Konfessionslos oder humanistisch?
Über Orientierungslosigkeit und
not-wendiges Bekenntnis Wer heute keiner der beiden großen Kirchen angehört, wird von den Behörden und Schulen meist als konfessionslos oder unter Verschiedene registriert. Die Konfessionslosigkeit ist in unserer Gesellschaft derzeit noch immer eine Minderheiten-Position, die wie für alle Minderheiten gewisse Schwierigkeiten wie Ausgrenzung und Ablehnung mit sich bringen kann. Besonders Kinder leiden darunter, wenn sie beispielsweise in der Schule gefragt werden: "Bist du evangelisch oder katholisch?", und sie dann gehalten sind, zu antworten: "Ich bin gar nichts". Und auch die Erwachsenen ohne Konfession nennen sich entweder Atheisten, Konfessionslose oder in seltenen Fällen auch schon mal Agnostiker. Eine solche Außenseiterposition kann leicht zu einer Art kindlicher Trotzhaltung gegenüber der Anpassung fordernden Umwelt führen, sie kann sogar zu einer masochistischen Märtyrerhaltung werden. Sie kann durchaus auch positiv erlebt werden, wenn die Persönlichkeit psychisch stabil genug ist. Wenn sich Konfessionslose aber als mündige Menschen und verantwortungsbewußte Demokraten sehen wollen, dann kann ein Nicht-Gottgläubiger, ein Glaubensloser, ein Nichtwissender oder ein Garnichts als negierende Bezeichnung nicht ausreichen. Ich denke, daß es sowohl für unser eigenes Selbstwertgefühl, als auch für das mitmenschliche Klima in unserer Gesellschaft sinnvoll ist, daß sich Konfessionslose nicht länger auf eine verneinende Haltung beschränken oder gar an einem religiösen Feindbild festhalten, sondern positive, weiterführende Orientierungen entwerfen, sie verinnerlichen und ins öffentliche Bewußtsein bringen. In Anbetracht der zunehmenden Orientierungslosigkeit in unserer Gesellschaft ist es dringend geboten zu sagen, was man will und nicht nur, was man nicht will. Es wird Zeit, daß Konfessionslose auf die Frage nach ihrem Glauben ganz spontan sagen können: "Ich bin Humanist". - Unsere Zeit braucht Humanisten statt Christen, Buddhisten, Moslems oder Marxisten, Kommunisten usw. Auch die Begriffe Liberaler, Freigeist, Freidenker oder freireligiös reichen meines Erachtens heute nicht mehr aus. Sie sagen zu wenig aus, wofür die Freiheit eingesetzt werden soll.
Liberalismus ist die Freiheit, keine Gesinnung zu
haben Der Begriff Humanist bezeichnet das, um was es letztlich geht, besser als alles andere und veranlaßt auch am ehesten, sich selbst mit in die Pflicht zu nehmen. Humanist ist zudem eine Bezeichnung, unter der im englischsprachigen Raum, auch in Holland und Skandinavien, die Freigeistigen und Konfessionslosen bekannt sind, und auch bei uns ist dieser Begriff im Kommen. Humanismus ist eine zeitgemäße Antwort auf die uralte religiöse Frage nach dem Sinn des Lebens. Humanität ist Menschlichkeit im umfassenden Sinn. Wer sich zum Humanismus bekennt, der bekennt sich dazu, die Menschlichkeit zu seiner übergeordneten Zielsetzung zu machen und sein Handeln stets damit in Übereinstimmung zu bringen. Sein Bekenntnis zum Humanismus veranlaßt ihn, menschenzentriert zu denken und zu handeln. Er muß nicht nach dem Leben Jesu oder Buddha forschen, er muß nicht im Jenseits sein Heil suchen, wenn er sich wieder orientieren will, er braucht "nur" hin und wieder zu fragen "was ist menschlich, verhalte ich mich menschenwürdig?". Der bewußte Humanist weiß um die Begrenztheit des menschlichen Erkenntnisvermögens und leitet seine Aufgabe in dieser Welt aus der ihn umgebenden Natur ab. Er kann so den Sinn des menschlichen Lebens in der optimalen Entfaltung seiner Persönlichkeit sehen, so wie in der Natur eine Blume sich gemäß ihren Anlagen und ihren Umweltbedingungen entfaltet. Diese Grund-Einstellung schließt sein Bemühen um eine intakte Umwelt in Form von Natur und menschlicher Gemeinschaft als Grundlage für seine Entfaltung