Ansätze zur Aussöhnung
in Kosovae?
In Kosovae*) gibt es erste Ansätze zur Aussöhnung. Intellektuelle,
Kunstschaffende und Mitglieder von NGO's sind daran, Vorschläge für
Ziviltribunale auszuarbeiten. Anfang April haben religiöse Führer
einen interreligiösen Rat gegründet und wollen gemeinsam gegen
Gewalt und Menschenrechtsverletzungen wirken.
Ziviltribunale für Kosovae
Unter diesem Arbeitstitel wird ein Vorschlag zu einem Verfahren für
Verbrechen gemacht, die von der Justiz (noch) nicht verfolgt worden sind.
Die vorgeschlagene Methode soll in Fällen zur Anwendung kommen, in denen
der Beschuldigte bekannt ist, in Kosovae lebt oder dorthin zurückkehren
möchte, und in denen eines oder mehrere Opfer noch leben (Opfer im weiteren
Sinne sind auch Witwen etc.).
Ausgangspunkt ist der Gedanke, dass ein juristisches Prozedere nach westlichem
Vorbild in den meisten dieser Fälle nicht adäquat ist, weil es
zu lange dauert, die Beweisführung zu komplex ist und - das ist der
wichtigste Punkt - es dem Opfer selten Genugtuung verschafft. Im Gegenteil
empfinden es die Opfer oft als Belastung und - selbst wenn das Urteil auf
"schuldig" lautet - die Gerechtigkeit, die ihnen damit widerfährt,
führt im Allgemeinen nicht zu einem neuen Dialog innerhalb der Gesellschaft.
Einen möglichen Ansatzpunkt sehen die Initianten im albanischen
Gewohnheitsrecht, dem "Kanun". Bei uns vor allem bekannt durch die Blutrache,
enthält dieses traditionelle, mündlich überlieferte Gesetz
offenbar auch die Möglichkeit des Verzeihens. "Die 'Besa', der zeitlich
beschränkte Verzicht der Ausübung der Sühnenahme, konnte entweder
vom Sühnenehmer gewährt werden oder im Falle einer allgemeinen
Besa, die nicht unbedingt zeitlich beschränkt war, von der Versammlung
des Banners (Anm. d. Red.: etwa gleichbedeutend wie "Clans") beschlossen
werden. Unter die allgemeine Besa fielen vor allem Fest- und Versammlungstage,
Frauen, Gastgeber und Gäste. Eine Sühnenahme trotz einer Besa kam
einem Mord gleich." 1)
Eine Kombination dieses Ansatzes mit Erfahrungen aus Vorbildern wie dem der
italienischen Aussöhnungs-Richter und dem der südafrikanischen
Ziviltribunale soll zu einem für Kosovae massgeschneiderten Modell
führen.
Vorbild Italien
In Italien sind die Versöhnungsrichter Teil einer paralegalen Struktur,
die in jedem Fall den Angeklagten, das Opfer und die beiden Anwälte
umfasst. Dazu kommen ein oder zwei ausgebildete Freiwillige. Manchmal bereut
der Angeschuldigte die Tat oder hat einfach Angst vor dem Prozess. Dann kann
die Initiative von ihm ausgehen. Manchmal geschieht es auch auf Wunsch des
Opfers, das seinerseits dem Täter eine Versöhnungsverhandlung
vorschlägt. Im optimalen Fall nimmt der Angeschuldigte nach ein oder
zwei Sitzungen die Schuld auf sich und erklärt seinen Willen, dem Opfer
darzulegen, wie er zur Tat kam. Er ist auch bereit, dem Opfer zuzuhören,
wie die Wirkung seiner Tat war und schliesslich das Opfer um Verzeihung zu
bitten und in adäquater Weise Entschädigung anzubieten.
Wenn das Opfer bereit ist, sich auf dieses Verfahren einzulassen, auf einen
Prozess zu verzichten oder - wird von Staates wegen geklagt - darauf hinzuwirken,
dass das Urteil gemildert wird, dann wird ein Treffen mir einem
Versöhnungsrichter arrangiert. Dessen Aufgabe ist es, beide Parteien
zu einem substanziellen Gespräch anzuregen, das auf eine persönlich
Annäherung und den Entscheid über eine adäquate
Entschädigung abzielt. Der Fall ist erledigt, wenn diese Entschädigung
erfolgt ist.
