Gott gibt die Nüsse, aber er beißt sie nicht auf. Goethe Sehen und Gestalten
Natur und Menschenwerk
Die botanisch Interessierten wieder wollen zuerst wissen, was ist das für eine Pflanze, wie heißt jener Baum? Ja, beim Anschauen meines Bildes "Dom im Winterwald" wurde ich sogar gefragt, wie alt werden diese Baume sein, wieviel Holz und wieviel Geld würden sie wohl bringen? Viele ähnliche Beispiele könnte ich anführen. Ist das Wissen darum, ob es sich bei dieser Arbeit oder bei jenem Kunstwerk um einen gotischen Stil, um Klassizismus oder um den Stil einer anderen Zeit handelt denn so wichtig? Vielen Menschen ist gerade dieses Wissen die Hauptsache, mehr gibt ihnen das Kunstwerk nicht. Max Laeuger sagte einmal sehr schön beim Anblick einer griechischen Plastik: "Frage nicht: woher? von wem? wie alt? welcher Stil, sondern lasse dich von dieser Schönheit bezaubern und fühle das Leben und die Ideale jener Kultur, die solche Wunder hervorgebracht hat." Und wie ist es in dem großen Garten der Natur? Ist es denn als erstes wichtig, beim Anblick der großartigen Bergwelt mit ihren schroffen Schluchten und lieblichen Talern zu wissen, was für einen Namen jedes Tal trägt und wieviel Meter jeder Berggipfel hoch ist? Nein, ich weiß sogar, daß diejenigen Menschen, die, um ja alles gesehen zu haben, rastlos nur nach dem Reiseführer durch das Land fahren und dann zu Hause angekommen stolz erzählen, daß sie außerdem diesen oder jenen Berg oder See noch "mitgenommen" haben, weniger wirklich gesehen haben, als der Mensch, der mit Ruhe und Andacht die erhabene Größe und Schönheit in sich aufgenommen hat, sie nicht nur in der harten, wilden Schroffheit der Felsen und Steine sah, sondern sie auch erlebte in den unscheinbaren Moosen und Farnen, in den Gräsern und Blumen am Wegesrand und auf den Wiesen. - Wer freute sich nicht bei einem Morgenspaziergang im Walde, wenn der erste Sonnenstrahl durch den Nebel bricht? Wie er unser Herz voll und warm macht, und wie er unsere Seele heiter und unser Gemüt fröhlich stimmt! Wer hier jetzt rechnend sich bemüht, festzustellen, wie lange wohl der Sonnenstrahl gebraucht hat, ehe er für uns auf der Erde sichtbar wurde, der betrügt sich um das Kostbarste. Beim Fotografieren der Bilder der Pfeifenwinde hatte ich gerade meinen Apparat eingestellt (Bild Seite 82). In dem Augenblick kam eine große Fliege (im Volksmund: "So 'n dicker, häßlicher Brummer") geflogen und setzte sich auf das eine sonnenüberflutete Blatt, vielleicht, um sich etwas zu wärmen, oder um nun von mir fotografiert zu werden? Ich war in diesem Augenblick fast erschrocken und so überrascht über das silbrig schimmernde Flügelkleid, daß ich das Gefühl hatte, etwas ganz Großes müsse hernieder gekommen sein. Meinen Apparat löste ich wohl aus, aber ob die Fliege auf den Film gebannt war, wußte ich nicht. Vergessen war fast das Erlebnis. Erst als ich nach längerer Zeit den Film entwickelte, entdeckte ich sie wieder - welch' eine Freude! In meinen Augen wurde die Fliege zum herrlichsten Diamantenschmuck auf samtenem Stoff. Wäre es nicht töricht, danach zu fragen, zu welcher Gattung diese Fliege gehört und wie ihr lateinischer Name heißt?
Selbstverständlich ist es gut, um diese Dinge zu wissen. Schon ein gewisses Maß von erworbenen Kenntnissen, gebildeter Geist, Gemüt und kultivierter Geschmack, läßt beim Schauen und Hören ein Kunstwerk zum größeren Erlebnis werden. So ist es auch mit der Naturbetrachtung. Liebe zur Natur ist niemals veraltet oder für gewisse "moderne" Menschen zu romantisch, sie ist aber auch nicht zeitgemäß, sondern sie ist und bleibt stets wertvoll, besonders in einer Zeit, in der wir leben. Ich darf nun nicht falsch verstanden werden, etwa als ob ich meine, daß die Menschen in eine Gefühlsduselei verfallen sollten. Im Gegenteil, wir sollten bedenken, daß gerade große Gelehrte und Wissenschaftler, die das Wissen um die Dinge beherrschen, sich am tiefsten verneigen vor den Wundern der Natur. Der Mensch, der nicht alles selbstverständlich hinnimmt und noch ein wenig Ehrfurcht hat, wird dadurch nicht kleiner, sondern größer werden. Die Natur ist schon immer in ihrer klaren Sprache die größte Lehrmeisterin der Menschheit gewesen. Um sie zu schauen, bedarf es nur eines offenen Blickes und eines empfänglichen Gemütes. Das sind zwei Eigenschaften, die der Mensch in unserem Zeitalter immer mehr zu verlieren scheint. Dem Einhalt zu bieten, soll dieses Buch ein Helfer sein. Es wäre wohl am besten, die Menschen, die durch das hastige Treiben in den Großstädten für diese Dinge ganz abgestumpft und blind geworden sind, hinauszuführen in die Natur - und sei es nur auf ein Stückchen Wiese oder an den Rand eines Baches, um sie wieder sehend werden zu lassen. Da diese Art, sicher wohl die schönste, die ich mir denken kann, nicht immer durchführbar ist - ein jeder kennt ja den Grund, wir haben eben keine Zeit mehr dafür - hat mir die Technik einen anderen Weg gewiesen. Mit Hilfe der Fotografie und ein paar Worten will ich nun versuchen, diesen Menschen die Natur näherzubringen, so, wie ich sie sehe und erlebe und was sie mir dadurch gibt. Ähnliches ist schon oft unternommen worden. Ich erwähne nur das Buch "Urformen der Kunst" von Karl Bloßfeldt, welches Abbildungen von stark vergrößerten Pflanzenteilen zeigt. Das Buch "Kunstformen der Natur" von Ernst Haeckel zeigt vor allem an Zeichnungen von Tieren, die er durch das Mikroskop betrachtet hat, den Reichtum der Naturformen, die schon fast wie dekorativer Zierat wirken. Er glaubte, damit ein neues Vorbildermaterial, einen neuen Ornamentenschatz für die Künstler entdeckt zu haben. Ein Nachschlagewerk mit einer reichen Fülle