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Die deutsche Sprache ist nicht in GefahrInterview mit Prof. Christian Meier von Wolfgang Hirsch (tlz) Professor Christian Meier, der Präsident der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt und emeritierter Althistoriker der Universität München, hielt diese Woche einen Vortrag beim Collegium Europaeum Jenense. Die TLZ nutzte die Gelegenheit und sprach mit dem streitbaren Gelehrten über die Folgen der Rechtschreibreform und die Zukunft des Deutschen in einer zunehmend globalisierten Sprachwelt. Wie beurteilen Sie heute die Umsetzung der so vehement diskutierten Rechtschreibreform? Ich bin sehr zufrieden, dass sich diese Rechtschreibreform außer in einem offiziellen Bereich kaum durchsetzt. Zeitungen haben meist Hausorthographien. Selbst Minister verfassen ihre private Korrespondenz noch in alter Schreibung. Wahrscheinlich wird sich die "ss-ß"-Regel durchsetzen, aber dieser ganze Unsinn von "Bahn brechenden Ereignissen" und "es tut mir Leid" hat keine Zukunft. Mein Fazit: Insgesamt sind die Deutschen so vernünftig, den Schwachsinn nicht mitzumachen. Es war ein Fehler der "Reformer", sie zu unterschätzen. Die Schulkinder müssen aber die neue Rechtschreibung lernen - und das zum Teil aus alten Büchern. Ja, das ist ziemlich chaotisch. Aber die Frage ist doch: Wie lernt man es überhaupt, richtig zu schreiben? - Doch wohl wesentlich aus der Lektüre. Die meisten deutschen Verlage publizieren in der alten Schreibung. Die allermeisten unserer Schriftsteller verlangen das auch ausdrücklich. Selbst der Duden steuert wieder zurück, darf das aber nicht offen zugeben. Wie soll es denn nun weitergehen? Die Akademie für Sprache und Dichtung arbeitet gerade einen Kompromissvorschlag aus, um die buchstäblichen "Missstände" zu beheben. Das Schlimme ist nur, dass der Staat meint, sein Gesicht zu verlieren, wenn er eine sinnvolle Lösung übernimmt. Obwohl die Minister, die uns den Quatsch eingebrockt haben, längst in Pension sind. Bei der letzten Tagung Ihrer Akademie sagten Sie, dass Anglizismen der deutschen Sprache nicht schaden, sondern sie eher bereichern. Birgt die Globalisierung keine Gefahren fürs Deutsche? Man muss da unterscheiden. Den Versuch eines Sprachpurismus, wie er im 19. Jahrhundert unternommen wurde, sollten wir uns ersparen. Es gibt auf der ganzen Welt keine ungemischte Sprache, das galt schon für das klassische Athen. Heute kommen viele neue Begriffe - etwa in der Börsen- oder Computerwelt - aus dem Englischen. Dagegen gibt es nichts einzuwenden. Nehmen wir's doch einfach gelassen. Manchmal entstehen auch neue Bedeutungsnuancen: Ein "event" zum Beispiel ist so wenig ein Ereignis wie Muckefuck Bohnenkaffee. Unsere Sprache ist lebendig und ändert sich fortwährend. Aber Anglizismen, die bloß blöd sind und unnötig, sollte man umso schärfer kritisieren. Und das Imponiergehabe, das auf englisch so unsagbar deutsch ist, auch. Warum soll denn das Ortsgespräch jetzt "City Call" heißen, warum hat die Bundesbahn neuerdings "Service Points"? Aber global wird nun mal eher englisch gesprochen. Richtig. Die Gefahr liegt jedoch nicht in vereinzelten Anglizismen, sondern in der Auswanderung der Eliten aus der deutschen Sprache. In der Wirtschaft und in der Wissenschaft spricht man heute meist "BSE": bad simple english. In den Vorstandsetagen der Deutschen Bank oder bei DaimlerChrysler wird nur noch englisch geredet. Man denkt aber in seiner Muttersprache, und das bedeutet, dass bei einem Wechsel in eine Fremdsprache die hochinnovatorische Potenz des Denkens beeinträchtigt wird. Wo liegt die Lösung? Mehrere Fremdsprachen so lernen, dass man sie wenigstens passiv versteht. Ein französisch-deutsches Top-Unternehmen, um ein Beispiel zu nennen, hat seinen Ingenieuren auferlegt, die jeweils andere Sprache soweit zu lernen, weil die Inventionen in der Muttersprache entstehen und die anderen dem folgen können sollen. Macht der Wechsel ins Englische nicht identitätslos? Wir geben mit dem Deutschen freiwillig etwas auf, dessen wir uns gar nicht zu schämen brauchen. Vielleicht wird zum Beispiel in so artifiziellen Bereichen wie der Werbesprache der modische Gebrauch englischer Wörter sich eines Tages erschöpfen. Dann kehren die "Public-Relations"-Strategen wieder zum Deutschen zurück. Was raten Sie der jungen Generation? Gut Englisch lernen, aber auch andere Sprachen und nicht zuletzt gutes Deutsch; übrigens auch ganze Bücher zu lesen, statt nur am Computer zu spielen - und das nicht nur zur Weihnachtszeit. Thüringische Landeszeitung 30.11.2001
After Sales ServiceKulturverlust im Automobilbereich
Aus dem Redeprotokoll der Hauptversammlung der Volkswagen AG Redebeitrag von Herrn Dr. Teunis: Vors. Prof. Dr. Piëch: Ich bitte Herrn Dr. Teunis, Braunschweig, ans Pult. Dr. Teunis: Herr Vorsitzender! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich vertrete eigene Aktien. Bei erfolgreicher Werbung für Automobile ist das Wichtigste die Interaktion von Sprache und Bild. Allerhöchste Priorität muss der Verständlichkeit und Eingängigkeit der Botschaft zukommen. Bei Volkswagen wird dieser werbepsychologische Grundsatz seit Jahren verletzt, und zwar dadurch, dass für Produkt- und Funktionsbeschreibungen zunehmend englische Bezeichnungen und Kunstworte Verwendung finden. (Beifall) Ich habe vor einigen Monaten einen Passat bestellt und dabei erfahren, dass man fundierte Englischkenntnisse braucht, um alles zu verstehen, was angeboten wird. Bei der Ausstattung kann man wählen zwischen Trendline, Highline, Sportline und Comfortline. Bei den Motoren gibt es u. a. TDI und FSI. Was "FSI" bedeutet, weiß der Berater nicht genau; es heiße wohl "Full Selected Injection" oder so. In Wirklichkeit heißt es natürlich "Fuel Stratified Injection". Es gibt weiterhin den FSI 4MOTION. Meine Nachfrage nach der Bedeutung von "4MOTION" lautet: "Das ist doch