Menschenbild
Ein Versuch
Das Problem des Menschen in dieser Welt ist der Mensch - und seine
Lösung.
In letzter Zeit ist öfter mal der Begriff vom 'Menschenbild' zu lesen
und zu hören. In Wörterbüchern dagegen ist er so gut wie nicht
zu finden. Es scheint so, als würde sich das allgemeine Bewußtsein
vermehrt den Ursachen von Problemen zuwenden. Dies ist eine erfreuliche
Erscheinung, denn die Behandlung von Symptomen ist auf die Dauer nicht nur
zu teuer, sondern gewissermaßen auch menschenunwürdig. Nachfolgend
soll in verhältnismäßig wenigen und einfachen Worten der
Begriff Menschenbild anschaulich und anwendbar gemacht werden.
Der Mensch ist ein Teil der Natur, mit der Einschränkung, daß
er mit dieser nicht mehr ganzheitlich verbunden ist. Durch seinen Verstand
ist er geistig von der Natur getrennt. Damit hat es als einziges Lebewesen
die Möglichkeit, seine natürlichen Lebensgrundlagen und seine eigene
Art zu zerstören.
Der Mensch ist ein soziales Wesen, er wird ohne Mitmenschen nicht zum Menschen.
Er ist nicht einmal im Stadium eines Tieres lebensfähig, da ihm die
wesentlichen Instinkte fehlen. Die stärksten Triebe des Menschen sind
der Selbsterhaltungstrieb und der Fortpflanzungstrieb. Andere Triebe wie
Pflegetrieb, Forschungsdrang, Abgrenzung, Rivalität, Aggression,
Geltungsdrang usw. gehen auf die beiden Haupttriebe zurück und sind
teilweise grundlegend unterschiedlich auf die Geschlechter verteilt. Aus
der mangelnden Kenntnis dieser Unterschiedlichkeit sowie aus der allgemeinen
Unkenntnis der naturgegebenen Triebe entstehen viele gesellschaftliche
Mißverständnisse, Probleme und Konflikte.
Eine weitere wesentliche Ursache für Konflikte sind geistige
Lebenseinstellungen, die nicht ganzheitlich und konsequent wahrhaftig
ausgerichtet sind und irreale Vorstellungen enthalten. Eine logische
Begründung der Lebenseinstellung anhand der erkennbaren Realitäten
ermöglicht eine Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Lebens. Da ein
absoluter Sinn für den Menschen nicht erkennbar ist, bleibt als wahrhaftige
Antwort nur die Anerkennung dieses letzten Nichtwissens und die anschauliche
Natur als grundsätzliches Vorbild. Das ungefragte Entstehen und Vergehen
des Lebendigen mag für viele eine unbequeme Tatsache sein, ein Akzeptieren
ist dennoch die sinnvollste Einstellung, weil sie am ehesten einen realistischen
Umgang damit ermöglicht.
Mit einem Be-kenntnis zu einer Lebenseinstellung gibt der Mensch sein
Selbst-verständnis und seine Lebens-orientierung zu er-kennen. Das
Bekenntnis ist eine Bekanntgabe und Einladung zu entsprechendem
uneingeschränktem oder eingeschränktem Austausch. Aus einem
christlichen Bekenntnis läßt sich beispielsweise ableiten: Hier
besteht eine Orientierung an einem Christus, an einer teils geschichtlichen,
teils ideellen Führer-Persönlichkeit. Aus einem humanistischen
Bekenntnis läßt sich ableiten: Hier besteht eine Orientierung
an verantwortlicher Menschlichkeit. Der Unterschied liegt in einer indirekten
und einer direkten Form der Orientierung. Ein christliches oder sonstiges
Bekenntnis oder eines zur Bekenntnislosigkeit läßt nicht schon
die Bereitschaft zum Hinterfragen und der Arbeit an der eigenen Person erkennen,
bei einem humanistischen Bekenntnis hingegen kann dies vorausgesetzt und
nötigenfalls auch angemahnt werden. Ein weiterer wesentlicher Unterschied
liegt in den Gegensätzen von Abgrenzung und Universalität. Die
Zunahme an Globalisierung einerseits und damit an Konflikten und Gewalt
andererseits lassen ein universales Menschenbild als not-wendig erscheinen.
»Behauptungen zur
Psychogenese«
Herbert James Campbell
-
Zur Zeit der Geburt existiert der Geist noch nicht.
