Die Würde des Menschen in Struktur und Praxis

Zum Humanismusbegriff Rudolf Kuhrs
von Markus Vorzellner 03.10.02

"Humanismus ist ein Denken und Handeln, das sich an der Würde des Menschen orientiert und dem Ziel menschenwürdiger Lebensverhältnisse dient." (S.42)

Dieses Zitat aus dem 2001 erschienenen Buch Wachstum an Menschlichkeit des bekennenden Humanisten Rudolf Kuhr repräsentiert ein Weltbild, das in seiner Geschlossenheit als humanistisches System eine dem religiösen Establishment gegenübertretende Alternative darstellt. Nicht mehr der theozentrische Anspruch, der den Menschen unter seine Gnade zu nehmen geneigt ist, sondern der selbstbestimmte Verantwortungsträger Mensch spricht aus dieser humanistisch-anthropozentrischen, wiewohl keineswegs egoistischen Weltanschauung.

Trotz aller positiven Intention schickt das Gedankengebäude Rudolf Kuhrs jedoch eine Prämisse voran, deren Inhalt einer doppelten Diskrepanz der unmittelbaren Gegenwart gegenübertreten will. Diese Diskrepanz wird einerseits durch die Unvereinbarkeit des gegenwärtigen globalen Kontexts mit einem humanistisch geprägten Weltbild in derart krasser Weise bestimmt, daß es notwendig erscheint, eben diese humanistische Gegenwelt zu entwerfen. Zum anderen definiert Kuhr die Gegenwart als jenen konzentrierten Punkt, von dem aus der humanistische Urknall seine Wirkung zeitigen kann, ohne daß er jedoch eine rationale Definition anbietet, wie denn dieser Prozeß in Gang gesetzt werden könne: "Es ist deshalb wohl an der Zeit, Abschied zu nehmen von angenehmen und damit gewohnten, weil bequemen, letztlich aber doch kindhaften Vorstellungen von jenseitiger Hilfe, um dafür in ganzheitlicher Weise erwachsen zu werden und selbst die Verantwortung für das Tun im Hier und Jetzt zu übernehmen und nichtverantwortbares Tun zu unterlassen." (S.21)

Kuhr bringt beide Seiten dieser janusköpfigen Diskrepanz - die der manichäisch gegenüberstehenden Weltbilder und die des axiomatischen Umbruchszeitpunktes - insofern zusammen, als er das zitierte "deshalb" im Absatz davor zu begründen versucht, seinen axiomatischen Umbruchszeitpunkt jedoch durch eben diesen Erklärungsversuch widerlegt: "So wie sich die Menschheit untereinander und gegenüber der Natur verhält, kann sie sich kaum als erwachsen und mündig bezeichnen. Sie verhält sich im Grunde wie ein Bakterienstamm, der sich so lange vermehrt, bis seine Lebensgrundlagen aufgebraucht sind. Derzeit hat es den Anschein, daß unsere Führungskräfte im Vertrauen auf Wirtschaftswachstum und auf Gott (...) unsere Zukunft und die der nachfolgenden Generationen in unverantwortlicher Weise aufs Spiel setzen. Ein Wachstum an Menschlichkeit, wie es den Anlagen und Möglichkeiten des Menschen entsprechen würde und wie es not-wendig wäre, ist insgesamt leider nicht zu beobachten, eher das Gegenteil." (S.21)

Gerade die zitierte Passage jedoch relativiert den Stellenwert der humanistischen Position Rudolf Kuhrs auf entscheidende Weise. Da nämlich die angesprochenen Führungskräfte ihre Ziele durchzusetzen gedenken, woran kein Zweifel zu bestehen braucht, erhebt sich die Frage, welche abzählbaren Möglichkeiten, sich als Gegenpol eines ökonomisch definierten Neo-Liberalismus überhaupt zu positionieren, jedweder Humanismus vorweisen kann, mit dem Ziel, von jenem auch nur in irgendeiner Form als Antithese wahrgenommen zu werden. Die Geschichte der Philosophie belegt sehr deutlich, daß gewisse Strömungen erst einer genau bestimmbaren Positionierung unterliegen müssen, um als zu behandelndes Thema ernst-, ja überhaupt wahrgenommen zu werden. Es war, Joseph Agassi zufolge, "keiner der Positivisten gegen die Theologie, bevor der Atheismus öffentlich verteidigt worden war." 1 Daß es sich hier um zwei, respektive drei nahezu gleichwertige wissenschaftliche Positionen handelt, die in dieser Form etwa in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts annähernd zum selben Zeitpunkt ins Rampenlicht treten, relativiert die Intentionen Kuhrs umso mehr, als in seinem Fall der eine der gedachten Pole, die antihumanistische, nur zu einem geringen Teil wissenschaftlich orientierte Gegenwelt, in einem kaum zu überbietenden globalisierten Maximum ihre Reich- und Tragweite definiert zu haben scheint.

Um jedoch einem Schopenhauerschen Pessimismus in aller Form entgegenzutreten, soll der Humanismus, den Rudolf Kuhr vertritt und auch lebt, als Idealoption den weiteren Gedankengängen Pate stehen - Der paradigmatische Begriff der "Utopie" wird wegen seiner ethymologischen Bedeutung als "Nicht-Ort" bewußt vermieden.

Die zu behandelnden Probleme liegen nicht bloß in der zu hinterfragenden gesellschaftlichen Position des Kuhrschen Humanismus, sondern auch und vor allem in dessen eigenem, inhärentem Anspruch: "Es wird not-wendig sein, die innere Sicherheit, die Identität nicht länger in kindischer oder beinahe pubertärer Weise in religiösen, ethnischen oder materialistischen Abgrenzungen und Trennungen wie Christentum, Judentum, Deutschtum, Wirtschaftswachstum usw. zu suchen, sondern in mündiger Weise im alle Menschen dieser einen Welt vereinenden Menschentum zu sehen, im Ideal des Humanismus als einer allem anderen übergeordneten geistigen Orientierung." (S.23) Der Humanismus soll hier als weltumspannende Einheit nicht nur sämtlichen Religionen und Weltanschauungen gegenüberstehen, sondern diese in sich aufsaugen und damit für obsolet erklären. Ist Kuhrs Positionierung des Humanismus oben als Idealoption axiomatisiert worden, so stellt dessen Absolutierung in ihrer Irrationalität sehr wohl eine Utopie im ursprünglichsten Sinn des Wortes dar. Es handelt sich um eine Weltanschauung, die jegliche Divergenz im Sinn der Hegelschen Synthese aufheben zu können glaubt und deren Versuch, eine beträchtliche Anzahl neuronaler Verbindungen zwischen dem eigenen Punktekatalog und jenem der zu überzeugenden Seite zu schaffen, jeglichen Realitätssinns entbehrt.

So sind etwa bestimmte, der humanistischen Intention unverständliche funktionale Riten innerhalb gewisser indigener Sozialisationen anzutreffen, bei deren Trägern jegliches Verbot nicht nur auf Unverständnis stoßen, sondern deren Zusammenhalt in höchstem Maß gefährden würde. Über das Todesverständnis der Jivaros berichtet Elias Canetti: "Der Kitt, der sie zusammenhält, ist die Blutrache oder eigentlich der Tod. Es gibt keinen natürlichen Tod für sie; wenn ein Mensch stirbt, hat ihn der Feind aus der Ferne verzaubert. Es ist die Pflicht der Angehörigen, herauszufinden, wer für den Tod verantwortlich ist und diesen am Zauberer zu rächen. Jeder Tod ist also Mord, und jeder Mord kann nur durch einen Gegenmord gerächt werden." 2