ein. Aus dieser Erkenntnis ergibt sich für den Humanisten die zweiteilige Aufgabe: Arbeit an der eigenen Person und Dienst an der Mitwelt jeweils in dem Maße, daß beide Seiten in Verbindung bleiben. Der Humanist ist sich bewußt, daß Humanismus und Atheismus nicht gut zusammen passen. Gottesleugnung ist zum einen ein Widerspruch in sich (wie kann man etwas leugnen, das gar nicht existiert?), und zum anderen streng genommen ein unsoziales Verhalten, denn als Atheist mache ich vielen Menschen eine Vorstellung streitig, die sie selbst als wichtigen Teil ihrer selbst ansehen. Damit erreiche ich eher das Gegenteil von dem, was ich erreichen möchte, ähnlich der Mutter, die ihrem Kind einen bestehenden Schmerz auszureden versucht. Der Humanist versucht stattdessen zu verstehen, warum ein Mensch einen Gott braucht, ohne damit die Existenz Gottes für sich selbst und allgemeingültig anzuerkennen. Er gibt so dem menschlichen Gesichtspunkt gegenüber dem ideologischen den Vorrang. Genauso realistisch grenzt der Humanist die Religion nicht aus, sondern bemüht sich, die bei vielen Menschen bestehenden religiösen Bedürfnisse zu akzeptieren und psychologisch zu verstehen, denn religiöse Bedürfnisse sind überwiegend psychische Bedürfnisse. Religion ist besonders ein Gebiet der Gefühle, und mit Gefühlen umzugehen ist auch für den Konfessionsfreien nicht immer leicht. Nicht selten leiden sowohl er selbst als auch seine Mitmenschen unter seiner Gefühlsarmut. Der Humanist setzt voraus, daß in den meisten Fällen Religion fälschlicherweise mit Konfession gleichgesetzt wird und weiß, daß fast alle Probleme nur von der psychologischen Seite her zufriedenstellend gelöst werden können, weil sie in den Menschen selbst begründet sind. Im Grunde sind die religiösen Bedürfnisse bei den einen solche nach mehr geistig-existenzieller Sicherheit, bei den anderen mehr nach seelischer Geborgenheit, also beide Male im Gefühlsbereich gelegen. Kulturelle, politische und sportliche Veranstaltungen sowie Naturerlebnisse können religiöse Bedürfnisse auf der Gefühlsebene mehr oder weniger bewußt ebenfalls befriedigen. Religiöse oder konfessionelle Riten können im Extremfall sogar eine Art Streicheleinheiten für eine kindhafte Seele sein, so wie die Mutter dem Säugling durch Hautkontakt und Bewegung ein Gefühl der Geborgenheit vermittelt. Das Irreführende für den religiös Zweifelnden ist, daß z.B. selbst die tüchtigsten Naturwissenschaftler nicht davor gefeit sind, im Bereich der religiösen Gefühle auf dem Entwicklungsstand eines Kindes stehengeblieben zu sein. Wie ist es anders zu sehen, wenn Atomphysiker auf der Suche nach Erklärung der letzten Fragen wieder auf einen Gott zurückgreifen, anstatt diese vernünftigerweise offenzulassen, oder daß Theologen nicht erkennen, daß ethische Normen nicht von Gott kommen, sondern aus den Wünschen der Menschen nach Gerechtigkeit und einem sinnerfüllten Leben? Die seelische Reife hat da mit der intellektuellen offensichtlich nicht Schritt gehalten und eine Gespaltenheit hinterlassen, die nicht ohne Einfluß auf das Verhalten bleiben kann. Innere Ausgeglichenheit und Echtheit werden dadurch oft behindert. Für die menschliche Entwicklung unserer Gesellschaft ist es wichtig zu wissen, daß die derzeit vermittelten Schulkenntnisse für ein ganzheitliches Erwachsensein nicht ausreichen. Es fehlt heute allgemein an innerer Bildung, die jene Stabilität gibt, die es ermöglicht, als Erwachsener in sich selbst zu ruhen und auf einen Halt von außen, seien es Eltern, Idole, Ideologien, Gott oder andere Autoritäten oder Drogen, verzichten zu können. Das Bekenntnis zum Humanismus verpflichtet zum Streben nach Mündigkeit, nach Erwachsenwerden, nach psychischer Stabilität. Das bedeutet praktisch, zu den Schwächen zu stehen, unangenehme Gefühle nicht zu verdrängen, sondern zu integrieren, Ängste