-
Ohne sensorische Einwirkung kann der Geist nicht erscheinen.
-
Persönlichkeit und individuelles Verhalten sind keine Eigenschaften
des Gehirns, die sich automatisch durch Ausreifen der Nervenzellen entfalten.
Es sind vielmehr erworbene Funktionen, die gelernt werden müssen.
Deshalb hängen sie wesentlich von aufgenommenen sensorischen Reizen
ab.
-
Sinn der Erziehung ist nicht das Enthüllen individueller Geistesfunktionen,
sondern ihre Schöpfung, ihre Entfaltung.
-
Symbole aus der Umwelt werden physikalisch so innerhalb des Gehirns eingegliedert
wie molekulare Veränderungen in der Struktur der Nervenzellen.
-
Der Mensch ist nicht frei geboren, sondern ist Erbanlagen und Erziehung
untertan.
-
Persönliche Freiheit wird weder vererbt noch von der Natur geschenkt.
Sie ist eine der höchsten zivilisatorischen Errungenschaften, die
Bewußtsein, intellektuelle und gefühlsmäßige Schulung
erfordert, um Alternativen, die die Umwelt bietet, zu verarbeiten sowie
vernünftig und bewußt zwischen ihnen zu unterscheiden.
-
Erziehung sollte nicht autoritär sein, weil dadurch die geistige
Beweglichkeit eingeengt und schöpferisches Tun behindert wird. Konformes
Verhalten oder übermäßige Ablehnung und offener Widerstand
sind die Folge. Erziehung sollte aber auch nicht antiautoritär sein,
weil sich dann andere Automatismen entwickeln, die durch bestimmte rein
zufällige Umwelteinflüsse zustande kommen.
Herbert James Campbell: Der Irrtum mit
der Seele, Scherz-Verlag
|
Lebensgestaltung
Eine verantwortliche und sinnvolle Lebensgestaltung enthält drei
grundlegende Bereiche:
-
Auseinandersetzung mit dem eigenen Selbst zur
Persönlichkeitsentwicklung und -stabilisierung
-
Erwerbstätigkeit zum Lebensunterhalt soweit erforderlich
-
Dienst an der Mitwelt zur Erhaltung der Lebensgrundlagen und zur
Sinnerfüllung
Diese drei Bereiche können sich teilweise überschneiden und in
ihrem Ausmaß variieren, keiner soll aber einen anderen mehr als nötig
beeinträchtigen.
Zu 1.: Zur Persönlichkeitsentwicklung gehört Selbsterkenntnis,
Lebenserfahrung und Ziel-Orientierung.
Selbsterkenntnis erfordert Kenntnis der eigenen Geschichte (Kindheit)
und die Fähigkeit zum Hinterfragen und Hinterfragenlassen der eigenen
Eigenschaften, Verhaltensweisen, Einstellungen und Werte.
Lebenserfahrung erfordert praktische Kenntnis gesellschaftlicher
Lebensstrukturen (Partnerschaft oder Familie, Arbeit, Eigentum etc.).
Ziel-Orientierung erfordert ein eigenes Weltbild, eine Vorstellung
vom Sinn des eigenen Lebens eigene Werte und Ideale.
Zu 2.: Die Erwerbstätigkeit ist sinnvoll, wenn sie im Umfang
über die persönliche Bedarfsdeckung nicht hinausgeht und vom Inhalt
her möglichst ökologisch oder humanitär ausgerichtet ist.
Zu 3.: Der gemeinnnützige Dienst an der Mitwelt ist ein
Bedürfnis mündiger Menschen und umfaßt Natur und Mitmenschen,
nah und fern.
*
Mündigkeit
Wesentliche Kriterien der Unabhängigkeit, Eigenständigkeit,
Selbstbestimmtheit
Mündigkeit bedeutet
-
mehr als nur Volljährigkeit. Mündigkeit heißt, eine kritische
Distanz nicht nur zu
seiner Mitwelt, sondern vor allem auch zu sich selbst zu haben, für
sich selbst voll-
und für seine Mitwelt mitverantwortlich sein zu können und zu wollen.
