Die Auferstehung des russischen Bauern
Hias Kreuzeder und das Hilfsprojekt
für Landwirte in Russland ZINNER: Herr Kreuzeder, ich habe hier vor mir einen Zeitungsartikel aus dem Freilassinger Wochenblatt, da werden Sie kurz charakterisiert als Ex- Stadtrat von Freilassing, als Ex-Grünen-Bundestagsabgeordneter, als allein erziehender Vater von vier Kindern und als Bio-Bauer. Man möchte meinen, das reiche, um den Alltag bis zur Neige auszufüllen. Aber Sie haben sich noch in einem Projekt engagiert, in dem Sie vermutlich sehr viel Zeit aufbringen. Um was geht es denn da? KREUZEDER: Das Projekt heißt "Auferstehung der freien Bauern Rußlands". Wobei der Begriff "Auferstehung" kein kirchlicher Begriff ist, sondern der Begriff "Auferstehung" hat in Russland a ganz andere Bedeutung, irgendwie in Richtung Befreiung und Erneuerung. ZINNER:: Und worum geht's da jetzt? KREUZEDER:: Es geht nicht einmal um den Tropfen auf dem heißen Stein, von der Dimension her. Aber es geht darum, dass ich eigentlich immer schon um die Landwirtschaft engagiert war, öffentlich genauso wie auf dem eigenen Hof. Und den Menschen in Russland eine Möglichkeit zu bieten und sie zu unterstützen, a selbstständige Landwirtschaft zu betreiben unter Rücksicht auf die Natur. ZINNER:: Können die das nicht? KREUZEDER: Es hat in Russland seit den 20er Jahren keine Bauern mehr gegeben, keine selbstständigen, unter Stalin ist ja die Landwirtschaft zerstört worden, das bisschen Landwirtschaft, das sich zwischen Kommunismus und Ende der Zarenzeit entwickelt hat. Weil unter dem Zaren waren die Bauern ja fast die ganze Zeit Leibeigene - sie haben ja bis zu Chruschtschof keine Ausweise gehabt, die ham ihre Dörfer ned verlassen können. Und die kurze Zeit, wo´s Bauern geben hat, das war eine Blütezeit in der Landwirtschaft: Russland war der größte Getreideexporteur der Welt damals, also die haben gigantische Erfolge errungen mit der Selbstständigkeit der Menschen. Aber eben nur 20 Jahre lang, bis dann die Kolchosen und die Sovchosen gekommen sind. Und von dem her gibt´s in Russland keine Bauern. Es gibt Traktoristen, Melker, Mechaniker: es gibt alles Mögliche auf dem Land in Russland, nur keine Bauern. Eine Landwirtschaft so zu betreiben, wie i des mach, also wo ich für alles verantwortlich bin, vom Melken bis zum Futterholen, von der Saat bis zur Ernte, dass das alles einer macht und einer kann, das ist für die völlig fremd. ZINNER: Ja, wie existieren die denn jetzt? Wie betreiben die denn Landwirtschaft? KREUZEDER: Jetzt, seit einigen Jahren, ist der Erwerb von Grund und Boden vom Gesetzgeber her möglich. Man hat also inzwischen das Recht auf Besitz. Und in dem Raum, wo ich engagiert bin, das ist der Petersburger Raum, Richtung Finnland, Karelien, Petrosawodsk, da haben sich ca. 2000 Menschen zu einer so genannten "Pächtervereinigung" zusammengeschlossen: Frauen, Männer aller Couleur, also vom Doktor bis zur Krankenschwester, Taxifahrer, alles. Und vor allem auch Kolchosarbeiterinnen und -arbeiter, die jetzt selbstständig Landwirtschaft betreiben wollen. Wobei ich dazu sagen muss, ich mach jetzt das schon zehn Jahre und in den zehn Jahren hat sich etwa die Hälfte wieder von selbst erledigt: die haben das einfach nicht geschafft. Es wird ihnen ja alles erschwert. Sie bekommen nur die schlechtesten Grundstücke. Und trotzdem, die erwirtschaften auf den schlechten Flächen wesentlich mehr als die Kolchosen auf den guten. ZINNER: Jetzt haben Sie also ein Projekt, um diesen Bauern zu helfen. Wie sind