klar: unser Allradantrieb!" Der Berater weiß nicht, dass die korrekte Übersetzung für Allradantrieb "Four wheel drive" ist. "4MOTION" ist eine grammatikalische Unmöglichkeit und stellt eine böse Verstümmelung der englischen Sprache dar. Denn "Motion" für Bewegung kann morphosyntaktisch nicht mit einer Zahl kombiniert werden. Im Englischen ist das genau so unmöglich, wie es "4Bewegung" im Deutschen wäre. Bei den Farben ist es so bunt, dass es mir wegen der vielen englischen Qualifizierungen einfach zu bunt wird, bei denen man sich offenbar nicht die Mühe gemacht hat, nach deutschen Äquivalenten zu suchen. Ich darf wählen aus Candy-Weiß, Granite Green, Arctic Blue Silver, Wheat Beige, Shadow Blue, United Silver usw. Gibt es wirklich keine treffenden deutschen Namen für unser deutsches Produkt? Wo bleibt die Kreativität unserer Werbeabteilung? (Beifall) Darüber hinaus bietet die Volkswagen Individual GmbH ein individuelles Designpaket aus Sensitive-Leder, in Snow Beige und Türinserts in zeitlosem Design. Und dann zum Entertainment: Ich darf bestellen: Multimedia-Kit, PhatBox und Rear-Seat-Entertainment-Geräte. Bei all den englischen Vokabeln, die ich höre und lese, frage ich mich: Ist das eine Beratung für einen deutschen Kunden oder einen englischen Kunden? Nun fahre ich ihn, den Passat, und muss mich zurechtfinden mit Bezeichnungen wie TIM für Traffic Information System, TMC für Traffic Message Channel, EPC für Electronic Power Control, ACC für Adaptive Cruise Control, mit MUTE, DEST, NAV, MAP, Scan und Autostore, mit Autohold, Reset, SPEED, CANCEL, (Heiterkeit und Beifall) mit KESSY für Keyless Entry Start Exit System. - Es ist ein Graus, meine Damen und Herren! (Beifall) Es gibt nicht nur die unverständlichen Abkürzungen, sondern unter dem Navigationssystem prangt ein Satz: PASSENGER AIR BAG OFF. - Zu Deutsch, frei übersetzt: Passagier Luft Sack aus. (Heiterkeit) Ohne Englischkenntnisse und intensives Studium des Bordbuches kommt man nicht mehr zurecht! Warum steht auf dem Zündschloss der Schriftzug "ENGINE Start/Stop"? Es ging doch Jahrzehnte ohne diesen völlig überflüssigen und unverständlichen Hinweis! Nach der Übergabe des Fahrzeugs war früher der Kundendienst für mich zuständig. Nun ist er umbenannt worden in After Sales Service. (Heiterkeit) Das ist absolut nicht einzusehen. Das ist nicht nur rücksichtslos, sondern es erscheint mir auch verkaufsstrategisch gesehen als dumm, so mit deutscher Kundschaft umzugehen. (Beifall) Ich empfehle, sich ein Beispiel an McDonald's zu nehmen. McDonald's hat in Deutschland bis vor gut einem Jahr mit "Every time a good time" geworben. Eine Marktanalyse ergab, dass dieser Werbespruch von der Bevölkerung nicht verstanden wurde. McDonald's hat seinen Werbespruch geändert in "Ich liebe es!". (Heiterkeit und Beifall) Aus demselben Grund hat auch unsere Konzerntochter Audi umgeschwenkt von "Driven by Instinct" auf "Pur und faszinierend". Herr Dr. Bernhard, auch Ihre Mitarbeiter in der Produktion verstehen nur unzulänglich Englisch. Sie haben trotzdem vier "Product Units" - abgekürzt PUs - für vier selbständig wirtschaftende Einheiten eingeführt. Es sind dies die PU A-Klasse, die PU Presswerk, die PU Trim und die PU Fahrsysteme - ein schönes Mischmasch aus Deutsch und Englisch! Gemeint sind aber offensichtlich gar nicht "Product Units", sondern "Production Units". Abgesehen von diesem Fehler empfehle ich, die jetzt von Ihnen eingeführte Bezeichnung "Product Unit" wieder zurückzunehmen. Die bisher gebräuchliche "Fertigung" kann genau so wirtschaftlich arbeiten wie eine "Product Unit". (Beifall) Meine Damen und Herren, wenn der Kunde nachhaltig an Volkswagen gebunden werden soll, muss die Sprache stimmen. Die ist für deutsch Sprechende nun mal Deutsch und kein deutsch-englisches Mischmasch. (Beifall) Außerdem hat jeder das Recht, nicht Englisch zu können. (Beifall) Herr Dr. Pischetsrieder, ich habe abschließend zwei Fragen und einen Vorschlag. Meine erste Frage: Beabsichtigen Sie, im deutschen Volkswagen Konzern, der bereits seit Jahrzehnten global agiert, jetzt zunehmend englische Bezeichnungen einzuführen, insbesondere auch dann, wenn es gute deutsche Wörter gibt? Meine zweite Frage: Ist schon einmal geprüft worden, welche Haftungsrisiken bestehen, falls ein des Englischen nicht mächtiger Kunde den im Zweifel lebenswichtigen Warnhinweis "PASSENGER AIR BAG OFF" nicht berücksichtigen konnte? Und nun mein Vorschlag: Herr Dr. Pischetsrieder, Sie haben vor gut einem Jahr einen neuen Namen für unseren deutschen Volkswagen Konzern gesucht, um eine Abgrenzung zu Volkswagen Aktiengesellschaft zu erreichen. Ich habe auf der letzten Hauptversammlung "People's Wagon Group" vorgeschlagen. Dieser Vorschlag wurde abgelehnt. (Beifall) Dr. Pischetsrieder, Vorsitzender des Vorstands: Das müsste doch ganz in Ihrem Sinn gewesen sein, Herr Teunis! (Heiterkeit) Dr. Teunis: Ich versuche es heute mit einem anderen Vorschlag. Falls Sie eine englische Bezeichnung für unseren Betriebsrat suchen sollten, ich habe ein Angebot: "Work Council" mit der Abkürzung "WC". (Große Heiterkeit und Beifall) - Meine Damen und Herren, ich freue mich, dass Ihnen mein Vorschlag so gut gefällt. Dann dürfen wir zusammen auf die Antwort von Herrn Dr. Pischetsrieder gespannt sein. Falls der Vorschlag angenommen wird, kann der Worker an der Finishline künftig während oder nach seiner Shift zu seinem vertrauten WC gehen. (Heiterkeit) Meine Damen und Herren, ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche allen Volkswagen-Fahrern eine gute Zusammenarbeit mit ihrem After Sales Service. (Heiterkeit und Beifall) Dr. Pischetsrieder, Vorsitzender des Vorstands: Herr Teunis, Ihre Anregungen zur Verwendung der deutschen Sprache finde ich so unterhaltsam, wie auch Sie, verehrte Aktionäre, sie fanden. Es ist so, dass manche der Bezeichnungen, die Sie im Fahrzeug finden, tatsächlich international genormt sind. Ihre spezielle Frage: Was passiert denn mit dem Hinweis "Airbag off" für den Fall, dass jemand nicht englisch lesen kann? - In der Betriebsanleitung ist genau beschrieben, was das auf Deutsch heißt. Ich glaube trotzdem - das sage ich durchaus aus Überzeugung -, dass die allzu intensive Verwendung der englischen Sprache im Deutschen nicht nur im Automobilbereich ein gewisser Kulturverlust ist. (Beifall) Mit freundlicher Genehmigung von Herrn Dr. Geert Teunis