-
seine Identität in sich selbst und in der Verbundenheit zur Mitwelt
zu haben und
nicht durch Identifizierung mit Objekten außerhalb der eigenen Person
zu suchen
-
sich selbst zu hinterfragen und hinterfragen zu lassen
-
Kritik nicht nur zu ertragen, sondern auch zu wünschen
-
einen veränderbaren, nichtresignativen Agnostizismus zu vertreten
-
Irrtümer, Fehler, Ängste, Unfähigkeiten, sich selbst und anderen
eingestehen zu können
-
sich seiner Fähigkeiten, Grenzen und Motivationen bewußt zu sein
-
konstruktiv, vorbildlich, verbindlich zu sein
-
die ichbezogenen und selbstlosen Anteile meines Strebens zu unterscheiden
-
Risiken einzuschätzen und die Realität nicht zu verdrängen
-
nicht mehr auf der Suche nach dem großen Glück zu sein, es von
außen zu erwarten
-
offen und kritisch gegenüber neuen Erkenntnissen zu sein
-
zu versuchen, sich selbst zu erkennen, zu akzeptieren, und den eigenen
ständigen Wandlungsprozeß bewußt und aktiv mitzugestalten
-
Gefahren von sich und anderen entschlossen abzuwehren
-
sich keiner persönlichen oder ideellen Autorität unterzuordnen
außer
der einer verantwortlichen Menschlichkeit
-
Möglichkeiten zu konstruktivem Handeln zu suchen und zu nutzen
-
aus Feinden Gegner, aus Gegnern Partner, aus Partnern Freunde werden zu lassen
-
den Sinn des Lebens zu erkennen, und das eigene Leben sinnvoll zu gestalten.
Kriterien der Unmündigkeit
Unmündigkeit ist
-
das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu
bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache
derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung
und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen (Immanuel
Kant).
-
Glaube an Übersinnliches, Okkultismus, Anbetung von Göttern und
Fetischen
-
Personenkult Identifikation mit Film-, Sportstars, erfolgreichen Personen,
mit Gruppierungen, abgrenzenden Ideologien
-
Unterwerfung gegenüber Doktrinen, Organisationen, Personen
-
politisches Desinteresse, Ablehnung der Demokratie,
-
Neid, Mißgunst, Haß, Feindbild, Rassismus
-
Ungerechtigkeit, Ausbeutung, Gewalt gegen Schwächere
-
Kritiksucht, Destruktivität, allgemeine Antihaltung, Nihilismus
-
Festhalten an überholten Traditionen
-
Mitleid, mitzuleiden anstatt Mitgefühl zu empfinden
-
Abhängigkeit von materiellen und geistigen Drogen
-
Angst vor Psychologie, vor dem Unbewußten und Verdrängten
Über das Wesen des
Menschen
nach Ruth C. Cohn (TZI)
Jeder Mensch hat einen einmaligen Platz in der Welt. Er ist ein autonomes
Wesen, nimmt diese Autonomie aber nur unvollständig wahr. Wird er dazu
fähiger, empfinden viele Menschen das als Gesundung.
Der Mensch ist ein ganzheitliches Wesen, das in seiner Leiblichkeit. im Denken,
Fühlen und Handeln eine Einheit ist. Oft sind die Bereiche voneinander
getrennt, aber viele erleben es als Gesundung, wenn sie ihren Leib wieder
besser wahrnehmen können, und wenn alle geistig-seelischen Fähigkeiten
im Einklang miteinander stehen.
Der Mensch ist ein Wesen, das in ununterbrochener Beziehung zu anderen steht,
auch wenn er sich zeitweilig zurückgezogen hat. Er empfindet es als
Gesundheit, wenn er diese Beziehung - als autonomer und zugleich interdependenter
(voneinander abhängiger) Partner - voll leben kann.
Der Mensch ist ein verantwortliches Wesen, das auch zu verzichten bereit
ist, sofern seine Bedürfnisse von den anderen wahrgenommen und anerkannt
werden. Diese Verantwortung richtet sich auf die Selbstverwirklichung,
auf andere Menschen und schließlich auf die Aufgabe, die der
Mensch in der Welt zu erfüllen hat. Verantwortliches Denken
berücksichtigt somit das "Ich", das "Wir" und das "Es". Viele empfinden
es als Stärkung ihrer seelischen Gesundheit, wenn sie fähiger zu
dieser Verantwortung werden.
Der Mensch ist ein geschichtliches Wesen. Er lebt in der Spannung von
Vergangenheit und Zukunft und hat sich in der Gegenwart zu bewähren.
