Markt der MenschlichkeitErst der Mensch - dann der Markt Dr. Lothar Späth
Rede anläßlich der Verleihung des Zukunftspreises der
Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft Deutschlands
Wer CDA so erlebt,
wie ich es erlebt habe, als ich zwei Stunden durch die Ausstellungen gegangen
bin, der hat den Eindruck, dass die CDA auch das Recht hat, einen Zukunftspreis
zu vergeben. Denn den kann nur jemand vergeben, der sich mehr mit der Zukunft
als mit der Vergangenheit beschäftigt und das ist für die Union
wichtig! Besonders gefreut hat mich, dass Horst Teltschik die Laudatio gehalten
hat. Nicht nur, weil auch einem pietistisch geprägten Schwaben Lob
gefällt - bei einem langen Leben in der Politik und in der Wirtschaft
weiß man die Stunden des Lobes zu schätzen, da die Stunden der
Kritik zwangsläufig vorher und nachher kommen. Ich habe auch gespürt,
wie intensiv Sie sich nicht nur mit meinem Lebenslauf befasst haben. Einige
Bemerkungen zwischen den Zeilen habe ich besonders sensibel aufgenommen,
weil ich mich immer zu der Mannschaft gezählt habe, die sich im
fröhlichen Wettbewerb - parteipolitisch - befand. Ich habe versucht,
zu beeinflussen, wie es im Osten weiter gehen soll. Nicht ohne Wirkung. Aber
auch an den Folgen danach habe ich gearbeitet.
Für mich hat
es auch eine Symbolik, wenn ich diesen Preis von jemandem erhalte, der ein
Repräsentant dieses Umbruchs in einer ganz besonderen Weise ist. Lieber
Rainer Eppelmann, das will ich an dieser Stelle auch einmal sagen: Es war
gut, dass der Wechsel zwischen Ost und West bei der CDA so erfolgte, als
ob dies normal wäre - denn das muss auch etwas Normales werden! Aber
es war gut, dass es diese Phase gab und es ist gut, dass es den Rainer Eppelmann
- mit der ihm eigenen und offenen Art Dinge anzugehen -gibt. Es ist zwar
noch viel an Brücken zwischen den neuen und den alten Bundesländern
zu ordnen und manchmal habe ich das Gefühl, es ist in den letzten Jahren
nicht so schnell gegangen mit der inneren Gemeinschaft der Deutschen. Ich
war verzweifelt, wenn ich im Osten immer gehört habe, es geht nicht
so, wie wir uns das vorgestellt haben, und meine Schwaben dann gesagt haben:
" Mir machen nix mehr, jetzt reicht es".
Und deshalb lassen
sie mich noch mal herzlichen Dank sagen, auch dass diese Ehrung in diesem
Saal erfolgt, zu dem ich eine gewisse Distanz gewonnen habe. Aber bei den
vielen Neubauten ist ein Gebäude geblieben , dass wirtschaftlich für
interessante Begegnungen genutzt werden kann. Diese neue Bestimmung des Saales
finde ich gut. Da es ja Zukunftspreis heißt und nicht Vergangenheitspreis,
möchte ich nicht über die Geschichte der Jenoptik reden. Auch wenn
die Geschichte der Jenoptik inzwischen schon zehn Jahre alt ist, und das
zählt im Osten bekanntlich doppelt. Es ist mir wichtiger an diesem Platz,
ein paar Bemerkungen zu den Zukunftsthemen zu machen! Ganz einfach, weil
ich eine Sorge habe. Die Ehrungen häufen sich und dann kommt das
Gefühl auf, dass jetzt die Phase einsetzt, wo man bei der nächsten
Veranstaltung nicht mehr selbst auftreten muss. Manfred Rommel hat es in
seiner eigenen Art bei Verabschiedungszeremonien gesagt, dass ihn diese Sorge
beschleiche. Ängstigen sie sich nicht, denn mich beschleicht sie noch
nicht, und ich fühle mich gesund und munter. Ich möchte noch viel
bewegen.
Deshalb rede ich
darüber, was mich bei dem Thema bewegt: Wo steht die CDU in der Zukunft?
