Aus dem Briefwechsel (01)

Beispiele zur Information und Anregung
  

Themenbereiche:

Nestbeschmutzer? 01/05

'Es gibt keinen Gott'? 02/96

Humanistische Arbeit 8/95

Humanistische Arbeit 12/91

Betriebsklima 2/79

Hunde 24/86 


 

Kahl's Kritik an Deschner's Aphorismen
  
Leserbrief an 'Aufklärung & Kritik' zum Deschner-Sonderheft 9/2004

Durch den Beitrag von Joachim Kahl erfahre zum ersten Mal von einer Kritik aus "unseren Reihen" an Karlheinz Deschner. Nach dem Lesen mußte ich an die Bemerkung von der Gegenseite mit den "...haßerfüllten Augen" denken, ein ganz klein wenig davon scheint ja dran zu sein an dieser Wahrnehmung, zumindest Verbitterung.

Deschners Äußerung der Schuldgefühle gegenüber seinem Sohn Thomas mögen einiges über seine innere Verfassung erklären, auch daß er diese Äußerung in den Aphorismen veröffentlicht hat. Im Grunde ist er ein tragisches, bemitleidenswertes Wesen, das entsprechende Prägungen in seiner Kindheit erfahren haben muß und es nicht geschafft hat, diese aufzuarbeiten. Auch die vielen Auseinandersetzungen mit der Kirche hinterlassen sicherlich ihre Spuren.

Zunächst einmal meine grundsätzliche Einstellung als bekennender und um Anwendung bemühter Humanist zur Kritik von Joachim Kahl an Deschners Aphorismen: "Mündigkeit bedeutet mehr als nur Volljährigkeit. Mündigkeit heißt, eine kritische Distanz nicht nur zu seiner Mitwelt, sondern auch zu sich selbst zu haben, für sich selbst voll- und für seine Mitwelt mitverantwortlich sein zu können und zu wollen." Das bedeutet, Kritik nicht nur ertragen zu lernen, sondern diese zu wünschen und Benjamin Franklin bestärkt mich in dieser Haltung mit seinem Aphorismus "Unsere Kritiker sind unsere Freunde, sie zeigen auf unsere Fehler".

Zur Kritik an Deschners Aphorismen bzw. deren Menschenbildes sowie ihres Gesellschafts- und Geschichtsverständnisses: Es ist für mich eine sachliche, gründliche und faire Kritik, die dem Titel der Zeitschrift nur gerecht wird. Kein Rivalitätsobjekt, keine Instrumentalisierung zur persönlichen Profilierung, wie das nicht selten zu beobachten ist. Vielleicht enthält sie etwas zu wenig an Fragen nach den menschlichen Hintergründen. Aber es geht ja bei der Kritik ausdrücklich um seine Aphorismen und nicht um seine Person.

Ich weiß nicht, welches positive Bekenntnis Karlheinz Deschner außer dem neutralen Agnostiker vertritt, als Humanist sieht er sich selber wohl nicht. Bei allem aufklärerischen Verdienst von Deschner und anderen Freigeistern, -denkern, -religiösen, Philosophen und Atheisten stört mich schon lange, daß sie bei aller Intelligenz es nicht für sinnvoll und nötig halten, sich zum Menschentum zu bekennen. Es ist eine 'intellektuelle Feigheit' (Roman Herzog in einem anderen Zusammenhang), nicht zur Arbeit und Kritik an sich selbst bereit zu sein, denn dieses würde ja ein solches Bekenntnis erfordern. Mitunter habe ich bei den Verehrern von Deschner und anderen den Eindruck, daß sie mit ihren lebenden und toten Idolen eine Art Heiligenverehrung sowie gelegentlich sogar Wallfahrten und Reliquienkult betreiben.

