Glaubens-Wende

Entchristlichung - und nun?
 
Über die Zukunft des Unglaubens schreibt das 'Coburger Tageblatt' unter der Rubrik
"Zeitenwende 2000" in der Ausgabe von Silvester 1999/Neujahr 2000 unter anderem:

"Gott ist tot", konstatierte der Philosoph Friedrich Nietzsche 1882 in seiner Schrift "Die fröhliche Wissenschaft". Fünfzig Jahre vorher hatte der Schriftsteller Heinrich Heine vom "sterbenden Gott" gesprochen. Jedenfalls hat die Entchristlichung in der westlichen Welt einen starken Schub erfahren.

Der Sozialphilosoph Norbert Hoerster (Reichenberg) hat Zweifel an der Zukunft des Christentums in einer zunehmend rational verstandenen Welt. Er verweist vor allem auf den "Widerspruch zwischen dem christlichen Bild von einem allmächtigen und allgütigen Gott und der Realität". Eine seiner Fragen: "Wie konnte dieses Wesen die Welt so einrichten, dass immer wieder Naturkatastrophen schlimmster Art Tausende von Menschen und Tiere auf grausamste Weise töten, wie kann es tatenlos zusehen, wie täglich weltweit etwa 35 000 Kinder an Krankheit oder Hunger jämmerlich zu Grunde gehen, obwohl es nach christlicher Lehre in das Naturgeschehen eingreifen kann?" Zum anderen verweist Hoerster auf das Christentum als "Nährboden schlimmster Greueltaten" in der Vergangenheit und der Gegenwart sowie auf die in ihm sichtbar werdenden "schlimmsten Formen von Fanatismus und Verfolgung". Hierzu nannte er auch die aktuellen Beispiele Nordirland und den Balkan ...

Der Soziologieprofessor Gerhard Schulze (Bamberg) glaubt nicht, dass die christliche "Metaphysik noch eine lange Zukunft haben kann. Wir sind allmählich zu aufgeklärt, zu rationalistisch, zu gebildet und zu sensibel für die historische Entstehung von Texten geworden, um uns noch auf die Dauer in die Tasche lügen zu können", sagte er im Blick auf die zentrale Aussage der Bibel über Jesus Christus als Mittler zwischen Gott und den Menschen. Schulze meint, dass "diese Form der Christlichkeit immer esoterischer werden und sich auf charismatisch bewegte Randgruppen reduzieren wird" Die ethische Komponente des Christentums, wie etwa die Nächstenliebe, die Zuwendung zu den Armen, die Solidarisierung mit den Schwachen, habe sich inzwischen auch jenseits des Christentums ausgebreitet: "Um christliche Moral zu praktizieren, muss man kein Christ sein.

Untrennbar sind die Berichte über den Menschen Jesus und das Mysterium Christus miteinander verquickt. Theologische Dichtung und historische Wahrheit gehen geradezu eine Symbiose ein; letztlich ungeklärt ist, was Jesus wirklich sagte und was ihm in den Mund gelegt wurde.

Jahrhunderte lang herrschte das "klassische Jesus-Bild" des Erlösers, des Retters, des Gottessohns; entscheidend für die Gläubigen waren Tod und Auferstehung. Die Erzählungen der Evangelisten galten als verlässliche Augenzeugenberichte, die Bibel insgesamt als "Wort Gottes". Wer das bezweifelte, riskierte den Scheiterhaufen. Alles vorbei. "Die Vorstellung von Jesus als einem, der lehrte, er sei der Sohn Gottes, der für die Sünden der Menschheit sterben müsse, ist historisch nicht richtig", skizzierte der amerikanische Theologe Marcus Borg den heutigen Forschungsstand. "Jesus verkündete nicht sich selbst."

Eigenartig: Während Millionen Christen weiter von der Kanzel zum buchstabengetreuen Bibelglauben angehalten werden, haben sich die Neutestamentler auf den Kathedern souverän davon gelöst: Längst gilt es als ausgemacht, dass die vier Evangelisten Jesus nicht wirklich gekannt haben, dass ihre Erzählungen äußerlich höchst unpräzise, teils theologisch begründete Verherrlichungen sind. Und auch bei den Wundertaten winken aufgeklärte Bibelkundler ab - ob das Wandeln über den Wassern oder die Speisung der 5000 Menschen, wörtlich zu nehmen brauchen das die Gläubigen nicht mehr.

Es waren weder Fachfremde noch Atheisten, die die gängigen Vorstellungen vom "Messias" umstürzten. Allen voran der spätere Urwald-Doktor Albert Schweitzer und der Neutestamentler Rudolf Bultmann brachten das Bild in diesem Jahrhundert ins Rutschen. Tenor: Wir können über Person und Leben Jesu "so gut wie nichts mehr wissen" - aber die historischen Fakten sind letztlich auch nicht sonderlich wichtig für die Gläubigen. "Entmythologisierung Jesu" nannte Bultmann den Abschied von lieb gewordenen Vorstellungen.

 

Anmerkung

Entchristlichung - und nun? - Humanismus als ethische Orientierung!

Was sonst?

Das Problem des Menschen ist der Mensch - und seine Lösung.


Wir selbst müssen die Veränderung sein, die wir in der Welt sehen wollen, sagte Gandhi.
Weder Christus, noch Buddha, weder Gott, noch Wirtschaftswachstum dürfen länger unsere
höchste Orientierung sein, sondern Wachstum an verantwortlicher Menschlichkeit, die wir
selber immer wieder im Einvernehmen mit der Natur definieren und verinnerlichen müssen.

Weder ein Glaube an Hilfe von außen, noch ein Unglaube, sondern der Glaube an die Bildungsfähigkeit
des Menschen zu einem sozial und ökologisch handelnden, verantwortlichen Gemeinschaftswesen
kann uns helfen, ein nachhaltig menschenwürdiges Leben zu gestalten.

R.K. 

  siehe auch 'Christlich-abendländisch oder humanistisch?'


 Mit freundlichen Empfehlungen
Humanistische AKTION
8/2000 

 
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www.humanistische-aktion.de/wende.htm

Aktualisiert am 02.10.11