schöner Motive. Beide Bücher zeigen die Natur in erster Linie vom Ornamentalen her. Ihre Abbildungen lassen uns Naturformen von so vollendeter Schönheit und Harmonie erkennen, daß ein Künstler oder Kunsthandwerker sie einfach nur nachzubilden braucht. Hierin liegt eine Gefahr dieser Bücher. Wenn sie einem Naturfreund oder einem Künstler mit Zuhilfenahme der Technik, also eines Mikroskops, eine neue Wunderwelt der Natur, die er so nie schauen würde, erschlössen, so wäre der Sinn dieser Bücher erfüllt, und die Arbeit der beiden Naturforscher und Erzieher hat insoweit ihre große Bedeutung für die Menschheit gefunden. Wir sollten aber an diesen uns jetzt sichtbar gemachten Wundern der Natur lernen, daß das gleiche große Gesetz der Natur im Kleinen wie im Großen waltet. Ich selbst habe nur einige Mikroaufnahmen in dieses Buch hineingenommen, weil ich es für wertvoller halte; die Natur so zu zeigen, wie sie jeder Mensch mit seinen Augen sehen und erleben kann. Ganz absichtlich habe ich hauptsächlich die Bäume sprechen lassen, denn sie stehen täglich an unserem Wege. Vor allem wollte ich aber kein Nachschlagebuch für schöne Formen schaffen. Dieser Weg würde uns in der Kunst zum geistlosen Naturalismus führen, würde einen Rückschritt bedeuten. Wer die Natur so genau wie möglich nachzubilden sucht, schafft keine Kunst. Und wenn der Mensch es fertigbrächte, aus irgendeinem Material, beispielsweise eine Blume oder etwa einen Baum so naturgetreu herzustellen, daß man die Arbeit auf den ersten Blick kaum von den Naturvorbildern unterscheiden könnte, so hätte der Mensch wohl eine handwerkliche Meisterleistung geschaffen, aber noch lange kein Kunstwerk. Erst vergeistigte Übersetzung der Natur schafft Kunst. Herder sagte: "Form ist vieles bei der Kunst, aber nicht alles. Die schönsten Formen des Altertums belebt ein Geist, ein großer Gedanke, der die Form zur Form macht und sich in ihr wie in seinem Körper offenbart. Nehmt diese Seele hinweg, und die Form ist eine Larve!" Das ist nur dem Menschen möglich, so zu schaffen, da nur er vom Schöpfer der Natur diese Fähigkeit bekommen hat. Er muß ihm deshalb immer dankbar sein und sich verpflichtet fühlen, seine geistigen Kräfte recht zu gebrauchen. Die Welt der Kunst baut nur der Mensch, und darin leben und wohnen die Menschen. Sie sollen sich darin wohlfühlen, entfalten und sich stärken können, aber sie sollen nicht eingelullt werden und schlafen in den Häusern dieser Welt, mögen sie nun heißen: Musik, Architektur, Malerei, Bildhauerei, Dichtung, Kunsthandwerk. Ja, an der Erziehung und Bildung des Menschen überhaupt muß durch die Fortentwicklung des menschlichen Geistes immer wieder neu gebaut werden. Die hierzu gebrauchten Bausteine, zum Beispiel eine Symphonie, ein Wohnhaus, eine Plastik, ein Gemälde, ja, eine geschmiedete Schale, mögen sie noch so einfach in der Form sein, oder noch so wenig Harmonie ausstrahlen, immer müssen sie in der Quelle Natur mit ihrem großen Gesetz ihren Ursprung finden. Wer diese Quelle verläßt und den erfrischenden, stärkenden und gesund erhaltenden Trunk daraus verschmäht, dessen Bausteine werden bröckelig sein. Das damit aufgebaute Haus wird bald einstürzen - und der Weg zum Chaos wäre nicht mehr weit. Diesen Quell Natur brauchen wir nicht erst zu suchen, wir finden ihn in jedem Grashalm, jedem Baum, im Käfer, in einem Vogelflug, in der Stille des Waldes und in dem sanften Rauschen des Meeres, ja, wir finden ihn vor allem in uns selbst. Wir müssen ihn immer wieder schauen, fühlen; riechen und schmecken und ihn ganz in uns einströmen lassen, damit er uns selbstverständlicher Besitz bleibt. So wird der Mensch mit festen Bausteinen auf gutem Grund und starkem Fundament seine Gebäude bauen für die Welt der Kunst, wo Wahrheit zu Hause ist. Ohne Wahrheit keine Schönheit in der Kunst, ohne Wahrheit keine Kultur. Der große französische Bildhauer Rodin sagte einmal:
Viele werden mir jetzt antworten: "Na ja, wieder einmal einer, der uns sagt, zurück zur Natur!" Ich halte dagegen, nicht zurück zur Natur, sondern wenden wir uns nicht erst ab von der Natur, so werden wir Menschen auch einfach und natürlich bleiben. Und wenn dann ein Künstler seine Arbeiten auch so formt, daß sie mit der Natur kaum vergleichbar sind, wird man doch in ihnen das Gesetzmäßige der Natur spüren, und sie werden den anderen Menschen gebend sein. Selbstverständlich gilt das nicht nur für den Geber, also den Gestaltenden, sondern auch für den Betrachter, der sich an der Kunst erbaut, die ihn fröhlich stimmt oder zur Andacht bringt, ja, der in der Welt der Kunst Kraft und Erholung sucht und von ihr erzogen und gebildet wird. Naturverbunden wird er dann auch eine neue oder die einfache gültige Form, um die jeder ernst schaffende Künstler ringt, besser verstehen, und sie wird ihm das geben was sie zu geben imstande ist. Einfach und natürlich sein ist das höchste Ziel der Kultur und damit der Menschheit. Die große allmächtige Natur mit ihrem ewigen Werden und Vergehen wird uns immer als Lehrmeisterin helfen, dieses Ziel zu erkennen, stets müssen wir bestrebt sein, es zu erreichen. Natürlich werden mir jetzt Könner sagen wollen, daß dieses alles Selbstverständlichkeiten seien. Ja, das stimmt auch, aber leider müssen wir heute wieder Dinge bewußt werden lassen, die vor hundert oder mehr Jahren nicht gesagt zu werden brauchten. Es ist doch Tatsache, und wir erleben es alle Tage, daß der Mensch in unserer Zeit durch das unaufhörliche Fortschreiten der Technik mit ihrer Industrie, Maschinisierung und Typisierung sich immer mehr von der Natur und vom Natürlichen abwendet. Er kann beispielsweise, um sich abzulenken, zu jeder Tagesstunde