Gesund ist er, wenn er seine Vergangenheit integrieren, seine Erfahrung in
die Gegenwart herein nehmen kann; wenn er zugleich den Blick in die Zukunft
richtet und daraus Impulse empfängt; wenn er so ausgewogen die Gegenwart
lebendig und sinnvoll erlebt.
Der Mensch fühlt sich gesund, wenn er zwischen diesen verschiedensten
Polaritäten die Balance immer neu herstellen kann.
|
Identität
Ein wichtiger Teil des Menschenbildes ist die Beschaffenheit der Identität,
hier als Wesens-Einheit verstanden, sie ist Grundlage der inneren Sicherheit,
der individuellen und der des Staates. Identität ist eine Frage des
Alters und der Bildung. Kinder beziehen ihre Identität aus der
nächsten Umgebung wie: Bezugspersonen, Elternhaus, Wohngegend, Stadtbezirk
usw. Jugendliche aus Musik-, Film- und Sport-Stars und anderen Idolen, aus
Stadt, Sportclub, Bundesland, Nationalität usw. Je mehr sich der Horizont
erweitert, um so übergeordneter werden sowohl die Bezugspunkte, als
auch der Wunsch nach Unabhängigkeit davon.
Es besteht die Möglichkeit, daß nicht nur erwachsene Menschen
eine Identität erreichen, die sich nicht mehr auf abgrenzende Bezugspunkte
ethnischer oder konfessioneller Art stützt, sondern auf eine universelle
Rückbindung an verantwortlicher Menschlichkeit und an der Natur. Und
es ist möglich, daß diese auch Kindern schon genügt, wenn
eine solche unmittelbar begründete Identität von Erwachsenen
glaubwürdig vorgelebt wird. Ein Kriterium der Identität ist die
Authentizität, die Echtheit und Wahrhaftigkeit. Identität die sich
auf einen Glauben bezieht, der Unwahrhaftigkeiten und Tabus enthält
wird immer konfliktanfällig sein. Ein solider Glaube dagegen wird durch
Zweifel und Angriffe eher gefestigt als erschüttert. Ebenso kann eine
solide Identität nicht durch Angriffe auf ethnische Merkmale verletzt
werden.
Motivation
Als Beweggrund, als treibende Kraft spielt neben den naturgegebenen Antrieben
zur Befriedigung der Grundbedürfnisse die innere Einstellung zum Leben,
die ethische Orientierung eine große Rolle, ob selbst- oder fremdbestimmt.
Selbst bei noch so sachlichen Entscheidungen sind es Lust- und
Unlustgefühle, die letztlich den Ausschlag geben, und die sind von dieser
verinnerlichten Einstellung bestimmt. Die ethische Orientierung trägt
letztlich zur Entscheidung bei, ob es z.B. - im Extremfall - verantwortbar
ist, einen Menschen zu töten oder nicht.
Eine Orientierung an verantwortlicher Menschlichkeit wird es eher
ermöglichen die egoistischen Anteile des Handelns mit den altruistischen
in ein verantwortbares Verhältnis zu bringen. Von Politikern ist z.B.
bekannt, daß sie einen großen Bedarf an Beachtung und Anerkennung,
ja Bewunderung haben, der es ihnen ermöglicht, sich ein- und durchzusetzen.
Dies muß ihnen zugestanden werden, solange sie gebraucht werden. Wichtig
wäre nur, daß diese selber ihre Grenzen erkennen, wo Verantwortung
und Glaubwürdigkeit beeinträchtigt werden, damit sie einerseits
ihrer Aufgabe und andererseits ihrer Menschenwürde nicht schaden.
*
Ein klares und verinnerlichtes Menschenbild ist die Grundlage für ein
selbstbestimmtes und sinnerfülltes Leben. Ein deutliches Bekenntnis
zu einem Menschenbild, das auf verantwortlicher Menschlichkeit beruht, ist
eine wesentliche Voraussetzung zur konstruktiven Mitgestaltung der Gesellschaft.