Sie denn überhaupt an diese Leute rangekommen? KREUZEDER: Ich hab schon immer eine geistige-seelische Beziehung gehabt zu Russland, weil mein Vater mir schon immer erzählt hat, was das für ein tolles Land ist - der war im Krieg im Russland und hat uns immer nur positive Dinge erzählt. Und das hat er uns erzählt, als wir so 5, 6 Jahre alt waren und da bleibt es am besten haften: tolle Menschen, tolles Land und einfach ned so hektisch wie bei uns. Das beste Beispiel: das Wort "sofort", das gibt´s nicht in Russland. Also schon allein der Wortschatz sagt schon einiges drüber aus, wie das Land ist. Es ist trotz der großen Not, die es überall gibt, viel lockerer - ja, also das Land fasziniert mich einfach. In seiner Weite, in seiner Vielfalt. Es gibt ja alles - von den höchsten Bergen Europas bis zu den größten Süßwasserseeen und und und.. ZINNER: Und dann sind Sie einfach mal hingefahren? KREUZEDER: Ja, ich bin dann einfach mal hingefahren, das war ´89, da hab ich ein Krankenhaus für Waisenkinder besucht. Da waren 32 oder 33 Kinder in dem Haus - also in Russland hat´s im Winter so zwischen 15 und 25 Grad minus - :keine Heizung, kein warmes Wasser, die Fenster kaputt, in der Nacht haben die Ratten den Kindern die Zehen weggefressen. Und etwa die Hälfte der Kinder war mit Aids infiziert, weil sie bloß eine Einwegspritze gehabt haben und so weiter und so fort. Also wenn man das gesehen hat: ich war dermaßen schockiert... Das war eigentlich mein erstes Engagement: ich hab dann über meinen Hausarzt, weil ich selber darf ja sowas nicht selber bestellen oder kaufen, 12.500 Einwegspritzen gekauft und hab die aufgegeben übers Auswärtige Amt in Bonn als Diplomatengepäck. Und dann haben sie mir trotzdem im Zollhafen von Petersburg 5.000 geklaut, aber 7.500 sind dann angekommen. Und damals hat mir dann der deutsche Konsul von Petersburg gesagt, ich war die einzige Person bisher, die was gemacht hat. ZINNER: Die Einwegspritzen sind also in Russland - wie ging´s denn dann weiter? KREUZEDER: Also mein Grundgedanke war natürlich immer schon, mit der Landwirtschaft in Verbindung zu treten. Und dann haben wir die Pächtervereinigung gefunden, also es war die erste Vereinigung überhaupt, wo sich Menschen zusammengeschlossen haben um Landwirtschaft zu betreiben als selbstständigen Beruf, als Eigenverantwortung. Mit denen haben wir uns in Verbindung gesetzt, und dann haben sich etwa 10 Familien rauskristallisiert und eine Landwirtschaftliche Berufsschule, mit denen wir dann angefangen haben zu arbeiten. Es gibt eine einzige Bedingung für die Hilfe und das ist ökologische Landwirtschaft. Also in allen Betrieben, die wir unterstützen, darf keine Chemie eingesetzt werden. Wobei das sehr leicht war, weil die, die in Russland sich selbstständig machen, überhaupt nichts zu erwarten haben. Selbst wenn es Mineraldünger oder Pestizide zu kaufen gäbe, die kriegten bestimmt keine. Von daher haben sie es leicht gehabt und haben sowieso so wirtschaften müssen ohne die chemische Hilfe. Und inzwischen, nach zehn Jahren, sind fünf Betriebe übriggeblieben und auch die Landwirtschaftliche Berufsschule. Und es ist inzwischen so, dass die Berufsschule ihre Schüler - also das ist keine Berufsschule so wie bei uns, sondern schon eine landwirtschaftliche Fachhochschule - die schickt inzwischen ihre Praktikanten zu den fünf Bauern, weil sie da am meisten lernen - zu den fünf, die ich unterstütze. Und ich hab´ schon drei von den Schülern dagehabt bei uns auf ein dreimonatiges Praktikum. Das war