Radiomusik hören - er braucht ja nur einen Knopf zu drehen - und in der Flucht vor der Stille und in der ständigen Unruhe hat er das Gehör verloren für die Melodien eines Sturmes, für ein leises Rauschen der abfallenden Blätter an einem sonnigen Herbsttage. Ja, der Stadtmensch kann nicht einmal mehr den Stimmen unserer Vögel lauschen. Die Hast und das Treiben - Merkmale dieser Zeit - auch das Gehetztwerden und die unzähligen Ablenkungen sind nicht dafür getan, um die Menschen in Ruhe und Andacht die Natur schauen zu lassen. Wenn sie einmal im Urlaub ausspannen und sich in der Natur erholen, so tun sie es in erster Linie, um ihren Körper wieder leistungsfähig zu machen und ihre Nerven zu beruhigen. Um Geist und Seele zu nähren und zu stärken, können sie sich meist nicht mehr aufraffen. Sie finden oft auch nicht den Weg allein. Ihnen soll dieses Buch ein Wegweiser sein. Eine junge Krankenschwester, tätig in einem Krankenhaus Berlins, intelligent und aufgeschlossen, ein typischer Mensch unserer Zeit, erzählte mir bei einer Unterhaltung über diese Dinge und beim Anschauen einiger meiner Naturaufnahmen: "Ja, wissen Sie, als ich noch klein war, auch in den späteren Jahren, als ich die höhere Schule besuchte, machten mein Vater und ich oft Wanderungen. Er öffnete mir die Augen, indem er mich aufmerksam machte auf viele schöne Dinge, die es in der Natur gab. Er sagte mir, daß das nicht einfach alles so ist, sondern, daß es so sein muß. Er erzählte mir, daß die schönen, bunten Farben und der süßliche Geruch der Blumen dazu da seien, die Schmetterlinge, Fliegen und Bienen anzulocken, damit sie beim Berühren der Staubgefäße die Befruchtung anderer Blüten vornehmen und wir Menschen uns dadurch immer wieder an den herrlichen, blumigen Wiesen freuen können. Er zeigte mir auch an einer abgepflückten Blume, daß der Stengel nicht voll, sondern innen hohl ist. Er meinte, daß der Stengel mit der schweren Blüte dadurch im Winde nicht knicken würde. Er erzählte, daß unsere Erfinder und Baumeister von der Natur schon vieles abgelauscht hatten und es noch könnten. Ich war ganz still, als er mir einmal sagte, daß alles Werden und Vergehen in der Natur nach einem großen, geheimnisvollen Plan sinnvoll geleitet und gelenkt würde. Auf größeren Reisen, aber auch auf unserem Balkon sitzend, unterhielten wir uns oft über solche Dinge. Ich lernte den Wert der Maschine kennen, wie sie uns mit Hilfe eines Schiffes schnell und sicher über das Meer nach Norwegen bis in den hohen Norden brachte, um dort die uns fremde Schönheit der kargen Bergwelt und der Mitternachtssonne erleben zu lassen. Welch ein Fortschritt der Menschheit durch die Erfindung der Maschine. Ich verstand es oft nicht, wenn mein Vater mir in stillen Stunden erzählte, daß die Maschine auch viel Unheil über uns Menschen gebracht hätte. Ich erwiderte immer nur, warum werden die Maschinen nicht immer so verwendet wie bei dem Schiff?" Unser Gespräch wurde jäh abgebrochen, ein Patient rief sie an ihre Pflicht. Als sie wieder zu mir zurückkam, sagte sie mir nur: "Ja; wo wäre ich hingekommen, was hätte ich alles erlebt und gesehen, wenn ich für mich mehr Zeit gehabt hätte." Später auf dieses Gespräch zurückkommend, fragte ich sie, warum sie diesen Weg nicht weitergegangen sei, denn er ließe sich doch auch gehen ohne große Reisen. Darauf gab sie mir zur Antwort: "Nach meinem Dienst bin ich abends so müde und abgespannt, und wenn ich einen Tag in der Woche frei habe, um nach Hause zu gehen, dreht sich alles nur um die allgemeinen Sorgen, um das nackte Dasein." Ist das nicht wie ein Notschrei der Menschheit? Ein Stadtmensch, wie viele Tausende mehr, gab hier ein Spiegelbild der Zeit. Und wie sieht es auf dem Lande aus? Ein Erlebnis, das ich vor zehn Jahren hatte, paßt wohl hierher. Auf einer Wanderung im Lungau kam ich durch ein stilles Bergdorf mit wunderschönen, alten Häusern. Wie immer, suchte ich nach der Schmiede. In einem auslaufenden Tal unweit des Dorfes fand ich sie. Fast märchenhaft war die alte Hammerschmiede aus dem 16. Jahrhundert in die Landschaft eingefügt. Vom Meisterssohn, der auch wieder als Schmied dort tätig war, erfuhr ich, daß sie immer noch Familienbesitz ist. Er erzählte mir auf mein Befragen, daß sie außer dem Huf- und Wagenbeschlag so manche Kunstschmiedearbeit gemacht hätten und sie für kleine Landhäuser hier in der Umgebung auch diese einem Zweck entsprechenden und doch schmückenden Arbeiten noch ausführten. Er entwerfe auch fast alle Arbeiten selbst, erzählte er mir mit Stolz. Er habe einen Katalog, da könne er vieles abzeichnen und nach diesem bestelle er dann aus Berlin die Schmuckteile, Rosetten, Blätter und so weiter laut Katalognummern und Größen, wie er sie brauche. - Mit Handwerk hat dieser Zierat nichts zu tun, denn er ist mit der Maschine als Massenware ausgestanzt und gepreßt worden. Die Profitgier und das charakterlose Kunsttreiben eines Unternehmers haben hier die Maschine, also die Technik, nicht zum Fortschritt der Menschheit angewandt, ja viel schlimmer, sie haben die Kunst und mit ihr das Kunsthandwerk als Fabrikware bis zum Schund entwürdigt, hoben die gutgläubige Menschheit betrogen und ihren Geschmack und ihr gesundes Gefühl für eine gute Form verdorben. Menschen dieser Art, wie sie auch heute wieder am Werke sind, sind sich wahrscheinlich nicht immer bewußt, was für einen Schaden sie der Menschheit zufügen. Sie halten nicht nur die kulturelle Weiterentwicklung auf, sondern sie haben noch den Mut, für ihre verwerflichen Handlungen die Technik, also die erfundenen und geschaffenen Einrichtungen, Maschinen und so weiter zu benutzen, und steuern damit einem immer größeren