Ein Menschenbild darzustellen ist nicht leicht, weil es sehr vielfältig
ist. Es könnten leicht Bücher damit gefüllt werden. Um es
aber verinnerlichen zu können, damit es stets abrufbar und
anwendbar ist, muß es möglichst kurz gefaßt werden und trotzdem
das Wesentliche enthalten. Am besten eignet sich hierzu eine Art Formel,
ähnlich der berühmten Weltformel, nach der einige Denker seit langem
suchen, um das Rätsel der Welt zu lösen. Womit jedoch die Antwort
auf die Frage nach einer sinnvollen Lebensgestaltung des Menschen noch nicht
gefunden wäre. Die Formel für ein sinnvolles Menschenbild könnte
lauten:
Ziel + Weg =
Tat.
Das Ziel ist der verantwortliche Mensch.
Der Weg ist ein ständiges Streben nach Wahrhaftigkeit.
Die Tat ist das Beschreiten dieses Weges zum Ziel.
Das sinnvolle Menschenbild ist der wahrhaftige,
verantwortliche, sich dazu bekennende
und entsprechend handelnde Mensch.
Eine optimale zusammenfassende Bezeichnung wäre
Humanist
Ein Humanist orientiert sein Denken und Handeln
an der Würde des Menschen und dient dem Ziel
menschenwürdiger Lebensverhältnisse.
|
Der verantwortliche Mensch fühlt sich für sich selbst voll- und
für seine Mitwelt mitverantwortlich. Das Streben nach Wahrhaftigkeit
ist ihm wichtiger als das nach absoluter Wahrheit, da diese stets nur ein
jeweiliger Erkenntnisstand sein kann. Das Beschreiten dieses Weges mit diesem
Ziel erfordert als ersten Schritt das deutliche Bekenntnis zu beiden. Das
Bekenntnis zum verantwortlichen Menschsein, das ein ständiges Streben
nach Wahrhaftigkeit enthält, läßt sich am deutlichsten in
dem Begriff 'Humanist' ausdrücken. Das Bekenntnis, ein Humanist zu sein
bedeutet - selbstverständlich - nicht schon Vollkommenheit, sondern
das Streben nach größtmöglicher Entfaltung der im Menschen
angelegten positiven Möglichkeiten bei gleichzeitiger Beachtung der
Grenzen, um ein Umschlagen der Bestrebungen in Unmenschlichkeit sich selbst
und Anderen gegenüber zu vermeiden.
Humanismus ist unter den Religionen, Konfessionen, Weltanschauungen und sonstigen
geistigen Rückbindungen diejenige ethische Orientierung, deren Name
bereits den direkten Weg und das eigentliche Ziel sinnvollen Handelns
enthält und deren Maßstäbe real, plausibel und wissenschaftlich
haltbar zu begründen sind. Humanismus ist im Gegensatz zu anderen ethischen
Orientierungen nicht ab- und ausgrenzend, sondern universell und alle Menschen
dieser einen Welt vereinend.
Rudolf Kuhr
Wie der Mensch in seiner Vollendung das edelste
aller Geschöpfe ist,
so ist er, losgerissen von Gesetz und Recht, das schlimmste von
allen.
Aristoteles, griechischer Philosoph 384-322 v.u.Z.
*
Sowenig ein Mensch seiner natürlichen Geburt
nach aus sich selbst entspringt,
sowenig ist er im Gebrauch seiner geistigen Kräfte ein
Selbstgeborener.
Johann Gottfried Herder, Philosoph, Theologe und Dichter 1744-1803
*
So besitzen wir denn eine
naturwissenschaftliche, eine philosophische und eine theologische Anthropologie,
die sich nicht umeinander kümmern - eine einheitliche Idee vom Menschen
aber besitzen wir nicht. Die immer wachsende Vielheit der
Spezialwissenschaften, die sich mit dem Menschen beschäftigen, verdeckt,
so wertvoll diese sein mögen, überdies weit mehr das Wesen des
Menschen, als daß sie es erleuchtet ..., so kann man sagen, daß
zu keiner Zeit der Geschichte der Mensch sich so problematisch geworden
ist wie in der Gegenwart.
Max Scheler, Philosoph 1874-1928
'Die Stellung des Menschen im Kosmos' (Heraushebungen im Original
1928)
*
Die Zukunft steht nicht mehr im Zeichen der umfassenden
Gewissheit - höchstens in dem der begrenzten Hoffnung (...) Der
Fortschrittler glaubt, der Mensch brauche nur einmal den Himalaja zu bezwingen,
um dann ewig auf Bergesgipfeln verweilen zu dürfen; der Konservative
findet sich damit ab, dass der Mensch ständig im Tal bleiben müsse.
