Religion oder Ethik?

Zum Berliner Volksentscheid 'Pro Reli'  

'Pro Reli' war ein Volksbegehren im Land Berlin, dessen Ziel es war, durch einen Volks- entscheid das Schulgesetz Berlins zu ändern. Dieses sieht seit 2006 für die Klassenstufen 7 bis 10 das neu eingeführte Fach Ethik als ordentliches Lehrfach vor, während Religions- und Weltanschauungsunterricht &endash; wie seit 1948 &endash; in Berlin ab der ersten Klasse zusätzlich freiwillig besucht werden kann. Pro Reli wollte diese Regelung durch eine nach Konfessionen getrennte Wahlpflichtfachgruppe Ethik/Religion ab der ersten Klasse ersetzen. Pro Reli war das erste Volksbegehren, das nach der 2006 in der Verfassung von Berlin eingeführten Volksgesetzgebung ein Gesetz auf Berliner Landesebene ändern sollte. Beim Volksentscheid am 26. April 2009 wurde der Gesetzentwurf von den Abstimmenden mit knapper Mehrheit abgelehnt; das notwendige Zustimmungsquorum von 25 Prozent der Stimmberechtigten wurde zudem deutlich verfehlt.

Zur Sache

Die Ausgangslage war recht klar. In einer traditionell wenig religiösen Stadtkultur mit aktuell rund 689.000 (20,2 %) evangelischen Kirchenmitgliedern, 318.000 (9,3 %) Katholiken, 216.000 (6,3 %) Muslimen, 11.000 (0,3 %) Juden und 112.000 (3,3 %) Mitgliedern weiterer Religionsgemeinschaften &emdash; wobei sich die Religiösen auf mehr als 360 Gruppen und Glaubensgemeinschaften verteilen &emdash;, sind 2,1 Millionen (61%) der Bevölkerung konfessionsfrei. (aus einem Kommentar von Carsten Frerk, hpd)

BERLIN. (Bündnis/hpd) Der Pro-Reli-Gesetzentwurf zum Wahlpflichtbereich Ethik/Religion beim Volksentscheid am 26. April ist klar gescheitert. Die Berliner Bürgerinnen und Bürger wollen weiterhin den gemeinsamen Ethik- und den freiwilligen Religionsunterricht.

Der vom Verein Pro Reli initiierte und von den Kirchen, der CDU und der FDP unterstützte Berliner Volksentscheid zu einem Wahlpflichtbereich Ethik/Religion ist nach den am späten Abend des 26. April vorliegenden Ergebnissen klar gescheitert. Pro Reli hat nicht nur die erforderlichen 25 % Ja-Stimmen aller in Berlin Stimmberechtigten mit 14,2 % deutlich verfehlt, was heißt, dass weniger als ein Sechstel der Berliner Bevölkerung einen Wahlpflichtbereich Religion/Ethik will. Zudem wurde der Pro-Reli-Gesetzentwurf von der Mehrheit der Teilnehmer an der Abstimmung (51,3 %) abgelehnt. Ihre Zustimmung dazu gaben nur 48,5 % der Teilnehmer. Die Wahlbeteiligung lag mit 29,2 % aller Abstimmungs- berechtigten niedriger als beim Volksentscheid zu Tempelhof 2008 (Näheres).

Zu den Abstimmungsergebnissen erklärt Dr. Gerhard Weil, Sprecher des Bündnisses Pro Ethik als Zusammenschluss von 22 Verbänden, Parteien und Gruppen: "Wir begrüßen das Ergebnis des Volksentscheids. Pro Reli und seinen Unterstützern ist es nicht gelungen, zu überzeugen.

Viele Berlinerinnen und Berliner tragen offensichtlich unsere Argumente mit, dass ein gemeinsamer Ethikunterricht für unsere Metropole mit ihrer Vielfalt an Menschen verschiedener Nationalitäten, Kulturen, Religionen und Weltanschauungen unverzichtbar ist.

Mit ihrem Votum haben die Berlinerinnen und Berliner einen großen bildungspolitischen Rückschritt verhindert. Ethik bleibt für die Schüler der 7.-10. Klasse ein gemeinsames, dem Dialog und Miteinander verpflichtetes Fach. Religionsunterricht bleibt unverändert freiwillig.

Notwendig ist nun, an der Konsolidierung und Weiterentwicklung des Faches Ethik arbeiten. Zudem gilt es, die in der harten Auseinandersetzung der letzten Monate aufgerissenen Gräben zuzuschütten. Dies wird nicht einfach sein." (Gerd Eggers)

Zu den Begriffen

Religion bedeutet Rückbindung und steht für eine Vielzahl unterschiedlicher kultureller Phänomene, die menschliches Verhalten, Handeln und Denken prägen und Wertvorstellungen normativ beeinflussen. Es gibt keine wissenschaftlich allgemein anerkannte Definition des Begriffs Religion. Pragmatisch könnte man sagen: Religion ist geistig-emotionale Rückbindung des Einzelnen an die Mitwelt zur Stabilisierung der Identität.

