Das  Böse  als  Wesen
und als Eigenschaft?

Eine logische Betrachtung
 

Ist das Böse wie auch das Gute, das Kranke, das Gesunde ein Wesen und eine Eigenschaft? Oder ist es die Wertung eines Vorgangs, eines Zustands oder Vorsatzes? Wenn ich sage, ich glaube an das Gute im Menschen, dann meine ich damit, ich glaube an die Fähigkeit jedes Menschen, Gutes zu tun und schließe damit seine Fähigkeit auch Böses zu tun nicht aus. Ich gebe damit einen Vertrauensvorschuß, der verbindend wirkt. Wenn ich sage, ich glaube an das Böse im Menschen, klingt das schon etwas anders, ich schließe damit zwar seine Fähigkeit, auch Gutes zu tun nicht aus, bringe aber eine negative Einstellung zum Ausdruck, die zwischenmenschliche Verbindungen erschwert.

Das Böse als Wesen und als Eigenschaft zu sehen, entspringt wahrscheinlich einer dualistischen religiösen Sicherheitssuche und dem Wunsch, die eigene Fähigkeit, böse zu sein, zu verarbeiten und zu bekämpfen. Ich kann so mit der Sündenbock-Methode auch leichter andere Menschen mit dem Bösen identifizieren, um mich zu entlasten und moralisch über sie zu stellen.

Ist das Böse nicht weniger eine religiöse und philosophische, als vielmehr eine psychologische Frage? Ist das Böse nicht etwas, das von einer Person ihrer Mitwelt zugefügt und von dieser so empfunden wurde? Wenn anstatt von dem Bösen von dem Schädigenden gesprochen würde, dann käme man wohl kaum auf den Gedanken, dieses Schädigende als Wesen oder als Eigenschaft zu sehen. Wenn wir gar anstatt von dem Schädigenden vom Schadenverursachenden sprechen würden, dann kämen wir der Lösung des Problems mit dem Bösen schnell näher. Das Bekämpfen des Bösen kann danach sinnvoll nur durch die Beseitigung der Ursachen erfolgen. Ist das Böse nicht eine Re-aktion auf eine vorhergegangene Aktion? Ein Mensch, der böse wird, hat dafür meist einen unmittelbaren oder mittelbaren Grund, demnach wäre Kriminalität eher das Symptom einer kranken Familie oder Gesellschaft, als eine individuelle Eigenschaft.

In der Natur kann es das Böse nicht geben, dort sind die Vorgänge mangels Entscheidungsfähigkeit wertneutral, nur Ursache und Wirkung sind von Bedeutung. Erst der Mensch wertet und urteilt. Von daher können wir für unser menschliches Problem mit den Maßstäben für Gut und Böse keine Vergleiche mit der Natur anstellen, um beispielsweise Böses zu rechtfertigen. Wir können nur die Ursachen für manche unserer tierähnlichen Verhaltensweisen deutlicher erkennen, um dann zu entscheiden, ob wir uns tierisch oder menschlich verhalten wollen, zum Beispiel wenn es um Aggressivität oder Sexualität geht. Aber auch bereits in sachlichen Gesprächen unter Intellektuellen sind nicht selten Verhaltensweisen zu beobachten, die denen von Platzhirschen sehr ähnlich sind.

Ist die Diskussion um das Böse als Wesen oder als Eigenschaft nicht eigentlich vor allem dazu geeignet, die Ursachen meiner psychischen Probleme auf ein abstraktes Objekt zu übertragen, um einer - meist anstrengenden - realistischen Auseinandersetzung mit meiner Mitwelt und mit mir selbst bequemerweise auszuweichen?

Rudolf Kuhr

 

Freund, der Mensch ist gut, und will das Gute;
er will nur dabei auch wohl sein, wenn er es tut;
und wenn er böse ist, so hat man ihm sicher
den Weg verrammelt, auf dem er gut sein wollte.


Heinrich Pestalozzi, Pädagoge (1746-1827)

Das Böse verstand Miller im Sinne der Destruktivität geschädigter Menschen. Dass es Menschen gibt, die ursachenlos böse auf die Welt kommen, lehnte sie als falsche Behauptung ab: "Ganz im Gegenteil, alles hängt davon ab, wie diese Menschen bei der Geburt empfangen und später behandelt wurden."

Alice Miller, Kindheitsforscherin (1923-2010)

 

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7/1995,2
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Aktualisiert am 12.10.12