kulturellen Verfall zu. Auf die Beziehungen zwischen Technik und Kunst werde ich noch einmal zurückkommen. - In der alten Dorfschmiede wurde gerade der Fallhammer von einem Altgesellen in Betrieb gesetzt. Er störte etwas unser Gespräch. Der Meisterssohn holte nun einige der gekauften Schmuckteile, um sie mir zu zeigen. Wir gingen hinaus, um uns ruhiger unterhalten zu können. Ich sah das große Schaufelrad sich drehen, angetrieben vom gestauten Wasser des Baches, das von den Bergen kam. Hier wurde die Technik vom Menschen richtig angewandt. Bei schweren Arbeitsstücken konnte er nun seine Kraft schonen. Die Maschine wurde ihm Diener und Helfer zugleich. Die gestanzten Blätter, Blüten in der Hand haltend, auch Früchte, Sträuße und Kränze waren dabei, standen wir in herrlichster Natur. Ich konnte es kaum fassen, daß diese Verbildung bis hierher gedrungen war, denn ein schöneres, einsameres, vom Getriebe einer Großstadt unberührteres Bergdorf konnte man sich kaum vorstellen. Ich dachte, gerade hier würde ich noch das gesunde, naturverbundene, unverbildete Denken, Fühlen und Schaffen eines Handwerkers vorfinden. Dem interessierten jungen Meister machte ich nun klar, daß diese Schmuckteile Kitsch sind, denn sie sind ja nicht nur maschinell, seelenlos, sondern auch so naturalistisch wie nur irgend möglich, mit allen Adern und Äderchen hergestellt. Hammerschläge sind sogar auch noch sichtbar. Wo sind sie denn nur hergekommen? Alles Betrug, Vortäuschung, Schein. Ziemlich verdutzt und fassungslos schaute er mich jetzt an, als wollte er fragen, wie soll ich es denn nun machen? "Sie leben doch mitten in fast unberührter Natur", sagte ich, "was sollen wir Stadtmenschen erst sagen! Schauen Sie sich die Natur richtig an, sehen Sie, wie sie es macht! Ihre Stimmungen erleben, das ist der Weg! Versuchen Sie immer und immer wieder, die grundlegenden allgemeinen Gesetze der Naturerscheinungen kennenzulernen. Wir müssen Einblick nehmen in das Werden in der Natur, in das organisch Lebendige, das die Natur beseelt. Wie zerreißt eine Rinde? Wie wölbt oder rollt sich ein Blatt? Wie verdreht sich ein Stengel? Oder der Spaltungsvorgang der Vegetation muß uns interessieren. Wenn Sie beispielsweise ein Stück Stahl verjüngt ausschmieden, so folgen Sie dem Gesetz des organischen Wachstums. Dieses lebt auch in den Säulen der alten Baumeister. Früher haben die Menschen in solchem Falle instinktiv richtig gehandelt, mit gesundem, unverbildetem Natursinn. Werfen Sie vor allem diesen Katalog ins Feuer, er dient so den Menschen mehr. Ja, wir hängen alle viel zu sehr an Altem und können uns zu schwer davon trennen. Aber diese gezeichneten und im Katalog unter laufenden Nummern abgebildeten Blätter und Blumen finden Sie doch hier in der Natur genug, wenn Sie für Ihre schmückenden Arbeiten Anregungen brauchen. Erfassen Sie aber nur das Wesentliche der Naturform und übersetzen Sie das Geschaute dann in die Sprache des Eisens, das heißt sie muß, dem Charakter des Materials entsprechend, mit den handwerklichen Techniken seiner Verarbeitung geschaffen werden. Diese nun sicher einfacher wirkenden, geschmiedeten Formen werden viel schöner und offener sein, sich viel richtiger in Ihre Arbeiten, ob Gitter, Leuchter und so weiter einfügen, sie werden meistens ganz natürlich beispielsweise gleich als Stabendigung, als belebte Unterbrechung oder als betonte Befestigung einzelner Teile miteinander herauswachsen. So wird der Schmuck auch sinnvoll sein." Ich sagte ihm noch, daß ein guter Handwerker oder Künstler, wenn er Charakter hat und mit ganzer Liebe bei seiner Sache ist, sich immer um die letzte Vollendung der ganz schlichten Form mühen wird. Nur der Stümper wird immer seine Fehler mit Zierat und Buntheit zu verdecken suchen. Aus dem weiteren Gespräch ist mir vor allem noch ein Satz des Meistersohns als markantes Wort in Erinnerung geblieben: "Warum hat mir das alles nicht einmal einer gesagt?" Ist dieses Wort nicht eine Mahnung für alle Erzieher? Das Handwerk im allgemeinen gegenüber der Industrie wird sich in erster Linie nur dadurch erhalten, daß die darin Schaffenden schöpferisch sind. Schon damals reifte in mir der Gedanke, einmal, wenn es auch nur in Buchform sei, diesen Menschen zu helfen. Ich glaube, diese meine Erlebnisse, nur einige von vielen, die ich anführen könnte, charakterisieren wohl unsere Zeit aufs deutlichste und beweisen uns, daß wir heute wieder Dinge sagen müssen, die früher selbstverständlich waren. Ich glaube, hierher gehört auch mein Mahnruf an die Erzieher und Eltern, deren Kinder vor der Berufswahl stehen. Eltern, schickt eure Kinder, die künstlerische Begabung zeigen, nicht gleich auf Kunstschulen, sondern laßt sie erst ein Handwerk lernen. Neben der handwerklichen Grundlage lernen sie auch den Ernst der Arbeit und die Achtung vor ihr kennen. Es wird so das feste Fundament gelegt für die Weiterbildung und das spätere Schaffen. Der Jugend möchte ich zurufen: Wer sich für ein Handwerk berufen fühlt, soll zufassen mit beiden Händen und es lieben lernen, so wird ihn die Schönheit jeder einzelnen Arbeit, die er schafft, immer wieder erfreuen! Fällt doch dem Handwerk die große verantwortungsvolle Aufgabe zu, diese jungen Menschen in praktischer Arbeit nicht nur das zu verarbeitende Material und dessen Bearbeitungsmethoden beherrschen lernen zu lassen, sondern auch deren Formgefühl zu bilden. So können diejenigen, die sich dazu berufen fühlen, auch einmal hinausgehen in die Industrie und dort mitarbeiten, daß deren Erzeugnisse in guter, künstlerisch wertvoller Form hergestellt werden. Erhalten wir uns also den Beginn, den Anfang, das Handwerk, ja; das schöpferische Handwerk.