Nach einem Gespräch mit meiner Frau über Kahls Kritik erfuhr ich erst jetzt, daß sie sich schon vor Jahren von dem unfreundlichen Schreibstil Deschners abgestoßen fühlte und kein Buch mehr von ihm lesen wollte. Außerdem empfand sie diesen Stil auch in den Kreisen der Freigeister und -denker. Interessant, daß mir selber dies damals, als ich dort noch mitwirkte, nicht so bewußt wurde, obwohl ich ziemlich darunter gelitten hatte. Ich habe allerdings sehr spät erst zur bewußten Wahrnehmung meiner eigenen Gefühle gefunden, was viele in "unseren Kreisen" offensichtlich bei sich nicht zulassen, sie scheinen die Empfehlung von Khalil Gibran nicht zu kennen: "Wenn du das Ende von dem erreichst, was du wissen solltest, stehst du am Anfang dessen, was du fühlen solltest".

Joachim Kahl hat mit seiner aufklärenden Arbeit dem Ansehen der freigeistigen Szene einen guten Dienst erwiesen. Ich empfehle ihm, seine Deschner-Kritik auf seiner eigenen Netz-Seite zu veröffentlichen und anschließend auch all die harsche Kritik an seiner angeblichen "Nestbeschmutzung". In diesem Fall könnte man wirklich sagen: "Viel Feind, viel Ehr!" - Was sagt eigentlich Karlheinz Deschner zu Kahls Kritik?

Rudolf Kuhr
www.humanistische-aktion.de
15.01.05



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'Es gibt keinen Gott'?
 
Leserbrief an 'Aufklärung & Kritik' zum Artikel von Joachim Kahl: 'Es gibt keinen Gott'

Was veranlaßt Joachim Kahl nach dreißigjähriger Reflexion zu dieser Aussage? Als Realist wird er zugeben müssen, daß es für sehr viele Menschen einen Gott gibt, zumindest in deren Vorstellung. Demzufolge kann seine Aussage nur bedeuten, daß es für ihn selbst und auch für viele andere keinen Gott gibt. Diese Vorstellung absolut zu setzen ist mindestens ebenso unseriös, wie dies mit der gegenteiligen zu tun. ("Der Zweifel ist kein angenehmer Zustand. Gewißheit jedoch ist ein lächerlicher Zustand", Voltaire). Korrekt, ehrlicher und bescheidener wäre es, diese Frage offen zu lassen und sich wichtigeren Themen zuzuwenden, die es unbestritten gibt bzw. die anzustreben sind z.B. der Psychologie und dem Humanismus.

Durch die Unterscheidung zwischen Atheist und Antitheist versucht er die "religiöse Fixierung" zu überwinden, was ihm jedoch damit auch nicht gelingen kann. Solange er sich als Atheist bezeichnet, gibt er zu erkennen, daß er noch immer Schwierigkeiten hat, sich von der Theologie zu lösen. Das zeigt auch die ablehnende Haltung gegenüber dem Religionsbegriff, dessen begriffliche Klärung er leider ausließ, und der ja von seiner eigentlichen Bedeutung her gegen jeden jenseitsorientierten und entmündigenden Glauben spricht und sogar gegen diesen verwendet werden könnte und müßte. ("Jedes tiefere Religiosität wird denkend, jedes wahrhaft tiefe Denken wird religiös", Albert Schweitzer).

Schließlich versucht Joachim Kahl sich und andere dadurch über seine widersprüchliche Abhängigkeit von der Theologie hinwegzutäuschen und aufzuwerten, indem er den Agnostiker als zwar der Religion gegenüber meist ablehnend bezeichnet, ihn weltanschaulich jedoch der Laxheit bezichtigt. Atheismus als Weltanschauung bleibt an Gott gebunden und enthält eine dogmatische Antihaltung, die sich leider sehr oft auch im zwischenmenschlichen Umgang auswirkt. Agnostizismus dagegen reicht für eine Weltanschauung nicht aus, so daß hiermit eher eine Orientierung hin zu einem toleranten Humanismus ermöglicht wird. Das Christentum orientiert sich an Christus der Atheismus orientiert sich an der Ablehnung Gottes der Agnostizismus orientiert sich an der Begrenztheit menschlicher Erkenntnisfähigkeit der Humanismus orientiert sich am Menschentum. Was muß geschehen, daß sich Atheisten von ihrem Feindbild lösen und in konstruktiver Weise vorrangig zum Humanismus bekennen?