Doch auch wenn man den Bereich der Ethnologie verläßt und einen größeren Zusammenhang als Untersuchungsobjekt absteckt, wird man auf ähnliche Umstände stoßen, deren Bewußtsein von Inhumanität jedoch den der Indigenas um ein vielfaches übersteigt. So zeigt der Handel mit Ländern aus der dritten Welt deutlich, wie sehr gerade jene Interessen im Vordergrund stehen, die das Gefüge des Kapitalismus auszubauen helfen. Die Entstehungszeit des folgenden Textes des sozialistischen Autors Josef Hindels - etwa 1969/70 - könnte Kuhr freilich ein weiteres Argument dafür liefern, warum in der unmittelbaren Gegenwart ein möglicher Punkt des "Umdenkens" wahrgenommen zu werden hat, bedenkt man, daß dieser dreißig Jahre alte Text nur in Ansätzen eine Vorahnung des gegenwärtigen Trust- und Konzernwesens aufzuweisen hat. Hindels schreibt, "daß die industrialisierten kapitalistischen Länder 1962 108 Währungseinheiten pro Tonne importierte Produkte zahlten, für die sie 1950 100 Währungseinheiten aufbringen mußten, daß sie aber 1962 für eine Tonne ihrer Exporte 119 Währungseinheiten gegenüber 1950 100 erhielten. Sie sind also die Gewinner. Dagegen bekommen die Länder der Dritten Welt, die 1962 pro Tonne Import 108 Währungseinheiten zahlten gegenüber 1950 100, anstatt 100 nur noch 96 Werteinheiten pro verkaufte Tonne. Sie sind die Verlierer." Die dieser Entwicklung zugrundeliegenden "terms of trade" können für die unmittelbare Gegenwart noch ganz andere Zahlen bereitstellen, deren Abrufbarkeit durch den technischen Standard sämtlicher Medien zu jedem Zeitpunkt gesichert ist. Welchen Stellenwert nehmen demgegenüber jene drei "grundlegenden Bereiche" (S.28) des Menschen ein, von welchen der zweite die "Erwerbstätigkeit zum Lebensunterhalt soweit erforderlich" als Forderung postuliert, bei deren Erfüllung das System des Kapitalismus in sich zusammenbrechen müßte.

Auch im global-religiösen Bereich sind zahlreiche Strukturen zu finden, die einem Humanismus - welcher Art auch immer - diametral gegenüberstehen. So gibt es innerhalb des Islam verkrustete Strukturen, die aufgrund ihres Machtzuwachses den religiösen Gehalt sufistischer Traditionen immer stärker zu überlagern scheinen, in ihrer Koran- und Scharia-gläubigen Rigidität antihumanistische Weltanschauung par excellence präsentieren und dieselben obendrein als solche titulieren. So bekundet der sudanesische Moslem Hasan al Turabi im Juni 1989 in Khartoum: "Diejenigen, die für Menschenrechte eintreten, übersehen, daß dies ein fremder Import ist, der uneingeschränkte Libertinage bedeutet" 3

Der Humanismus sieht innerhalb dieser Strukturen in seiner Funktion als Außenseiter somit nur noch die Möglichkeit, mit speziellen, aber irrationalen, weil systemsprengenden Mitteln seiner Weltanschauung zum Durchbruch zu verhelfen, so er, im Sinn Rudolf Kuhrs, "unteilbar" und "weltumfassend" sein möchte: "Dass die meisten Ideologien als ÆIsmen' erscheinen, ist für viele schon ein Grund zu ihrer Ablehnung. Hier wird verallgemeinernd die Form über den Inhalt gestellt und übersehen, dass Æ...ismen' oft nur auf eine geordnete Struktur hinweisen, wie beispielsweise beim Kubismus oder Rheumatismus. Selbst ein Dogmatismus oder ein Fundamentalismus verlieren ihren negativen Charakter, wenn ihr Inhalt humanistisch ist." (S.41) Spätestens an diesem Punkt beginnt das Gebäude aus seiner gespannten Rigidität heraus brüchig zu werden. "Wer Spekulationen über das Ganze nur für gerechtfertigt hält, wenn sich diese Spekulationen identisch in die Lebensrealität möglichst vieler Menschen übertragen lassen, muß selbst dann totalitär werden, wenn er nichts anderes wollte, als gegen die beschränkte und schlechte Realität den denkbar menschlichsten Lebensentwurf durchzusetzen, um das Glück der Menschheit zu befördern. Totalitarismus ist fast immer Tugendterror." 4

Was den religiösen Aspekt anbelangt, bedeutet er für Kuhr "nicht mehr als Rückbindung, geistige Rückbindung des Menschen (...) an die menschliche Gemeinschaft, an die Natur, an das Weltganze, weil der Mensch im Gegensatz zum Tier durch seinen Geist von diesem Ganzen getrennt ist." (S.86) In der begrifflichen Erfassung einer ganzheitlich orientierten Sichtweise durch die Gemeinplätze "das Weltganze", sowie "die Natur" erhellt ein weiterer Problembereich des Kuhrschen Humanismus und der in diesen Kontext freilich integrierten "menschlichen Gemeinschaft". Korrespondiert ersterer dem theologischen Vokabular, innerhalb dessen er dem kata holos des Heiligen Domenicus oder des Unfehlbarkeitsdogmas Pius' IX. bedenklich nahe kommt, so spiegelt sich Kuhrs Naturbegriff, der den Menschen in seine allumfassende Gesamtheit einbettet, in der Anschauung F.J.Schellings wider. Dieser will die Natur in all ihrer "Tiefe" betrachtet wissen, "denn es wird (...)offenbar, daß dieselben Potenzen der Anschauung, welche in dem Ich sind, bis zu einer gewissen Grenze auch in der Natur aufgezeigt werden können. (...)" Es muß in der Natur eine idealistische Dimension enthalten sein, denn, so Schelling, "wenn unsere ganze Aufgabe die wäre, die Natur zu erklären, wir niemals auf den Idealismus wären getrieben worden." Bei Kuhr liest es sich so: "Das Un-heile in der Welt beginnt mit dem Menschen, und zwar mit jedem Menschen erneut bereits durch die Entwicklung seines Verstandes, der ihn, im Gegensatz zum Instinkt besitzenden Tier, von der ganzheitlichen Verbundenheit mit der Natur trennt." 5 Nicht nur, daß speziell seit Charles Darwin und Herbert Spencer diese Sicht als obsolet gelten darf, gerät die Polarisierung von "Natur" und "Verstand" in ein äußerst fragwürdiges Licht, und das nicht erst seit "Der Geist als Widersacher der Seele" (1929-32), dem Hauptwerk jenes "Lebensphilosophen" Ludwig Klages, dem 1933 eine Gastprofessur an der Universität Berlin angeboten wurde.

Durch diese Gedankengänge ist keineswegs beabsichtigt, die humanistischen Intentionen Rudolf Kuhrs in die Nähe totalitärer Konstrukte zu rücken, da die praxisorientierte Arbeit der Humanistischen Aktion in eine völlig konträre Richtung geht. Es muß jedoch erlaubt sein zu fragen, inwieweit die Verabsolutierung eines Begriffes einer intendierten praktischen Umsetzung desselben vonnutzen sein kann, wo doch Humanismus lediglich in interaktiven und somit überschaubaren Räumen überhaupt funktionieren kann, wie es die Aufzeichnungen über die praktisch-humanistische Tätigkeit auf der Homepage www.humanistische-aktion.de belegen.

Reflektiert man unter diesem Aspekt erneut auf die abstrakte Ebene eines umfassenden Begriffs, so ist dem Philosophen Konrad Paul Liessmann durchaus rechtzugeben hinsichtlich der potentiellen Gefahr, den Begriff des Humanismus allzu stark zu verwässern, indem man ihn aus seiner, der sogenannten Wiedergeburt der Antike, der Anthropozentrierung, sowie der wachsenden Auseinandersetzung mit der mittelalterlichen Scholastik entsprungenen geistesgeschichtlichen Tradition herausschält: "Abgesehen von der Frage, ob die rhetorische Figur des Humanismus nur allzuoft eingesetzt wird, um (...) nackte Interessen der Politik ideologisch zu verklären, verwischt diese Rhetorik des Allgemeinmenschlichen auch die präzisen Bedeutungen, die der Begriff des Humanismus in der Geschichte der europäischen Zivilisation einmal hatte. Eine Erinnerung an diese Bedeutungsfelder kann dazu beitragen, die Sensibilität gegenüber einer allzu platten Verwendung des Humanismus und der Floskel der Humanität zu erhöhen." 6

Diese wachsende Indifferenz würde jener praxisorientierten Arbeit in keiner Weise gerecht, da sie als rigides Konstrukt die humanistische Arbeit per se behindert. Die Forderung der französischen Strukturalisten von Gaston Bachelard bis Michel Foucault, das wissenschaftliche System dann zu modifizieren, wenn neue Problemstellungen auftreten 7, könnte auch einem Humanismus, der die Nereus-artige Polyvalenz des Urbegriffs, der "humanitas" Ciceros, in seine praktische Arbeit miteinbezieht, neue Impulse verleihen. Es würde zu verhindern trachten, brüchige Strukturen, die in ihrer Indifferenz lediglich von ihren Gegnern verwertet werden können, einem dialektischen Arbeitsprozeß überstülpen zu wollen, dem so in kürzester Zeit in einem Prokrustes-Bett zur ewigen Ruhe verholfen würde.
 

