Wahrhaftigkeit
Gedanken von Albert Schweitzer
Wahrhaftigkeit ist das Fundament des geistigen Lebens. Durch seine
Geringschätzung des Denkens hat unser Geschlecht den Sinn für
Wahrhaftigkeit und mit ihm auch den für Wahrheit verloren. Darum ist
ihm nur dadurch zu helfen, daß man es wieder auf den Weg des Denkens
bringt. Es wird unbegreiflich bleiben, daß unser durch Errungenschaften
des Wissens und Könnens so groß gewordenes Geschlecht so
herunterkommen konnte, auf das Denken zu verzichten.
Die Philosophie gab den Zusammenhang mit dem im Menschen natürlich
vorhandenen Suchen nach Weltanschauung preis und wurde zu einer Wissenschaft
von der Geschichte der Philosophie. Das geistige und materielle Elend, dem
sich unsere Menschheit durch den Verzicht auf das Denken und die aus dem
Denken kommenden Ideale ausliefert, stelle ich mir in seiner ganzen
Größe vor. Als unverlierbaren Kinderglauben habe ich mir den an
die Wahrheit bewahrt.
Ich bin der Zuversicht, daß der aus Wahrheit kommende Geist
stärker ist als die Macht der Verhältnisse. Finde ich Menschen,
die sich gegen den Geist der Gedankenlosigkeit auflehnen und als
Persönlichkeiten lauter und tief genug sind, daß die Ideale ethischen
Fortschritts als Kraft von ihnen ausgehen können, so hebt ein Wirken
des Geistes an, das vermögend ist, eine neue Gesittung in der Menschheit
hervorzubringen.
Weil ich an die Kraft des Geistes und der Wahrheit vertraue, glaube ich
an die Zukunft der Menschheit.
Jede tiefere Religiosität wird denkend,
jedes wahrhaft tiefe Denken wird religiös.
Albert Schweitzer, Arzt und Philosoph (1875-1965)
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Geistiges Selbstvertrauen
Albert Schweitzer über sozialen Zwang
und Freiheit
Die organisierten staatlichen, sozialen und religiösen Gemeinschaften
unserer Zeit sind darauf aus, den Einzelnen dahin zu bringen, daß er
seine Überzeugungen nicht aus eigenem Denken gewinnt, sondern sich
diejenigen zu eigen macht, die sie für ihn bereit halten. Ein Mensch,
der eigenes Denken hat und damit geistig ein Freier ist, ist ihnen etwas
Unbequemes und Unheimliches. Er bietet nicht genügende Gewähr,
daß er in der Organisation in der gewünschten Weise aufgeht. Alle
Körperschaften suchen heute ihre Stärke nicht so sehr in der geistigen
Wertigkeit der Ideen, die sie vertreten, und in der der Menschen, die ihnen
angehören, als in der Erreichung einer höchstmöglichen
Einheitlichkeit und Geschlossenheit. In dieser glauben sie die stärkste
Widerstands- und Stoßkraft zu besitzen. .......
Sein ganzes Leben hindurch ist der heutige Mensch also der Einwirkung von
Einflüssen ausgesetzt, die ihm das Vertrauen in das eigene Denken nehmen
wollen. Der Geist der geistigen Unselbständigkeit, dem er sich ergeben
soll, ist in allem, was er hört und liest, er ist in den Menschen, mit
denen er zusammenkommt; er ist in den Parteien und Vereinen, die ihn mit
Beschlag belegt haben; er ist in den Verhältnissen in denen er lebt
....
Der Geist der Zeit läßt ihn nicht zu sich selber kommen... Dieser
stetigen Beeinflussung kann er nicht den erforderlichen Widerstand leisten,
weil er ein überbeschäftigtes, ungesammeltes, zerstreutes Wesen
ist... Herabgesetzt wird sein geistiges Selbstvertrauen auch durch den Druck,
den das ungeheure, täglich sich mehrende Wissen auf ihn ausübt.
Er ist nicht mehr imstande, sich alle bekannt werdende Erkenntnis als etwas
Begriffenes anzueignen, sondern muß sie als etwas Unverstandenes für
richtig halten. Durch dieses Verhalten zur Wissenschaftswahrheit kommt er
in Versuchung, sich in den Gedanken hineinzufinden, daß seine Urteilskraft
auch in Sachen des Denkens nicht ausreiche. .....
Tatsächlich besitzt der moderne Mensch kein geistiges Selbstvertrauen
mehr. Hinter einem selbstsicheren Auftreten verbirgt er eine große
geistige Unsicherheit. Trotz seiner großen materiellen
Leistungsfähigkeit ist er ein in Verkümmerung begriffener Mensch,
weil er von seiner Fähigkeit zu Denken keinen Gebrauch macht. Es wird
unbegreiflich bleiben, daß unser durch Errungenschaften des Wissens
und Könnens so groß dastehendes Geschlecht geistig so herunterkommen
konnte, auf das Denken zu verzichten.
(Albert Schweitzer: "Aus meinem Leben und Denken", Leipzig
1931, 36.-40.Tsd. 1937; ausgewählt von Hans Rabanus, Leverkusen).
Der zahlreichere Teil der Menschen wird durch
den Kampf mit der Not viel zu sehr ermüdet und abgespannt, als daß
er sich zu einem neuen und härteren Kampf mit dem Irrtum aufraffen sollte.
Zufrieden, wenn er selbst der sauren Mühe des Denkens entgeht,
läßt er andere gern über seine Begriffe die Vormundschaft
führen und ergreift mit durstigem Glauben die Formeln, welche der Staat
und die Priester für ihn in Bereitschaft halten.
Friedrich Schiller, Dichter (1759-1805)
*
Man muß das Wahre immer
wiederholen, weil auch der Irrtum um uns immer wieder gepredigt wird. Und
zwar nicht von einzelnen, sondern von der Masse: In Zeitungen und
Enzyklopädien, auf Schulen und Universitäten. Überall ist
der Irrtum obenauf, und es ist ihm wohl und behaglich im Gefühl der
Majorität, die auf seiner Seite ist.
Goethe zu Eckermann
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Man kann einen Teil des Volkes
die ganze Zeit täuschen
und das ganze Volk einen Teil der Zeit,
aber man kann nicht das ganze Volk
die ganze Zeit täuschen.
Abraham Lincoln
*
Die Anerkennung des Naturgesetzes
ermöglicht Wahrhaftigkeit.
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Texte zum Thema Mensch
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Humanistische AKTION
11/1995,3 - 6/20005
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