Rudolf Kuhr

Artillerstr.10
80636 München
02.02.96 


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Humanistische Arbeit  


Humanistische Aktion, München

Zeitschrift 'Pan Gaia'
c/o Richard M.
Soterstr.35
54295 Trier

29.08.95

Lieber Richard M.,

ich danke Ihnen für Ihren Brief vom 9.8. mit dem interessanten Heft 'Pan Gaia'. Es gefällt mir von der Zielsetzung her und auch von der klaren grafischen Gestaltung. Nach meinem ganz persönlichen Bedürfnis dürften die Artikel kürzer sein.

Obwohl es einerseits bereits eine große Anzahl interessanter Publikationen gibt, so daß bereits die Auswahl schwerfällt - vom Lesen der Inhalte ganz zu schweigen - kann es andererseits gar nicht genug davon geben, zumal von solchen, die dazu beitragen, das vorhandene umfangreiche Wissen zur Verbesserung der Menschlichkeit auch zur Anwendung zu bringen. ("Es ist nicht genug, zu wissen, man muß auch anwenden; es ist nicht genug zu wollen, man muß auch tun." Goethe).

Meine Bestrebungen gehen grundsätzlich in die gleiche Richtung wie die Ihren. Derzeit scheint mir die Arbeit am Menschen vordringlich zu sein. Eine Kette ist bekanntlich nur so stark wie ihr schwächstes Glied. Und die schwächsten Glieder unserer Ideale, Ziele und Wege sind immer wieder die Menschen. Mit Jugoslawien bestand beispielsweise eine gar keine so schlechte Idee und ein konkreter Staat, in dem Menschen verschiedener Nationalität und Konfession für eine gewisse Zeit gar nicht so schlecht zusammen lebten, jedenfalls besser als in manchen anderen Ostblockstaaten und auf jeden Fall unvergleichlich besser als jetzt. Aber sie waren noch längst nicht stark genug für einen übernationalen und -konfessionellen und demokratischen Staat. Auch Rußland, Indien, Irland, Palästina und andere zeigen, daß es allenthalben an der individuellen, inneren Stabilität der Menschen fehlt, die allein eine Identität und gesellschaftliche Stabilität auf Dauer gewährleisten kann.

Und auch bei uns ist die gesellschaftliche Stabilität ohne den oberflächlich zusammenhaltenden wirtschaftlichen Wohlstand sehr fraglich. Die Krawalle von Jugendlichen in Hannover sollten uns zu denken oder noch besser zu handeln geben.

Um Ihnen etwas über mich mitzuteilen: ich (Jahrgang 1937) habe erst vor etwa 20 Jahren damit begonnen, mir über den Sinn des Lebens Gedanken zu machen. Wenn mich jemand nach meinem Beruf fragt, dann sage ich jetzt oft zunächst scherzhaft, daß ich von Beruf(ung) Mensch bin und mich da noch in der Ausbildung befinde. Erwerbsmäßig habe ich schon sehr Verschiedenes gemacht, u.a. vor 25 Jahren Geschäftsführer beim Arbeitskreis Gesundheitskunde, und zuletzt war ich in der Verwaltung (EDV) tätig. Seit einigen Jahren bin ich erwerbslos und Hausmann.

Mein Bestreben ist es, den Humanismus in einem neuen, umfassenden Verständnis als Alternative zu den bisherigen übergeordneten ethischen Orientierungen mehr ins öffentliche Bewußtsein zu tragen, hier besonders das wirksame Massenmedium Fernsehen anzuregen - und nicht zuletzt selbst ein glaubhafter Vertreter dieses Humanismus zu sein. Was mir Probleme macht, das ist der Mangel an Bereitschaft in unseren Kreisen zur konstruktiven Zusammenarbeit. Statt Teamgeist bekomme ich oft ängstliche Abgrenzung und unterschwellige Rivalität zu spüren.

