DOKUMENTATION Für eine "Universale Weltethos-Erklärung"
Vorgetragen von Hans Küng vor der UNESCO in Paris am 15. November
1991 Es widerspricht dem gesunden Menschenverstand, daß Katholiken und Protestanten sich in Nordirland gegenseitig in die Luft sprengen, daß Hindus und Buddhisten sich in Sri Lanka massenweise gegenseitig massakrieren, daß Juden und Muslime im Nahen Osten am Abgrund des Krieges entlangtaumeln, daß Sikhs und Hindus sich im Punjab gegenseitig terrorisieren, daß Muslime und Hindus in Kaschmir sich ständig in Aufruhr feindlich gegenüberstehen, daß sich Marxisten und Muslime in Mghanistan haufenweise umbringen, daß verschiedene Gruppierungen von Christen und Muslimen im Libanon aus "der Schweiz des Nahen Ostens" ein grauenerregendes Leichenhaus gemacht haben, und so weiter, und so weiter. Unsere Religionen müssen dieser Perversion von Religion ein Ende setzen! Anmerkung 1) Moderne, säkularisiert eingestellte Manner und Frauen beschämen oft religiös engagierte Frauen und Männer durch ihre Menschenliebe und ihr Mitleid. Doch letztlich fällt es ihnen schwer, für solch positives Verhalten gegenüber Mitmenschen eine theoretische Begründung zu finden. Denn warum sollte jemand - rein vernünftig gedacht - seinem "Nächsten" Fürsorge und Liebe angedeihen lassen? Anmerkung 2) *** Die Religionen haben jedoch tiefe Anworten auf diese grundlegende ethische Frage. Doch dürfen sie nicht länger mit verschiedenen und verwirrenden Zungen davon reden. Ebensowenig dürfen sie jene Männer und Frauen ignorieren, deren Weltanschauungen die Funktion von Religionen übernommen haben, indem sie ihnen eine Erklärung des letzten Lebenssinns sowie eine Moral, durch die sie ihr Leben entsprechend gestalten können, vermitteln, obwohl diesen Erklärungen keine "Transzendenz"-Vorstellungen zugrundeliegen wie den Religionen. Anmerkung 3) Ein weltweiter Dialog, ein globaler Dialog muß in Gang gesetzt werden, der zu einem Konsens über ein Weltethos führen soll. Mit "Ethos" ist hier eine Grundeinstellung zu Gut und Böse gemeint sowie die Grundprinzipien, um eine solche Einstellung in die Tat umzusetzen. Bilaterale Dialoge zwischen Religionen sind zwar weiterhin dringend notwendig, aber für die Welt von heute und von morgen reichen sie nicht aus. Durch Organisationen wie die Weltkonferenz für Religion und Frieden ist zwar ein erster Schritt getan, aber ein solches gelegentliches Treffen im großen Stil ist bei weitem nicht ausreichend. Die Lage hat sich zu sehr zugespitzt und wird in atemberaubender Geschwindigkeit immer bedrohlicher. Die Welt kann sich den Luxus nicht länger leisten, geduldig auf ein Weltethos zu warten! Es muß unmittelbar gehandelt werden: 1. Jede große Religion soll ihre fachkundigen Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen damit beauftragen, ihre Forschung und ihre Reflexion auf die Herausarbeitung eines Weltethos aus der Perspektive ihrer Religion auszurichten - im Dialog mit allen anderen Religionen. 2. Jede wissenschaftliche Institution, die über Experten für religiöse und ethische Fragen verfügt, soll diese drängen, ihre schöpferischen Energien untereinander und zusammen mit Experten aus anderen religiösen und ethischen Institutionen in den Dienst der Erarbeitung dieses Weltethos zu stellen. 3. Wissenschaftlich arbeitende, interreligiöse und ethische "Arbeitsgruppen" sollen gebildet werden, die sich auf diese Fragen konzentrieren; bereits vorhandene Arbeitsgruppen mögen sich ebenfalls darauf ausrichten. 