Ich finde es gut, dass sie mit einem Zukunftskongress an die Öffentlichkeit
getreten ist, statt mit Personalquerelen. Es ist wichtig, dass wir bei dieser
Suche mehr über die Menschen und ihre Bedürfnisse und Probleme
reden. Denn nur, wenn die Menschen begreifen, dass wir ihre Probleme lösen
wollen, werden wir wieder Mehrheiten bekommen. Mit dem Gefühl: Das sind
die, die uns besser verstehen als andere. Dieser Wettbewerb muss ein Wettbewerb
um die Menschen sein, und an dem Punkt akzeptiere ich den Satz: "Der Mensch
kommt zuerst - und dann der Markt." Horst Teltschik hat diesen Satz etwas
relativiert, und ich will ihn weiter relativieren, indem ich sage: Wir
müssen lernen, dass der Markt eine Funktion ist und der Mensch um
Gotteswillen nicht in
Wettbewerb
mit Funktionen gerät. Wenn ich von Europa rede, dann liebe ich nicht
den Binnenmarkt. Wer liebt schon einen Binnenmarkt? Dann will ich wissen,
ob es uns gelingt, die Europäer zusammenzuführen und sicherzustellen,
dass dieses kulturelle Europa in einem freien demokratischen System
zusammenwächst. Es ist eine Frage, ob unsere Kinder und Enkel in einem
friedlichen gemeinsamen Europa leben oder ob sich die blutige
Jahrhundertsituation wiederholt, unter der unsere Eltern und Großeltern
gelitten haben. Wenn wir heute von Globalisierung reden, dann ist dies
natürlich ein Faktum. Wir können jetzt die Zuwanderung Osteuropas
stoppen oder nicht, wir haben fundamentale Entwicklungen in Europa geleistet.
Bedenken Sie mal, dass wir eine Verordnung übif die Beschränkung
der Einfuhr polnischer Himbeeren
haben und gleichzeitig
fünfhunderttausend Arbeitslizenzen ausgeben für Polen, die bei
uns zum Spargelstechen und Himbeeren ernten kommen. Die dürfen aber
nicht die Eigenen mitbringen, weil sonst der europäische Markt
gefährdet wird. Was glauben sie, wie lange wir den Menschen in Europa
solche Geschichten erzählen können? Das werden sie uns nicht abnehmen.
Wir werden lernen müssen, dass unsere Grenzen durch die Globalisierung
zu einer gewissen Offenheit gezwungen werden.
Der ungarischer
Finanzminister hat vor wenigen Tagen in Budapest gesagt: "Du brauchst dich
nicht so furchtbar über die Frage aufregen, wie ihr die Zuwanderung
regelt, denn die Arbeitslosigkeit in Ungarn zwischen der österreichischen
Grenze und Budapest ist weg. Die deutsche Autoindustrie hat das Problem für
uns gelöst. Die sitzt dort überall. Unser Problem ist von Budapest
bis an die ukrainische Grenze". Mit anderen Worten, wir müssen
überlegen, wie wir gemeinsam die Probleme lösen können. Eine
reine Abwehrhaltung hilft uns nicht. Sonst ist der einzige Unterschied, dass
zwar wenige Polen und wenige Ungarn und Tschechen rein kommen, dass aber
unsere Betriebe dorthin auswandern. Hier helfen keine Heilslehren. Die
Globalisierung ist nicht etwas was wir aufhalten können, sie ist aber
auch nicht etwas, was wir glauben sollten. Sie findet einfach statt, und
dies hat gewaltige Folgen.
Nehmen wir doch
mal dieses einfache Beispiel. Die Bundesregierung hat mit wirklicher
Überzeugung beschlossen: Das Wachstum beträgt 2,8 %. Das ist die
legitimierte deutsche Regierung, die so etwas beschließen kann, da
trete ich immer für ein. Dann hat sie gesagt: "Aber die folgen nicht".
Sie können niemanden mit diesem Beschluss zwingen, sich
staatsbürgerlich zu den 2,8 Prozent durchzuringen. Die Leute würden
es ja gerne glauben. Aber, entweder wir haben die 2,8 Prozent oder wir haben
die 2,0 Prozent, was sehr viel wahrscheinlicher ist; vielleicht sind es sogar
auch nur 1,8. Entsetzlich der Gedanke, dass aus dem Beschluss der Bundesregierung
nichts wird. Und wenn sie das weiterspinnen, dann habe ich noch ein viel
dramatischeres Beispiel: Vor einem Jahr war die große Weltkonferenz
in Okinawa. Mit Clinton, mit Putin, Schröder und Chirak. Der Aufwand
müsste etwa 500 Millionen gewesen sein - einschließlich Sicherheit.
Und was haben die beschlossen? Wissen sie es? Viele sagen: "Die haben nichts
beschlossen". Das ist unehrlich, denn sie haben eine Grundsatzerklärung
abgegeben. Horst Teltschik weiß, wie solche Grundsatzerklärungen
formuliert werden. Da stand drin, dass es den Armen auf der Welt besser gehen
soll, ohne dass die Reichen davon tangiert werden.