"Allem Leben, allem Tun, aller Kunst Diese Worte Goethes sollen uns ein Hinweis sein, wie ernsthaft alle, die es angeht, sich mit dem Handwerk befassen sollten. Zu meinen in diesem Buch gezeigten Naturaufnahmen möchte ich noch einiges sagen. Wir wollen von der Natur empfangen, um wieder geben zu können, und wenn das Kleine nicht groß gedacht wird, kann man nie etwas Großes schaffen. Ich beginne in diesem Buch in dem Abschnitt "Die Natur" absichtlich mit Abbildungen unscheinbarer Gräser - mit den abgestorbenen, vertrockneten Gräsern im Winter. Wer geht nicht achtlos an ihnen vorüber. Wir alle treten sie mit Füßen, und doch sind sie herrliche Wunderwerke an Filigran und Form. Wie schön ist die letzte zusammengeraffte Geste. Sie säen noch im Vergehen mit sterbenden Händen die Aussaat des neuen Lebens. Ab und zu breche ich einige von ihren noch lebenden Wurzeln ab und stelle sie in einen erdenen Krug in meinen Arbeitsraum, und es erfreuen mich und die Menschen meiner Umgebung die schönen Schalen und Becher der aufgesprungenen Samenkapseln, oft in der Form auch Blüten gleich, und die silbrig schimmernden Stengel, sowie die warmen, braunen, stoffigen Farben der vertrockneten Blütendolden, ein Farbspiel feinster Unterschiede und seltenster Harmonie. Viel Schönes und Interessantes im Pflanzenreich sehen wir nicht, obwohl wir täglich daran vorübergehen. Kein Mensch würde beispielsweise den Beerenklau, der wild am Weges- oder Bachesrand und auf den Wiesen steht, als Bestandteil eines Blumenstraußes wählen. Sieht man aber diese mißachtete Blüte einmal von unten her an, so zeigt sie eine großartige Architektur, mit deren Schönheit sich viele Zierpflanzen nicht messen können. Oft sehe ich in den Pflanzen menschliche Gestalten, wie sie sich helfen, stützen und halten. Die Bildgegenüberstellung der Kürbispflanze auf Seite 20 und Seite 21 läßt uns das ewige Naturgesetz erkennen, nach dem auch wir Menschen in der Jugend immer vorwärtsdrängen und stürmen nach Wissen und Können, um dann alle Aufgaben zu meistern, die das Leben an uns stellt. Wir werden dann, älter geworden, wieder Beschützer und Helfer der Jugend sein. Die Natur ist ein ewiges Leben, immer in Bewegung, ein Kommen und Gehen, immer in Verwandlung, einen Stillstand kennt sie nicht. Die bildlichen Gegenüberstellungen von Natur und Menschenwerk in diesem Buch werden mehr zeigen, als alle Worte es sagen können. Denn die Natur und die Kunst wollen in erster Linie durch das Auge ins Herz, sie wollen erlebt, nicht beschrieben sein. Ich wollte deshalb mit Bildern schreiben, und die Worte sollen diese lesen helfen. Wenn ich oft Abbildungen kunsthandwerklicher Arbeiten wählte, so lag es daran, daß diese Gegenüberstellungen außerordentlich schwer zu finden sind und daß die sogenannten kunsthandwerklichen Arbeiten, möge es ein Gitter, eine Schale oder ein Bauwerk sein, schon durch ihren Zweck oder Gebrauch den Menschen näher sind als etwa eine Plastik oder ein Gemälde. Im übrigen ist es falsch, zu glauben, daß kunsthandwerkliche Leistungen minderwertiger seien als Erzeugnisse der sogenannten "hohen Kunst". Diesen Unterschied hat es früher nicht gegeben. Ein Bucheinband, sogar eine graphisch gut gestaltete Einladungskarte, kann oft ein größeres Kunstwerk sein als so manches Ölgemälde. Ein kunstvoll geschmiedeter oder geschnitzter Griff, der hohlen Hand beim Greifen angepaßt, daß man ihn gern in der Hand hat, kann ein größerer Baustein sein in der Welt der Kunst als eine nichtssagende Plastik. Die Gegenüberstellung der mikroskopisch aufgenommenen Alge mit der weltberühmten, herrlichen Rosette am Straßburger Münster sowie die Kuppeldecke des Grabmals der Medici von Michelangelo, Seite 52 und 53, zwei Arbeiten verschiedener Kunstepochen, lassen uns erkennen, wie in diesen allen der Parallelismus der Formen waltet. Diesen beiden Künstlern brauchte man das Bild der Alge nicht erst zu zeigen. Sie hatten die Natur noch in sich und das Wissen um Maß und Form sich erarbeitet, so kam der Goldene Schnitt in ihre Arbeiten. Die gleichen Verhältnisse der einzelnen Glieder zueinander, also des Kernes zum äußeren Durchmesser, die Teilung und Gliederung der Fläche vom Mittelpunkt, von der Achse ausstrahlend, zeigt auch die Gegenüberstellung auf der nächsten Seite, das Spinnennetz und die Kuppeldecke der Peterskirche in Rom. Die Schlange hat auch einen Mittelpunkt, das Auge, das Sinnfälligste dieses Lebewesens. Wir erfassen doch ein Lebewesen, auch den Menschen, erst richtig, wenn wir ihm ins Auge sehen. So habe ich auch meiner Schale (Seite 99) ein Auge gegeben. Die schuppige Gliederung der Schlangenhaut ist in einem bestimmten Verhältnis zur Größe vom Auge ausgehend und mit der Form mitwachsend. Bei meiner Schale das gleiche Gliederungsverhältnis, auch vom Auge, dem Mittelpunkt ausgehend, allseitig nach außen mit der Form mitwachsend. Es ist in diesem Zusammenhang vielleicht interessant, zu wissen, daß ich mein Gitter (Seite 77) Jahre vorher entwarf und schmiedete - das Wachstum dem Material entsprechend streng stilisiert -, bevor ich den Birkenast fotografierte. Auch später entdeckte ich, daß das in dem Gitter (Seite 95) verteilte Ornament sich mit den leuchtenden Augen im Pfauengefieder vergleichen läßt. Die Abspaltungen und Einrollungen, die ich in meinen Gittern als Schmuckformen verwende, werden als so natürlich wirkend empfunden, weil ich bei der werkgerechten Bearbeitung des Eisens dem Vorgang in der Natur folge. Wie recht hatte Leonardo da Vinci, als er sagte: "Wer die grundlegenden, allgemeinen Gesetze der Naturerscheinungen kennt und wissend ist, der kann leicht allumfassend sein, denn alle Körper - die menschlichen und die tierischen - sehen sich in ihrem Baue ähnlich." Nun möchte ich versuchen, zu beschreiben; wie ich die Schale mit der "samtenen Haut" (ein anderer nannte sie Granit) mit dem kleinen Monogramm herstellte, die auf Seite 83 abgebildet ist. Was liegt denn darin eigentlich für ein Geheimnis? Sie hat doch keine besondere auffällige Form, vor allem keine mit der pflanzlichen Natur vergleichbare. Und doch haben fühlende, denkende