Der Humanist weiß, dass der Mensch immer wieder mühsam neue
Höhen ersteigen muss - nur um zu erkennen, dass er doch immer wieder
erst ein Vorgebirge erklommen hat, hinter dem sich steilere Gipfel
auftürmen. Die letzte Spitze erreicht der Mensch nie. Aber wenn er auch
nur als Mensch leben und überleben will, muss er das Tal verlassen und
die Höhenwanderung wagen.
Ossip K. Flechtheim, Zukunftsforscher 1909&endash;1998
*
Es besteht sehr wenig Hoffnung, die Mängel
unserer Gesellschaft rasch zu beseitigen, wenn nicht jeder einzelne seine
eigenen Motive, seine Lebensweise und seine gesellschaftsorientierte Mitarbeit
einer gründlichen Kritik unterzieht. Selbsterkenntnis ist
(jedoch), wenn sie offen und ehrlich
geschieht, eines der stärksten Mittel um Unlust hervorzurufen. Solange
diese Selbsterkenntnis nicht als Mittel eingesetzt wird, die Lebensweise
zu ändern, was an sich bereits lustvoll ist, kann sich niemand als
»reif« betrachten, weder in geistiger noch in sozialer noch in
neurophysiologischer Hinsicht.
Herbert James Campbell, Neurologe
*
Es ist so angenehm, zugleich die Natur und sich
selbst zu erforschen,
weder ihr noch dem eigenen Geist Gewalt anzutun, sondern beide
in sanfter Wechselwirkung miteinander ins Gleichgewicht zu
bringen.
Johann Wolfgang von Goethe
*
Die Menschen moralischer zu machen, ist
und soll so sehr unsre Hauptabsicht sein, daß wir unserer
Neigung zu gefallen nur insofern folgen dürfen, als sie uns zu diesem
letzten Endzwecke führt.
Wir erniedrigen uns, und wir sind nicht mehr schön, wenn uns die moralische
Schönheit fehlt.
Friedrich Gottlieb Klopstock, Dichter 1724-1803
*
Wenn der sterbliche Mensch überhaupt
eine Aufgabe hat, dann ist es die, ein aufrechter Kämpfer zu sein für
die Vollendung des Menschentums, für Menschenrecht, Menschenwürde,
für Wahrheit und Gerechtigkeit. Kulturwille, das ist sein untrügliches
Kennzeichen!
Bruno H. Bürgel, Astronom und Schriftsteller 1875-1948
*
|
Ein freier Mensch
Ich will unter keinen Umständen ein
Allerweltsmensch sein. Ich habe ein Recht darauf,
aus dem Rahmen zu fallen - wenn ich es kann.
Ich wünsche mir Chancen, nicht Sicherheiten.
Ich will kein ausgehaltener Bürger sein, gedemütigt
und abgestumpft, weil der Staat für mich sorgt.
Ich will dem Risiko begegnen, mich nach etwas
sehnen und es verwirklichen, Schiffbruch erleiden
und Erfolg haben. Ich lehne es ab, mir den eigenen
Antrieb mit Trinkgeld abkaufen zu lassen.
Lieber will ich den Schwierigkeiten des Lebens
entgegentreten, als ein gesichertes Dasein führen;
lieber die gespannte Erregung des eigenen Erfolgs,
als die dumpfe Ruhe Utopiens. Ich will weder
meine Freiheit gegen Wohltaten hergeben
noch meine Menschenwürde gegen milde Gaben.
Ich habe gelernt, selbst für mich zu denken und
zu handeln, der Welt gerade ins Gesicht zu sehen
und zu bekennen, dies ist mein Werk.
Das alles ist gemeint, wenn wir sagen:
Ich bin ein freier Mensch.
Albert Schweitzer, 1875-1965
|
*
weitere Texte zum Menschenbild
Humanistische AKTION
2/2000,8
Kritik, Anregungen zu Form und Inhalt
Dialog sowie unveränderter Nachdruck bei Quellenangabe
und Belegexemplar erwünscht. Kürzungen und Änderungen nach
Absprache möglich.
nach oben -
Service -
Menue -
Texte-Verzeichnis -
Stichwörter
www.humanistische-aktion.de/menbil.htm
|