Interessanter Weise
hat sich der Dow Jones an diesem Tag nicht bewegt, der Dax auch nicht und
selbst der Nikkei, ganz in der Nähe von Okinawa, zeigte keine Bewegung.
Wenn der Herr Greenspan, den kein Mensch in der Welt je gewählt hat,
um 17.00 Uhr in Washington einen Journalisten anruft - Aufwand 8,5 Cent für
ein Ortsgespräch - und der dann hustet und sagt: "Ich denke über
den Zins nach", dann haben sie noch 40 Sekunden
Zeit, bevor die Finanzmärkte
verrückt spielen. Das ist Globalisierung! Darüber müssen wir
nachdenken, dass wir diese Wettbewerbswelt, diese Finanzwelt nicht mehr ordnen
können. Selbst so geniale Entwürfe, wie sie Oskar Lafontaine mal
hatte, reichen dafür nicht aus. Wir können nicht zuerst die Welt
ordnen und uns dann bewegen. Die Welt gibt uns nicht die Zeit. Deshalb wird
die Politik sich mit der Frage befassen müssen, was sie nicht beeinflussen
kann. Sie kann nicht beeinflussen, dass VW in China Autos produziert, bei
Stundenlöhnen unter einer Mark in Putong bei Shanghai und trotzdem in
Wolfsburg 44 Mark, einschließlich Nebenkosten, aufwenden muss. Jetzt
können sie keinen Weltautolohn machen, so mit 22,50 DM. Mit einem Chinesen
wäre das zur Zeit möglich. In Wolfsburg habe ich mal einen Vortrag
gehalten, die konnten sich mit dem Gedanken überhaupt nicht anfreunden.
Wir müssen erkennen: Die Globalisierung bringt für uns das Problem,
dass die anderen besser werden, und das wir Autos der Luxusklasse aus Deutschland
exportieren und chinesische Autos eines Tages einführen, aber nur, wenn
sie jemand kauft. Ich bin nur nicht sicher, ob alle Deutschen auf Lebenszeit
versprechen, nie ein chinesisches Auto zu kaufen, wenn es funktioniert und
billig ist. Deshalb dürfen wir nicht glauben, wir könnten diesem
Wettbewerb entgehen. Wir müssen die gesellschaftspolitischen Fragen
lösen, dass wir in einem der reichsten Länder der Welt leben und
einen Wohlfahrtsanspruch haben, den wir jeden Tag neu verdienen müssen.
Deshalb ist die Idee - Wir müssen die Löhne senken - in Deutschland
Gott sei dank weg. Wir werden sie nicht senken. Wir werden Phasen haben,
wo Reallöhne nicht mehr steigen, damit kann man sich vorübergehend
arrangieren, aber das Ziel muss Wachstum sein. Wachstum ist eine Funktion
des Wettbewerbs. Den brauchen wir nicht wegen dem Markt, sondern weil die
Menschen den Vorteil des Wachstums in Anspruch nehmen. Und zwar alle. Denn
wenn es nichts zu verteilen gibt, ist es schwierig das gerecht zu
machen.
Gegen alle politischen Behauptungen werden
auch die Lohnnebenkosten in den nächsten 30 Jahren in Deutschland nicht
sinken. Mein Rat: Beschäftigt euch als CDA mit der Vermögensbildung
in Arbeitnehmerhand, im Sinne der Zukunftsvorsorge! Das ist euer Thema. Lasst
euch das nicht wegnehmen!
Jetzt geht es politisch darum, wie wir unsere
Gesellschaft gestalten. Deshalb bin ich so skeptisch, wenn die Politik den
Eindruck zu erwecken versucht, wir könnten die Lohnnebenkosten senken.
Das ist ein Argument, mit dem man die Wirtschaft beruhigt. Aber sie können
sie nicht senken. Sie können auch nicht die Rentenkosten senken in einer
alternden Gesellschaft. Sie können nicht bei einer älter werdenden
Bevölkerung einfach die Lohnnebenkosten senken, weil sie sonst eine
Absenkung der Renten durchsetzen müssten. Oder sie senken die Beiträge
und die Renten, um dann die neuen Rentnerjahrgänge zusätzlich zu
bedienen.
Jede Lösung, die Menschen täuscht
und nicht verdeutlicht, dass wir Deutschen die Rentenversicherung sanieren
müssen und die Meinung: "Die Lohnnebenkosten sinken und die höheren
Renten werden trotzdem bezahlt" ist unehrlich. Ehrlich ist: "Der Steueranteil
wird höher, die Beiträge steigen oder die Renten sinken". Doch
dass jetzt die Ökosteuer damit vermischt wird und ich einen Teil meiner
Rentenbeiträge an der Tankstelle bezahle, ist auch keine Lösung.