Menschen sie gern. Ich möchte nochmals ein Beispiel anführen, denn ich kann das, was ich sagen will, an Erlebnissen leichter verständlich machen, um das ewig große Gesetz dem gestaltenden Menschen zu offenbaren. Gestaltender Mensch ist für mich nicht nur der Handwerker oder der Künstler, nein, ein jeder Mensch ist es, und wenn er auch nicht künstlerisch schafft, so gestaltet er doch in seiner Weise seine Umgebung und sein Leben. Nun etwas über die Entstehung der Schale. Ich hatte mir für meine Frau eine besondere Geburtstagsüberraschung. ausgedacht: eine Blume zu schenken, nicht, wie immer, sie an diesem Tage mit einem Strauß zu erfreuen. Eine Blume, eine Rose, mit Blättern am Stengel sollte es sein. Aber wie sollte ich das nun machen? Eine Blume in der Hand haltend einer Frau gegenübertreten, als Mann, nein, das wollte ich nicht. So überlegte ich, wie ich auch die Rose in ihrer ganzen Schönheit und ihrem zarten Leben steigern könnte. Es mußte also ein gegensätzlich wirkendes Material sein, worauf ich sie legte. Denn Gegensätze verstärken das Leben der Dinge, und wir spüren es um so deutlicher, je härter die Gegensätze sind. So erleben wir auch Sonne und Regen viel unmittelbarer als sonst, wenn nach einem Gewitter die ersten Sonnenstrahlen dem Regen folgen, oder sogar Regen und Sonnenschein zusammentreffen. Die leuchtend reine Schönheit einer Seerose geht verloren, wenn wir sie aus ihrem dunklen, immer etwas geheimnisvollen Boden lösen. - Ich legte die Rose auf eine alte Stahlplatte. Ich erschrak, wie hier rauhe Härte und Zartheit aufeinander prallten. Nun konnte ich natürlich nicht eine rohe Stahlplatte nehmen; die Blume durfte auch nicht bei einer Bewegung oder einem Windstoß herunterfallen. So formte ich das Material zu einer großen, hohligen Hand, worin sich die Blume geborgen fühlen konnte. Die Schwere und Größe der Schale bestimmte ich danach, daß ich beim Tragen beide Hände benutzen mußte und dabei mein Brustkorb nicht zusammengedrückt wurde. So zwang mich die Schale beim Tragen in eine gute Körperhaltung, und durch ihre Schwere bestimmte sie auch meinen Schritt. Nun die Oberfläche. Das rohe Eisen, so schön es ist, denn die sichtbar gewordenen Hammerschläge entstanden durch die Formung, belebten auch, war mir doch zu grob für eine Frau. Ich ließ die Schale mit echtem Gold belegen. Entsetzt war ich, als ich sie wiedersah. Prunkvoll und protzig erschien sie mir. Kurz entschlossen rieb ich das Gold herunter, daß es nur noch in den kleinsten Vertiefungen liegen blieb. Dadurch bekam sie wieder stählernen Charakter. Alle Poren des Materials wurden sichtbar, lebten und atmeten. Das kleine Monogramm in der Mitte, im Maßstab des Suchens und Entdeckens, nur für eine Frau bestimmt. So entstand ein Gerät, einem Zwecke dienend, nach dem Menschen geformt, mit der Eigenschaft, beim Gebrauch dem Menschen eine gute Körperhaltung zu geben, die ihn formt. Liegt hierin das Geheimnis dieser Schale? Goethe sagt: "Vom Nützlichen, durchs Wahre, zum Schönen" und weist uns mit diesen Worten einen richtigen Weg in der Kunst, denn dieser Entwicklungsgang ist dem Werden einer Blume und dem des Schmetterlings gleich. Wir Menschen müssen uns durch unser geistiges Bilden und wissenschaftliches Forschen immer mehr dem Inhalt allen Seins nähern, dem wahren Wesen einer Form und nicht der Erscheinung, in der sich die Natur uns zeigt, sondern dem immerwährenden, inneren Wesenstrieb nachspüren. Dem Schönheitssinn der Natur es gleichzutun, wäre der wahre Weg zur Kunst. Die Natur schauen, immer wieder schauen, wo und wie sie sich uns zeigt, das Weben und Wachsen belauschen, das Folgerichtige, Zweckmäßige und Schöne in der Natur bewundern, bis sie uns zum inneren Erlebnis wird. Kein Mensch kann wirkliche Kunst schaffen, wenn er nicht von der Natur ausgeht und die Natur verehrt. Nur wer sich der Natur ganz beugt, wird durch diese Hingabe sie besiegen und als Künstler ein Geschöpf und Schöpfer zugleich ihren Gesetzen in seinen Werken Dauer verleihen. Sein, nicht Schein, muß unser Lösungswort auch für die Zukunft sein. Sehen wir uns das Menschenwerk der heutigen Zeit einmal näher an. Das aufbauende Menschenwerk ist hier gemeint, nur dieses will ich behandeln. Überall, wo wir hinschauen, spüren wir: viel hermachen, vortäuschen; also den Teller, aus dem wir Menschen essen, mit schönen Früchten, Blumen und Landschaften bepinseln und bemalen, weil wir es so haben wollen! Nein! Es ist unverantwortlich, so zu schaffen. Eine erhebliche Arbeitsleistung in der zivilisierten Welt dient der Erzeugung von unnützen Dingen, und wir Menschen müssen sie bezahlen. Eine Kunst der reinen, gültigen Form, die sich gegen alles fremde Beiwerk in ihrem Wesen wehrt und aus sich heraus ihre Vervollkommnung erreicht, das ist die Kunst des wirklichen Seins. Sie wird die Kunst des in die Zukunft blickenden Menschen sein und bleiben. Denn sein Wirken wird und muß sich bilden im Sein, nicht im Schein. Der Mensch muß wieder sein und nicht scheinen wollen, so wird sein Schaffen und Handeln auch wahrhaftig werden. Es ist wohl nur die Technik, die diesen Weg zum Wahren und Zweckmäßigen geht. Selbstverständlich machen auch ihre Erzeugnisse sowie deren einzelne Bestandteile, Entwicklungen durch. Beim Schiffsbau, zum Beispiel beim Ozeandampfer, kann das rein Technische über sich selbst hinaus gesteigert werden. Schließlich ist auch aus dem Hausbau der Dom geworden. Es muß uns nur klar werden, daß hier nicht, wie in der Architektur, eine organische Form ist, die aus der Gebundenheit an einen Standort gewachsen ist, sondern daß es sich bei diesem Schiff um ein bewegliches, bewegbares Gebilde handelt, das seine organische Form aus dieser Bestimmung erhält. Diese Plastiken der Technik müssen, wie die Formen der Architektur, zur lebendigen Gestalt und Schönheit, also zum künstlerischen Ausdruck erst heranreifen. "Kunst entspringt unmittelbar dem gegenwärtigsten Kraftstrom der Zeit, deren sichtbarster Ausdruck sie ist", sagte Nierendorf. Ich möchte heute schon behaupten, daß die Technik in ihrer Form uns etwas Vollendetes geschenkt hat, zum Beispiel das