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Sprachpanscher des Jahres:
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Mein Leben ist eine Giving-Story. Man muss
contemporary sein, das Futur-Denken haben. Die Audience hat das von Anfang an supportet. Modeschöpferin Jill Sander in einem FAZ-Interview |
... meinen die Verfechter des Gulaschdeutschs. Amerika habe "nämlich
die stärkere Kultur, da können wir lange zappeln. Sie verfügt
auch über die stärkere Sprache. Wer aus dem Amerikanischen
übersetzt, erblaßt unweigerlich vor Neid - auf die Eleganz, die
Effektivität und die Dichte dieser Sprache, die sich auf unvergleichliche
Weise kurz fassen kann." Wenn man diese Worte Robin Detjes aus dem Artikel
"Aufstand der Zwerge. Die Sprachschutzdebatte: Deutschtum und
Deutschtümeln" (eingesandt von unserem Mitglied Fr. Lore Köhler,
aus der Süddeutschen Zeitung vom 22.2.2001) liest, wundert man sich,
wie die Pyramiden ohne die Hilfe des Englischen erbaut oder Goethes Maximen
und Reflexionen geschrieben werden konnten.
Seltsamerweise hört man oft, daß das Englisch-Amerikanische kürzer, prägnanter, konziser, genauer, griffiger, ja gar treffender als das Deutsche sei. Seltsam erscheint dies jedem Sprachwissenschafter, vor allem aber Deutschlehrern (wie mir), denn jeder Englischsprachige, der Deutsch lernt, ist sofort von den vielfältigen Möglichkeiten, die das Deutsche besitzt (und die dem Englischen fehlen), hingerissen. Der Titel dieses Aufsatzes z.B. ist nicht unmittelbar ins Englische übertragbar; man muß English is said to be better than German (wörtlich: "Englisch wird gesagt zu sein besser als Deutsch") oder andere Umschreibungen verwenden, denn das Englische verfügt über fast keine eigenen Wörter der Möglichkeitsform (vgl. flöge, wöge, trüge, wüchse, käme, nähme, schiene, bliebe, litte; in unserem Fall kann sei nichts anderes als Konjunktiv sein). Wie leid es mir täte sagt der junge Mann, der in Erich Kästners "Märchen vom Glück" den alten Engel zur Hölle gewünscht hatte, und zwar mitten im Erzähltext ohne ein einleitendes "Er sagte, ..." Die anführende (indirekte) Rede kann im Deutschen durch die Konjunktivformen unvermittelt im Text auftreten, in diesem Fall durch das täte angezeigt.
Das betrifft auch Ausdrücke. Was heißt Schmiere stehen auf englisch? To act as an outlook oder to keep a look-out. Das erscheint mir doch wesentlich länger als im Deutschen. Durch die Möglichkeit, unbegrenzt zusammengesetzte Wörter zu bilden, wirkt das Deutsche knapper als das Englische, vgl. Reichsacht = ban of the Empire ("Acht von dem Reich"). Eine der größten Stärken des Deutschen ist die Fähigkeit, mittels Vorsilben Tausende Wörter zu bilden, die eine ganz bestimmte Abschattierung zeigen, z.B. ein Buch anlesen = to read a few pages of a book ("ein paar Seiten von einem Buch lesen"), überfliegen = to run one's eye over, spitz zulaufen = to end in a point ("in einem Punkt enden") oder gar: der Hund ist mir zugelaufen = the dog found a new home with me after straying ("der Hund fand ein neues Heim bei mir nach Streunen"), kein eigener Ausdruck, sondern eine Umschreibung. - Kürzer als Deutsch? Wie gesagt, sind diese Beispiele keine Einzelfälle, es gibt Tausende solcher Bildungen im Deutschen. aus sich herausgehen heißt = to come out of one's shell, jemanden herbeirufen = to call for someone to come, jemanden herbemühen = to trouble someone to come here, sich herbemühen = to take the trouble to come here, etwas wegzaubern = to make something disappear by magic, jemanden wegwünschen = to wish that someone were not here usw. usf. Allein von -gehen sind mehr als fünf Dutzend Wörter abgeleitet, vgl.:
abgehen, angehen, aufgehen, ausgehen, begehen, dahingehen, danebengehen, darangehen, davongehen, drauflosgehen, draufgehen, durchgehen, eingehen, einhergehen, entgegengehen, entgehen, entlanggehen, entzweigehen, ergehen, fehlgehen, fortgehen, herangehen, herausgehen, hergehen, herumgehen, heruntergehen, hervorgehen, hinaufgehen, hinausgehen, hineingehen, hingehen, hintergehen, hinübergehen, hinuntergehen, hinweggehen, hochgehen, losgehen, mitgehen, nachgehen, nahegehen, nebenhergehen, niedergehen, quergehen, rangehen, rückwärtsgehen, umhergehen, übergehen (trennbar und untrennbar: er geht zur anderen Seite über - er übergeht mich), umgehen (er umgeht die Vorschrift - Drakula geht um), untergehen, vorangehen, voraufgehen, vorausgehen, vorbeigehen, vorgehen, vorhergehen, vorübergehen, vorwärtsgehen, weggehen, weitergehen, zergehen, zugehen, zurückgehen. zusammengehen.
Das sind wohlgemerkt nur die Zusammensetzungen mit den gängigen Vorsilben (Verbalpräfixe und Halbpräfixe), andere Zusammensetzungen wie schiefgehen oder rundgehen oder verschüttgehen sind nicht berücksichtigt! Ein Kollege von mir behauptete einmal, das Englische sei dem Deutschen überlegen, weil man Ausdrücke wie "pull down menue" auf deutsch nicht ausdrücken könne. Dabei handelt es sich um eine Fläche auf dem Bildschirm des Rechners, der sich beim Anklicken entfaltet und untereinander einige Möglichkeiten zeigt (ein "Menü"). Als ich ihm entgegnete, "Klappmenü" sei eine geeignete Übersetzung und zudem kürzer, sah er mich entgeistert an, sein Weltbild war zerstört. Es sind übrigens in den letzten Jahren viele treffliche Verdeutschungen im EDV-Bereich gefunden und eingebürgert worden (z.B. "Wollen Sie abbrechen?" statt "Wollen Sie canceln?")