Um es mit Lichtenberg zu sagen: "Ich habe Leute gekannt von schwerer Gelehrsamkeit, in deren Kopf die wichtigsten Sätze zu Tausenden selbst in guter Ordnung beysammen lagen, aber ich weiß nicht, wie es zuging, ob die Begriffe lauter Männchen oder lauter Weibchen waren, es kam nichts heraus. In einem Winkel ihres Kopfes lag Schwefel, im anderen Kohlenstaub, im dritten Salpeter genug, aber das Pulver hatten sie nicht erfunden." Es ist so viel an angehäuftem Wissen vorhanden, aber es wird zu wenig davon angewandt.

Ich vermute, es ist ein Problem des Mangels an innerer Sicherheit, an Identität, das die vielen Intellektuellen davon abhält, mit gleichgesinnten Menschen zusammenzuarbeiten. Wenn Fromm die religiösen Menschen heutiger Zeit mit sechsjährigen Kindern vergleicht, so sind meines Erachtens selbst die sich für nichtreligiös haltenden Intellektuellen mit etwa vierzehnjährigen Jugendlichen zu vergleichen, die gegen alle möglichen Zwänge und gegen das gesellschaftliche System ankämpfen und sich in idealistischem Überschwang für Schwächere einsetzen, aber nicht an sich selbst arbeiten und sich zu einem gemeinsamen humanistischen Ideal bekennen.

Ich denke, daß neben dem Begriff des Humanismus auch der Begriff Mündigkeit als Maßstab menschlicher Bildung mehr als bisher in die Diskussion gebracht werden müßte. Arbeit am Menschen scheint mir vor allem angesagt zu sein, Menschenbildung vor Schulbildung und fachlicher Bildung. Psychologie und Soziologie vor Philosophie oder gar Theologie. Abenteuer statt außerhalb des Menschen zu suchen, das Abenteuer mit sich selbst einzugehen und in der konstruktiven Auseinandersetzung mit seinen Mitmenschen. Es gäbe so viele interessante und wichtige Ansatzpunkte für spannende Erlebnisse im menschlichen Bereich, es scheint den einzelnen jedoch an der inneren Sicherheit zu fehlen, sich selbst zu hinterfragen und zu gestalten. Wie kann man die Menschen dafür interessieren? Wie kann man sie von der Außengerichtetheit zu mehr Innengerichtetheit und Ganzheitlichkeit motivieren?

Soviel erst einmal für heute. Beiliegend sende ich Ihnen der Einfachheit halber alle derzeit verfügbaren Schriften von mir zu ohne die Erwartung, daß Sie nun auch alles gleich lesen. Ich würde mich aber über gelegentliche Kritik freuen. Vielleicht mögen Sie etwas davon in 'Pan Gaia' verwenden. Ich fände es gut, wenn es zu einer Zusammenarbeit käme, vielleicht können wir gemeinsam etwas in Gang setzen, was über die bisherigen Wirkungsmöglichkeiten hinausgeht. Haben Sie eine Idee, in welchem Format eine Datei mit für uns wichtigen Persönlichkeiten erstellt werden könnte, so daß diese für jeden leicht zu handhaben ist?

Mit besten Wünschen
und freundlichen Grüßen

Rudolf Kuhr

Anlage
Texte laut HA-Liste; TZI; BIM; Philosophie; HA-Pressetext  


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Humanistische Arbeit  


(Leserbrief)

RUDOLF KUHR, Barystraße 4, 8000 München 60

Deutscher Freidenker-Verband Berlin
Redaktion "diesseits"
Hobrechtstr.8/9
1000 Berlin 44

04.12.91

Liebe Freunde,

kürzlich erhielt ich Kopien von den Artikeln "Freier Geist - Stirb und Werde" und "Plädoyer für ein neues Selbstverständnis" aus "dieseits" Heft 16, die mir wieder Auftrieb gegeben haben.

Ich halte es für sehr wichtig, das Selbstverständnis immer wieder zu überdenken, denn so wie sich freigeistige Gruppierungen meist darstellen sind sie wenig zukunftsweisend, um nicht zu sagen von gestern.