  1. Joseph Agassi: Die Rolle der Metaphysik in Poppers Bild der Wissenschaft. In: Geschichte und Gegenwart.
    Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, Gesellschaftsanalyse und politische Bildung. 19. Jahrgang, Juni 2000, S.102

  2. Elias Canetti: Masse und Macht. Frankfurt/Main: Fischer, 1994

  3. Bassam Tibi: Im Schatten Allahs . Der Islam und die Menschenrechte. München: Piper 1994, S.43

  4. Bazon Brock: Der Hang zum Gesamtkunstwerk. In: Gesamtkunstwerk, hrsg. Von Harald Szeemann, 2001

  5. Friedrich Wilhelm Joseph Schelling: System des transzendentalen Idealismus. Vorrede. In: Schelling.
    Ausgewählt und vorgestellt von Michaela Boenke. München: dtv, 2001, S.147f.

  6. Konrad Paul Liessmann: Die bestialische Natur zu zähmen. In Die Presse, Spectrum 10./11. November 2001, S.1

  7. dazu im Besonderen Gaston Bachelard: La formation de l'esprit scientifique (1938), sowie Michel Foucault:
    Les mots et le choses (1966) vgl. dazu: Urs Marti: Foucault. München : C.H.Beck, 1999

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Nachfolgend zum obigen Text (in schwarzer Farbe) meine Anmerkungen dazu in roter Schrift, Erklärungen von Fremdwörtern  - zu meinem eigenen, leichteren Verständnis des Textes - in Grün ausgeführt, R.K.  

Die Würde des Menschen in Struktur und Praxis

(und das Wachstum an Menschlichkeit, an verantwortlichem Menschsein, dies ist mein eigentliches Thema)

Zum Humanismusbegriff Rudolf Kuhrs

(und dem der Allgemeinheit außerhalb der Philosophisten)  

"Humanismus ist ein Denken und Handeln, das sich an der Würde des Menschen orientiert und dem Ziel menschenwürdiger Lebensverhältnisse dient." (S.42)
Dieses Zitat (aus einem neueren Fremdwörterbuch, in dem es weiter heißt: "... 2. europäische Bildungsbewegung vom 14. bis zum 16 Jh. zur Wiedererweckung, Erforschung und Pflege der antiken griechischen und römischen Kultur. Humanist, ... 1. jmd., der im Sinne des Humanismus (1) denkt und handelt, 2. jmd., der an einem altsprachlichen Gymnasium das Latinum und das Graecum erworben hat.") aus dem 2001 erschienenen Buch Wachstum an Menschlichkeit des bekennenden Humanisten Rudolf Kuhr repräsentiert (vertritt) ein Weltbild (vielleicht eher ein Menschenbild?), das in seiner Geschlossenheit (und gleichzeitigen Offenheit neuen Erkenntnissen gegenüber - ein Humanist im eigentlichen Sinne ist immer auch Freidenker) als humanistisches System (Ordnungseinheit) (als menschenbezogene ethische Orientierung) eine dem religiösen (im Sinne von mystischen Heilslehren rückgebundenen, aber nicht zuletzt auch dem materiell-, dem profitorientierten oder ethisch orientierungslosen) Establishment (Herrschende Gesellschaft) gegenübertretende Alternative (Wahlmöglichkeit) darstellt. Nicht mehr der theozentrische (Gott in den Mittelpunkt stellend) Anspruch, der den Menschen unter seine Gnade zu nehmen geneigt ist, sondern der selbstbestimmte Verantwortungsträger Mensch spricht aus dieser humanistisch-anthropozentrischen (Menschen in den Mittelpunkt stellend), wiewohl keineswegs egoistischen (selbstsüchtigen) Weltanschauung (bzw. Menschenanschauung bzw. ethischen Orientierung).

Trotz aller positiven (wohlwollenden) Intention (Absicht, Streben) schickt (enthält, ein Gebäude tut nichts) das Gedankengebäude Rudolf Kuhrs jedoch eine Prämisse (Vorbedingung, welche?) voran, deren Inhalt (welcher?) einer doppelten Diskrepanz (Missverhältnis) der unmittelbaren Gegenwart gegenüber(steht)treten will. Diese Diskrepanz wird einerseits durch die Unvereinbarkeit des gegenwärtigen globalen Kontexts (Zusammenhangs) mit einem humanistisch geprägten Weltbild in derart krasser Weise bestimmt, daß es notwendig erscheint, eben diese humanistische Gegenwelt (eher menschliche Innenwelt als Lösungsansatz) zu entwerfen. Zum anderen definiert (bestimmt) Kuhr die Gegenwart als jenen konzentrierten Punkt (welchen sonst?), von dem aus der humanistische Urknall (dieser wäre ein aus sich selbst heraus entstandenes Ereignis, wohingegen eher eine innere, kontinuierliche Arbeit am Selbst und eine ständige Aufklärung gemeint sind, die bereits bei nicht wenigen - mehr oder weniger bewußt - stattfinden) seine Wirkung zeitigen kann, ohne daß er jedoch eine rationale (verstandesmäßige) Definition (Festlegung) anbietet, wie denn dieser Prozeß in Gang gesetzt werden könne: (hierzu soll das Buch dienen und ist auf Seite 227 näheres beschrieben) "Es ist deshalb wohl an der Zeit, Abschied zu nehmen von angenehmen und damit gewohnten, weil bequemen, letztlich aber doch kindhaften Vorstellungen von jenseitiger Hilfe, um dafür in ganzheitlicher Weise erwachsen zu werden und selbst die Verantwortung für das Tun im Hier und Jetzt zu übernehmen und nichtverantwortbares Tun zu unterlassen." (S.21)

Kuhr bringt beide Seiten dieser janusköpfigen (doppelgesichtigen) Diskrepanz (Missverhältnis) - die der manichäisch (Manichäismus heißt die aus dem babylonischen Gnostizismus herausgewachsene ... Lehre des Persers Mani (215-273) vom Kampf zweier Prinzipien, des Guten und des Bösen. ...) gegenüberstehenden Weltbilder und die des axiomatischen (Axiomatik, Untersuchung der Axiome (Axiom, Grundsatz; ein Satz, der nicht bewiesen werden kann, aber auch nicht bewiesen zu werden braucht ...) der Voraussetzungen eines zu beweisenden Satzes.) Umbruchszeitpunktes - insofern zusammen, als er das zitierte "deshalb" im Absatz davor zu begründen versucht, seinen axiomatischen Umbruchszeitpunkt jedoch durch eben diesen Erklärungsversuch widerlegt (oder dessen Notwendigkeit damit unterstreicht): "So wie sich die Menschheit untereinander und gegenüber der Natur verhält, kann sie sich kaum als erwachsen und mündig bezeichnen. Sie verhält sich im Grunde wie ein Bakterienstamm, der sich so lange vermehrt, bis seine Lebensgrundlagen aufgebraucht sind. Derzeit hat es den Anschein, daß unsere Führungskräfte im Vertrauen auf Wirtschaftswachstum und auf Gott (...) unsere Zukunft und die der nachfolgenden Generationen in unverantwortlicher Weise aufs Spiel setzen. Ein Wachstum an Menschlichkeit, wie es den Anlagen und Möglichkeiten des Menschen entsprechen würde und wie es not-wendig wäre, ist insgesamt leider nicht zu beobachten, eher das Gegenteil." (S.21)