Flugzeug, das die Menschen wie Vögel hoch im Luftraum dahinträgt. Die ewige Sehnsucht, es einem Vogel gleichzutun, ging in Erfüllung. Wir erleben dadurch unsere Erde vom All her. Leonardo da Vinci, der Sucher des Ewigen im 15. Jahrhundert, Maler, Bildhauer, Architekt, Erfinder und Ingenieur, schrieb den prophetischen Satz: "Er wird seinen Flug nehmen, der große Vogel, das Universum mit Verblüffung, alle Schriften mit seinem Ruhme füllend, und ewige Glorie wird sein, dem Neste, wo er geboren ward." Sein Wort bewahrheitete sich. In Stunden gezählt, vielleicht morgen in Minuten, umfliegen wir unsere Erde. Welch ein Gewinn für die Menschheit. Wir lösten uns vom festen, geborgenen Grund der Erde. War und ist es richtig? Das zu entscheiden, liegt bei uns Menschen selbst. Auch das Auto und die gewaltigen Brücken sind Kunstwerke dieser Art. Sie alle haben einen echten Kern, tragen die Seele und die Eigenart unserer Zeit. Die Jugend fühlt sich daher ganz natürlich zu ihnen hingezogen. Vielleicht kommt es daher, daß auch ich die Technik mit meinem ganzen Herzen bejahe, weil ich von meinem 14.-19. Lebensjahr mitten in technischer Produktion stand. Ich erlernte den Werkzeugmacherberuf in einem Kugellagerwerk. Mit meiner Hände Arbeit, auch mit Geist und Seele, lernte ich das folgerichtige, allein auf die Funktion gerichtete Denken, das nur Notwendige in der Technik kennen. Die Welt des Seins wurde mir eingepflanzt. Wenn ich heute ein Kugellager in der Hand halte, so läßt es mein Herz höher schlagen, nicht nur, weil es neben seiner Bestimmung eine schöne Form hat, oder seines metallischen Glanzes wegen, sondern für mich ist es ein Spiegelbild menschlichen Geistes. Die Technik steht sogar in Beziehung zur Natur, so ist ihr die Stromlinienform abgelauscht, die immer mehr angewandt wird. In der Technik offenbart sich heute der Geist des neuen Lebens. Ihr wird so oft die Schuld zugesprochen an der Unruhe unserer Zeit, an den Zerwürfnissen und Spannungen. Nein, wenn der Mensch nicht Ruhe, Frieden und Erfüllung findet, so liegt das nicht an der Technik, und wenn sie noch so unaufhörlich vorwärts schreitet, es liegt an uns Menschen selbst. Es kommt nur darauf an, wie wir uns die Technik dienstbar machen und sie einordnen in unsere zivilisierte Welt. Versuchen wir doch einmal, der Technik die bildende Kunst und das Handwerk gegenüberzustellen, so sehen wir, daß jedes wichtig ist, das maschinell Hergestellte und das einmalig von schöpferischer Hand Geschaffene. Die Industrie hat eine große kulturelle Aufgabe zu erfüllen, weil nur sie in sozialer Hinsicht den gewaltigen Bedarf beispielsweise an Gebrauchsgütern, die unser heutiges Leben verlangt, befriedigen kann. Durch den täglich notwendigen Gebrauch dieser Erzeugnisse stehen wohl alle Menschen in engster Beziehung zu ihnen, daraus ergibt sich die große Verantwortung, die die Industrie in der Formgebung ihrer Modelle hat. Sie muß ständig bemüht sein, gute, edle, vor allem zweckentsprechende Formen herauszubringen, die schön, ja sehr schön sein können, wenn sie auch keinen Schmuck tragen, denn eine gute Form ist schon Schmuck in sich. Die Kunst und mit ihr das Handwerk muß dagegen mit Geist, Seele, Herz und Hand die Dinge schaffen, die die Industrie mit ihrer Massenproduktion nicht fertigbringen kann. Trotzdem kann eine maschinell in guter Form geleistete Arbeit wertvoller sein, als eine schlecht ausgeführte, nichtssagende Handarbeit. Unsere Zeit stellt neue Anforderungen an die bildenden Künstler. Sie müssen ihr Können, Formgefühl und ihre schöpferische Gabe der Industrie zur Verfügung stellen. Die Industrie dagegen sollte bei der Entwicklung und Formgebung ihrer ersten Modelle den beratenden Künstler heranziehen. Diese Zusammenarbeit zwischen Techniker, Ingenieur, Kaufmann und dem bildenden Künstler wird die lndustrie-Erzeugnisse hervorbringen, die nicht nur dem Menschen dienen, sondern auch sein Lebensgefühl steigern. Das Problem der Zeit drängt, es ruft, es schreit nach Lösung. Die Presse schreibt Berichte, in den Universitäten sprechen Professoren, Pastoren reden von den Kanzeln: "Die Krisis des modernen Menschen", "Ruf nach Verinnerlichung", "In der Zeit der Prüfung", "Lob der Stille", das sind ihre Themen, Themen der Zeit, aktuell. Wir lesen und hören sie zwar, aber jeder einzelne von uns arbeitet zu wenig an der Klärung dieser Probleme. Einzelne Rufer und Mahner bauen eine Insel in der stürmischen, wogenden Welt. Sie kennen auch den Erreger des Chaos, er heißt nicht Technik, sondern er heißt Mensch. Von ihm allein hängt alles ab, ob wir immer mehr dem Chaos zusteuern, oder ob wir es fertigbringen, eine gesellschaftliche Ordnung aufzurichten, in der sich jeder Mensch wohlzufühlen vermag, ganz gleich, was er kann, was er aus seinem Können heraus geworden ist und was er wird. An uns Menschen liegt es, die Gesetze zu finden, mit denen wir in der gestörten Welt eine Ordnung schaffen, die dem Heil der Menschheit dient. Die Technik mit ihren Errungenschaften müssen wir anerkennen, schon weil sie aus dem inneren Wesenstrieb und aus dem Muß des menschlichen Geistes entspringt. Sie schafft mit an der Zivilisation und an der Weiterentwicklung des Menschen. Daneben haben wir aber eine andere Welt, die uns auch zum kulturellen Aufstieg führt, das ist die der Kunst und der Erziehung, die uns in die Sphäre des Schönen und des Guten erhebt. Wahre Kunst veredelt den Menschen. An dieser Welt müssen wir bauen, fleißig bauen, um den Vorsprung, den die Wissenschaft und die Technik haben, einzuholen. Ja, wir müssen noch mehr, wir müssen darüber hinausragen. Erst wenn der sittliche Fortschritt der Menschen so groß ist, daß er über dem technisch wissenschaftlichen Können steht, werden wir Menschen die großen oft umwälzenden technischen Erfindungen schon in der Entstehung richtig in die menschliche Gesellschaft einordnen, und zwar so, daß sie allen aufrichtigen Menschen zum Nutzen gedeihen. Es ist der einzige Weg, der zum wahren Frieden führt. Wie lange dieser Prozeß dauert, hängt vor allem vom Streben eines jeden ab, von der Arbeit des Menschen an sich selbst.