Ich interessiere mich seit vielen Jahren für die freigeistige Richtung und war auch mal eine zeitlang Mitglied in einem einschlägigen Verein. Jetzt bin ich wieder einem solchen beigetreten, weil ich dort Zeichen zu erkennen glaube, daß sich da etwas bewegen könnte. Meine bisherigen Erfahrungen mit diesen Gruppierungen waren leider wenig ermutigend.

Ich hatte überwiegend den Eindruck von Antihaltung, Abgrenzung, Ängstlichkeit, Selbstgefälligkeit, Dogmatismus, usw.. Ich traf dort keineswegs etwa mehr Menschlichkeit oder auch nur Aufgeschlossenheit an als bei den christlichen Gruppierungen, worauf allein es doch schließlich ankommen müßte.

Da wird um Begriffe gestritten in einer fanatischen Weise, daß keine Verständigung mehr möglich ist. Da kommt es zu Austritten, weil z.B. der Name von freireligiös in freigeistig geändert wird. Andere wiederum können erst nach dieser Namensänderung beitreten. Da scheuen sich langjährige Mitglieder, über den Sinn des Lebens nachzudenken, wo dies doch eigentlich das wichtigste Thema für einen Freigeist sein müßte. An menschlicher Einfühlung und Wärme im Umgang miteinander oder auch nur an Toleranz mangelt es auffallend.

Was nützt die ganze materialistisch-wissenschaftliche Basis, wenn das Menschliche dabei auf der Strecke bleibt. Und während ihr über den Himmel streitet, geht ihr auf Erden zugrunde, halten wir den Christen vor. Leider ist es in unseren Reihen nicht besser.

Im Grunde hat die freigeistige Bewegung zur Humanisierung der Gesellschaft bisher so gut wie nichts beigetragen. Vermutlich deshalb, weil sie von einem ins andere Extrem gefallen ist und bei allem Freisein von etwas das Freisein für etwas vergessen hat. Mit der Befreiung von konfessionellen Dogmen versuchte man sich auch gleich von den lästigen religiösen und ähnlichen Gefühlen zu befreien und hat nur noch im Kampf um möglichst reine materialistische Theorien Gefühle eingesetzt.

Der Mensch besteht doch nicht nur aus Materie. Und wenn wir das umstrittene Wort Seele nicht gebrauchen wollen, dann sollten wir uns endlich mehr den Gefühlen zuwenden. Denn bei allen Sachzwängen in unserer materiell ausgerichteten, verkopften Welt sind es doch letztlich immer die Gefühle, die eine Entscheidung bestimmen. Das Schlimme daran ist nur, daß dies so wenig erkannt und anerkannt wird.

Vielleicht trägt die künftig stärkere Verwendung des Begriffs Humanismus dazu bei, daß der Mensch mehr in den Mittelpunkt des Strebens gerät und damit ein Wachstum an Menschlichkeit auch in den eigenen Reihen bewirkt.

Die Schwierigkeiten der verschiedenen freigeistigen und freireligiösen Gruppen, zusammenzugehen zeigen sehr deutlich, wieviel Arbeit noch in den eigenen Reihen an der individuellen Persönlichkeit zu leisten ist. Da muß sich manch einer erst noch klar werden, warum er dabei ist, wie weit er den Verein als ideologisches Asyl braucht, zur Befriedigung seiner Eitelkeit und seines Aggressionspotentials oder als Basis für seine eigene und die gesellschaftliche Entwicklung.

Unsere Zeit braucht dringend ein Wachstum an Menschlichkeit. Von Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Kirche ist keine Änderung von innen heraus zu erwarten. Die Humanisten hätten hier eine Chance. Aber sie müssen sich selbst mit einbeziehen in die Arbeit, wenn sie wirksam und glaubwürdig sein wollen.

Unsere sogenannte Kulturnation kann von manchem Entwicklungsland etwas lernen, was sinnvolles Leben und Menschlichkeit im überschaubaren Lebensbereich anbetrifft.