Man sieht, die Sucht nach US-amerikanischen Wörtern beruht auf einem
Vorurteil und ist wie jede Sucht unvernünftig (und ungesund). Der
große deutsche Sprachforscher Wilhelm von Humboldt (1767 - 1835)
meinte, alles lasse sich in jeder Sprache ausdrücken.
Selbstverständlich wollen wir die englische Sprache nicht verächtlich
machen, sie besitzt viele Vorzüge, z.B. die Verlaufsform (I am smoking
"Ich rauche gerade" im Gegensatz zu I smoke "Ich bin Raucher"), dafür
aber nicht unsere zwei Leideformen (z.B.: Der Wagen wird gereinigt
gegenüber: Der Wagen ist gereinigt).
Jede Sprache verfügt über etwas nur ihr Eigenes. Pflegen wir also unsere Muttersprache und geben wir sie nicht aufgrund einer Mode zugunsten des Englischen auf!
Gottfried Fischer
Wiener Sprachblätter - Zeitschrift für gutes Deutsch
(Probeheft über: goetz.fischer (ät) univie.ac.at)
Die Verbände der deutschen Musikwirtschaft haben in einer Erklärung
sieben Gründe für eine Radioquote für musikalische Neuheiten
und deutschsprachige Musik aufgeführt. musikwoche.de gibt die Gründe
in leicht gekürzter Form wieder.
Fazit: Radio diskriminiert heute junge deutsche Musik zu Gunsten internationalen Mainstreams und vernachlässigt damit seinen Kulturauftrag. Quelle: Musikwoche 16.8.2002 |
Englisch ist die Weltsprache - und
genau darum zerfällt sie
Barbies kann man nicht nur Kleidchen anziehen. Auf "barbies" kann man auch grillen. Allerdings nur in Kalifornien und Australien - andernorts versteht man die doppelte Bedeutung der oder des "barbie" nicht. In Australien ist das eine allgemein gebräuchliche Verkürzung des "barbecue", auf dem man im Garten Garnelen brutzeln. Anfang der Achtziger Jahre begann das Land recht penetrant in Kalifornien um Touristen zu werben. Mit dem Slogan: "Gooday - Put a shrimp on the barbie". In Großbritannien gab es diese Kampagne nie und so schaut man heute Kalifornier blöd an, wenn sie vom leckeren Barbie-Fleisch erzählen.
Das Problem des Grills und der Puppe zeigt, wie beschränkt die Wahrnehmung des Englischen in Deutschland ist. Während hier die Bedrohung durch eine monolithische Sprache beschworen wird, sind in Großbritannien und den Vereinigten Staaten längst drei Thesen über die Weltsprache Englisch Allgemeinwissen: Englisch muss gar nicht zwangsläufig Weltsprache werden. Eine Weltsprache wird in jedem Land anders gesprochen und verstanden. Und jene Abart, die international einheitlich verwendet wird, hat nichts mit dem Englischen zu tun - ihr Zeichenvorrat reicht zu kaum mehr als der Bestellung eines Burgers.
Englisch soll keine Weltsprache werden? Ist es denn nicht bereits eine? Natürlich. Aber schaut man sich die Gründe dafür an, muss das nicht unbedingt so bleiben. "Diese Sprache hat nichts, was sie als Weltsprache prädestiniert oder besonders nützlich macht - außer dem politischen und wirtschaftlichen Einfluss der Vereinigten Staaten", erklärte jüngst Jean Aitchison, die in Oxford Sprache und Kommunikation lehrt, bei einer Konferenz über die Zukunft des Englischen. Hinzu kommt natürlich, dass zahlreiche technologische Innovationen und wissenschaftliche Entdeckungen aus englischsprachigen Staaten stammen. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass ein wirtschaftliches Erstarken Südostasiens, Chinas oder Lateinamerikas andere Sprachen zur Weltgeltung bringen könnte.
Tatsache ist aber, dass heute Englisch weltweit als Verkehrssprache dient, dass 80 Prozent der internationalen Organisationen Englisch als Arbeitssprache benutzen, dass sogar 80 Prozent der Seiten im Internet in Englisch geschrieben sind. Selbst in einer Institution wie der Europäischen Zentralbank ist die Arbeitssprache Englisch, obwohl Großbritannien nicht zur Währungsunion gehört.
5000 Wörter pro Jahr - Nur, welche Sprache wird hier unter dem Begriff Englisch überhaupt erfasst?
Das "Standard American-British English" (SABE) sprechen weltweit 375 Millionen Menschen. Das sind die Muttersprachler. Hinzu kommen nochmal etwa 375 Millionen Menschen, für die Englisch zweite Landessprache ist. Weitere 750 Millionen Menschen kennen das Englische allein als Fremdsprache. Bei den beiden nicht-muttersprachlichen Gruppen entstehen die sogenannten "Oral and Vernacular Englishes" (OVE). Das sind Mischungen aus SABE, Werbeslogans und den jeweiligen Muttersprachen. In Singapur etwa sagt man: "I was arrowed to paint this wall." Aus dem SAB-Englisch übersetzt bedeutet das in etwa: "Ich wurde gepfeilt, die Wand zu streichen". Allerdings wird in Singapur nicht SAB-Englisch, sondern "Singlish" gesprochen. Und in "Singlish" bedeutet "arrow" als Verb, jemanden zu einer Arbeit zu zwingen, die er nicht tun will.
OV-Englisch entsteht heute auf die selbe Art, wie im Mittelalter das Deutsche als eine Mischung des Lateinischen mit lokalen Sprachen geschaffen wurde. Dergleichen findet sich sogar schon innerhalb des britischen Commonwealth. Ein Neuseeländer etwa sagt "swhakapapa" statt "genealogy", wenn er eine Ahnentafel meint. Ebenso wird eine Beerdigung nicht mit "funeral", sondern mit "tangi" bezeichnet - ein Begriff aus der Sprache der eingeborenen Maori. OV-Englisch meint aber nicht allein den Gebrauch anderer Zeichen für dasselbe Bezeichnete. Es gibt auch Sinnverschiebungen, etwa bei "hotel". In Großbritannien und den Vereinigten Staaten kann man dort übernachten. Im südlichen Asien allerdings nur essen - "hotel" bezeichnet hier dasselbe wie "restaurant" im SAB-Englisch. Außerhalb der australischen Großstädte gibt es in einem "hotel" jedoch nur Bier zu trinken, weil "hotel" dasselbe bedeutet wie "bar" im SAB-Englisch.
