darf man als Humanist überhaupt schweigen? und sage: man darf es nicht. Wenn irgendwo auf der Welt wehrlose Menschen diskriminiert, mißhandelt oder gar getötet werden, dann hat jeder mündige Mensch und besonders ein Humanist die Pflicht, alles ihm Mögliche dagegen zu tun, andernfalls würde er sich der unterlassenen Hilfeleistung schuldig machen. Und wenn wir vom Haus Europa sprechen, und wir sehen, daß in einer Wohnung Feuer gelegt wird, dann können wir da nicht unbeteiligt bleiben.

Militärische Einsätze sind kaum vertretbar. Wirtschaftliche Maßnahmen sind wenig wirksam. Humanitäre Hilfe, so notwendig diese auch ist, gegen Gewalt kann sie nichts ausrichten. Deshalb muß endlich nach weiteren Möglichkeiten gesucht werden.

Was bisher viel zu wenig erfolgte, sind scharfe und wiederholte internationale Proteste sowohl gegen die Verantwortlichen, als auch gegen die Ausführenden durch angesehene Persönlichkeiten und Institutionen. Viel zu schnell wird auch in den Medien von Kriegsereignissen gesprochen, anstatt von Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Daß moralische Appelle durchaus wirksam sein könnten, das zeigt die Tatsache, daß sowohl die Verantwortlichen, als auch die Killer seelsorgerischen Beistand von ihrer jeweiligen Kirche an Anspruch nehmen.

Wir verfügen heute über ein noch nie dagewesenes System internationaler Nachrichtenübermittlung, so daß innerhalb kürzester Zeit ein psychologisches Trommelfeuer aus aller Welt auf die Aggressoren einstürmen könnte, das solange fortgesetzt würde, bis es Wirkung zeigt. Hier sind die Friedensbewegungen aufgerufen, zusammen mit engagierten Psychologen eine internationale Aktion zu starten. In jedem Land sollte eine bekannte Persönlichkeit gewonnen werden, die offiziell die Aktion vertritt, und in deren Namen Politiker und Medien und Bürger immer wieder veranlaßt werden, öffentlich über Presse, Funk, Fernsehen, Post und Flugblätter auf die Aggressoren einzuwirken.

Und so wie ein vernünftiger Mensch Kritik nicht nur duldet, sondern wünscht, sollten sich auf der anderen Seite alle demokratischen Staaten dazu bereit erklären, kontrollierende Einmischungen von außen nicht nur zu dulden, sondern sogar zu fordern, um Menschenrechtsverletzungen vorzubeugen. Gleichzeitig sollten sie als Zeichen ihrer Friedfertigkeit auf militärische Paraden aller Art verzichten.

Wichtig bei kommunikativen Interventionen wäre die Aufklärung über die menschlichen Hintergründe von Aggressionen, die den Betroffenen oft selbst nicht bekannt sind. Daß Nachbarn, die bisher jahrelang friedlich miteinander lebten, sich plötzlich gegenseitig umbringen, das hat ja weniger mit den angeborenen, unterschiedlichen Nationalitäten zu tun, als vielmehr mit der jeweiligen psychischen Stabilität des Einzelnen. Es hat mit der Mündigkeit des Menschen zu tun. Ein mündiger Mensch läßt sich nicht so leicht zur Gewalt hinreißen, denn Mündigkeit bedeutet, eine kritische Distanz zu sich selbst zu haben, und das führt zu sachlicher Abwägung in kritischen Situationen, es verhindert ein blindes, rein gefühlsmäßiges Reagieren.

Wenn ein erwachsener Mensch Gewalt anwendet, dann entweder aus persönlicher Notwehr oder aus geistiger bzw. psychischer Gestörtheit. Eine psychische Störung bei körperlich Erwachsenen ist die Unmündigkeit, sie ist eine weitverbreitete Ursache, die bei entsprechenden äußeren Bedingungen zu Ungerechtigkeit, Ausbeutung und Gewalt führen kann. Es ist an der Zeit, diese im menschlichen Bereich liegenden Ursachen der Konflikte von ihrer Wurzel her aufzudecken und zu beseitigen, wenn der Ausbreitung der Gewalt wirksam begegnet werden soll. Die Unmündigkeit Erwachsener sollte aufgedeckt und als Krankheit gesehen werden. Krankheit ist keine Schande, wohl aber, nichts dagegen zu tun.