auch sehr, sehr schwierig, dass die über Köln eine Arbeitsgenehmigung kriegen. Ich hätte sie ja auch als Touristen aufnehmen können, weil drei Monate dürfen sie ja dableiben, aber ich wollte, dass die da arbeiten. Das muss alles Recht und Gesetz haben. Und das war wirklich von Pontius zu Pilatus laufen, von Köln über Berlin und bis man die dann versichern hat können... bis man erst rausfindet, wo es was gibt, das war schrecklich. ZINNER: Ich stell es mir relativ schwierig vor, jemand auf so befristete Zeit anzulernen, der noch dazu wahrscheinlich auch schon denkt, dass er das eigentlich kann. Wie ging denn das? KREUZEDER: Man darf sich das nicht so vorstellen, dass es in einer landwirtschaftlichen Schule in Russland so ein Konzept gibt wie bei uns in einer landwirtschaftlichen Schule. Das gibt´s da nicht. Weil die Schüler einschließlich der Lehrkräfte in der Schule etwa die Hälfte der Zeit damit beschäftigt sind, Möbel zu produzieren, damit die Schule überhaupt überlebt. Weil die staatlichen.. Die Löhne für die Lehrer oder so - gibt es nicht. Die werden seit Jahre nicht mehr bezahlt. Und auch die Heizung und eigentlich das was die Schule den Schülern bietet, das muss alles die Schule selber organisieren und zahlen. Und deswegen werden in der Schule Möbel produziert, die dann verkauft werden und von dem Erlös kann man die Schule aufrechterhalten. Also das darf man sich nicht so vorstellen wie bei uns, dass eine Schule staatlich ist und dann läuft das alles, Lehrmaterial und Heizung und Putzfrauen und Lehrkräfte - gar nix ist klar in Russland. Gar nix. ZINNER: Jetzt sind wir hier auf Ihrem Bauernhof - man hört im Hintergrund vielleicht das Feuer prasseln, man hört ab und zu landwirtschaftliche Maschinen vorbeifahren - was betreiben Sie denn für eine Art von Landwirtschaft hier? KREUZEDER: Ich betreib' die Landwirtschaft, die, ja, kann man ruhig sagen, in Mitteleuropa seit hunderten von Jahren normal war, also ich betreibe eine totale Kreislaufwirtschaft. Ich hab alles: Obst, Getreide, Kartoffeln, Fleisch, Milch, Hühner, Gänse, Schweine, alles. Sogar ein Pferdl hab ich noch - und ich bleib' auch dabei. Ich brauch das alles, wenn ich ökologisch wirtschaften will. Ich brauch zum Beispiel das Getreide ned bloß als Verdienst - das geht ja an die Kundschaft, das werde ja ned von die Schweindln gfressen sondern von den Menschen, weil das so viel gesünder ist. Aber das Stroh brauch ich zum Einstreuen, weil meine Viecher nicht auf Spalten stehen und dann klauenkrank werden nach vier Jahren, sondern bei mir stehen sie auf Stroh. Und ich muss jeden Tag zweimal den Mist entfernen, also ich muss auch körperlich noch sehr viel arbeiten, macht mir aber nichts. Und das ist schon irgendwo ein Kreislauf, also eines geht ins andere über und eines braucht das andere, und mir gefällt es so. ZINNER: Also das war natürlich für die russische Bauern ideal, das hier zu sehen, weil bei ihnen jeder Bereich berührt wird in der Landwirtschaft. Was haben die denn wohl gelernt? KREUZEDER: Also ich hoffe, ich hab ihnen vor allem vermittelt, was das für ein interessantes und schönes Leben ist, ein Bauer zu sein. In der Art wie ich einer bin, gell. ZINNER: Das hängt natürlich auch mit dem Geld zusammen. Also wenn man überhaupt noch so existieren kann und so viel Geld verdienen kann, dass man davon leben kann, dann ist das vielleicht schön - aber können die das denn in Russland? KREUZEDER: Oh, die - also ich kann nur von den 10 Bauernehepaaren reden, mit denen ich näher Kontakt