Es gibt kein Englisch mehr - es gibt viele Abarten davon. David Crystal, Herausgeber der "Cambridge Encyclopedia of the English Language" fasst das so zusammen: "Es ist längst eine Tatsache, dass die englischsprachigen Staaten den Besitz der englischen Sprache aufgegeben haben. " Das ist der Preis dafür, Weltsprache zu sein - sie gerät außer Kontrolle. Da dies ein bisher einmaliges Ereignis sei, schließt Crystal, könne man die Auswirkungen auf die Sprache nicht vorhersagen: "Die Sprachgeschichte kann keine Hinweise mehr geben." Eugene Eoyang von der Lingnan-Universität Hongkong hält es für wahrscheinlich, dass OVE-Sprachen wie Singlish sich zu "neuen Nationalsprachen entwickeln."
Aber wie soll sich dann die Welt verständigen, wenn die Weltsprache Englisch in einen Haufen neuer Landessprache zersplittert ist? Die Welt wird "International Colloquial English" (ICE) sprechen. Das ist eine sich sehr schnell wandelnde Mixtur aus SABE, OVE und neuen Wortschöpfungen. Nach David Crystal wächst IC-Englisch jedes Jahr um 5000 gänzlich neue Worte. Wie Eoyang hält er IC-Englisch für das, was einer Weltsprache am nahesten kommt.
Nur wird eine Sprache allein dann von möglichst vielen Menschen in einem einheitlichen Sinn verstanden und benutzt, wenn sie auf Nuancen, Ambiguitäten und eine Menge möglicher Bezeichnungen verzichtet. Sie muss simpel sein. Ein Beispiel ist das sogenannte "Special English", welches das US- Radioprogramm "Voice of America" bei Nachrichten verwendet, um sie für eine möglichst große Hörerschaft verständlich zu machen. "Special English" hat ein Basisvokabular von nur 1500 Worten. Eine zunehmende Vereinfachung des Englischen beobachtet die Herausgeberin des "Encarta World English Dictionary", Anne Soukhanov, die dafür auch die immer verlässlicheren Computerprogramme zur Prüfung von Grammatik und Rechtschreibung verantwortlich macht. In der gesprochenen Sprache fehlten dann diese sonst delegierten Fähigkeiten. Tatsächlich fallen in amerikanischen Nachrichtensendungen regelmäßig Sätzen wie: "It is time for Bob and I to sign off."
Während mit Hilfe des simplen IC-Englisch ein Burger weltweit bestellt werden kann, sind nuancierte Sinnvermittlungen kaum möglich. In den Vereinigten Staaten zeichnen sich die Folgen dieses Problems bereits ab. Die Anteile der spanischen, chinesischen, vietnamesischen und koreanischen Muttersprachler an der Gesamtbevölkerung stiegen in den vergangenen Jahrzehnten stark. Vier Fünftel der aus China stammenden Amerikaner sprechen zuhause Chinesisch statt Englisch. Angesichts dieser Zahlen forderte das amerikanische Magazin Atlantic Monthly im vergangenen Jahr, Amerikaner sollten grundsätzlich zweisprachig werden. Die Botschaft an die einsprachigen Amerikaner: "Wenn wir mehr als rudimentäre Botschaften mit unseren Mitmenschen austauschen wollen, brauchen wir wohl Hilfe von etwas anderem als Englisch."
Weltweit ist eine ähnliche Entwicklung auszumachen. Jedes Wissens- und Arbeitsgebiet schafft seine eigene englische Sprache, um komplexe Dinge bezeichnen zu können. So gibt es im Flugverkehr schon lange das "Airspeak", das angehende Piloten bei mehrmonatige Schulungen lernen. In der Seefahrt werden die "Standard Marine Communication Phrases" verwendet. Auch die Informationstechnologie hat mit Gigabytes, Slots, Displays, Second Level Cache und ähnlichem eine eigene Weltsprache geschaffen. Überschriften aus der Fachzeitschrift Neurology wie "Familial cerebellar ataxia with muscle coenzyme Q10 deficiency" machen für die meisten Amerikaner ebensowenig Sinn wie für die Mehrheit der Deutschen.
Jenes Englisch, das die meisten Weltbewohner verstehen, verliert daher seine Ähnlichkeit mit dem, was Briten sprechen. Es ist ungleich simpler - "eigentliche" Sprachen müssen deshalb weiterhin gelernt werden. Nicht nur von Piloten. Wer weiß schon, dass ein "holder-upper" auf den Philippinen weder Brüste noch Protestplakate hochhält - sondern seine Pistole beim Überfall.
Konrad Lischka
Süddeutsche Zeitung 31.03.2001
Deutsche Wörter schmücken Amerikaner
Von Christoph Driessen
New York (dpa) - Wer als Deutscher neu in die USA kommt, wundert sich oft, dass er Wörtern wie «Strudel», «Schadenfreude» oder «Gesundheit!» begegnet. Viele Amerikaner finden deutsche Lehnwörter «wunderbar», vor allem «Bildungsbürger» (ebenfalls ein Import aus Old Germany). Der eine oder andere versucht sich gar an Zungenbrechern wie «Lumpenproletariat» oder «Sturm-und-Drang-Zeit». «Viele benutzen diese Wörter, um sich ein kosmopolitisches Flair zu geben», sagt die Germanistin und Amerikanistin Ulrike Wagner aus New York. Man muss nur darauf achten, dann sieht man überall deutsche Wörter. «Gotti Blitz» titelt die Boulevardzeitung «New York Post» und meint damit eine Razzia bei einer Mafiafamilie. Gleich neben dem Zeitungsstand gibt es «Pretzel» (Brezel) im «Deli» an der Ecke, abgeleitet von dem deutschen Wort Delikatessen. Im Fernsehen hört man einen Politiker sagen: «There are no verbotens with me!» Womit er klar macht: Bei ihm gibt es keine Tabu-Fragen. Das Präfix «über» hat es den Amerikanern zurzeit besonders angetan. Schüler mit zu schweren Tornistern zum Beispiel sind «Überpackers», und mit «Überkitsch» könnte man die lebensgroßen Krippen bezeichnen, die sich viele Amerikaner zur Weihnachtszeit in den Vorgarten stellen. Manchmal wirkt das deutsche Wortgeklingel geradezu übertrieben.