Gerade (durch) die zitierte Passage (wird) jedoch relativiert (verhältnismäßigt, einschränkt) (oder aber erhöht gerade) den (taktischen bzw. ethischen) Stellenwert der humanistischen Position (Standpunkt) Rudolf Kuhrs (aus einer rein erfolgsorientierten Sicht) auf entscheidende Weise. Da nämlich die angesprochenen Führungskräfte ihre Ziele durchzusetzen gedenken, woran kein Zweifel zu bestehen braucht (wieso? nicht wenige besinnen sich bereits eines Besseren, steigen aus, schreiben Bücher oder geben entsprechende Seminare 8), erhebt sich (für einen Skeptiker) die Frage, welche abzählbaren Möglichkeiten (Hier steht berechnende Skepsis gegen Verantwortlichkeit, die unabhängig von Erfolgsaussichten besteht.), sich als Gegenpol eines ökonomisch definierten Neo-Liberalismus (ein solcher ist ja nicht allgemein verbreitet und nicht unabänderlich) überhaupt zu positionieren (einzuordnen), jedweder Humanismus vorweisen kann, mit dem Ziel, von jenem auch nur in irgendeiner Form als Antithese (Gegenbehauptung) wahrgenommen zu werden (nicht vom Neo-Liberalismus, der kann nichts wahrnehmen, wohl aber von einzelnen Menschen, die diesen - noch - vertreten). Die Geschichte der Philosophie belegt sehr deutlich (nur die Vergangenheit!), daß gewisse (in der Geschichte immer zunächst verborgene) Strömungen erst einer genau bestimmbaren Positionierung (z.B. der veröffentlichten Meinung) unterliegen müssen, um als zu behandelndes Thema ernst-, ja überhaupt wahrgenommen zu werden (mit einer entsprechenden Buchbesprechung könnte der Ktitiker dazu beitragen). Es war, Joseph Agassi zufolge, "keiner der Positivisten gegen die Theologie, bevor der Atheismus öffentlich verteidigt worden war." 1 (Auch früher gab es unbequeme Denker, Ketzer, aber heute ist es wesentlich ungefählicher, ungewohnte Gedanken zu verbreiten. "Man darf nicht erst die Aussichten bewerten und daraufhin beschließen, ob man was tun soll oder nicht. Sondern umgekehrt, man muß die Pflicht und die Verantwortung erkennen und so handeln, als ob eine Chance da wäre, sogar, wenn man selber sehr daran zweifelt." Hans Jonas, Philosoph (1904-1993))

Daß es sich hier um zwei, respektive (beziehungsweise) drei nahezu gleichwertige wissenschaftliche Positionen (Ansichten) handelt (nämlich ...), die in dieser Form etwa in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts annähernd zum selben Zeitpunkt ins Rampenlicht treten (bzw. getreten werden), relativiert die Intentionen Kuhrs umso mehr, als in seinem Fall der eine der gedachten Pole, die antihumanistische (nicht menschlichkeits-orientierte), nur zu einem geringen Teil wissenschaftlich orientierte Gegenwelt, in einem kaum zu überbietenden globalisierten (weltweit) Maximum (Höchstmaß) ihre Reich- und Tragweite definiert (festgelegt) zu haben scheint (dieser Schein kann entmutigen oder herausfordern, je nach ethischer Einstellung).

Um jedoch einem Schopenhauerschen (Philosoph 1788-1860) Pessimismus (Schwarzseherei) in aller Form entgegenzutreten, soll der Humanismus, den Rudolf Kuhr vertritt und auch lebt, als Idealoption (Vorbildwahl) den weiteren Gedankengängen Pate stehen - Der paradigmatische (beispielgebende) Begriff der "Utopie" wird wegen seiner ethymologischen (herkünftlichen) Bedeutung als "Nicht-Ort" bewußt vermieden.

Die zu behandelnden Probleme liegen nicht bloß in der zu hinterfragenden gesellschaftlichen Position des Kuhrschen Humanismus, sondern auch und vor allem in dessen eigenem, inhärentem (innewohnenden) Anspruch: "Es wird not-wendig sein, die innere Sicherheit, die Identität nicht länger in kindischer oder beinahe pubertärer Weise in religiösen, ethnischen oder materialistischen Abgrenzungen und Trennungen wie Christentum, Judentum, Deutschtum, Wirtschaftswachstum usw. zu suchen, sondern in mündiger Weise im alle Menschen dieser einen Welt vereinenden Menschentum zu sehen, im Ideal des Humanismus als einer allem anderen übergeordneten geistigen Orientierung." (S.23) (Das Motto und ein Satz vor dem Zitat auf S.23 würde einiges erklären: "Verbessere ein Stück Welt - dich selbst! Dieses Motto wird künftig mehr berücksichtigt werden müssen, wenn es um die Heilung der Welt geht." Und auch die nachfolgenden Sätze des zitierten Absatzes gehören erklärend dazu.) Der Humanismus soll (kann, - ein Humanist macht eher Angebote) hier als weltumspannende Einheit nicht nur sämtlichen Religionen und Weltanschauungen gegenüberstehen, sondern diese in sich aufsaugen (keineswegs, er kann vielmehr dazu anregen, eine Wandlung zu vollziehen, weg von mystischen, hin zu rationalen Inhalten, wenn eine menschliche Weiterentwicklung angestrebt wird) und damit für obsolet (veraltet) erklären (letzteres wäre mehr Aufgabe der Aufklärer). Ist Kuhrs Positionierung des Humanismus oben als Idealoption axiomatisiert (eher vorgeschlagen) worden, so stellt dessen Absolutierung (Bevorzugung) in ihrer Irrationalität (Vernunftwidrigkeit) (oder hohem Anspruch) sehr wohl eine Utopie im ursprünglichsten Sinn des Wortes (1. Beschreibung erdachter künftiger idealer (gesellschaftlicher) Zustände, 2. die Realität vernachlässigendes Denkmodell, Wunschbild; als unrealistisch angesehener Plan für die Zukunft, (umg.) Hirngespinst) dar (oder Vision und große Herausforderung . Ein Buchtitel von Erich Fromm lautet: 'Humanismus als reale Utopie' 9). Es handelt sich um eine Weltanschauung, die jegliche Divergenz (Abweichung) im Sinn der Hegelschen Synthese (Zusammenfügung) (welcher?) aufheben zu können glaubt (aufzuheben scheint) und deren Versuch, eine beträchtliche Anzahl neuronaler (nervlicher) Verbindungen zwischen dem eigenen Punktekatalog und jenem der zu überzeugenden Seite (z.B. die bestehenden Gemeinsamkeiten und Ziele) zu schaffen (zunächst einmal bewußt zu machen), jeglichen Realitätssinns entbehrt (bzw. heute noch vielen kaum vorstellbar erscheint. "Es ließe sich einwenden, daß es utopisch ist, von normalen Menschen zu erwarten, ... sich hinreichend um den Zustand der Welt zu kümmern. Das hat es in der Menschheitsgeschichte tatsächlich noch nie gegeben - aber das heißt nur, daß es noch nie nötig war." 11 ).

So sind etwa bestimmte, der humanistischen Intention unverständliche (durchaus nicht, wohl aber als inhuman anzusehende) funktionale (zweckerfüllende) Riten (wiederkehrende Abfolge von Handlungen) innerhalb gewisser indigener (einheimischer) Sozialisationen (Anpassungsprozesse von Menschen in bzw. an die Gesellschaft) anzutreffen, bei deren Trägern jegliches Verbot (solches würde einer humanistischen Intention widersprechen, allenfalls ein Denkangebot. Daß hier an ein Verbot gedacht wird ist bemerkenswert, es unterstreicht die Wichtigkeit einer humanistischen Orientierung zunächst einmal bei uns) nicht nur auf Unverständnis stoßen, sondern deren Zusammenhalt in höchstem Maß gefährden würde (warum so wenig Vertrauen in die Entwicklungsfähigkeit indigener Menschen? Gibt es nicht Zusammenhalt bei solchen, die vormals Menschen verspeisten? Welch eine ethische Orientierung, die Tradition über Menschlichkeit stellt!). Über das Todesverständnis der Jivaros berichtet Elias Canetti: "Der Kitt, der sie zusammenhält, ist die Blutrache oder eigentlich der Tod. Es gibt keinen natürlichen Tod für sie; wenn ein Mensch stirbt, hat ihn der Feind aus der Ferne verzaubert. Es ist die Pflicht der Angehörigen, herauszufinden, wer für den Tod verantwortlich ist und diesen am Zauberer zu rächen. Jeder Tod ist also Mord, und jeder Mord kann nur durch einen Gegenmord gerächt werden." 2 (Hier wären wohl eher Menschenrechtler (UNO) zuständig, wie z.B. auch bei Beschneidungen.)