habe und die Leute von der Landwirtschaftsschule. Und die machen sich ... - zum Beispiel die Luba - das ist die Frau vom Dima, die ham zusammen einen Bauernhof - die fährt täglich mit 10 Litern Milch mitm Radl 13 Kilometer nach Petersburg und verkauft die 10 Liter. Und dann fahrt´s mitm Radl wieder heim. Und das ist da drüben rentabel. Weil eine gute Milch, also Frischmilch, in Russland sowieso eine Rarität ist. Also die Mecklen-Butter und Müller Milch, das kann man auch in Petersbrug kriegen, gibt es alles, aber das kann sich kein Mensch leisten. Und deswegen müssen die Menschen dort die einheimische Butter kaufen und da muss man, wenn man Pech hat, acht Zehntel von der Butter wegschmeißen und nur der Kern ist noch gut. Alles andere außen rum ist schlecht schon. ZINNER: Jetzt haben Sie ja einen Verein gegründet - was machen Sie denn dann mit Ihrem Verein? KREUZEDER: Ich treff mich dann mit den Bauern da drüben und dann wird besprochen, was das Nötigste wäre. Also wie viel finanzielle Mittel ich hab, wie viel Spenden eingegangen sind und dann wird besprochen, was am wichtigsten wäre. Zum Beispiel die russischen Motorsägen sind eine absolute Katastrophe. Also haben wir bei irgendeinem Treffen beschlossen, die brauchen eine Motorsäge. Es gibt in Petersburg eine Vertretung von einer großen europäischen Motorsägenfirma, aber niemand in Russland kann sich dort eine Motorsäge kaufen. Also habe wir hier bei uns von den Spendengeldern eine Motorsäge gekauft und haben die den Bauern rübergebracht. Mit so Handfeilen dazu, weil die Ketten der Motorsäge muss man schleifen, sonst kann man sie wegschmeißen. Es gibt natürlich auch Schleifautomaten, aber die kann sich niemand leisten, auch ich nicht mit den Spendengeldern. Dann haben wir also Handfeilen gekauft, damit die die selber nachschleifen. Und das war deshalb wichtig, weil fast die ganzen Flächen, die man ihnen gegeben hat vom Staat, die sie gekauft haben, die also jetzt ihr eigenen Besitz sind, die waren vor 25 Jahren noch Wiesen. Sind aber jetzt zugewachsen mit Birken, die dicker sind als der Arm. Und die müssen halt jetzt die Flächen, wo sie dann ihr Gemüse und ihre Kartoffeln oder ihren Roggen anbauen wollen, die müssen sie zuerst roden. Und da brauchen sie eben eine Motorsäge, die funktioniert. Man muss wissen, das erste Gerät, was die sich gekauft haben, war eine Heupresse. Die haben vorher das lose Heu mitten im Freien gelagert, im Frühjahr war fast alles verfault - weil die haben keine Stadel. Die haben in den alten Viehwaggons mitten auf dem Acker, den sie sich gekauft haben, bei 25 Grad minus gehaust. Mit den Schweindln, mit den zwei Kühen zusammen in einem Wagon. Mitten in der Botanik. Also man darf sich nicht vorstellen, dass die Leute, die sich da selbstständig machen, irgendwas haben. Die haben gar nichts. Jetzt, nach 10 Jahren fängt der erste an, sich seinen Hof zu bauen. Und von dem her haben wir das erste, das war eine Heupresse, damit sie das Heu kompakter haben. Und dann haben sie sich irgendwo eine Plane gekauft und das Heu zugedeckt, das war der erste, ganz wichtige Schritt. Und die Heupresse, die hat man ihnen nachgeschmissen, weil solche Heupressen, die gibt´s auf den Kolchosen genug, die sind aber alle kaputt. Die hat man ihnen mehr oder weniger geschenkt. Aber das Hauptverschleißteil von der Presse, das Messer, das die Ballen abschneidet, das war kaputt. Und das hat 700 Mark gekostet und das war das erste, was wir gekauft haben. Und mit der Heupresse hat der ein Jahr später, ich