Denn, wenn sie das deutsche Rentenrecht konsequent anwenden, dann heißt
es: Die Rente ist abhängig von der Höhe der Beiträge. Dann
muss also jede Familie am Wochenende auf die Autobahn, um die Altersversorgung
zu sichern. Wenn aber alle wieder auf die Autobahn gehen, dann haben wir
kein Geld für die Autobahn. Wollen wir dann aus der Pflegeversicherung
Bauzuschüsse für den Straßenverkehr finanzieren?
Was ich damit aufzeigen will: Es hilft nicht,
wenn sie die Leute täuschen und das Anliegen Ökologie, für
das ich etwas übrig habe, mit Lohnnebenkosten verbinden und so die Leute
durcheinanderbringen. Wir geben 27 Milliarden für Verkehrsinvestitionen
aus und sammeln 87 Milliarden bei den Verkehrsteilnehmern ein. Ist doch logisch,
dass die Leute wütend werden. Wenn ich an der Tankstelle sage: "Du musst
viel mehr fürs Benzin zahlen aber dafür bekommst du den dritten
Streifen an die Autobahn oder eine tolle Zugverbindung im Nahverkehr", dann
lässt er mit sich reden. Wenn ich aber sage: "Es ist wegen deiner Rente",
dann sagt der: "Ich bin Beamter, ich will eine andere
Tankstelle".
Oder nehmen sie die Gesundheitsreform. Sie
können 10 Reformen machen. Das Gesundheitswesen in Deutschland wird
teurer, weil die Menschen älter werden. Jetzt machen wir
Biotechnologiewettbewerbe, um junge Unternehmen anzusiedeln. Was machen diese
Unternehmen? Sie entwickeln neue Medikamente, die das Alter schöner
und länger machen, und das sehr erfolgreich. Sollen wir ihnen sagen,
sie dürfen damit keine Arbeitsplätze schaffen, weil damit unsere
Lohnnebenkosten steigen?
Das
können sie schon in ihrer Familie beobachten. Es ist eben Realität,
wenn die 80 jährigen zahlreicher werden und die 18-jährigen weniger.
Der 70-jährige mit einem Oberschenkelhalsbruch, der die Treppe
heruntergefallen ist, bekam früher zwei Schrauben in der Chirurgie und
dann einen Stock in die Hand gedrückt mit den Worten: "Opa, das hält
für die paar Jährchen". Der Opa war fröhlich, weil der Arzt
"ein paar Jährchen" gesagt hat. Heute erhält er zwei Implantate,
völlig neue Gelenke. Machen sie mal einen Kostenvergleich. Oder der
Patient, der nach dem zweiten Herzanfall früher tot war. Der bekommt
heute sechs Bypässe und meldet sich mit 70 Jahren zum Seniorensport
an. Und je älter ich werde, um so sympathischer wird mir das Ganze.
Den Menschen zu erzählen, wir senken die Lohnnebenkosten, ist bei genauer
Betrachtung der dieser Entwicklung unehrlich. Wir müssen sagen: "Es
gibt weniger Mallorca und mehr Gesundheitskosten."
Bei der Globalisierung werden alle
Arbeitsplätze bedroht. Doch am wenigsten diejenigen, die mit Innovativen
und neuen Produkten für die Weltmärkte Arbeitsplätze bei uns
schaffen. Da schließt sich der Kreis. Nicht bei der Kostendiskussion,
sondern bei der Innovation. Die Zahl der Arbeitsplätze nimmt ab, nicht
weil wir weniger produzieren, sondern weil wir mehr Produkte mit weniger
Leuten produzieren. Die deutsche Autoindustrie ist wettbewerbsfähig
auf dem Weltmarkt, weil wir gelernt haben mit 20 % weniger Menschen 20 %
mehr Autos zu produzieren. Jetzt überlegen sie, wie sie 40 % mehr Autos
mit 40 % weniger Leuten produzieren können. Jeder mittelständische
Maschinenbauer, den ich frage, was er in dieser Situation macht, sagt: "
Ich versuche, mit weniger Leuten mehr zu produzieren." Diese Produktivität
ist unser zentrales Problem bei den älteren Arbeitnehmern. Wir haben
kompetente, erfahrene ältere Arbeitnehmer, die durch diese
Produktivitätssteigerung immer früher aus dem Arbeitsmarkt
herausgedrängt werden. Ich bin für alles aufgeschlossen, nur nicht
für die Idee, sie würden wieder a l l e in den Arbeitsmarkt integriert.
Früher haben die Älteren ihre Erfahrung in den Betrieb mit einbringen
können. Die mangelnde Muskelkraft wurde durch Lebenserfahrung ersetzt.