Kürzlich habe ich an einer Veranstaltung teilgenommen unter dem Thema "Unser Selbstverständnis". Behandelt wurden die Begriffe Atheismus, Agnostizismus, Humanismus, Religion. Grundsätzlich wäre nichts dagegen einzuwenden, aber so wie die Diskussion lief, hätte ich mir dringender ein Thema wie "Meine Gefühle, deine Gefühle - wie nehme ich sie wahr, wie teile ich sie mit" gewünscht. So aber war es ein unerbittlicher Schlagabtausch mit dem Ergebnis, daß man sich z.B. bei dem Begriff Religion nicht einigen konnte, ob der Glaube an etwas Übersinnliches darin enthalten sei, oder ob er nur die Suche nach Sinn, ohne den Glauben, der ja bereits Konfession ist, bedeutet. Schließlich einigte man sich durch Abstimmung (!) mehrheitlich auf die erste Version.

Der Begriff Religion wird auch in unseren Kreisen immer wieder mit Konfession gleichgesetzt, das ist so tief im Gefühlsbereich verankert, daß er von den meisten nur noch pauschal abgelehnt werden kann. Dabei wäre es so wichtig, immer wieder auf das wesentliche, nämlich das suchende, hinterfragende Element in diesem Begriff hinzuweisen. Genauso engstirnig klammert man sich an den Begriff Atheismus, obwohl dieser alles andere als wegweisend ist. Er sollte endlich inhaltlich vom Agnostizismus abgelöst werden, das wäre realistischer und auch ehrlicher, aber sich selbst und anderen einzugestehen, etwas nicht zu wissen, das erfordert schon noch Mut. Am sinnvollsten erscheint mir die Bezeichnung Humanist.

Ich denke, daß wir uns vorrangig oder zumindestens gleichzeitig mit nach außen gerichteten Aktivitäten mit den Fragen beschäftigen sollten: Was verstehen wir unter Humanismus, wo beginnt er hier und jetzt? Wo steht unser Verein, was wollen wir tun, nach innen, nach außen? Was erwarte ich vom Verein, was will ich einbringen?

Wichtig wäre bei allem Kampf gegen Mißstände in unserer Gesellschaft die Hinwendung auf zukunftsweisende Aufgaben. Und wichtiger noch als der Ausbau einer Dachorganisation wäre die intensive und großmütige Zusammenarbeit zwischen den bestehenden freigeistigen, freireligiösen und vielleicht sogar auch gegnerischen Vereinigungen, nach dem Motto: Aus Feinden Gegner, aus Gegnern Partner, aus Partnern Freunde machen. Ohne ein gewisses Maß an Glauben an diesseitige Utopien und Visionen und an die Veränderbarkeit des Menschen wird dies freilich nicht gehen.

Ich kann mir vorstellen, daß wir eines Tages eine nichtmilitärische Alternative zu den Blauhelmen der UNO initiieren können, die mit Hilfe von Psychologen und Journalisten zur ursächlichen Lösung von Konflikten eingesetzt werden kann.

Überhaupt müssen wir viel mehr Fantasie entwickeln und uns mehr der modernen Medien annehmen und bedienen. Ich denke da an aufklärerische Computerspiele für Jugendliche oder an Videoclips mit nichtkonfessionellen ethischen Grundsätzen als Alternative zum Fernsehpfarrer.

Aber auch heute schon können wir viel mehr Einfluß nehmen auf die öffentliche Meinungsbildung durch Leser-, Hörer- und Zuschauerbriefe und zwar nicht nur wenn etwas zu kritisieren ist. Mindestens genauso wichtig ist es, die wagemutigen Journalisten z.B. von Magazinsendungen, die von vielen Seiten angeschossen werden, durch lobende Zuschriften zu bestärken und zu unterstützen, jede Fernsehzuschrift zählt für etwa 3000 Zuschauer.

Gibt es in unseren Reihen bereits so etwas wie eine Zukunftswerkstatt oder Ideenbörse? Wenn nicht, wer hat Lust mitzumachen?

