Gegen Rechts?
Eine fragwürdige Reaktion - ganzheitliche
Lösungsansätze überfällig Es ist interessant, daß aus unserer Gesellschaft auf das Problem des Rechts-Extremismus fast ausschließlich mit Maßnahmen reagiert wird, die von einem GEGEN bestimmt sind, gegen Rechts, gegen Rassismus, gegen Neonazis, gegen braune Gewalt usw. Es sind Re-Aktion gegen Aktionen von Jugendlichen, die im Grunde auch nur Re-Aktionen sind weil sie zu wenig erfahren haben, daß sich jemand aus der Familie, der Schule oder nach der Schule FÜR sie einsetzt und ihnen die Möglichkeit bietet, etwas FÜR eine sinnvolle Aufgabe zu tun. In den Re-Aktionen der Erwachsenen in Form eines GEGEN ist bereits die Ursache des Problems erkennbar: Die sich verantwortlich fühlenden Politiker, Wissenschaftler und Bürger sind überwiegend nicht bereit oder in der Lage, Schwierigkeiten als Symptome des Versagens unserer Gesellschaft und mitunter auch eigener Versäumnisse zu erkennen, diese dem entsprechend ursächlich anzugehen und vorbeugend FÜR Jugendliche tätig zu werden. So wird vor allem mit Verboten (Günther Beckstein, CSU-Innenminister Bayern: "Ich fordere die Bundesregierung auf, die notwendigen Schritte zur Vorbereitung eines Verbotsantrags einzuleiten."), mit Aus- und Abgrenzung reagiert (Die Christin Herta Däubler-Gmelin:"Wir wollen diese Braunen nicht."), und an die Möglichkeit einer Re-Integration, an geistige Auseinandersetzung und Vorbeugung kaum gedacht. Und wenn mal jemand ursächlich denkt, (Hans Joachim Maaz, Psychologe: "Eine entfesselte Leistungsgesellschaft, die schafft immer auch Menschen, die an die Seite gedrängt werden."), dann erfolgt sehr schnell eine Korrektur, welche das gewohnte Bild von der Gesellschaft wieder herstellt (Patricia Schlesinger, NDR-Panorama: "Eine populäre Erklärung selbsternannter Experten, doch sie ist so einfach wie falsch."), weil es meistens leichter ist, an der Oberfläche zu bleiben als das Bestehende von seiner geistigen Substanz her in Frage zu stellen. Den meisten scheint nun einmal nichts über ein solides Feindbild zu gehen. So verständlich spontane und heftige Re-Aktionen auch sind, um Gefahren abzuwehren, mindestens ebenso wichtig, weil nachhaltiger, wäre es, die Ursachen zu erkunden und zu beseitigen. Dies aber geschieht zu wenig. Medien bereiten das Thema auf zu spektakulären "Highlights", um Auflagen oder Einschaltquoten zu steigern, Politiker versprechen alles Mögliche, um Wählerstimmen zu halten oder hinzu zu gewinnen, Wissenschaftler erforschen das Problem, um akademische Arbeiten darüber anzufertigen. An den Ursachen aber ändert sich nichts - bis zum nächsten Anlaß zu verbalen Gegenmaßnahmen - wie gehabt. 1991: Wolfgang Schäuble: "Es muss jetzt zu einem gemeinsamen Handeln der demokratischen Kräfte kommen." - 1992: Helmut Kohl: "Es ist eine Schande, ich kann es nicht anders formulieren, für unser Land." - Oskar Lafontaine: "Wir sind entsetzt über die Gewalttätigkeit gegen Ausländer und jüdische Gedenkstätten in unserem Land." - "Wir müssen verhindern, dass rechtsradikale Deutsche schon wieder etliche Minderheiten verfolgen. - "Björn Engholm: "Dass so etwas möglich ist, ist bedrückend." - Norbert Blüm: "Uns eint hier Trauer und Entsetzen." - "Wir müssen gemeinsam dem Hass, der Hetze und der Gewalt widerstehen." - Manfred Stolpe: "Wir werden unsere Konsequenzen daraus ziehen, mit der Härte des Gesetzes." - Klaus Kinkel: "Unsere Demokratie muss zeigen, dass sie wehrhaft ist." - 1993: Johannes Rau: "Wir müssen natürlich alles tun, damit Fremdenangst überwunden wird, damit kein Hass entsteht." - Helmut Kohl: "Das ist ein Vorgang, der uns zutiefst bedrückt und erschüttert und für den wir uns auch