Doch auch wenn man den Bereich der Ethnologie (Völkerkunde) verläßt und einen größeren Zusammenhang als Untersuchungsobjekt absteckt, wird man auf ähnliche Umstände stoßen, deren Bewußtsein von Inhumanität jedoch den der Indigenas (Eingeborenen) um ein vielfaches übersteigt. So zeigt der Handel mit Ländern aus der dritten Welt deutlich, wie sehr gerade jene Interessen im Vordergrund stehen, die das Gefüge des Kapitalismus auszubauen helfen. Die Entstehungszeit des folgenden Textes des sozialistischen Autors Josef Hindels - etwa 1969/70 - könnte Kuhr freilich ein weiteres Argument dafür liefern (und liefert es schon vielen anderen, z.B. 'Attac', 'Transfair', GLS Gemeinschaftsnbank e.G' ...), warum in der unmittelbaren Gegenwart ein möglicher Punkt des "Umdenkens" wahrgenommen zu werden hat, bedenkt man, daß dieser dreißig Jahre alte Text nur in Ansätzen eine Vorahnung des gegenwärtigen Trust- und Konzernwesens aufzuweisen hat. Hindels schreibt, "daß die industrialisierten kapitalistischen Länder 1962 108 Währungseinheiten pro Tonne importierte Produkte zahlten, für die sie 1950 100 Währungseinheiten aufbringen mußten, daß sie aber 1962 für eine Tonne ihrer Exporte 119 Währungseinheiten gegenüber 1950 100 erhielten. Sie sind also die Gewinner. Dagegen bekommen die Länder der Dritten Welt, die 1962 pro Tonne Import 108 Währungseinheiten zahlten gegenüber 1950 100, anstatt 100 nur noch 96 Werteinheiten pro verkaufte Tonne. Sie sind die Verlierer." Die dieser Entwicklung zugrundeliegenden "terms of trade" (Handelsbedingungen) können für die unmittelbare Gegenwart noch ganz andere Zahlen bereitstellen, deren Abrufbarkeit durch den technischen Standard sämtlicher Medien zu jedem Zeitpunkt gesichert ist (hinzu kommen die Geschäfte mit Öl und Waffen unter Mitwirkung von Politikern und Geheimdiensten). Welchen Stellenwert nehmen demgegenüber jene drei "grundlegenden Bereiche" (S.28) des Menschen ein, von welchen der zweite die "Erwerbstätigkeit zum Lebensunterhalt soweit erforderlich" als Forderung postuliert (fordert), bei deren Erfüllung das System des Kapitalismus in sich zusammenbrechen müßte. (Würde wohl der Kritiker, wenn z.B. eine Erbschaft ihn bis an sein Lebensende versorgte, noch einer Erwerbstätigkeit nachgehen, um den Zusammenbruch des Kapitalismus zu verhindern? - Daß auch hier der erste, 'Persönlichkeitsentwicklung' und der dritte Bereich 'Dienst an der Mitwelt' nicht erwähnt werden zeigt die Notwendigkeit der Beschäftigung mit einer humanistischen ethischen Orientierung.)

Auch im global-religiösen Bereich sind zahlreiche Strukturen zu finden, die einem Humanismus - welcher Art auch immer - diametral (gegensätzlich) gegenüberstehen. So gibt es innerhalb des Islam verkrustete Strukturen, die aufgrund ihres Machtzuwachses den religiösen Gehalt sufistischer Traditionen immer stärker zu überlagern scheinen, in ihrer Koran- und Scharia-gläubigen Rigidität (Unnachgiebigkeit) antihumanistische Weltanschauung par excellence (beispielhaft?) präsentieren und dieselben obendrein als solche titulieren (benennen). So bekundet der sudanesische Moslem Hasan al Turabi im Juni 1989 in Khartoum: "Diejenigen, die für Menschenrechte eintreten, übersehen, daß dies ein fremder Import ist, der uneingeschränkte Libertinage bedeutet" 3 (Um so dringender wäre es, zunächst hier bei uns eine humanistische Orientierung einzuüben, zu präsentieren und dafür einfühlend und überzeugend zu werben. Welche Aufgaben hier noch auf uns warten beschreibt der Neurologe Herbert James Campbell: "Es besteht sehr wenig Hoffnung, die Mängel unserer Gesellschaft rasch zu beseitigen, wenn nicht jeder einzelne seine eigenen Motive, seine Lebensweise und seine gesellschaftsorientierte Mitarbeit einer gründlichen Kritik unterzieht. Selbsterkenntnis ist (jedoch R.K.), wenn sie offen und ehrlich geschieht, eines der stärksten Mittel um Unlust hervorzurufen. Solange diese Selbsterkenntnis nicht als Mittel eingesetzt wird, die Lebensweise zu ändern, was an sich bereits lustvoll ist, kann sich niemand als »reif« betrachten, weder in geistiger noch in sozialer noch in neurophysiologischer Hinsicht." 10)

Der Humanismus sieht (hätte, er kann nicht sehen) innerhalb dieser Strukturen in seiner Funktion als Außenseiter somit nur noch die Möglichkeit, mit speziellen, aber irrationalen, (dies würde ein im Humanismus enthaltenes Sicherheitsventil verhindern) weil systemsprengenden Mitteln seiner Weltanschauung zum Durchbruch zu verhelfen, so er, im Sinn Rudolf Kuhrs, "unteilbar" und "weltumfassend" sein möchte (er ist es bereits, wenn auch überwiegend latent bzw. als christlich oder anderweitig bezeichnet, genauso wie jeder Mensch ein Teil der Natur ist, wenn auch den meisten nicht bewußt): "Dass die meisten Ideologien als 'Ismen' erscheinen, ist für viele schon ein Grund zu ihrer Ablehnung. Hier wird verallgemeinernd die Form über den Inhalt gestellt und übersehen, dass '...ismen' oft nur auf eine geordnete Struktur hinweisen, wie beispielsweise beim Kubismus oder Rheumatismus. Selbst ein Dogmatismus oder ein Fundamentalismus verlieren ihren negativen Charakter, wenn ihr Inhalt humanistisch ist." (Ein humanistisches Dogma könnte sein: Achte deine Mitwelt und dich selbst. Ein humanistisches Fundament: Der Mensch ist ein Kultur- und Naturwesen.) (S.41) Spätestens an diesem Punkt beginnt das Gebäude aus seiner gespannten Rigidität (Unnachgiebigkeit) (es ist wohl eher eine zwingende Logik) heraus brüchig zu werden. "Wer Spekulationen über das Ganze nur für gerechtfertigt hält, wenn sich diese Spekulationen identisch in die Lebensrealität möglichst vieler Menschen übertragen lassen, muß selbst dann totalitär werden, wenn er nichts anderes wollte, als gegen die beschränkte und schlechte Realität den denkbar menschlichsten Lebensentwurf durchzusetzen, um das Glück der Menschheit zu befördern. Totalitarismus ist fast immer Tugendterror." 4 (Universalität oder auch Universalismus dürfte hier ebenfalls zutreffen und die Humanität nicht gefährden. Zur Trennung und Verselbständigung von Begriffen: "Für uns ist Spiritualität in das tägliche Leben eingebettet, nicht von ihm getrennt. Deshalb ist es nötig, die Spiritualität wieder auf die Erde zurückzuholen." 11)