Bei einer solchen Analyse der menschlichen Konfliktursachen wird deutlich, wie wichtig die Aufarbeitung der Vergangenheit ist, die individuelle und die kollektive. Wenn wir sehen, wie nach der Auflösung des äußeren Zwanges durch die sozialistischen Diktaturen die Masse der Menschen im Nationalismus und in der Religion Halt suchen und sich gleichzeitig gegenseitig bekämpfen, dann ist es nur berechtigt, von Unmündigkeit zu sprechen. Ist nun die Masse unseres Volkes mündiger? Wohl kaum, wir haben lediglich den Vorteil, einen breiteren materiellen Wohlstand zu haben. Die Unmündigkeit unserer Bürger hat es ermöglicht in der Faszination des materiellen Wachstums sich selbst, gegenseitig und die Natur auszubeuten auf Kosten der Menschlichkeit. Deutschland ist inzwischen menschlich gesehen ein Entwicklungsland. Wenn die Kluft zwischen arm und reich weiter so wächst, dann wird auch die Konfliktbereitschaft zunehmen. Anzeichen hierfür sind bereits vorhanden.

Dann werden auch die unsinnigsten Unterschiede für Konflikte Anlaß geben, und seien es auch noch so geringfügige, wie z.B. die Abneigung nicht weniger Bayern gegenüber den "Preußen", wie dies kürzlich erst wieder selbst aus Regierungskreisen kundgetan wurde, wo Mündigkeit eigentlich vermutet werden könnte. Wir müssen erkennen, daß es mit der Mündigkeit bei uns im Vergleich zu anderen Völkern kaum besser bestellt ist. Die zunehmende Politik-, Politiker- und auch schon Demokratie-Verdrossenheit sind deutliche Anzeichen dafür, daß sich eines Tages eine unmündige Mehrheit gern wieder einem starken Führer unterordnen würde.

Das Kriterium Mündigkeit sollte verstärkt ins öffentliche Bewußtsein getragen werden, um vorbeugend gegen die Zunahme der Gewalt anzugehen. Wir sollten die derzeitige noch einigermaßen ruhige Lage und die mehr und mehr frei werdenden Kapazitäten nutzen, Menschenbildung mit dem Schwerpunkt Mündigkeit zu betreiben, um damit auch positiv ansteckend auf die übrige Völkerfamilie zu wirken. Hier besteht in unserer so orientierungslosen und abgestumpften Zeit eine noch viel zu wenig erkannte aber umso lohnendere und auch reizvollere Aufgabe.

Supervision und psychologische Massen-Aufklärung sind angesagt. Der Weltfrieden beginnt mit dem Frieden im einzelnen Menschen. Wer nicht zu sich selbst gefunden hat, dem fehlt die Identität und damit der innere Friede. Ein Mensch, der als Kind nicht zu sich hin geführt wurde, hat es sehr schwer, zu sich zu finden und mündig zu werden. Eine bewußte Erziehung zu einer bestimmten Glaubensrichtung z.B. behindert bzw. verhindert das zu sich selbst Finden. Die Identität wird damit an diese Glaubensrichtung gebunden, was meist zur Abhängigkeit, zur Abgrenzung und auch zur Bekämpfung Andersgläubiger führt. Eine freie, humanistische Orientierung dagegen schließt alle Menschen ein und veranlaßt gleichzeitig zur Arbeit an der eigenen Person.

Ich möchte einen Arbeitskreis im Humanistischen Verband anregen, der sich mit den menschlichen Ursachen von Gewalt und der Bildung einer freien Identität befaßt und mit nationalen und internationalen Gruppen der Friedensbewegung zusammenarbeitet. Hierdurch könnte der Friedensbewegung, die ja oftmals sehr einseitig von Feindbildern abhängig ist, Material zu einer konstruktiven Arbeit angeboten werden.

Rudolf Kuhr, München, 29.10.93 


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Humanistische AKTION
10/1998

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Aktualisiert am 25.10.11