Ethik bedeutet Lehre vom sittlichen Verhalten; auch als "praktische Philosophie" bezeichnet, da sie sich mit dem menschlichen Handeln befasst. "Ethik ist eine bis ins Unendliche erweiterte Verantwortung. (Albert Schweitzer)"

Zur Lage

Unsere real existierende Gesellschaft befindet sich in der Anfangsphase einer Weltwirtschaftskrise als Ergebnis einer Finanzkrise. Unsere verschiedenen Krisen haben ihre Ursachen weniger in falschen Systemen, als vielmehr in einer seit Jahrzehnten schwelenden Kulturkrise in der eine zunehmende Verwahrlosung der Menschenbildung stattfindet und uns in dieser Hinsicht heute nur noch von den Resten der Substanz leben läßt.

Jedes System, ob Regierungs-, Geld- oder Wirtschaftssystem, ist nur so stark wie ihr schwächstes Glied, der Mensch. Die Auslöser der Finanzkrise beispielsweise, die Global Player (Spieler!) und Bankberater sind größtenteils ethisch bildungsferne Menschen, die innerlich nicht erwachsen, sondern kriminell geworden sind. Ihnen fehlt es an der nötigen Qualität des Menschlichen, an verantwortlicher Menschlichkeit. "Das Problem des Menschen in dieser Welt ist der Mensch."

Zitat: "Der Mensch echt religiöser Kulturen könnte vielleicht mit einem Kind von acht Jahren verglichen werden, das einen Vater als Retter braucht, das jedoch angefangen hat, die Lehren und Prinzipien des Vaters in sein Leben zu übernehmen. Der zeitgenössische Mensch ähnelt jedoch einem Kind von drei Jahren, das nach dem Vater ruft, wenn es ihn braucht, und sonst zufrieden ist, wenn es spielen kann. (Erich Fromm)"

"So wahr mir Gott helfe" schwören Politiker und glauben an die Macht des Geldes mit dem sie Global Player weltweit spielen lassen.

Zitat: "Außerhalb ihrer Spezialbildung haben die meisten heutigen Gebildeten an den gleichen Gemeinplätzen Anteil wie die einfachen Zeitungsleser. (Etienne de Greeff)" - "Manche erlangen die Mittlere Reife und behalten diese ihr Leben lang bei."

"In mehr denn anderthalb Menschenaltern erfuhren wir zur Genüge, daß die Weltanschauung der Weltanschauungslosigkeit von allen die wertloseste ist und nicht nur Ruin des geistigen Lebens, sondern Ruin überhaupt bedeutet. Wo keine Generalstabsoffiziere einem Geschlecht den Plan seines Kampfes ausdenken, führen es die Unteroffiziere, in den Ideen wie in den Handlungen, von Abenteuer zu Abenteuer. Der Wiederaufbau unserer Zeit muß also mit dem Wiederaufbau der Weltanschauung beginnen. Das scheinbar Entlegene und Abstrakte ist so dringend, wie kaum etwas anderes. ... Für die Gesamtheit wie für den Einzelnen ist das Leben ohne Weltanschauung eine pathologische Störung des höheren Orientierungssinnes. (Albert Schweitzer, Kulturphilosophie I, 1923)"

"Jeder Mensch hat grundsätzlich von der Natur die Anlage, einen hohen Grad an Weisheit zu erlangen. Die bisherigen Kulturen lassen jedoch eine solche Entwicklung nur in Ausnahmefällen zu. Die Menschheit insgesamt zeigt keine Weisheit, sie gleicht einem Bakterienstamm, der sich ungehemmt solange vermehrt, bis seine Lebensgrundlagen verbraucht sind. Mag sein, daß dies der Sinn der Schöpfung oder der Natur ist, menschenwürdig ist es nicht. - Kultur braucht deshalb Erneuerung: eine humanistische Orientierung zur verstärkten Bildung von verantwortlicher Menschlichkeit!"

Hier einige Grundsätze einer zeitgemäßen ethischen Rückbindung:

"Wir sind ein einmaliger und unverwechselbarer Teil der sich immer wieder erneuernden, wundervollen Natur, für die wir Verantwortung tragen so wie für die kommenden Generationen und für die Bewohnbarkeit des Planeten. Alle Menschen werden Brüder und Schwestern, sie gehören gleich-berechtigt zur einen großen Menschheits-Familie."