Was den religiösen Aspekt anbelangt, bedeutet er für Kuhr "nicht mehr als Rückbindung, geistige Rückbindung des Menschen (...) an die menschliche Gemeinschaft, an die Natur, an das Weltganze, weil der Mensch im Gegensatz zum Tier durch seinen Geist von diesem Ganzen getrennt ist." (S.86) In der begrifflichen Erfassung einer ganzheitlich orientierten Sichtweise durch die Gemeinplätze "das Weltganze", (Das Weltganze ist aus humanistischer Sicht kein Konstrukt (gedankliche Erfindung, haltlose Spekulation), sondern das real existierende Ganze der für Menschen erkennbaren und nicht erkennbaren materiellen und geistigen, belebten und unbelebten Welt vom kleinsten Teil bis hin zum gesamten Kosmos, All oder Universum. Es ist das reale Umfeld, die Lebensgrundlage der Gesamtheit der Menschen. Die Menschheit ist wiederum realer Teil des Weltganzen. Diese geistige und emotionale Verbundenheit zwischen Individuum und dem Weltganzen ist meine Sicht von humanistischer Religion oder Rückbindung oder Ideologie oder Weltanschauung oder wie man es sonst noch nennen mag.) sowie "die Natur" erhellt (was wird erhellt?) ein weiterer Problembereich des Kuhrschen Humanismus und der in diesen Kontext freilich integrierten "menschlichen Gemeinschaft" (soziales Umfeld oder Gesellschaft, Art ...). Korrespondiert (entspricht) ersterer dem theologischen Vokabular (Wortschatz), innerhalb dessen er dem kata holos (umfassend, allgemein, alle betreffend) des Heiligen Domenicus oder des Unfehlbarkeitsdogmas (hier wohl auf die Unfehlbarkeit eines Menschen bezogen?) Pius' IX. bedenklich nahe kommt, so spiegelt sich Kuhrs Naturbegriff, der den Menschen in seine allumfassende Gesamtheit einbettet, in der Anschauung F.J.Schellings wider. Dieser will die Natur in all ihrer "Tiefe" betrachtet wissen, "denn es wird (...)offenbar, daß dieselben Potenzen der Anschauung, welche in dem Ich sind, bis zu einer gewissen Grenze auch in der Natur aufgezeigt werden können. (...)" Es muß in der Natur eine idealistische Dimension enthalten sein, denn, so Schelling, "wenn unsere ganze Aufgabe die wäre, die Natur zu erklären, wir niemals auf den Idealismus wären getrieben worden." Bei Kuhr liest es sich so: "Das Un-heile in der Welt beginnt mit dem Menschen, und zwar mit jedem Menschen erneut bereits durch die Entwicklung seines Verstandes, der ihn, im Gegensatz zum Instinkt besitzenden Tier, von der ganzheitlichen Verbundenheit mit der Natur trennt." 5 Nicht nur, daß speziell seit Charles Darwin und Herbert Spencer diese Sicht als obsolet (veraltet) gelten darf, gerät die Polarisierung (Unterscheidung) von "Natur" und "Verstand" in ein äußerst fragwürdiges Licht, und das nicht erst seit "Der Geist als Widersacher der Seele" (1929-32), dem Hauptwerk jenes "Lebensphilosophen" Ludwig Klages, dem 1933 eine Gastprofessur an der Universität Berlin angeboten wurde. (Der Mißbrauch eines Gedankens muß diesen nicht grundsätzlich wertlos machen.)

Durch diese Gedankengänge ist keineswegs beabsichtigt, die humanistischen Intentionen Rudolf Kuhrs in die Nähe totalitärer Konstrukte (gedankliche Erfindung) zu rücken, da die praxisorientierte Arbeit der (für den Außenstehenden besser: 'seiner') Humanistischen Aktion in eine völlig konträre (gegensätzliche, andere) Richtung geht. Es muß jedoch erlaubt sein zu fragen, inwieweit die Verabsolutierung (eher wohl Konkretisierung oder Zurückführung auf seinen eigentlichen, wörtlichen Sinn) eines Begriffes einer intendierten praktischen Umsetzung desselben vonnutzen sein kann, wo doch Humanismus lediglich in interaktiven und somit überschaubaren Räumen überhaupt funktionieren kann, wie es die Aufzeichnungen über die praktisch-humanistische Tätigkeit auf der Homepage www.humanistische-aktion.de belegen. (Ähnlich ist es wohl mit den Begriffen Menschenwürde, Menschenrecht, Menschlichkeit, Frieden ..., welche einerseits jeden Einzelnen betreffen und andererseits gleichzeitig alle Menschen global verbinden.)

Reflektiert (spiegelt) man unter diesem Aspekt (Gesichtspunkt) erneut auf die abstrakte (losgetrennte) Ebene eines umfassenden Begriffs, so ist dem Philosophen Konrad Paul Liessmann durchaus rechtzugeben hinsichtlich der potentiellen (möglichen) Gefahr (für wen, für den Begriff, für das historische Konstrukt, für das Wohlbefinden des Historikers, für eine sinnvolle Anwendung?), den Begriff des Humanismus allzu stark zu verwässern (es ist wohl eher wie das Be-wässern und wieder zum Blühen bringen einer fast vertrockneten Wüstenrose), indem man ihn aus seiner, der sogenannten Wiedergeburt der Antike, der Anthropozentrierung, sowie der wachsenden Auseinandersetzung mit der mittelalterlichen Scholastik (Schulwissenschaft, Sammelbezeichnung für die abendländischen philos.-theologischen Lehren des Mittelalters, an Universitäten) entsprungenen geistesgeschichtlichen Tradition herausschält (Tradition ist nicht das Halten der Asche, sondern das Weitergeben der Flamme. Thomas Morus, Humanist 1478 - 1535): "Abgesehen von der Frage, ob die rhetorische Figur des Humanismus nur allzuoft eingesetzt wird, um (...) nackte Interessen der Politik ideologisch zu verklären, verwischt diese Rhetorik des Allgemeinmenschlichen auch die präzisen Bedeutungen, die der Begriff des Humanismus in der Geschichte der europäischen Zivilisation einmal hatte. Eine Erinnerung an diese Bedeutungsfelder kann dazu beitragen, die Sensibilität gegenüber einer allzu platten Verwendung des Humanismus und der Floskel der Humanität zu erhöhen." 6 (Es kann wohl nicht darum gehen, eine angenehme Erinnerung an einen geschichtlichen Begriff wie Humanismus, ebenso wenig wie z.B. an Jesus ehrfürchtig zu pflegen, sondern diesen uns neu zu erschließen und umzusetzen und jeden, der ihn nur rhetorisch verwendet, auf seine not-wendige Bedeutung als präzisen Maßstab für unser Handeln hinzuweisen. Der Begriff Humanismus kann den Begriff  Menschlichkeit in seiner Eigenschaft als Wert-Begriff verstärken, wenn die Einsicht in die Notwendigkeit und die Bereitschaft zur Einbeziehung der eigenen Person gegeben ist. "Vermutlich ist der Grund dafür, daß Menschlichkeit als Wert an sich so wenig beachtet wird der, daß der Begriff sehr unmittelbar - wenn auch unbewußt - das eigene Menschsein anspricht, was unbequem ist. Der Appell an so etwas wie Menschlichkeit verunsichert. Selbstreflexion wird möglichst vermieden, weil dies die verdrängten Schattenseiten des eigenen Ich berühren könnte. Menschlichkeit hat unterschwellig stets etwas Forderndes und zwingt den einzelnen in die Verantwortung. Wenn ich von Menschlichkeit spreche, entsteht sogleich die Frage, wie weit ich selbst in meinem Verhalten diesem Wert entspreche. Auf diese Weise fordert Menschlichkeit Mündigkeit, und Mündigkeit bedeutet eine kritische Distanz nicht nur zur Mitwelt, sondern vor allem auch zu sich selbst." (S.30) siehe auch S.80, 103 ...)

Diese wachsende Indifferenz (Gleichgültigkeit) würde jener praxisorientierten Arbeit in keiner Weise gerecht, da sie als rigides (starres) Konstrukt die humanistische Arbeit per se (von selbst, an und für sich) behindert. Die Forderung der französischen Strukturalisten (Strukturalismus: Eine Theorie oder Methode, die Strukturen zum Untersuchungsgegenstand hat) von Gaston Bachelard bis Michel Foucault, das wissenschaftliche System dann zu modifizieren (abzuwandeln), wenn neue Problemstellungen auftreten 7, könnte auch einem Humanismus, der die Nereus-artige (?) Polyvalenz (Wirksamkeit gegen mehrere Krankheitserreger) des Urbegriffs, der "humanitas" Ciceros, in seine praktische Arbeit miteinbezieht, neue Impulse verleihen. Es würde zu verhindern trachten, brüchige Strukturen, die in ihrer Indifferenz lediglich von ihren Gegnern verwertet werden können, einem dialektischen Arbeitsprozeß überstülpen zu wollen, dem so in kürzester Zeit in einem Prokrustes-Bett (Folterbett, quälende Zwangslage) zur ewigen Ruhe verholfen würde. (Was wollte uns der Kritiker damit sagen? Hierzu das Zitat eines Humoristen: " Goethe zu Schiller: "... soeben fiel mir ein, daß ich im 2. Teil meines 'Faust' einige Sätze zu stehen habe, die ich sofort ändern muß, weil sie der U n v e r s t ä n d l i c h k e i t entbehren! Bei einem Dichter meines Formats wirken nur u n v e r s t ä n d l i c h e Sätze verständlicherweise, selbstverständlich! ..." (aus Heinz Erhard, Die Entstehung der Glocke von Schiller in Noch'n Gedicht; Fackelträger 1963, S.17) Und noch eins: "Die nichtende Kraft des Nichts bewirkt kraft ihrer Kraft eine relative Entquantung des Seienden im reziproken Verhältnis der Seins-Kraft zur Kraft des Nicht-Seienden. - Merke: Was wir wissen, ist wenig, was wir nicht wissen, ist viel (Laplace)". H.Chilosa, Simplizissimus 1962)
 