Das hat Ruhe im Betrieb gebracht. Wenn die Jungen aufgeregt waren hat der
sie beruhigt und gesagt: "Unser Chef spinnt heute weil sein Fußballverein
verloren hat. Schaut euch die Ergebnisse von Schalke an." Das war eine wichtige
soziale Rolle und die wurde von allen anerkannt.
Das Problem ist,
dass sie in dieser modernen Informationsgesellschaft mit dieser Lebenserfahrung
so wenig anfangen können. Spielen sie mal mit ihren Kindern oder
Enkeln 20 Minuten Videospiele - dann
haben sie eine Übersicht über die Qualität ihrer Lebenserfahrung
und deren Wert. Meine Enkel sagen dann: "Opa, wir kommen noch mal vorbei
und erklären es Dir. Aber jetzt nicht, jetzt wird es spannend." Das
ist auch das soziale Problem unserer älteren Arbeitslosen. Der Opa,
der früher mit dem Werkzeugkasten kam, war der Liebling der ganzen Familie.
Heute muss er warten, bis der Enkel ihm das Videogerät neu
einstellt.
Ich habe mich bei dem Rundgang an einem Stand
besonders lange aufgehalten, wo uns der Vertreter eines Wohnungsunternehmens
erläutert hat, wie er mit den älteren Mietern, die entweder arbeitslos
sind oder schon ausgeschieden, freiwillige Dienste organisierte. Und diese
Leute leben plötzlich auf, weil sie eine Aufgabe haben. Das bekomme
ich nicht tariflich geregelt. Übrigens, auch die Jungen werden mal
ältere Arbeitnehmer sein und unter Umständen in der
Informationsgesellschaft so schnell verbraucht, dass sie schon mit 45 Jahren
Probleme bekommen. Sollen die alle spazieren gehen oder können wir deren
soziale Kompetenz nicht in der Nachbarschaftsbetreuung
einsetzen?
Gehen sie mal auf einen Sportplatz. Inzwischen
haben wir ja alles profitmäßig organisiert. Früher wurde
das alles ehrenamtlich für ein paar Groschen gemacht. Heute haben wir
keine Sportclubs, sondern Fitnesscenter. Wenn wir die Älteren wieder
einsetzen würden, wo ihre starken sozialen Fähigkeiten liegen,
in Lebenserfahrung, Organisation und Betreuung, dann könnten wir unsere
Gesellschaft menschlicher machen, indem wir Brücken
bauen.
Um es offen zu sagen: Mich interessiert bei
der 68er Diskussion nicht, mit welchen Polizisten sich der Herr Fischer vor
30 Jahren geprügelt hat. Mich interessiert, warum die 68er nicht die
Verantwortung dafür übernehmen wollen, dass wir in eine Entwicklung
hinein geraten sind, bei der wir an unseren Universitäten und Schulen
geglaubt haben, wir müssten nur noch Schiedsrichter aufziehen und wir
jetzt einen so eklatanten Stürmermangel haben. Das ist unser Problem.
Vor kurzem hat mir ein Freund ganz aufgeregt erklärt: "Weißt Du
eigentlich, das die Hälfte aller Bundesligaspieler Ausländer sind?"
Ich habe nachgerechnet : "Kann sein." Da frage ich: "Wie sieht es mit
Schiedsrichtern aus?" Da sagt er: "Haben wir noch genug". Sollen wir nun
mit Greencards Stürmer einführen, damit die Schiedsrichter was
zu tun haben? Und deshalb ist die Frage: Wie unternehmerisch ist unsere junge
Generation? Umfragen an Universitäten zeigen, dass wieder mehr Menschen
unternehmerisch tätig werden wollen. Und das ist gut so. Denn wenn wir
nicht neue Produkte, neue Verfahren, neue Unternehmen haben, womit wollen
wir den Anspruch eines modernen Industrielandes mit seinem Wohlstand
finanzieren?
Und da sind wir
wieder bei der Weltwirtschaft. Wir können nicht erwarten, dass die Chinesen
die nächsten 30 Jahre mit einer Mark Stundenlohn zufrieden sind. Wir
können nicht erwarten, dass die Tschechen und die Polen bei ihrer Begabung,
zum Beispiel im Maschinenbau, sich entschließen, auf Dauer für
4,80 Mark zu arbeiten und wir sie dann nur noch aus der EU raushalten
müssen, damit sie unseren Wettbewerb nicht stören. Der Druck ist
da und der Wettbewerb kommt. Die ganze Welt wird gegen uns konkurrieren.