4. Außerdem soll ein großes ständiges Forschungszentrum für Weltethos gegründet werden, in dem einige der fähigsten Experten aus den Weltreligionen und ethische Gruppierungen ständig arbeiten sollen, möglicherweise viele Jahre hintereinander, um dieses Ziel in seinen vielen Verzweigungen zu verfolgen. Diese Anstrengungen sollen Forschung und Reflexion über Weltethos und ähnliche Fragen bündeln und einmünden lassen in eine allgemeine Erklärung eines Weltethos. Sie soll dann den verschiedenen Foren der Religionen und ethischen Gruppierungen der Welt vorgelegt werden, damit diese Revisionsvorschläge machen können. Ziel wäre, daß alle Religionen und ethischen Gruppierungen der Welt sie annehmen. Einer solchen allgemeinen Erklärung eines Weltethos könnte dann eine ähnliche Funktion zukommen wie der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte durch die Vereinten Nationen von 1948: Eine Art Norm, der zu entsprechen sich alle verpflichten. Ein solches Unternehmen von seiten der Religionen und ethischen Gruppierungen der Welt würde sich von der Arbeit der Vereinten Nationen unterscheiden, aber sie zugleich ergänzen. Die Vereinten Nationen mobilisieren die politische Macht aller Nationen, um die Verwirklichung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte" und der nachfolgenden UNO-Dokumente zu erreichen. Die allgemeine Erklärung eines Weltethos würde in umfassender Weise die moralischen und spirituellen Ressourcen aller Religionen und ethischen Gruppierungen für die Lösung der ethischen Grundprobleme der Welt mobilisieren, die sich durch den Einsatz politischer Macht nur schwer bewältigen lassen. Anmerkung 4) *** Reaktionen und Anfragen können gesandt werden an: Prof. Leonard Swidler, Journal of Ecumenical Studies, Temple University, Philadelphia, PA 19 122; FAX: 215-787-4569. Verfasser: Leonard Swidler (kath.); Hans Küng (kath.) Bislang unterschrieben von: Mohammed Arkoun (muslim.), Julia Ching (kath./konfuz.), John Cobb (method.), Khalid Duran (muslim.), Heinrich Fries (kath.), Glaude Geffré (kath.), Irving Greenberg (jüd.), Norbert Greinacher (kath.), Riffat Hassan (muslim.), Rivka Horwitz (jüd.), John Hick (presbyt.), Gerfried Hunold (kath.), Adel Khoury (kath.), Paul Knitter (kath.), Karl-Josef Kuschel (kath.), Pinchas Lapide (jüd.), Johannes Lähnemann (evang.), Dietmar Mieth (kath.), Paul Mojzes (method.), Jürgen Moltmann (evang.), Fathi Osman (muslim.), Raimon Panikkar (kath./hindu./buddh.), Daniel Polish (jüd.), Rodolfo Stavenhagen (Soziologe), Theo Sundermeier, (evang.), Tu Wei-Ming (konfuz.).
Süddeutsche Zeitung 16.11.91
2) Ein Humanist verhält sich seinen Mitmenschen gegenüber positiv, nicht weil ihm dies eine Autoritätsperson nahelegt, sondern aus einer inneren, naturgegebenen Verbundenheit heraus. Ihm fällt eine theoretische Begründung sogar leichter, weil er sich nicht konfessionell oder ethnisch von seiner Mitwelt abgrenzt, sondern als Teil derselben empfindet und im Gegensatz zu beispielsweise einem Katholiken eine unterlassene Hilfeleistung nicht beichten kann, er würde schuldig bleiben. (zurück) 3) Die tiefen Antworten der Religionen sind transzendierte säkulare Wert- und Moralvorstellungen, die in allen Religionen und Weltanschauungen als das wesentlich Menschliche enthalten sind. Säkulare Weltanschauungen haben von Religionen weder Moral, noch einen letzten Lebenssinn übernommen, sie entnehmen diese einer realen Anschauung der Welt. Sie finden sich mit der Endlichkeit irdischen Lebens ab und transzendieren keine Wunschvorstellungen von einem ewigen Leben. (zurück)
4) Siehe auch 'Allgemeine Erklärung der
Menschenpflichten' - der UNO vorgelegt vom 'InterAktion Council'.
(zurück)
speziell hierzu auch ein Briefwechsel
www.humanistische-aktion.de/weltetho.htm |
Aktualisiert am 19.12.06