Und hier ein konkreter Vorschlag: Bringt bitte neben der Seitenzahl in Eurem Heft auch Titel und Nummer, z.B. "diesseits Nr.18/Jan 92", dann muß man bei Kopien dies nicht immer nachtragen. Eine Angabe der Auflagenhöhe wäre auch nicht schlecht, auch wenn sie vergleichsweise niedrig ist. Bei Leserbriefen bitte die ganze Anschrift, das würde die Kommunikation fördern.

Eine Frage an Gita Neumann: Gibt es das Buch von Susan Griffin "Woman and Nature" auch in deutsch?

Ich abonniere hiermit die Zeitschrift "diesseits".

Anbei einige Kopien von Zeitungsartikeln.

Mit diesseitigen Grüßen

Rudolf Kuhr  

Anlage
Weltethos
SHG Rel.geschädigte
Bericht MüWo 6.11.91  


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Betriebsklima, so oder so
 Ein Leserbrief 

Ich arbeite in einem Kopierwerk. Anläßlich einer Unterredung mit dem Chef nahm ich die Gelegenheit wahr, das Betriebsklima zu beanstanden. - Dies sei in anderen Betrieben auch nicht besser als bei uns, wurde mir versichert.

Für mich war das eine unbefriedigende Reaktion, etwa genauso unbefriedigend, wie wenn ich einem Vorgesetzten auf eine entsprechende Beanstandung hin sagen würde, andere Kollegen sind auch nicht pünktlicher, arbeitsfreudiger oder weniger krank als ich.

Solche Antworten drücken aus, gib dich zufrieden mit dem was ist, mehr ist nicht drin. - Eine eher destruktive denn konstruktive Haltung, die, von einem Vorgesetzten geäußert, für Arbeitnehmer alles andere als ermutigend ist.

Ich glaube, daß vielen Unternehmern und leitenden Angestellten noch viel zu wenig bewußt ist, daß das Betriebsklima kein Luxusartikel ist, sondern ein Betriebskapital, das direkten Einfluß hat auf Arbeitsleistung, Fehlerquote, Krankenstand usw. Wer meint, für die Pflege des Betriebsklimas keine Zeit zu haben, der spart am falschen Platz und schadet nicht nur den Mitarbeitern, sondern auch dem Unternehmen. - Es ist meines Erachtens nicht damit getan, z.B. die Mitarbeiter einmal im Jahr mit Bier- und Hähnchen-Bons versehen aufs Oktoberfest zu schicken und ihnen zum Jahresende einen warmen Händedruck zu verpassen.

Ein gutes Betriebsklima fängt damit an, daß z.B. bei der Einstellung eines neuen Mitarbeiters dieser nicht nur in der betreffenden Abteilung abgeliefert wird und die benachbarten Abteilungen im unklaren darüber gelassen werden, ob es sich da um einen Kunden, einen Praktikanten oder Besucher handelt. So lernen sich manche Kollegen erst nach Tagen, Wochen oder Monaten per Zufall kennen, oder auch gar nicht und laufen wie fremde Leute aneinander vorbei.

Ich halte es vielmehr für erforderlich, daß neue Mitarbeiter mit allen Kollegen, die in seiner Abteilung arbeiten sowie mit denen, wo eine unmittelbare Zusammenarbeit stattfindet, persönlich bekanntgemacht werden. Darüber hinaus sollten sie in allen anderen Abteilungen des Betriebes pauschal vorgestellt werden. So lernt jeder im Betrieb den neuen Kollegen kennen und weiß, wo dieser arbeitet und dieser erhält einen Überblick über die vorhandenen Abteilungen des Betriebes.

Falls diese Form der Einführung eines neuen Mitarbeiters aus Zeitmangel von der Betriebsleitung nicht ermöglicht werden kann, wäre sicher mancher Kollege bereit, dies zu tun. Ich wäre sogar bereit, dafür einen Teil meiner Mittagszeit zur Verfügung zu stellen.