Entweder wir sind besser oder es geht uns schlechter! Ich glaube, dass wir
alle Voraussetzungen haben. Aber dann müssen wir auch risikobereit in
die Zukunft gehen. Uns fehlen 20 Jahre, in denen wir glaubten, es gäbe
risikofreien Fortschritt. Den gibt es nicht. Nur ein Beispiel: Transrapid.
Sagen sie mir eine Nation der Welt, die für zwei Milliarden Mark ein
umweltfreundliches und technisch revolutionäres Massenverkehrsmittel
entwickelt und es dann jahrelang dort,
wo niemand wohnt, auf und ab fahren lässt, weil sie nicht den Mut hat,
es einzusetzen. Jetzt nehmen es die Chinesen. Aber die zahlen uns nicht Lizenzen
für unsere Ingenieurleistung, sondern bekommen noch 300 Millionen DM
Steuergelder, damit sie den Transrapid nehmen. Wir trauen uns nach 10 Jahren
Planung nicht, den Transrapid zwischen Hamburg und Berlin fahren zu lassen.
Jetzt sagen die Chinesen ganz listig: "Wenn ihr uns die Technik schenkt -
dann dürft ihr auch mal die Strecke Shanghai - Peking bauen - 50
Milliarden". Und die Deutschen sind begeistert von der Idee. Sehen sie, da
machen wir später Rentnerausflüge, damit wir mit dem deutschen
Transrapid mal eine Strecke zwischen Shanghai und Peking fahren können.
Wahrscheinlich verdienen die Chinesen dann auch noch an den Flugreisen von
Frankfurt nach Shanghai.
Zurück zu Europa, dass nicht nur eine
Veranstaltung des Binnenmarktes, in den ich mich verlieben soll, sein darf.
Im europäischen Flugverkehr stehen nicht genügend Start- und
Landebahnen zur Verfügung, weil wir soviel internationalen Flugverkehr
haben. Dabei wissen wir, dass wir in 30 Jahren den Transrapid von Paris
über Frankfurt nach Moskau und von Kopenhagen über Frankfurt nach
Sizilien brauchen. Da wäre die Idee, dass wir in Europa ein
Verkehrswegesystem schaffen, worüber wir auch Güter transportieren
und mit dem es mehr Wettbewerb auf der Strecke gibt. Stellen sie sich ein
3-Milliarden-Programm vor. Da sagen die Leute: "Das geht nicht". Wir haben
im letzten Jahrzehnt 1,5 Billion Mark in den Aufbau Ost investiert und manche
haben nicht geglaubt, dass wir das überleben. Aber wer hindert uns,
statt einer kleinkarierten Maul-und-Klauenseuche-Diskussion im europäischen
Parlament Zukunftsthemen aufzugreifen?
Ich bin in einem Dorf aufgewachsen - da gab
es alle drei Jahre Maul- und Klauenseuche. Wenn ich mir überlege, was
wir im letzten halben Jahr zu diesem Thema in Deutschland angestellt haben,
dann glaube ich, dass unser Verkehrsproblem bedeutender ist. Lasst uns ein
300 Milliarden Programm mit der EU auflegen für ein Transrapidsystem
und stellen sie sich vor, was das wirtschaftlich bedeutet an Arbeitsplätzen
und Technologie. Die ganze Welt kann lernen, wie man schnelle Schienensysteme
mit modernen Luftsystemen verbindet - und das im dicht besiedelten Europa.
Da kämen die Amerikaner nicht mit, weil sie solche dichtbesiedelten
Gebiete kaum haben. Die Asiaten werden lange brauchen, dann werden sie unsere
Systeme kaufen. Oder lasst uns Satelliten aufstellen, worüber in Zukunft
die Logistiksysteme laufen. Das GPS System, das so was heute schon kann,
wird von der amerikanischen Marine betrieben. Von der hängen wir heute
ab. Dabei könnten wir Europa ein ziviles System bauen. Das können
die Asiaten noch nicht - aber sie könnten es von uns
kaufen.
Das Hauptprodukt von Jenoptik sind Chipfabriken
- keine Kartoffeln, sondern Halbleiter. Wir bauen in Singapur die achte,
in Taiwan die zwölfte Fabrik. Wir haben in Malaysia im Urwald gerade
die erste gebaut, wir bauen in Shanghai zwei gleichzeitig - mitten in der
Halbleiterkrise. Wir müssen überlegen, wenn 1,3 Milliarden Chinesen
Konsumansprüche stellen, ob dann die Handys bei uns gebaut werden mit
Chips Ws Asien und dann zurücktransportiert werden. Oder ob die Zeit
kommt, wo die alles in Asien herstellen und mit einer Monatsproduktion Europa
befriedigen können. Da muss ich doch überlegen, was wir besser
können? Verkehrsysteme, Ingenieursysteme, intelligente Technik -
darüber möchte ich mit den Europäern diskutieren, um
Zukunftschancen wahrzunehmen.