  1. Joseph Agassi: Die Rolle der Metaphysik in Poppers Bild der Wissenschaft. In: Geschichte und Gegenwart.
    Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, Gesellschaftsanalyse und politische Bildung. 19. Jahrgang, Juni 2000, S.102

  2. Elias Canetti: Masse und Macht. Frankfurt/Main: Fischer, 1994

  3. Bassam Tibi: Im Schatten Allahs . Der Islam und die Menschenrechte. München: Piper 1994, S.43

  4. Bazon Brock: Der Hang zum Gesamtkunstwerk. In: Gesamtkunstwerk, hrsg. Von Harald Szeemann, 2001

  5. Friedrich Wilhelm Joseph Schelling: System des transzendentalen Idealismus. Vorrede.
    In: Schelling. Ausgewählt und vorgestellt von Michaela Boenke. München: dtv, 2001, S.147f.

  6. Konrad Paul Liessmann: Die bestialische Natur zu zähmen. In Die Presse, Spectrum 10./11. November 2001, S.1

  7. dazu im Besonderen Gaston Bachelard: La formation de l'esprit scientifique (1938), sowie Michel Foucault:
    Les mots et le choses (1966) vgl. dazu: Urs Marti: Foucault. München : C.H.Beck, 1999

  8. Hans A. Pestalozzi: Nach uns die Zukunft - Von der positiven Subversion. Kösel, München 1980

  9. Erich Fromm: Humanismus als reale Utopie - Der Glaube an den Menschen. Heyne, München 1992 Info

  10. Herbert James Campbell: Der Irrtum mit der Seele. Scherz, Bern 1973 Info

  11. Joel Kramer / Diana Alstad: Masken der Macht - Die Guru Papers. Warum Menschen bereit sind,
    sich einem Guru zu unterwerfen. Zweitausendeins, Frankfurt/Main 1995 Info
     

Mein Kommentar zur obigen Kritik

Mir geht es mit meinem Buch um ein Wachstum an Menschlichkeit, konkreter: an verantwortlichem Menschsein, als Grundlage zu einer ursächlichen Behandlung der gesellschaftlichen Probleme unserer Welt. Dazu braucht es eine geistige Orientierung mit einem entsprechend treffenden Begriff. In meinem Buch versuche ich zu begründen, daß z.B. der Begriff Menschlichkeit nicht ausreicht, weil dieser zu wenig orientierend ist, denn auch irren ist menschlich. Äußerst wichtig ist auch, daß der Begriff sich dazu eignet, das entsprechende Bekenntnis als wesentliche Voraussetzung für Verinnerlichung und Umsetzung der Idee zu benennen. Die Bezeichnungen Menschentum, Humanitas oder Humanität für die ethische Orientierung eignen sich hierzu beispielsweise weniger, wer möchte sich schon als Menschentümler, Menschist, als Humanitist oder Humanitast bezeichnen.

"Die Würde des Menschen in Struktur und Praxis". - Die Struktur der ethischen Würde besteht im Wesentlichen aus der Geisteshaltung und dem entsprechenden Verhalten. Es entspricht meines Erachtens eine Struktur eher der Würde des Menschen, welche eine Ganzheitlichkeit und Verantwortlichkeit enthält, die ein offensichtliches Bemühen um Weiterentwicklung fördert anstatt erschwert. In der Praxis würde dies so aussehen, daß bei aller notwendigen Kritik mindestens im gleichen Maße die gesellschaftliche Bedeutung einer Bestrebung als Ausgangs- und Bezugspunkt angemessen dargestellt und vermittelt wird. Die Praxis der Würde enthält aus humanistischer also ganzheitlicher Sicht z.B. bei einer Kritik stets auch die Wahrnehmung der eigenen Person mit ihrer Befindlichkeit und Motivation, so daß eine mögliche Instrumentalisierung des Objektes zum vorwiegend eigenen Nutzen oder auch Schutz erkannt und vermieden werden kann.

"Es gibt zwei Arten von Philosophie; eine künstliche und gelehrte,
die nur wenigen vorbehalten ist; und eine natürliche, menschliche,
welche alle gebrauchen können."
(Victor Cousin)

Ähnlich ist es mit dem Humanismus. Vom Wort her enthält er das wesentlich Menschliche und für den Ganzheitlichkeit anstrebenden Menschen folgerichtig auch das Streben nach größtmöglicher Annäherung an die Vorstellung und damit an die eigene Vervollkommnung - also Menschsein als Aufgabe. Dabei ist es letztlich zweitrangig, wann der Begriff von wem und wie verwendet wurde. Jeder denkfähige Mensch ist aufgrund des heute vorhandenen kollektiven Allgemeinwissens in der Lage, den Begriff Humanismus sinnentsprechend auszulegen und anzuwenden. Je freier dieser Mensch von fremdbestimmten Prägungen ist, um so mehr wird er Lust dabei verspüren, seine eigenen Grenzen zu erweitern, um sich dem Ideal anzunähern. Dadurch würde er einerseits die Sicherheit gebende Verbundenheit mit den übrigen Mitmenschen, und andererseits gleichzeitig die freie Entfaltung seiner eigenen Individualität ohne Verlustängste erleben. - Dringlichste Aufgabe humanistischer Arbeit ist es meines Erachtens, hierzu ein konkretes, realistisches Menschenbild zu skizzieren, zu diskutieren und umzusetzen.  

Eine Meinung zum Buch

Rudolf Kuhr wendet sich mit seinem Buch besonders an jene Leser, welche bereits das grundlegend Falsche an dem erahnen, was wir allgemein als gesellschaftliche Tradition, Kultur oder auch Gepflogenheit kennen.

Sein Buch bietet weniger streitbare theoretische Gedankengänge als ganz praktische Fragen zu völlig alltäglichen Situationen und Umständen. Das macht dieses Buch attraktiv für eine breite Leserschicht.

In einer Vielzahl von kurzgefaßten Artikeln wird eine weite Palette von vordergründigen Selbstverständlichkeiten thematisiert und dabei geschickt hinterfragt. Damit haben Leser jeglicher Herkunft, durch einfache Worte angesprochen, selbst die Möglichkeit, weiter zu denken. Ganz und gar unaufdringlich wird eine Arbeit am eigenen Selbst(verständnis) begonnen oder bestätigt und weitergeführt, je nach persönlichem Ausgangspunkt.

Mit der Arbeit am eigenen Selbst zielt der Autor weder auf dogmatisches Bekehren noch ein trennendes Ideologisieren. Er stärkt allein den humanistischen Gedanken des Weges, der bereits das Ziel ist. Ohne jegliches Polarisieren eröffnen sich dadurch klare Entscheidungen, die einem Wachstum an verantwortlicher Menschlichkeit dienen, welches heute die Voraussetzung für ein globales Überleben zu sein scheint.

Dr. Wolfgang Fischer, München

Aus einem Wörterbuch

Humanismus [lat.] der, 1) allg. in fast allen Epochen der Geschichte anzutreffende Geisteshaltung, gleichbedeutend mit Humanität. 2) im MA. in Europa entstandene Bewegung, deren Ziel das Studium der Antike sowie die umfassende Bildung des Menschen war. Der mittelalterl. H. hatte seine Blüte im 12.Jh. in Frankreich und England. Im 14.Jh. bildete sich in Italien der die Neuzeit mitprägende Renaissance-H. (Dante, Petrarca, Poggio). Zur Beschäftigung mit dem röm. kam Seit dem 15.Jh. die mit dem grch. Schrifttum. Im 15.Jh. griff der Renaissance-H. auf Frankreich, Dtl. und Holland (Erasmus, Celtis, Hutten, Reuchin, Melanchthon) sowie England (T. Morus) über. 3) bei K. Marx philosophisch-polit. Ausdruck für das letzte Ziel des Kommunismus ("Realer H."). Humanist der, 1) Anhänger des H. 2) Kenner der alten Sprachen. humanistisch, 1) den H. betreffend. 2) altsprachlich.

humanitär, menschenfreundlich. h. Bestrebungen, Förderung des Wohles der Mitmenschen (Armenpflege, Krankenversorgung u.a.).