Weiter halte ich es für wünschenswert, daß ausführliche Arbeitsplatzbeschreibungen, möglichst schriftlich und fachlichen Neulingen sowie allen anderen Kollegen, die daran interessiert sind, Material (evtl. leihweise) zur Verfügung gestellt wird, das ihnen einen Einblick in das Fachgebiet, in dem sie tätig sind ermöglicht und ein Vertiefen des fachlichen Wissens erlaubt. Ich denke da an Fachbücher über Fototechnik, Film- und Kopierwerkstechnik und an Broschüren von den Rohfilmherstellern.

Ich fände es auch gut, wenn hin und wieder mal, mindestens ein mal im Jahr, besser noch einmal in der Woche, abteilungsweise kurze Besprechungen stattfinden würden, bei denen Informationen, die den Betriebsablauf betreffen, ausgetauscht und auch persönliche Anliegen, Anregungen, Beschwerden usw., die die Arbeit betreffen, vorgebracht werden können. Dies könnte meines Erachtens sehr gut dazu beitragen, daß sich die Kollegen in ihrem Selbstverständnis weniger nur als Arbeitskraft, sondern vielmehr als Mitarbeiter fühlen.

Das Betriebsklima ist eine sehr empfindliche Pflanze, die einer ständigen, intensiven Pflege bedarf, wenn sie gut gedeihen soll. Diese Pflege geschieht am leichtesten und wirksamsten von oben, von der Leitung her. - Geld allein macht nicht glücklich, das gilt in zunehmendem Maße auch im Erwerbsleben. Die Arbeitnehmer legen heute neben guten Verdienstmöglichkeiten immer mehr Wert auf einen humanen Arbeitsplatz und es soll auch schon Unternehmer und leitende Angestellte geben, die nicht nur mit Stolz auf materielle Erfolge hinweisen, sondern auch auf solche sozialen bzw. humanen Inhalts.

Rudolf Kuhr
Verbandsgruppensprecher ARRI
Verband Film Süd
24.2.79

veröffentlicht in 'HFF - Zeitschrift der Rundfunk-Fernseh-Film-Union (RFFU) in der Gewerkschaft Kunst (GK) im DGB' 6/79


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Zu viele Hunde?  
(Leserbrief im 'Wochenspiegel München' 24/1986 erschienen) 

Sehr geehrter Herr Wunschel!

"Gibt es etwas Traurigeres als die Augen eines Hundes, der unsere Hilfe braucht?", so fragen Sie zu Beginn Ihres Artikels auf Seite 1 der Ausgabe Nr. 22 vom 26.5.86. Ich meine ja, es gibt Traurigeres, nämlich die Augen von hungernden, mißhandelten oder auch "nur" mit Liebesentzug bestraften Kindern.

"Wer Tiere mag, der mag auch die Menschen." Da ist meines Erachtens seit jeher der Wunsch der Vater des Gedankens gewesen. Tatsache ist doch leider, daß es heute mehr denn je Menschen gibt, denen Tiere weit wichtiger sind als Menschen. Die sogenannte Tierliebe ist oft nur ein Alibi, um die Unfähigkeit der Nächstenliebe am Menschen zu überdecken. "Seit ich die Menschen kenne, liebe ich die Hunde", soll Bismarck gesagt haben; ein trauriges Zeichen von mitmenschlicher Resignation.

Ich meine, es gibt viel zu viele Hunde in den Städten, mit ihrem Gebell und Dreck stellen sie eine echte Umweltbelastung dar! Wer wirklich Tiere liebt, der sollte sich dafür einsetzen, daß weniger Tiere gezüchtet, gehandelt und gefangengehalten werden, denn die Tierquälerei beginnt im Grunde mit der Tierhaltung (auch wenn sich bisher noch kein Tier beklagt hat). Wiederherstellung und Erhaltung natürlicher Lebensräume für frei lebende Tiere, das wäre heute das Gebot.

Tiere sind kein Spielzeug und kein Ersatz für Menschen! Was ist das für eine armselige (Leistungs-) Gesellschaft, die mangelnde Mitmenschlichkeit durch Tierliebe ersetzt. Es gibt genug einsame Menschen mitten unter uns!

Rudolf Kuhr
8000 München 50  


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Humanistische AKTION

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Aktualisiert am 25.10.11