Was wir brauchen,
ist eine Aufbruchstimmung in Europa. Wir haben gehofft, wir werden stärker
als die Amerikaner, der Euro wird stärker und der Dollar schwächer,
weil jetzt die europäische Wirtschaft den Weltmarkt übernimmt.
Inzwischen glaubt in Amerika niemand
mehr, dass es im Herbst ein
schwächeres Wachstum der US Wirtschaft gibt. Und warum? Nicht weil die
Amerikaner besser sind - sondern weil sie an die Zukunft glauben. Ich war
gerade 10 Tage in den USA und habe mit Leuten über die selben Themen
gesprochen - die Halbleiterindustrie - wie in Europa. Der Unterschied ist
immer nur der, das die Amerikaner sagen: "Es ist beschissen, ganz beschissen,
aber im Oktober geht es wieder los". Ich habe nicht einen gefunden, der mir
begründen konnte, warum es im Oktober wieder los geht. Wenn ich mit
Deutschen und Europäern rede, sagen die: "Es wird ganz schlimm, und
noch viel schlimmer im Herbst". Und ich sage ihnen, was passiert: Im Oktober
geht es in Amerika tatsächlich los, weil alle daran glauben. Und bei
uns geht es tatsächlich schlechter, weil alle meinen, dass es schlechter
wird. Von Ludwig Erhard stammt die These, dass die Hälfte der Wirtschaft
Psychologie ist. Und die Hälfte von Psychologie ist
Optimismus.
Das Problem der gegenwärtigen Regierung
ist, dass der tiefe Massenpessimismus inzwischen so organisiert ist, dass
selbst persönlicher Optimismus keinen Erfolg mehr hat, gegenüber
diesem offiziellem Pessimismus. Wenn wir das nicht überwinden, dann
werden wir wirkliche Probleme bekommen. Herr Schröder hat ein Problem
und das sind seine Fußtruppen - leider im Moment nicht die Opposition.
Was wir brauchen, sind Zukunftsentwürfe. Was glauben sie, wie fasziniert
eine junge Generation über Europa nachdenkt, wenn wir so ein Schienensystem
vorschlagen? Was glauben sie, wie schnell die Stimmung im Osten
umschlägt?
Vier Überschriften las ich letzte Woche
in der Tageszeitung:
Erste:
Der Numerus
Clausus muss in der Informatik eingeführt werden, weil die Zahl
Zweite:
Wir brauchen mehr Greencards für
Informatiker!
Dritte:
Im Osten laufen die jungen Leute
weg!
Vierte:
Die ostdeutschen Bundesländer
verlangen mindestens 100 Milliarden
zusätzlich!
Da
habe ich überlegt, mit einer Milliarde kann man 25 Fachhochschulen für
Informatiker á 40 Millionen bauen. Jetzt nehmen wir doch mal die erste
Milliarde und bauen die 25 Hochschulen, heben den Numerus Clausus auf und
sagen: "Wer im Westen keinen Studienplatz bekommt, geht in den Osten." Dann
kommen die jungen Softwareunternehmen ganz schnell in den Osten, denn die
gehen dorthin, wo die Leute ausgebildet werden. Und damit höre ich
mittendrin auf, weil das alles nicht mehr mein Geschäft ist, sondern
ich führe deshalb begeistert ein Unternehmen, weil ich in einer Stadt
lebe, in der ich vor 10 Jahren eigenhändig 16.000 Entlassungen ausgesprochen
habe. Und heute habe ich zwei Probleme, die ich mir nie hätte träumen
lassen:
Erstens, die
Gewerbeflächen gehen uns in Jena aus. Und Zweitens: Ich bekomme keine
Leute mehr. Der einzige Engpass unserer Expansion in Jena sind zur Zeit Menschen.
Womit wir wieder beim Thema wären: Wie wichtig der Mensch ist. Kapital
ist überhaupt kein Thema. Ich bekomme aus der ganzen Welt Kapitalangebote.