Die «New York Times» überschrieb eine Buchrezension neulich mit: «Marathon Mensch - An angst-ridden man encounters his doppelgänger.» Auf der Meinungsseite stellt ein Kommentator derweil die These auf: «Donald Rumsfeld isn't a mensch.» In der ganzen Regierung Bush klaffe ein riesiges «Mensch Gap». Was er damit meint, erklärt er so: «Wörtlich übersetzt ist ein "Mensch" eine Person. Aber impliziert ist, dass ein Mensch eine Person mit Rückgrat ist, die für ihre Handlungen die Verantwortung übernimmt.» Manchen deutschen Wörtern haben die Amerikaner einen ganz neuen Sinn gegeben oder mit anderen Vokabeln zusammengesetzt. Schon mal von einem «Jägerdude» gehört? Das ist jemand, der wilde Partys feiert und dabei so trinkfest ist, dass er sich einen Jägermeister nach dem anderen genehmigt. Viele dieser Wörter sollen erst in den letzten Jahren richtig populär geworden sein. Im Vergleich zu den Briten haben Amerikaner keine so ausgeprägte Schwäche für Wörter, die geeignet sind, den deutschen Botschafter in Rage zu bringen («Achtung!», «Panzer»).
Viele verweisen im Gegenteil auf die stolze Tradition der Dichter und Denker: «Weltanschauung», «Bildungsroman» und «Leitmotif» mit «f» werden in der «New York Times» ständig verwendet. «Where's the Fingerspitzengefuhl?» titelt das Weltblatt - und an anderer Stelle heißt es: «The zeitgeist is right now.» «Vieles lässt sich eben einfach nicht übersetzen», erläutert Wagner, die den Einfluss der deutschen Geistesgeschichte auf die amerikanische Nationalliteratur untersucht. Eine Legende ist allerdings, dass die Vereinigten Staaten kurz nach ihrem Unabhängigkeitskrieg gegen Großbritannien um ein Haar Deutsch als Landessprache eingeführt hätten. Die Geschichte geht darauf zurück, dass 1794 einige deutsche Einwanderer eine Petition an das Repräsentantenhaus richteten, nach der Gesetzestexte künftig auch auf Deutsch veröffentlicht werden sollten. Sie begründeten dies damit, dass viele Einwanderer noch kein Englisch sprächen. Dieser Antrag wurde mit 42 zu 41 Stimmen abgelehnt. Die entscheidende Gegenstimme soll der Speaker des Hauses, der Deutschamerikaner Frederick Augustus Conrad Mühlenberg, abgegeben haben. Sein Argument: «Je eher die Deutschen Amerikaner werden, desto besser.»
Mitteldeutschen Zeitung, Halle 13.05.06
Englisch als Landessprache in Japan?
In Japan hat laut FAZ vom 2.2.2000 eine Kommission dem
Ministerpräsidenten
die Einführung von Englisch als gleichberechtigter Landessprache
empfohlen.
Es sieht so aus, als würde das in Japan widerstandslos durchgehen. Ministerpräsident OBUCHI Keizo hat die besagte Kommission eingesetzt, damit sie ihm diesen Vorschlag begründet.
Einige japanische Geschäftsleute, für die ich diese Woche Anglojapanisch-Denglisch dolmetschte (die deutsche Seite bestand auf Englisch als Verhandlungssprache, und die Japaner waren wie immer bemüht, ihr Japanisch mit moeglichst viel Englisch anzureichern), erklärten mir, es müsse endlich etwas getan werden, damit die Leute in Japan richtig Englisch lernten. Da setze der Ministerpräsident das richtige Signal.
In Japan wurde 1948 bereits über die Abschaffung des Japanischen und Einführung des Franzoesischen öffentlich debattiert. Diese Debatten spiegeln meines Erachtens, genau wie die Anglomanie der Halb- und Ungebildeten bei uns, eine tief sitzende Unsicherheit der Leute wieder. Das System der lebenslangen Beschäftigung ist zusammengebrochen, das Land hoch verschuldet. Jeder kann jederzeit auf die Strasse gesetzt werden. Wer nicht richtig Englisch kann, ist dann benachteiligt. Diese Unsicherheit kompensieren die Betroffenen durch eine irrationale Propagierung des Englischen.
Diesem Drang zur Kompensation eigener Unsicherheit durch Propagierung der Unsicherheitsquelle kommt der Ministerpräsident entgegen. Was mit "Englisch als 2. Landessprache" wirklich gemeint sein soll, bleibt dabei unklar. Soll es heissen, dass das japanische Patentamt Anmeldungen in Englisch annehmen wird? Dass alle Bahn- und Polizeibeamte Englisch können müssen? Das wäre völlig utopisch.
In der Öffentlichkeit stellt auch niemand diese Fragen. Lediglich die ohnehin längst hysterische Anglomanie auf ein nie dagewesenes Niveau angeheitzt worden. Eltern kennen kaum noch ein anderes Thema als das, wie sie ihre Kinder am besten auf die kommenden Landessprache vorbereiten. Schon heute ist die japanische Sprache durch die jahrzehnte lange Anglisierung so heruntergekommen, dass man darin kaum noch schöne Literatur mehr schreiben kann. Die lesenswerte japanische Literatur stammt aus der Zeit von vor 1950, insbesondere der Meiji-Zeit, in der sehr viele schöne japanische Wörter für sämtliche Begriffe der modernen Zivilisation geprägt wurden. Es war eine Zeit, in der eine ostasiatische humanistische Schriftgelehrtheit und ein damit verbundener traditioneller hoher Alphabetisierungsgrad plötzlich auf die moderne Technik und Wirtschaft stiess und aus dieser Verbindung eine steil aufsteigende Grossmacht erzeugte.
Nach 1950 ist in Japan nicht nur die Sprache sondern auch das Geistesleben auf den Hund gekommen. Japan ist heute das Land der Comics (Manga), Computeranimationen, Primitiv-Kinderfilme etc, das an der Spitze aller geistigen Verfallserscheinungen schwimmt und Geld verdient. Auch bei den wenigen seriösen Zeitungen Japans prangen bebilderte Werbeanzeigen auf der ersten Seite.
Dass das nicht ewig so weiter gehen kann, hätte längst klar sein müssen. Eine Zivilisation beruht nicht auf der Wirtschaft (Geldmaschine) sondern vor allem auf der Bildungstradition. Dank dieser Tradition (und auch dank der militaristischen Planwirtschaft der 30er Jahre, deren Nachfolger das MITI ist) wurde Japan nach dem Krieg noch einmal stark. Dann wurde es Opfer der eigenen einseitig wirtschaftlichen Stärke. Jetzt steckt es im Gefühl der Krise und Auswegslosigkeit. Die Panik hat um sich gegriffen.