Seite 5 - 15 Die Natur
Seite 16 Natur und Menschenwerk
Seite 50 Von den Bäumen zu den Menschen Wenn wir Menschen es fertigbrächten, durch Fleiß und mit Hilfe der fortschreitenden Technik, die gesamte Erdoberfläche für uns ertragfähig und nutzbar zu machen; so wäre dies eine weitere Eroberung der Erde, eine ungeheuere Bereicherung der Menschheit. Wir hätten gewiß keine Sorgen mehr um unser Dasein. Für wie viele kommende Geschlechter würde unser Stern dann Raum und Nahrung geben. Und doch - welche Verarmung, welch ein Rückschritt. Durch diese Veränderung der Erdoberfläche würde das Klima für uns Menschen unerträglich werden. Ganz abgesehen von den daraus entstehenden Folgen würde unser Leben nichts als ein Vegetieren sein. Der Mensch entzöge sich selbst viele Treibstoffe seiner Seele. Ackerland, so schön es ist, langweilt auf die Dauer, wenn es nicht durch Bäume unterbrochen und von Wäldern gesäumt ist. Gegensätze müssen sein. Wie Licht und Schatten, so gehören durchschaubare Ordnung und dunkles Unbekanntes zum höheren Lebensgefühl des Menschen. Meer und Wald lassen uns Menschen begeistert aufatmen, wenn wir nicht hoffnungslos verstädtert sind. Das Meer, die weite, fast unbegrenzte Wasserfläche, ist Sinnbild der großräumigen Freiheit, und der Wald, der tiefräumigen, verborgenen Träumerei. Nicht das Meer, nicht die schönste Blumenwiese hat uns das Märchen geschenkt, sondern der Wald, mit seiner Dämmerung, mit seinem geheimnisvollen Dunkel, ja auch mit seinen sichtbar gemachten Sonnenstrahlen, seiner Unübersehbarkeit, seiner Raumwerdung und seiner Luft, mit seinem großen, sanften Rauschen, seiner Stille - seiner weihevollen Stille. Wir dürfen diese Heimat der Seele den Wald - nicht verlieren, wenn unser Herz nicht verarmen soll. Bei meinen Wanderungen und Spaziergängen zog es mich immer wie durch eine geheime Kraft in den Wald hinein. Vielleicht war es eine Lichtung, eine besonders dunkle Stelle im Walde, das Klopfen des Spechtes oder der Ruf eines anderen Vogels? Immer zog es mich vom Wege fort in den Raum der Bäume. So entdeckte ich den manche hundert Jahre alten, fest verwurzelten, scheinbar durch nichts zu erschütternden Riesen neben einem kleinen, jungen, zarten, fast zerbrechlich wirkenden Bäumchen. Ich sah, wie sich Bäume ihren Platz an der Sonne erkämpfen, wie sie sich behaupten und wie sie vernichten, aber auch sich gegenseitig helfen, stützen und halten. Oft stellten sich mir wunderbar geradegewachsene Bäume in den Weg, strotzend von Lebensbejahung. Aber auch nicht selten wurde mein Blick gefangen durch verkrüppelte, kranke Bäume, die mich wehmütig stimmten. Ja, sogar bizarr, in tänzerischer, greifender und schützender Gebärde zeigten sie sich. Sie alle ließen mich erkennen, daß auch hier im Reich der Bäume das Leben in seiner vielfältigen Gestalt zu Hause ist. Das Wesen eines Baumes prägt sich am stärksten in der Schönheit seines Einzeldaseins aus. Nur so hat er die Möglichkeit, sich zu einer charaktervollen Erscheinung auszuwachsen. Solche Bäume geben uns nicht nur in ihren Formen so viele Anregungen, sondern sie sind uns auch wahltuende Unterbrechungen in der Landschaft. Sie geben uns einen Maßstab, ja, sie sind uns Menschen Wegweiser in dem großen Garten Gottes. - Hier, nicht geborgen wie in der Gemeinschaft Wald, sondern als Einzelwesen aufbauend, sich erhaltend, hat der Baum mit den Unbilden des Wetters den Kampf allein aufzunehmen. Beim Anblick einiger vom Blitz zerschmetterter und vom Sturm aus den Wurzeln gehobener Bäume fielen mir die Worte Caspar David Friedrichs ein: "Wie groß, wie mächtig, wie herrlich", wenn sich auch hier die Natur mir in einer harten, grausamen Formensprache zeigte. Ein kleines Erlebnis in meinen Jugendjahren war es, was mich genau so ehrfürchtig stimmte. Durch Krankheit vorübergehend zum Liegen gezwungen, stellte ich meinen Liegestuhl immer neben einen kleinen, jungen Baum, und zwar so, daß sich das feine Geäst der kleinen Krone scharf als Silhouette gegen den Himmel abhob. Ich konnte ihm also beim Liegen immer klar ins Gesicht sehen. Ich hatte mit ihm Freundschaft geschlossen. Der Winter hatte noch nicht das Feld geräumt. So sah ich ihn oft schwer mit Schnee beladen, daß ich fürchten mußte, die kleinen Aste brächen. Der Rauhreif verwandelte ihn in einen silbernen Schmuck. Es kam der Vorfrühling, eine besonders schöne, kraftspendende Zeit, mit allem Frühlingsahnen. Ich kannte nun schon jeden Ast, ja jeden Abzweig, besonders die kleinen Verdickungen und Knoten waren mir lieb geworden. In dem filigranen Wunderwerk des Geästes sah ich schon im Geist so manches kunstgeschmiedete Gitter. Auch Leuchter erblickte ich. Eines Tages, ich merkte es kaum, zeigte er einen feinen, grünen Schimmer Aus den Knospen entsprangen kleine, gefaltete Blätter, welche im Sonnenlicht, vor schweren, dunklen Gewitterwolken wie zu silbern leuchtenden Blüten wurden. - Ein anderes kleines Erlebnis, was ich mit den Bäumen hatte, fällt mir ein. Bei einer Wanderung im Harz wollte ich nicht beim Abstieg vom Berge den in Serpentinen angelegten Weg gehen. Das war für mein junges Entdeckerherz doch zu langweilig. So lief und sprang ich eben gerade hinunter. Ich überquerte einige Male den Weg. Es ging also gut, bis ich vor einer engen Schonung stand, was nun? Ein Zurück gab es für mich nicht. So kroch ich kurz entschlossen in das Dickicht hinein, in dem Glauben, den Weg wieder zu erreichen. Es dauerte Stunden, ehe ich diesen Weg fand - und wie ich aussah! - Aber was tat sich mir dort für eine Welt auf, und was konnte ich schauen! So manchen Lebenskampf der Kleinen, der Käfer, Mücken und Spinnen verfolgte ich. Nie wieder habe ich so schöne; unberührte Spinnennetze gesehen, so herrlich in der Form, so logisch und klar in der Konstruktion, wie bei dieser Kriechtour. Wenn ein Sonnenstrahl durchdrang, erblickte ich einen kleinen und dennoch gewaltigen Dom, gegliedert durch Fenster und Gitterwerke, an welchen sich der Sonnenstrahl brach und mir seine Farben zeigte. "Wie groß - wie mächtig - wie herrlich" Nie wird der Mensch aufhören, von den Bäumen zu lernen. Seite 118 Der Mensch
Seite 152 Fritz Kühn: Sehen und Gestalten - Natur und Menschenwerk; Verlag E.A. Seemann, Leipzig 1951, 154 S., viele großformatige Fotos, teils mit Gegenüberstellungen von Natur und Handwerk, Hl., 22x30cm - leider vergriffen, aber mitunter noch antiquarisch erhältlich (Suchmaschine!)
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Aktualisiert am 09.12.11