glaube 5000 Ballen gepresst für andere und hat somit wieder was verdient, um sich selber weiterzubringen. Also es sind wirklich nur ganz kleine Sachen, die unheimliche Schritte ermöglichen. Dann gibt's bei uns so an Spalthammer, der hat zwei Eigenschaften. Der kann Klötze, "Meterscheidln", wie wir sagen, die kann man spalten und man kann gleichzeitig, wenn man den Hammer umdreht, einen Keil reinhauen. Der hat hinten ein dickes Haus und vorne a Spitzen. Und so was gibt's in Russland überhaupt nicht. Und der Dima, der da auf so einen Kurzbesuch da war, der hat den Hammer gesehen und war dermaßen weg. Und dann haben wir ihm halt den Hammer gekauft, der hat 100 Mark gekostet, den haben wir dann zerlegen müssen, weil er ja im Flugzeug als Waffe ausgelegt werden kann und ham ihn beim Sperrgut unter "Gefährlichen Gütern" aufgeben müssen im Flughafen. Aber hat den Hammer halt heimgebracht und er leistet ihm gute Dienste. Was ich damit sagen will: Selbst die kleinste Kleinigkeit kann unheimlich viel Hilfe sein für die Leute da drüben. Also zum Beispiel so eine Handfeile, die kriegen sie einfach nicht. Oder so einen Hammer, der ihnen die Arbeit unwahrscheinlich erleichtert. Man muss wissen, dass die mit Werkzeug arbeiten, wenn die einen Traktor zerlegen oder einen Kundendienst machen, Ölwechsel machen - die Schraubenschlüssel, die sind aus der Zarenzeit! Die haben sie irgendwo mal gefunden. Also man darf nicht glauben, dass da Schlagschrauber gibt oder so was. ZINNER: Also Sie sind drüben, besprechen, was gemacht werden muss, besprechen vielleicht, was Sie kaufen - und dann? KREUZEDER: Und dann krieg' ich von ihnen einen Bericht, wie es das Jahr gelaufen ist, dann sagen sie mir, wo´s Probleme gibt. Die ersten Jahre waren die Probleme, wie ich schon gesagt hab: vorher waren sie Traktoristen oder Melkerinnen, also Spezialisten auf einem ganz kleinen Gebiet - die haben also nicht genau gewusst, wie man das macht mit den Kartoffeln. Man muss wissen, in dem Petersburger Gebiet, da wächst eigentlich nur noch Roggen und Kartoffel und Gemüse natürlich. Also haben wir ihnen so eine Broschüre gemacht. Ich habe ihnen alles Wichtige, Wissenswerte über Kartoffelanbau, Lagerung, Anbau, Sortierung, Sorten und so weiter hab´ ich gesammelt aus meinen Fachbüchern, das haben wir dann ins Russische übersetzt. Da haben wir also einen Dolmetscher gefunden, der uns das gemacht hat, kostenlos - das ist so eine dicke Broschüre mit 80 Seiten, da ist dann alles dringestanden, was man über die Kartoffel wissen muss. Und die Broschüre ist dann in der landwirtschaftlichen Schule als Lehrmaterial benutzt worden. Und jetzt haben sie wahnsinnig tolle Erträge im Kartoffelanbau. ZINNER: Also im Grunde haben sie dadurch, dass so wenig da ist, trotz geringer Möglichkeiten doch große Möglichkeiten, was zu machen, stimmt das? KREUZEDER: Das stimmt so, ja. Also man glaubt immer - wenn man an Russland denkt, dann sieht man immer 8.000 Kilometer Wald oder Betriebsgrößen mit 30.000 Hektar und da ist jeder Einzelne, der sich engagieren will, ist irgendwie vor den Kopf geschlagen. Er sieht keine Möglichkeit, seine Hilfe da einzubringen. Es ist aber nicht so. Sondern, wie ich schon gesagt hab, die kleinste Hilfe führt zu den größten Sprüngen. ZINNER: Jetzt waren Sie ja Politiker und engagieren sich immer noch politisch - finden Sie denn, dass die Politik da versagt hat? KREUZEDER: Völlig! Die Politik hat in Russland völlig versagt. Die Politik bei uns ist ja eine Politik, die sehr viel Rücksicht