Ministerpräsident Obuchi ist ein japanischer Helmut Kohl. Er spricht selbstverständlich kein Englisch. Er hat sich in der Partei (Jiminto) hochgearbeitet. Diese Partei, die einzige einigermassen seriöse Partei Japans, besteht aus einem Geflecht von Faktionen, die um einzelne Personen gruppiert sind. Diese Faktionen haben keine politischen Programme, es sind reine Seilschaften. Obuchi besetzte eine leer gewordene Stelle in der Takeshita-Faktion und rückte so in die Macht auf.
Als er vor 2 Jahren Ministerpräsident wurde, kannte ihn keiner, und die New-Yorker Zeitschrift Time sagte ihm "das Charisma einer Tiefkühlpizza" nach. Daraufhin stellte sich Obuchi Fotografen mit einer Tiefkühlpizza in der Hand. Im Parlament griff die Opposition ihn als "einen trägen Wasserbüffel" an. Er sagte: "Ja, genau das bin ich: ein träger Wasserbüffel. Der Vergleich gefällt mir".
Niemand gab Obuchi grosse Chancen. Aber er hat sich gehalten und ist mächtiger denn je. In der Situation der allgemeinen Panik braucht man einen Wasserbüffel wie ihn, der sich nicht beunruhigen lässt und überall eine (unbegründet) optimistische Stimmung verbreitet.
Letztes Jahr machte das jenglische Modewort "Obuchi-phone" die Runde. Es geht hierbei um die Anrufe, die berühmte Persönlichkeiten regelmässig aus dem Ministerpräsidentenamt erhalten. Obuchi erkundigt sich nach ihrem Wohlbefinden und ermuntert sie. Jedes Gespräch dauert nur ein paar Minuten. Danach fühlen sich die Angerufenen aber irgendwie wohl und sind geneigt, in der Öffentlichkeit eher positiv über den Ministerpräsidenten zu reden.
Ansteckender Optimismus und ansteckende Anglomanie gehen da eine mächtige Verbindung ein. Allerdings nicht zugunsten des Landes.
Hartmut Pilch
Anmerkung
Ähnliche Bestrebungen laufen auch bei uns, augenfälliger Beleg ist der Artikel "Do you speak Internet" von A. GLOGER in der "WELT" vom 21. Dezember 1999. Immer ungestümer drängen Teile von Wirtschaft und Werbung auf die Einführung von Englisch in immer mehr Bereiche. Einige Artikel und Initiativen könnten von interessierter Seite "sponsoriert" oder energisch vorangetrieben sein. Meines Erachtens reicht es völlig, bei Bedarf die de-facto-Zweitsprache Englisch benutzen zu können. Eine offizielle Einführung würde binnen kürzester Zeit die Landessprache(n) aus vielen Lebensbereichen verdrängen und das öffentliche Bildungssystem umstürzen: die Innovatoren und Shareholderversessenen würden ihren Kindern Ausbildungen mit 80% Englisch im Inland verschaffen, vgl. die Austrocknung der staatlichen Unis durch fächerarme amerikanisch geführte oder nachgeahmte Privatunis. Hierfür spricht auch ein Text, den ich aus Vertrauensschutzgründen nicht weitergeben kann. Es wäre wie eine feindliche Übernahme der Kultur und Sprache.
In der Globalisierung wird ja leichtfertig Vieles in Frage gestellt, aber ich meine, wer den sprachlichen Status Quo grundsätzlich ohne Rücksicht auf die legitimen Eigeninteressen der EU-Mitgliedstaaten antastet, gefährdet Grundwerte, ob sie nun im GG und in den europäischen Verträgen festgeschrieben sind oder nicht.
Auf einer Fach-Tagung in Hannover gab es Hinweise auf Bestrebungen zur weltweiten Einführung von Englisch als zweiter Landessprache binnen 5-9 Jahren. Als ein Beispiel für eine gesteuerte Aktion sei hier die Halloween-Schaufenstergestaltung und die erleuchteten Plastikkürbisse und anderes Zubehör erwähnt, das in weiten Teilen Europas angeboten wurde. Die FDP-Bundestagsfraktion bietet als Hauptdiskussion das Thema "Deutschland soll Englisch als offizielle Sprache einführen". Auch im Verhalten von Filmverleihern und Kinos im Münchner Raum läßt sich eine auffällige Durchsetzung rein englischer Titel bei synchronisierten Filmen erkennen.
Wie auch immer, die unbedachte Einführung einer solchen Zweitsprache (im Zweifel immer die höherwertige Prestigesprache) würde Millionen noch stärker, als schon jetzt, zu Analphabeten im eigenen Land machen und ausgrenzen. Wenn dann verstärkt Rattenfänger (wie z.B. Haider) kommen und den Zorn, der sich ausbreiten wird, ausnutzen, dann kann es heiter werden.
Werner Voigt
oder
Die Tricks des Theologen Joseph Ratzinger
von Johannes Glötzner
Joseph Ratzingers "Einführung in das Christentum", 1968 erstmalig erschienen, gehört zu den meistgekauften theologischen Schriften in der Bundesrepublik: Die Ausgabe des Kösel-Verlags erreichte bereits 11 Auflagen, zu denen inzwischen mehrere Auflagen als dtv-Taschenbuch hinzukamen. Der dtv-Umschlag nennt das Buch großspurig "eine Summe der modernen Theologie", verfaßt in einer Sprache, die auch dem Nichttheologen verständlich ist". Gerade mit der Sprache, mit den Sprachmitteln dieses Buches möchte ich mich befassen, ohne näher auf den Inhalt einzugehen.
Es ist nicht verwunderlich, daß dieses Buch "ankommt": Ratzinger versteht es, kunstvoll gedrechselte Sätze in geschliffener Sprache aneinanderzureihen. Auf den ersten Blick erscheint alles so schön, so richtig, so einleuchtend (und Ratzinger betont auch immer wieder, wie recht er hat, und wie logisch er ist), man läßt gerne dieses leicht dahinplätschernde Gesäusel über sich ergehen, bis es einem zu dumm wird, bis man daran geht, die Sache, die Sprache, die "Argumentations"-Weise etwas näher zu untersuchen. Dann kann es einem ergehen wie Frau Alving in Ibsens "Gespenster", die Pastor Manders gegenüber bemerkt: "Da war es, daß ich Ihre Lehren an meinem eigenen Saum prüfen wollte. Nur einen einzigen kleinen Stich wollte ich auftrennen; aber als ich den gelöst hatte, riß das Ganze auf. - Da erkannte ich, daß alles nur Maschinennäherei war."
Joseph Ratzingers Maschinennäherei besteht darin, daß er alles, was er behauptet (aber gerade in den wichtigsten Aussagen kaum wirklich entwickelt, geschweige denn beweist), als absolut logisch und schlüssig hinstellt, während er auf andere Lehrmeinungen gar nicht näher eingeht, sondern sie schlecht und lächerlich zu machen sucht.