Soviel Kapital kann ich überhaupt nicht gebrauchen. Die Zeit ist vorbei,
wo Arbeit gegen Kapital steht. In Deutschland haben sie 14 Billionen DM
Privatvermögen und jedes Jahr 300 Milliarden Zinseinnahmen, leider für
Leute, die den Zins nicht brauchen. Jetzt brauchen wir intelligente
Reichtumsvernichtungskonzepte für die Älteren. Das sind
Dienstleistungen. Wo sollen die Alten ihr Geld ausgeben? Das müssen
wir ihnen klar machen: Nicht der Scheck, den sie in die Gruft mitnehmen,
erhält ihren Namen, sondern der, der in einen
Kindergarten oder in eine Sozialstation
gesteckt wird. Kapital ist nicht mehr das Thema. Unser Thema sind Menschen
und Talente. Wer den Wohlstand sichern will, der muss in die Qualifizierung
von Menschen investieren. Markt und Mensch stehen nicht gegeneinander. Auch
im Osten geht es um eine Bildungsinfrastruktur, um eine Forschungsinfrastruktur
und um Mut zur Zukunft.
Wir haben allen Grund, unser Wertesystem zu
schätzen, wir brauchen nicht nach Amerika zu sehen, höchstens bei
der Flexibilität. Doch ich will nicht den Armutsbegriff der USA in Europa.
Die Französische Revolution und die christliche Soziallehre haben die
Brüderlichkeit und die Solidarität anders gedeutet wie
Armutsversorgung. Auch diese Menschen sollen am Standard der Gesamtgesellschaft
teilhaben. Aber das geht nur, wenn diejenigen, die etwas leisten können,
dies auch wirklich tun. Solidarität heißt, dass derjenige, der
etwas leisten kann, mehr schafft, als er selber braucht, um auch dem Schwachen
zu helfen. Manchmal habe ich das Gefühl, wir leben in einer Gesellschaft,
in der unter Solidarität viele nur noch verstehen, dass die Starken
nichts mehr machen dürfen, damit sich die Schwachen nicht so schlecht
fühlen. Wir brauchen die Leistungsgesellschaft und die Solidarität.
Beides hängt eng zusammen. Und wenn wir nicht die Erfolgsgesellschaft
haben, dann haben wir auch keine soziale Kapazität. Ludwig Erhard konnte
die dynamische Sozialpolitik nur einführen, weil wir eine noch dynamischere
Wirtschaft hatten. Wenn aber die Wirtschaft nicht mehr wächst, dann
können wir auch nicht die Sozialpolitik dynamisch wachsen lassen. Das
sind die zwei Seiten der Medaille. Wer es gut mit den Menschen meint, der
muss ein soziales Gefühl haben, aber gleichzeitig muss er die
Leistungsgefühle der Menschen ausleben lassen, damit aus der Summe der
Leistungen die Kraft kommt, mit der Solidarität in einer
Wohlstandsgesellschaft möglich ist; auch für die Frage der
persönlichen Verantwortung zur Vorsorge für das Alter, der
Selbstverantwortung aber auch der Hilfe zur Selbsthilfe.
Oder nehmen sie den Standpunkt der Gerechtigkeit.
Das ist ein zentraler Punkt unserer Wertvorstellungen, der christlichen
Gesellschaftslehre und der Union. Wir brauchen nie mit der FDP um die
größte Liberalität kämpfen. Ich bin liberal, aber nicht
ohne Wertansatz. Nur die Wirtschaft allein ist kein Programm der CDU. Die
Volkspartei CDU wird Wahlen nicht mehr gewinnen, wenn sie nicht die beiden
Elemente ausbalanciert und mit der Brücke eines christlichen Menschenbildes
zusammenhält. Wir brauchen tausend Reformen, wir müssen unsere
gesellschaftlichen Konzepte fortschreiben, doch wir dürfen nicht unsere
Werte verändern. Das darf man nicht verwechseln. Aber diese
Wertvorstellungen - die eine christlich-demokratische Politik hat - reichen
für all diese Reformen. Dazu gehört auch das Spannungsverhältnis,
dass in der Volkspartei CDU immer war. Das halten wir aus. Wir müssen
nur aufpassen, das wir nicht zu sehr mit uns selbst beschäftigt sind,
sondern wieder mehr mit der Zukunft. Wir müssen unseren politischen
Wettbewerbern die Zukunftsideen vorgeben, nicht wegnehmen. Und wir müssen
aufpassen, das die nicht die Überschriften machen, während wir
die Arbeitsprozesse entwickeln. Es gehört auch zur Mediengesellschaft,
die richtigen Überschriften zu finden.
In diesem Sinne nochmals herzlichen Dank für
diesen Zukunftspreis! Der CDA, der CDU und den Kräften, die
Wertvorstellungen entwickeln für eine moderne deutsche Zukunft in Europa,
wünsche ich viel Glück für die Zukunft - und so verstehe ich
den Zukunftspreis.
Solidarität heißt, dass derjenige,
der etwas leisten kann, mehr schafft,
www.humanistische-aktion.de/spaeth.htm
|
Aktualisiert am 06.07.02