nehmen muss aufs Kapital. Und das färbt natürlich auch auf die Politiker ab, die glauben, mit Kapital kann man alles ändern. Also sie schmeißen wieder mal 10 Milliarden, 15 Milliarden Mark schmeißen sie in den Rachen der russischen Administration, der russischen Regierung und man hört fast wöchentlich in einer einigermaßen guten Sendung, wie das Geld irgendwo verschwindet. Und der größte Fehler dabei ist, dass man versucht, das Land ruhig zu halten, indem man ihm so viel Kapital gibt und mit dem Kapital sich Strukturen verfestigen, die absolut sicher dazu führen, dass in Russland wieder eine Diktatur entsteht. Niemals kann, insgesamt gesehen, die gesellschaftliche Entwicklung in Russland ... die wird nie funktionieren auf Dauer. Es wird wieder zum Rückfall kommen in alte Zeiten, weil die Masse der Bevölkerung nichts verspürt von der Freiheit, nichts verspürt von der Demokratie und auch nichts verspürt von der wirtschaftlichen Selbstständigkeit. ZINNER: Wie würden Sie es sich denn vorstellen, dass man vorgeht, von der Politik aus, von einzelnen Verbänden aus? KREUZEDER: Von der Politik aus kann ich mir überhaupt nichts vorstellen, weil man da bei der Wiedervereinigung schon den größten Fehler gemacht hat. Das größte Unrecht, das die Ex-DDR praktiziert hat in ihrem demokratischen Sozialismus, das war die Enteignung von Eigentum. Also nicht speziell gezielt auf die Landbevölkerung, sondern allgemein. Und genauso ist es ja in Russland, es gehört dir ja gar nichts. Und bei der Wiedervereinigung hat man versäumt, den Bauern ihre Wiesen und Felder wieder zurückzugeben. Das hat man einfach nicht gemacht. Sondern man hat die kommunistisch geführten Kolchosen in der Ex-DDR zu demokratischen Strukturen erklärt. Das war für mich der Abschied von der Politik. ZINNER: Waren Sie damals noch aktiver Politiker? KREUZEDER: Damals war ich aktiver Abgeordneter. Bei der Wiedervereinigung. Und ich habe damals sehr viele Vorträge gehalten in der DDR - damals war sie ja noch selbstständig - das war die Übergangsregierung und hab den Leuten in 10 oder 15 Veranstaltungen gesagt, was ihnen bevorsteht. Und genauso ist es gekommen. ZINNER: Also keine Visionen, was die Politik angeht? KREUZEDER: Nein, überhaupt keine. Also ich weiß natürlich auch - und das ist auch ein Grund für das Engagement für den Verein - zu den offiziellen Hilfsstellen, da hätte ich überhaupt kein Vertrauen. Und bei mir ist es so, ich kriege etwa 1.500 bis 2.000 Mark im Jahr an Spenden und die kommen zu 100 % zu den Bauern, weil ich die da rüberfahr. Also die Fahrt und das Übernachten und was an Kosten anfällt, zahle ich mir immer selber. Die kriegen also auf Heller und Pfennig alle Beträge, die gespendet werden, kriegen die auch. Da wird nicht mal eine Mark abgezogen für Post oder so. ZINNER: Also wenn ich Ihnen so zuhöre, dann merke ich einerseits eine Resignation, und andererseits ist ein riesiges Engagement da - wie kommen Sie denn damit zurecht? KREUZEDER: Also ich bin jetzt schließlich schon 50 Jahre alt, und da schminkt man sich manche Naivitäten einfach ab. Und ich hab genug mitgemacht und hab genug gesehen, für meine Begriffe leicht genug von der Politik und von der Gesellschaftsentwicklung und von daher kann man das eigentlich nicht Resignation nennen, sondern bei mir überwiegt inzwischen der Verstand. Ich habe eine sehr starke soziale Ader. Immer schon gehabt. Und die hat mich sehr oft verführt, sehr naiv zu sein und zu sagen, ja, da machen wir das und das und dann funktioniert das. Es