Es geht in dem Buch um Glaubensfragen, speziell um das "Glaubensbekenntnis". Aber Ratzinger sagt nun nicht - wie man vielleicht erwarten könnte: Das ist meine Meinung; so könnte man das auffassen; es gibt aber noch andere Interpretationsmöglichkeiten; aus dem und dem Grund neige ich eher zu dieser Ansicht. Nein: Ratzinger meint nicht, entwickelt nicht, wählt nicht, er hat gar nicht die Möglichkeit dazu; denn bei ihm entwickelt sich alles von selbst: Es "ergibt sich zwingend", bzw. die "Logik ist zwingend", und zwar nicht irgendeine, sondern die "innere Logik" zwingt; mit einer "inneren Notwendigkeit" (und das wird des öfteren betont) geht da alles vor sich. Da kann man nichts machen. Das liegt einfach an der "unbestreitbaren Schlüssigkeit des Systems", an der "Unausweichlichkeit" der von Ratzinger "entwickelten Logik". Das wird jeder "sofort erkennen", der "näher" oder "genauer zusieht". Und wenn's jemand nicht erkennen sollte, dann liegt das weder an den (nicht vorhandenen oder nicht plausiblen) Argumenten des Autors, noch an der (Nicht-)Schlüssigkeit des Ganzen, sondern am Leser: Der hat eben nicht genau genug hingeguckt. Der gehört dann eben zu jenen anderen, die sich dieser "unausweichlichen Logik" nicht beugen wollen, aus "verstecktem Stolz" oder aus "Vernunftstolz", zu jenen "unkritischen", die sich so "kritisch gebärden", um "nur ja nicht etwa rückständig" zu erscheinen (...). Nein, da möchte man nicht dazugehören, zu diesen "unernsten", ja "unehrlichen" mit ihrer "Widersprüchlichkeit, die man beinahe als tragisch bezeichnen möchte" (eine Wallung der Rührung für diese ach so bedauernswerte Geschöpfe), zu denen, die "wohlklingende Allgemeinheiten" auftischen, welche "den Ohren der Zeitgenossen schmeicheln"; zu denen, "die sprachlich nicht exakt vorgehen" (...) und "alles durcheinandermischen, was man gern zusammenhängen sehen möchte".
Mit solchen und ähnlichen schmeichelhaften und pauschalen Urteilen bedenkt Ratzinger seine Gegner, die er kaum je beim Namen nennt, kaum je durch Zitate zu Wort kommen läßt. Dann müßte er sich nämlich damit auseinandersetzen. So aber kann er nach Belieben Popanze errichten und überwinden, um dann als siegreicher Drachentöter von dannen zu ziehen, neuen Aufgaben entgegen. Wie sagte doch Machiavelli so schön? Der Fürst solle sich "mit List Feinde schaffen, damit er durch ihre Überwindung seinen Ruhm vergrößere"! Am besten sind natürlich fingierte Feinde; ein solcher wird im Kapitel "Ein modernes Klischee des 'historischen Jesus'" aufgebaut: Eine wahre Meisterleistung auf dem Gebiet der Überwindung von (in der Form gar nicht vorhandenen) Gegnern mittels Lächerlichkeit, Übertreibung und geschickter Wortwahl (hier z.B. Klischee, Vulgarisierungsform, vorgeben, abstrus, absurd; Hypothesen-Konglomerat).
Der Beginn dieses Kapitels klingt ganz sachlich, behutsam, vertrauenserweckend: "Wir müssen langsam vorgehen. Wer war eigentlich Jesus von Nazareth? Wie verstand er sich?" Diese Fragen werden nun quasi aus der Sicht des Gegners beantwortet: "Wenn man dem Klischee glauben dürfte, das sich als Vulgarisierungsform moderner Theologie heute weithin auszubreiten beginnt, wären die Dinge etwa so verlaufen: Den historischen Jesus müßte man sich als eine Art von prophetischem Lehrer vorstellen ..." Und so geht es dann weiter, schön im Konjunktiv und zwar über zwei Seiten hinweg: immer wieder "sei" (15x), "habe" (10x), werde, hätte, könne, müsse ... (Man setze irgendeinen plausibel klingenden Satz in den Konjunktiv, dann wirkt er bedeutend unglaubwürdiger, unwahrscheinlicher!) Weitere Zitate gefällig? Bitte sehr: "Halten wir uns nicht dabei auf, daß eine so inhaltslose Botschaft, mit der man vorgibt, Jesus besser zu verstehen, als er sich selbst verstand, schwerlich jemandem etwas hätte bedeuten können. Hören wir lieber etwas zu [wem eigentlich?], wie es weitergegangen sein soll. Aus Gründen, die nicht mehr recht zu konstruieren seien, sei Jesus hingerichtet worden (...) Danach sei auf eine auch nicht mehr recht [schon wieder!] erkennbare Weise der Auferstehungsglaube entstanden ..."
Natürlich hat es Ratzinger dann nicht mehr nötig, auf irgendein Argument näher einzugehen. Nach dem letzten "sei" kommt auch gleich sein Urteil: "Das Ganze ist für den historisch Denkenden [Ratzinger zählt sich offenbar zu diesen] ein absurdes Gemälde, auch wenn es heute scharenweise seine Anhänger findet; für meinen Teil gestehe ich freilich, daß ich, auch vom christlichen Glauben abgesehen [?], lieber und leichter zu glauben imstande bin, daß Gott Mensch wird, als daß ein solches Hypothesen-Konglomerat zutrifft". (Raffiniert: nur zwei Alternativen aufzuzeigen und dann die unwahrscheinlichere auszuschließen. Die andere stimmt dann unweigerlich, oder?) Das dürfte genügen: Es spricht für sich selbst und das Niveau des Obertheologen Joseph Ratzinger.
Noch ein kleines Schmankerl als Dreingabe: Ratzinger spricht gerne (wie auch obige Zitate zeigen) in der Wir-Form, wohl um den Leser gleich in seine Gedanken- bzw. Glaubenswelt mit einzubeziehen oder einfach weil er von sich eingenommen ist: der Papst verwendet ja auch den Pluralis majestatis. Im Abschnitt über die Dreifaltigkeit benutzt nun Ratzinger das Bibelwort "Laßt uns den Menschen machen" als Argument dafür, daß Gott in mehreren Personen existiert ("... daß Gott im Gespräch mit sich selbst zu stehen scheint. Es gibt ein Wir in Gott"). Womit auch die 3-Faltigkeit Ratzingers bewiesen sein dürfte.
Nr. 16 ("Kirche, Staat und Demokraten") Zeitschrift VORGÄNGE
(Heft 4/1975, S.105ff)
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Aktualisiert am 12.11.11