Humanität [lat.] die, i.w.S. die Summe alles rein Menschlichen i. Ggs. zum Tierischen, i. e. S. das voll entfaltete edle Menschentum, das in der harmon. Ausbildung der menschl. Kräfte und in der Herrschaft des Geistes über die eigenen Leidenschaften gründet und sich bes. in Teilnahme und Hilfsbereitschaft für den Mitmenschen, in Verständnis und Duldsamkeit für seine Lebensart äußert. In diesem Sinn ist H. bes. seit Lessing, Herder, Goethe, Schiller, W. v. Humholdt zum Inhalt einer der höchsten sittl. Ideen des Abendlandes geworden (H.-Idee). (Brockhaus 1985) 

Einige Zitate zur Problematik des Themas

"Wissenschaften entfernen sich im Ganzen immer vom Leben und kehren nur durch einen Umweg wieder dahin zurück.
...
Die Teile habt ihr in der Hand, allein es fehlt das geistige Band.
...
Wenn ihr's nicht fühlt, ihr werdet's nicht erjagen.
...
Wer das höchste will, muß das Ganze wollen, wer vom Geiste handelt, muß die Natur, wer von der Natur spricht, muß den Geist voraussetzen oder im stillen mitverstehen. (Maximen und Reflexionen)
...
Es ist nicht genug, zu wissen, man muß auch anwenden; es ist nicht genug zu wollen, man muß auch tun.
...
Wer immer strebend sich bemüht, den können wir erlösen.
...
Wahrheitsliebe zeigt sich darin, daß man überall das Gute zu finden weiß.
...
Es ist so angenehm, zugleich die Natur und sich selbst zu erforschen, weder ihr noch dem eigenen Geist Gewalt anzutun, sondern beide in sanfter Wechselwirkung miteinander ins Gleichgewicht zu bringen.
...
Weil die Lüge, wie Fettaugen, immer obenauf schwimmt, muß man auch die Wahrheit ständig wiederholen.
...
Alles opponierende Wirken geht auf das Negative hinaus und das Negative ist nichts. Wenn ich das Schlechte nenne, was ist da viel gewonnen? Nenne ich aber das Gute schlecht, so ist viel geschadet. Wer recht wirken will, muß nie schelten, sich um das Verkehrte gar nicht kümmern, sondern nur immer das Gute tun. Denn es kommt nicht darauf an, daß eingerissen, sondern daß etwas aufgebaut werde." (Goethe) "... so ist es doch nötig, über das Aufbauende hinaus Aufklärung und auch Kritik da zu betreiben, wo man sich andernfalls einer unterlassenen Hilfeleistung schuldig machen würde." (R.K.: Wachstum S.228)

Ich habe Leute gekannt von schwerer Gelehrsamkeit, in deren Kopf die wichtigsten Sätze zu Tausenden selbst in guter Ordnung beysammen lagen, aber ich weiß nicht, wie es zuging, ob die Begriffe lauter Männchen oder lauter Weibchen waren, es kam nichts heraus. In einem Winkel ihres Kopfes lag Schwefel, im anderen Kohlenstaub, im dritten Salpeter genug, aber das Pulver hatten sie nicht erfunden. (Georg Christoph Lichtenberg)

Wer weiterlebt wie bisher, hat nicht begriffen, was droht; es nur intellektuell zu denken, bedeutet nicht, es auch in die Wirklichkeit seines Lebens aufzunehmen. (Karl Jaspers)

Ich werde mich solange wiederholen, bis man mich verstanden hat. (Voltaire)

Wer den Hafen nicht kennt, in den er segeln möchte, für den ist kein Wind ein günstiger. (Seneca)

"Die echte Alternative zu Realismus und Utopismus erwächst aus dem Syndrom von Denken, Erkenntnis, Vorstellungsvermögen und Hoffnung. Dieses befähigt den Menschen, die vielen Möglichkeiten zu sehen, deren Keime bereits vorhanden sind.
...
Die Erweiterung der Selbst-Wahrnehmung, die Transzendierung des Bewußtseins und die Durchleuchtung der Späre des gesellschaftlichen Unbewußten wird dem Menschen die Möglichkeit geben, in sich die ganze Menschheit zu erleben.
...
Der Mensch hat die Aufgabe, seine Humanität zu entwickeln, und findet im Entwickeln dieser Humanität eine neue Harmonie. Die ist denn auch der einzige Weg, wie er sein Problem lösen kann: ganz zur Geburt zu kommen.
...
Der Mensch steht heute vor der Wahl: Entweder wählt er das Leben und ist zur neuen Erfahrung von Humanismus fähig, oder die neue "eine Welt" wird nicht gelingen.
...
Wenn das Leben keine Vision hat nach der man strebt, nach der man sich sehnt, die man verwirklichen möchte, dann gibt es kein Motiv, sich anzustrengen." (Erich Fromm)

Manche Menschen benutzen ihre Intelligenz zum Vereinfachen, manche zum Komplizieren.
(Erich Kästner, Schriftsteller (1899-1974)

Was nicht auf einer Manuskriptseite zusammengefaßt werden kann, ist weder durchdacht, noch entscheidungsreif. (Dwight D. Eisenhower, General (1890-1969)

In der Beschränkung zeigt sich erst der Meister, Und das Gesetz nur kann uns Freiheit geben.
(Johann Wolfgang von Goethe, Dichter (1749-1832)

Was du nicht sagen kannst, während du auf einem Bein stehst, so kurz - das ist nicht klar und wahr. (Ben Akiba )

Alles Große und Edle ist einfacher Art. (Gottfried Keller, Dichter (1819-1890)

Das Problem ist noch nicht gelöst: Viel zu wissen, und doch praktisch zu handeln.
Viel leichter handelt Einer, der weniger Wissen hat, aber dieses geordnet.
...
Das Richtige ist einfach. (Werner Kollath, Arzt (1892-1970)

Alles Tiefe ist zugleich ein Einfaches und läßt sich als solches wiedergeben, wenn nur die Beziehung auf die ganze Wirklichkeit gewahrt ist. (Albert Schweitzer, (1875-1965)

Nichts ist einfacher, als sich schwierig auszudrücken, und nichts ist schwieriger, als sich einfach auszudrücken. (Karl Heinrich Waggerl)

Alles was sich sagen läßt, läßt sich klar sagen. (Ludwig Wittgenstein, Philosoph (1889-1951)

Wissenschaft. - Einem ist sie die hohe, die himmlische Göttin, dem Anderen Eine tüchtige Kuh, die ihn mit Butter versorgt. (Friedrich Schiller)

Eine neue Idee muß gegen alte Ordnungen verstoßen, sonst ist sie eine alte Idee. (Wolfgang Fischer)

Man muß die Dinge sehen, wie sie sind, aber man muß sie doch nicht so lassen.  (Robert Lembke)

Die Begriffe, die man sich von was macht, sind sehr wichtig. Sie sind die Griffe, mit denen man die Dinge bewegen kann. (Bertolt Brecht, Dichter (1898-1956)

Begriffe sind geistige Werkzeuge, wenn sie stumpf werden, kann man sie nachschärfen.
Entscheidend für das Werk aber ist die Idee.

Der Ungebildete gebraucht die Fremdwörter verkehrt, denn er hat es nicht besser gelernt. Der Halbgebildete gebraucht die Fremdwörter richtig, denn er möchte sich ein Ansehen verschaffen. Der Gebildete gebraucht die Fremdwörter gar nicht, denn er beherrscht seine Muttersprache. (Gustav Wustmann: Allerhand Sprachdummheiten. Verlag: Walter de Gruyter, Berlin & Leipzig 1892 (Auflagen bis in die 50er Jahre)

Fremdwörter in der Muttersprache verraten entweder Armut oder Nachlässigkeit. (Immanuel Kant (1724 - 1804)

Der Kampf gegen die Fremdwörter ist keine bloße Angelegenheit der Sprachverschönerung, sondern der Kampf für die Genauigkeit des Denkens. (Ludwig Reiners: Stilkunst V, Irrwege und Seitenpfade)

Von nichts zuviel (Orakel von Delphi)  


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Mit freundlichen Empfehlungen
 
Humanistische AKTION
 
12/2002 


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25.06.12