"Sinn unseres Lebens ist größtmögliche Entfaltung und Vervollkommnung der eigenen Persönlichkeit in größtmöglicher Harmonie und Verbundenheit zu unserer Mitwelt."

"Wenn es heute einen Glauben gibt, der vertretbar ist, dann ist es der Glaube an die Bildungsfähigkeit des Menschen zu einem sozial und ökologisch handelnden, mündigen Gemeinschaftswesen und daran, daß die Natur den Menschen nicht braucht, wohl aber der Mensch die Natur."

"Mündigkeit bedeutet mehr als nur Volljährigkeit. Mündigkeit heißt, eine kritische Distanz nicht nur zu seiner Mitwelt, sondern auch zu sich selbst zu haben, für sich selbst voll- und für seine Mitwelt mitverantwortlich sein zu können und zu wollen."

Was wir zur Menschenbildung beitragen können:

* Ideen entwickeln von Alternativen zu - und zur Reform von - unglaubwürdigen Glaubenslehren, um wegzukommen von Heiligenverehrung hin zur Orientierung an einem ganzheitlichen Menschenbild und zur Arbeit der Umsetzung daran;

* Projekte entwerfen, inhaltlich und organisatorisch zum Philosophieren mit Kindern;

* Ideen entwickeln zu einem Unterrichtsfach Persönlichkeitsbildung in allen Schulen;

* Jugend-Seminar, mehrtägig für alle Schüler von 14 Jahren mit Gesprächen, Rollenspielen und Erlebnis-Projekten wo Selbstwahrnehmung, -findung, -bewußtsein, -vertrauen, -sicherheit, Kritik- und Konfliktfähigkeit sowie Lebensorientierung und Identitätsstärkung eingeübt werden. Mit einer abschließenden Feier würde gewissermaßen ein Initiationsritual den Übergang vom Kind zum Jugendlichen nachdrücklich bekunden.

* Später kann mit 18 Jahren auch die Volljährigkeit öffentlich gewürdigt werden, um den Jugendlichen ihre neue Identität als gleichberechtigte Staatsbürger bewußt erlebbar werden zu lassen. Beispiele gibt es bereits.

Zitat: "Einer der Wege, die zum w a h r e n Menschsein führen, besteht in dem Bemühen, aus der Anerkennung der Wahrheit Lust zu schöpfen, anstatt aus dem Glauben an schöne, aber falsche Vorstellungen. Man muß sich von Vorurteilen, seien sie nun idealistischer oder religiöser Art, zu seinem eigenen Wohle, zum Wohle unserer Kinder und zum Wohle unserer Mitmenschen befreien. (Herbert James Campbell, Neurologe)"

Zitat: "Wir selbst müssen die Veränderung sein, die wir in der Welt sehen wollen." (Mahatma Gandhi)

Ich rufe dazu auf, Arbeitskreise zum Thema Menschenbildung zu betreiben.

Rudolf Kuhr


Vereinen statt spalten!
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Lehrer für Allah

Streit um Islamunterricht

Ein Bericht von Kristina Böker und Ahmet Senyurt

aus der TV-Sendung REPORT Mainz am 19.06.2000 SWR

Dieser Bericht kann hier leider nicht mehr gezeigt werden, da der Rechtsanwalt des SWR mit Brief vom 20.07.00 zur Vermeidung rechtlicher Weiterungen dazu aufforderte, den Text umgehend, spätestens jedoch bis 31.07.2000 von der Homepage zu entfernen.

Briefwechsel hierzu


Der REPORT-Bericht untersuchte die Fragen, was 7000.000 Schulkinder muslimischen Glaubens, der drittgrößten Religionsgemeinschaft der BRD, für einen Religionsunterricht bekommen sollen, woher die Lehrer kommen, wer dafür garantiert, daß unsere Verfassung respektiert wird und radikale Fundamentalisten keine Chancen bekommen. Es kommen Experten der Ministerien sowie Verfassungsschützer aus Baden- Württemberg, Berlin und Bayern mit unterschiedlichen Meinungen zu Wort. 

Der Bericht ist nachzulesen auf der Homepage von REPORT Mainz: www.swr-online.de/report

 

Anmerkung

Eine sinnvolle Lösung des Problems wäre ein gemeinsamer Ethikunterricht für alle, in welchem die wesentlichen universellen ethischen Grundlagen erarbeitet werden, die in verschiedenen Religionen enthalten sind, unter dem integrierenden Leitgedanken: Achte deine Mitwelt wie dich selbst. 

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Mit freundlichen Empfehlungen 
Humanistische AKTION  
6/2000 
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www.humanistische-aktion.de/relunt.htm

Aktualisiert am 23.05.09