aufzudecken, zu üben, damit umzugehen, und nicht durch Aktivitäten zu kompensieren. Die Aufarbeitung der eigenen Kindheit gehört dazu. Der Mangel an psychischer Stabilität ist die Ursache aller menschlichen Probleme, angefangen bei Partner-Problemen, über Erziehungs-Probleme bis hin zu den kriegerischen Konflikten zwischen Völkern. Deshalb ist es höchste Zeit, daß nach den weltanschaulichen Experimenten endlich mit dem ganzheitlich verstandenen Humanismus eine Menschen-Anschauung zur Anwendung kommt. Die zunehmenden Spannungen in der Welt, die Konflikte im ehemaligen Ostblock, das umwelt- und menschenunfreundliche Verhalten in unserer Gesellschaft verlangen nach einem grundsätzlichen Umdenken. Sie verlangen nach geistiger Erneuerung und Weiterentwicklung, nach einer Orientierung an verantwortlicher Menschlichkeit. Ein neuer Ansatz kann gleichzeitig an zwei entgegengesetzen Positionen beginnen. Zum einen bei den Symptomen von Konflikten, da könnte z.B. anstatt, zumindest aber parallel zu einer militärischen Beteiligung an einer UNO-Eingreiftruppe eine psychologische Einheit gebildet werden, die mit Hilfe von Mediatoren, Psychologen, Journalisten und allen Mitteln der modernen Psychologie und Kommunitationstechnik arbeitet, um durch Aufklärung über Ursachen und Lösungsmöglichkeiten des Konfliktes zur Vermittlung und Entspannung beizutragen. Das würde übrigens besonders für uns Deutsche mit unseren geschichlichen Erfahrungen eine sinnvollere Art der Beteiligung sein. Der zweite Ansatzpunkt läge im individuellen Bereich, in jedem einzelnen von uns. Es wäre an der Zeit, daß wir die Motive zu unserem Handeln ehrlich hinterfragen und hinterfragen lassen. Wie hoch ist der Anteil an Selbstbestätigung, -gefälligkeit, -darstellung, an Pflichtgefühl, -bewußtsein, an Unterhaltungs-, Anerkennungsbedürfnis, daß ich tätig bin? Verhalte ich mich konstruktiv, dominierend, einfühlend, verletzend, offen? Welches Welt- und Menschenbild ist vorhanden? Bevorzugte Bildung der ethischen Kenntnisse und sozialen Fähigkeiten vor aller fachlichen Ausbildung wäre nötig, um einerseits Konflikten vorzubeugen, und andererseits Konflikte nachhaltig zu lösen. Ein Humanist wird immer ein Realist sein müssen, wenn er den Humanismus konsequent anwenden will. Aber auch er kann und sollte ein gläubiger Mensch sein, um positive geistige Kräfte auszustrahlen und an einer Stabilisierung der Gesellschaft mitzuwirken. Als Humanist kann er z.B. an das Gute im Menschen glauben, an seine Entwicklungsfähigkeit, an Gerechtigkeit, Demokratie u.s.w. Damit wäre er praktisch nicht mehr konfessionslos und würde sich durch sein Bekenntnis zum Menschentum taktisch weniger von seinen andersglaubenden Mitmenschen abgrenzen.
Humanismus ist ein Denken und Handeln, das sich
an der Würde des Menschen Konfessionslos? Nein, Humanist! Schaffen wir unter diesem eindeutigen Namen, der zugleich Weg und Ziel ist, eine gesellschaftliche Kraft, bevor es zu spät ist. Aus Feinden Gegner, aus Gegnern Partner, aus Partnern Freunde werden lassen, das wäre ein Motto für Humanisten. Während sich die Menschen mit Christentum, Judentum, Deutschtum und anderen Ideologien voneinander abgrenzen, vereint der Humanismus als Menschentum alle Menschen unserer einen Welt und ermöglicht eine sinnvolle menschenorientierte Lebensgestaltung. Erarbeiten wir uns einen humanistischen Leitfaden zur eigenen Orientierung im Dasein. Die Orientierung bedarf einer zeitweiligen Überprüfung, wenn sie aktuell bleiben soll. Ein Leitfaden kann diese Überprüfung erleichtern. Er kann auch die Verständigung mit anderen Menschen fördern und Suchenden eine Alternative zu den jenseitig orientierten Konfessionen bieten. Wer arbeitet daran mit? Rudolf Kuhr
weitere Texte zum Thema Humanismus 11/1994,2
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Aktualisiert am 13.11.11