ist nicht so. Die Kräfte sind ganz anders verteilt. ZINNER: Was bedeutet das denn persönlich für Sie, dass sie sich in Russland so engagieren, dass Sie diesen Verein betreiben? Es nimmt wahrscheinlich noch mal viel von Ihrer ohnehin knappen Zeit weg? KREUZEDER: Also was die knappe Zeit angeht - das ist eines der Vorurteile über den biologischen Landbau: man glaubt, dass Biobauern Tag und Nacht arbeiten und eigentlich ganz vergeistigt auf ihre esoterisch und homöopathisch angehauchten Früchte starren: das ist völlig falsch. Zumindest was mich anbelangt. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass es solche Bauern gibt. Aber ich mach mindestens vier Wochen Urlaub im Jahr. Ich hab auch so genug Freizeit, ich tu Motorrad fahren, tu Fußball spielen, mich interessiert Kultur, Malerei, Literatur und ich hab´ für alles Zeit. Ich muss viel arbeiten und trotzdem hab´ ich auch Zeit für den Verein - das ist ungefähr im Jahr eine ganze Woche. Aber das läuft alles so nebenbei ab, da mal eine Stunde und da mal eine Stunde - und dann mal eine Woche, wo ich Urlaub mach gleichzeitig und mit denen wieder in Kontakt trete, indem ich nach Russland fahr´. ZINNER: Jetzt haben diese russischen Bauern in gewisser Weise was von Ihnen gelernt: Sie sind ein Lehrer für die. KREUZEDER: Naa, auf das hab ich nie Wert gelegt und hab ihnen auch immer ausdrücklich gesagt, i bin koa Lehrer - i hab ihnen g´sagt, ich bin a Kollege. Wenn ich komm oder wenn die zu mir kommen, dann läuft das auf einer Basis, als wenn sich zwei Nachbarn treffen und beratschlagen, was kann man zu dem Thema oder zu dem Notstand, was können wir jetzt da machen. ZINNER: Trotzdem geht so ein gewisser Strom von Ihnen zu denen. Was kommt den von denen zu Ihnen? KREUZEDER: Oh, das würde auch so fließen, glaub ich. Allein die russische Gastfreundschaft! Und mit was für Problemen die zu mir kommen. Wie offen die sind. Und die Geschichten, die die erzählen - das ist natürlich hochinteressant für mich, zu erfahren, was alles so abläuft zurzeit in Russland. Also wenn zum Beispiel wenn jemand stirbt und die Friedhofsmafia dann 1000 Dollar verlangt, damit man da die eigene Mutter beerdigen kann und so weiter - also so Geschichten, dafür bin ich immer sehr dankbar, weil mir keiner in Deutschland, auch kein einziger Politiker, erzählen kann, wie´s in Russland wirklich ist. Ich weiß, wie´s ist. ZINNER: Wie läuft denn diese Gastfreundschaft ab? KREUZEDER: Oh, für mich als völliger Antialkoholiker ist Russland natürlich ein heißes Pflaster. Da muss man wissen, dass man sehr viel essen muss - in Russland gibt's halt die Schweindl, die werden gfuttert, bis richtig fett san und so ist auch das Fleisch dann. Aber das ist gar nicht schlecht, weil wenn man weiß, dass man danach ziemlich viel Wodka trinken muss - und das gehört zur Gastfreundschaft, so wie die Bayern ihr Bier trinken, so trinken die Russen ihren Wodka und da hab´ ich schon manchmal meine Schwierigkeiten. Aber das russische Essen ist unheimlich gut - sehr viel Gemüse, tolle Suppen, auch sehr viel Gebäck - ich esse ja für mein Leben gern Süßigkeiten - die russische Küche ist insgesamt sehr gut, also wirklich empfehlenswert - aber das einzige Handicap ist für mich der Wodka. ZINNER: Müssen Sie den dann trinken? KREUZEDER: Also ich trink ihn aus Gastfreundschaft, weil das würden die einfach nicht verstehen. Da in der Gegend, wo ich bin, da arbeitet ein karelischer Zimmermann, also die Ex-Finnen, die sind ja weltweit bekannt als exzellente Schnitzer und