schämen." - Klaus Kinkel: "Schrecklich, was da geschehen ist." - 1994: Gerhard Schröder: "Da muss sich einiges ändern in unserem Land. Engstirnigkeit, Ausländerfeindlichkeit darf keinen Platz haben." - 1995: Rudolf Scharping: "Mir machen rechtsradikale Tendenzen in Deutschland Sorgen, große Sorgen." - 1998: Angela Merkel: "Ab einem bestimmten Punkt muss man dann eben auch Härte zeigen." - 1999: Manfred Stolpe: "Wir sind zutiefst erschüttert über die Unmenschlichkeit, die sich dort gezeigt hat, über den Hass gegen Ausländer, die brutale Gewalt gegen Mitmenschen." Viele schöne Worte, gut gemeint. Was aber sind die Ursachen des Extremismus? Diese - ob von Rechts oder von Links - sind in den geistigen gesellschaftlichen und damit auch menschlichen Strukturen enthalten. Sie sind Ergebnis weit verbreiteter analytischer, selektiver und materieller Denkweisen und damit Bestandteil unserer Gesellschaft. Die meisten Reaktionen auf die zunehmenden Aktivitäten von "Rechts" - deutlich von Unsicherheit und Angst geleitet - zeigen einen Mangel an ganzheitlicher ethischer Orientierung und gefestigter Identität. Ethische Werte - wenn sie überhaupt noch beachtet werden - sind in religiösen oder akademischen Bereichen zu finden und werden gelegentlich rituell zelebriert, sie stehen aber so gut wie nicht mehr in Verbindung mit dem täglichen Handeln in den verschiedenen materiell orientierten Bereichen. Das, was bei uns den Jugendlichen vorgelebt wird ist ehrlicherweise vorwiegend eine menschlich defizitäre Wohlstands-, Konsum-, Spaß- und auch Ellenbogengesellschaft. Jugendliche, die - meist unbewußt - noch nach menschlichen Idealen wie zum Beispiel Gerechtigkeit und Ehrlichkeit sowie nach Anerkennung und Einbeziehung suchen, müssen eigentlich in einer solchen Umwelt verzweifeln, wenn sie sich nicht anpassen und selbst aufgeben wollen oder können. Da ist es nicht verwunderlich, wenn junge Menschen, die jahrelang durch Gängelung und zwangsweise Anpassung in Elternhaus, Schule und den Einfluß der Medien an eine materiell orientierte, oberflächliche Mitwelt daran gehindert werden, eine ganzheitliche und damit sinnerfüllende Lebensgestaltung zu erlernen, extremes Verhalten zeigen. Nicht wenige greifen dann eher zu materiellen oder geistigen Drogen wie beispielsweise Rassismus und Neonazismus als ein angemessen erscheinendes letztes Mittel in ihrer geistig-existentiellen Not.
Ebenso wie die ethischen Werte weitgehend abgetrennt sind vom realen individuellen Leben, ebenso - wenn nicht noch mehr - ist es die Kenntnis von den biologischen Ursachen menschlichen Verhaltens. Obwohl es offensichtlich ist, daß Gewalt fast ausschließlich vom Mann ausgeht, werden die biologischen Ursachen so gut wie nicht beachtet. "Das Tier im Menschen kann nicht ausgerottet werden. Daher muß diesem Tier ins Auge gesehen und mit ihm gelebt werden", sagte Sigmund Freud. Aber selbst Wissenschaftler, auch weibliche, die sich nun endlich des Geschlechter-Problems annehmen, weigern sich meist, hier hinzusehen. Zu sehr werden vermutlich Unsicherheiten im Bereich der persönlichen Identität wachgerufen. Aber gerade hier, im Bereich der Identitätsfindung wäre anzusetzen, wenn nachhaltige Lösungen im Kleinen wie im Großen angestrebt werden, denn Extremismus und Gewalt sind meist Ergebnisse von mangelnder Stabilität individueller Identitäten in Verbindung mit Unkenntnis der natürlichen Urtriebe des Menschen. Ursächliche Lösungsansätze zur Überwindung extremistischer Auswüchse wären ganzheitliche Sichtweisen der Gesellschaft, welche die Spaltungen in biologische, emotionale, geistige und materielle Bereiche mit Hilfe einer übergeordneten Orientierung an verantwortlicher