In Italien wird dieses Verfahren bisher nur in Fällen von Raub,
Sachbeschädigung etc. angewendet.
Vorbild Südafrika
In Südafrika haben die Ziviltribunale in den Gemeinden ähnlich
gearbeitet wie die berühmte Wahrheits- und Versöhnungskommission.
In jeder Gemeinde war eine angesehene lokale Persönlichkeit in diese
Aufgabe involviert.
Vorteil dieses Verfahrens ist, dass es dem Opfer mehr Genugtuung bringt,
als eine herkömmliche Verurteilung des Täters, die Täter werden
rehabilitiert und beide Seiten könnten eine neue Sicht der Vergangenheit
und der Zukunft erhalten, welche die Spirale des Hasses umdreht und zu weiteren
Versöhnungsschritten und konstruktiven Lösungen führen kann.
Wenn auch nur 2-3 Fälle pro Bezirk auf diese Weise erfolgreich gelöst
werden könnten, würde dies - vorausgesetzt, sie erhalten genug
Öffentlichkeit - bereits Auswirkungen auf die kulturelle Verarbeitung
der gewaltsamen Konflikte haben.
Alle beigezogenen Personen benötigen aber ein Minimum an Schulung für
die ihnen zugeteilte Rolle.
Interreligiöser Rat
In Prishtina ist Anfang April 2000 von Moslems, Katholiken und Orthodoxen
ein interreligiöser Rat gegründet worden. Dieser verurteilt Gewalt
und Verletzungen der Menschenrechte. Nach einem ersten Treffen hiess es,
man sei eine Verpflichtung zur Zusammenarbeit eingegangen. So solle der
demokratische Aufbau in den Kommunen unterstützt werden. Gemeinsam solle
auch der Wiederaufbau von zerstörten Kirchengebäuden angegangen
werden.
Ist Aussöhnung unmöglich?
Die beiden Initiativen kommen zu einem Zeitpunkt, in dem der Leiter der
UNO-Administration für den Kosovae, Bernard Kouchner, erklärt,
erhalte eine Aussöhnung zwischen Serben und Albanern in der Krisenprovinz
zum jetzigen Zeitpunkt für unmöglich. Ein multi-ethnischer Kosovae
sei ausgeschlossen, sagte Kouchner der französischen Zeitung "L' Humanite".
Die Frage sei nun, ob die Bevölkerungsgruppen zu ihrem Schutz getrennt
werden müssen oder es besser sei, sie zusammenleben zu lassen, ohne
sie schützen zu können.
Kouchner verwies darauf, dass die UNO-Resolution 1244 über den Kosovae
nicht ausdrücklich eine multiethnische Provinz fordere. Seit dem Ende
des Kosovae-Krieges im vergangenen Juni gibt es immer wieder gewalttätige
Zusammenstösse zwischen der Mehrheit der Kosovae-Albaner und der serbischen
Minderheit. Deutlich wurden die Spannungen in jüngster Zeit vor allem
in der Stadt Mitrovica, die zwischen Serben und Albanern geteilt ist. 2)
Es wird interessant sein zu hören, welche konkreten Aktivitäten
die beiden Initiativen künftig entwickeln werden. Auch wenn der Weg
der Aussöhnung mühevoll und schmerzhaft ist, Alternativen dazu
gibt es keine. Zudecken und militärisch bewachen kann man diese Verletzungen
nicht.
Reta Caspar
Quellen: 1) Newsletter Albanien: Schweizer Zeitschrift für
die Zusammenarbeit mit Albanien: www.albanien.ch
2) kosova-info-line.de
Dr. Mark Lindley: A proposal for "civil tribunals" in Kosovae. Manuskript,
März 2000 (Übersetzung: Reta Caspar)
*) Kosovae ist kein Druckfehler,
sondern eine Schreibweise, die nach Ausbruch der Konflikte in Ex-Jugoslawien
von vielen NGO's verwendet wurde, um sowohl der albanischen Bezeichnung "Kosova"
wie der serbischen "Kosove" gerecht zu werden.
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Freidenker 5/2000 (Schweiz)
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