Holzbearbeiter, also Zimmerer oder Schreiner, die bauen so ein Blockhaus am Tag für eine Flasche Wodka. Nur eine Flasche Wodka als Zahlungsmittel - das ist da gang und gäbe. ZINNER: Wenn Sie da hinreisen, wie kann ich mir das vorstellen? KREUZEDER: Ich fahr´ meistens im Winter, weil ich im Sommer keine Zeit hab´. Und ich mag den Winter sehr gern. Und der russische Winter ist einfach nicht zu vergleichen mit unserem klimaveränderten Pritschel, was wir da haben, es ist eh nur grad nass und feucht bei uns. Also fahr´ ich von daher sehr gern nach Russland im Winter. Aber man muss sich warm anziehen. Mehr hab ich eigentlich nicht im Kopf, wenn ich nach Russland fahr. Das andere ergibt sich von selber. Aber wir telefonieren vorher - an dem Beispiel sieht man ja auch, dass das schon sehr schwierig ist manchmal: mein Ansprechpartner, die Familie Svetkow, also Dima und Luba Svetkow, die haben selber kein Telefon. Aber am Dima sei´ Schwester hat ein Telefon. Also ruf ich am Dima sei Schwester an und sag ihr: in zwei Tagen, um acht Uhr abends ruf ich wieder an. Und dann sagt sie das dem Dima und dann kommt der in zwei Tagen und dann können wir erst miteinander reden. Also so läuft das. Manchmal ist ganz schön schwierig. ZINNER: Wenn Sie sich wünschen könnten, was Sie wollten, bezüglich der Bauern, die Sie unterstützen - oder vielleicht bezüglich aller russischen Bauern: was würden Sie machen? KREUZEDER: Ich würde etwa eine Million Mark brauchen, um die Landwirtschaftliche Fachschule auf Vordermann zu bringen, um praktisch ein Musterprojekt zu gestalten. Also die Fundamente sind da: Die Schule ist da, wo junge Menschen in die Richtung ausgebildet werden und es sind ca. 2.000 Personen da, die in der Landwirtschaft arbeiten wollen, die sich selbstständig machen wollen. Und das Fundament ist auch schon da, eben die fünf, sechs Betriebe, mit denen ich seit Jahren zusammenarbeite. Um das Ganze zusammenzufassen und dann regional zu verbreiten - ganz langsam. Man kann Russland nicht in der Landwirtschaft über Nacht befrieden, auch nicht mit 10 Milliarden, auch nicht mit 100 Milliarden. Sondern man muss mit kleinen Projekten anfangen und die muss man dann ganz vorsichtig erweitern. ZINNER: Die Sendereihe heißt "Menschen in der Entscheidung". Wann haben Sie denn da eine Entscheidung getroffen? KREUZEDER: Nachdem ich jahrelang über Russland sehr viel gelesen habe, aber nie die Möglichkeit gehabt habe, dort hinzufahren und nachdem ich das erste Mal dort war, habe ich sofort gewusst, dass ich da was machen muss. Ich hab einfach gewusst: für meine eigene persönliche Befriedigung brauch ich irgendwas, dass ich denen da drüben helfen kann. Das war eigentlich alles. Das war in dem Sinn keine Entscheidung, weil das hat ja auch wahnsinnigen Spaß gemacht. Das einzige, was mir nie Spaß gemacht hat und da wäre ich auch körperlich krank geworden, das war die Politik. Wie die Grünen aus dem Bundestag rausgeflogen sind, das war für mich von der ersten Sekunde an eine totale Befreiung. Ich war nur noch zufrieden und glücklich, dass ich da nicht mehr hinfahren muss. Weil ich war ja damals auch wieder Spitzenkandidat in Bayern. Ich hätte es ja leicht gehabt. Wahrscheinlich wäre ich immer noch Politiker. Wahrscheinlich hätte ich dann alle möglichen Krankheiten - aber viel Geld hätte ich noch - aber - das kann man nicht sagen ins Mikrofon, aber da sag ich mal: da pfeif ich drauf. © Bayerischer Rundfunk 1999
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Aktualisiert am 30.11.11