Menschlichkeit aufheben. Die Qualität der Menschlichkeit unserer Gesellschaft ist zu überprüfen, in ihren Merkmalen zu erfassen und zu verfeinern. Der Bereich der Kultur darf sich nicht länger auf Kunst beschränken, sondern muß vor allem das Menschliche mit einbeziehen und kultivieren. Kultivierte Menschen können weder Ausländer, noch Außenseiter ausgrenzen oder ihnen gar mit Gewalt begegnen, sondern bemühen sich, diese als Mitmenschen bzw. sie in ihrem Verhalten als Ergebnisse der Gesellschaft zu sehen und zu integrieren. Wenn nachhaltige Wirkungen erzielt werden sollen, dann darf man sich nicht nur auf Re-aktionen beschränken - damit würde die Führung den Extremisten überlassen - sondern man muß sich auch mit den tieferen Ursachen und deren Beseitigung befassen. Ein Menschenbild zu erstellen und anzuwenden ist nötig, das in ganzheitlicher Weise die realen Gegebenheiten menschlichen Daseins - angefangen bei den biologischen Anlagen, über die ideellen Möglichkeiten bis hin zu den realen Grenzen - enthält und irreale Vorstellungen traditioneller Mythen, Separatismus und Extremismus überwindet. Dazu bedarf es keiner großen finanziellen Mittel, sondern allenfalls Verantwortungsbewußtsein und Mut zum freien Denken, das ein Hinterfragen der bisherigen ethischen Orientierung erlaubt. Der Mensch ist das Problem des Menschen - und seine Lösung. - Ein Zitat von Albert Einstein soll diese Abhandlung beschließen: "Probleme lassen sich nicht mit den Denkweisen lösen, die zu ihnen geführt haben." Diese These erscheint heute wichtiger als seine - nicht unumstrittene - Relativitäts-Theorie. Rudolf Kuhr
ein Brief zum Thema 'rechts':
München, 11.02.98
Redaktion 'Karussell'
Betr.: Zeitschrift KARUSSELL Ausgabe 8/97
Sehr geehrter Herr Lucifero, auf zwei Begriffe möchte ich eingehen, die mir aufgefallen sind: "rechts" und "gegen". Es ist zu lesen von Rechtsentwicklung und Rassismus, Rechtsextremismus, Neue Rechte, Rechte Organisationen, Bündnis gegen Rechte, rechte Gewalt, rechte Strukturen, rechten Konsens, Rechtsdruck, Rechte Straf- und Gewalttaten, usw. Andererseits gibt es Begriffe wie Menschenrechte, Rechtsordnung, Rechtsgemeinschaft, Rechtsidee, Rechtsfähigkeit, Rechtshilfe, Rechtskraft, Rechtsmedizin, Rechtswissenschaft, Rechtsnachfolge, Rechtsstaat, Rechtsbeugung, Rechtsverletzung, Rechtsstandpunkt, Rechtsanwalt usw. Ich denke, daß es sinnvoll wäre, wenn hier etwas sorgsamer mit den Begriffen umgegangen würde und eindeutigere Begriffe verwendet würden, z.B. nationaler Extremismus, Nationalismus, nationalistische Gewalt, Faschismus, faschistische Gesinnung usw., um undemokratische Strömungen nicht indirekt aufzuwerten. "Die Begriffe, die man sich von was macht, sind sehr wichtig. Sie sind die Griffe, mit denen man die Dinge bewegen kann", sagte Bertolt Brecht, Dichter (1898-1956). Begriffe sind Werkzeuge des Denkens, man muß sie nachschärfen, um gute Werke zu erzeugen. In einem Aufruf zur Diskussion heißt es u.a. "... gegen rechte Gewalt ... gegen Neofaschismus ... gegen das Wegschauen ... gegen Rassismus ... gegen rechte Strukturen ... gegen Rechtsbruch ... gegen Verrohung ..." Ich denke, daß es bei aller Richtigkeit dieser Aufrufe wichtig ist, mindestens ebenso viele Ziele zu nennen, für die man sich einsetzen kann und soll, um das Konstruktive zu fördern und Alternativen anzubieten. Daran mangelt es in unserer Gesellschaft sehr. Mit freundlichen Grüßen
Rudolf Kuhr
Anlage
Texte zum Thema Humanismus als ethische Orientierung
Humanistische AKTION 9/2000,3
Kritik, Anregungen zu Form und Inhalt, Dialog sowie
unveränderter Nachdruck bei Quellenangabe
www.humanistische-aktion.de/rechts.htm |
Aktualisiert am 10.02.06