Aktion mündige Schule

Volksbegehren für ein freies Schulwesen
in Schleswig-Holstein
 
Der Gesetzentwurf Die Begründung im Einzelnen
Die Begründung (Einleitung)      Schluss
Konsequenzen Nachwort

 


Entwurf für den Artikel 8 (Neu)

1.Jede Schülerin und jeder Schüler hat das Recht auf Bildung. Zur Ausübung ihres Rechtes auf Bildung und Ausbildung stehen allen Kindern und Jugendlichen die Schulen in staatlicher, kommunaler oder freier Trägerschaft, sowie die Schulen einer nationalen Minderheit zur Verfügung.

2.Schulen in staatlicher, kommunaler oder freier Trägerschaft sowie die Schulen der nationalen Minderheiten nehmen gleichberechtigt ihren öffentlichen Bildungsauftrag wahr. Ihre Finanzierung hat unabhängig von der Trägerschaft nach gleichen Maßstäben zu erfolgen. Die öffentlichen Zuschüsse müssen in ihrer Höhe so bemessen sein, dass sie den unentgeltlichen Zugang zu den Schulen ermöglichen.

3.Das Recht jeder Schule auf Selbstverwaltung ist entsprechend ihrer Trägerschaft zu gewährleisten.

4.Vertreter der Schulen wirken bei der Ausübung der staatlichen Schulaufsicht mit.

5.Das Land gewährleistet die freie Wahl zwischen den verschiedenen bestehenden Schularten durch die

Erziehungsberechtigten.

6.Das Nähere regelt ein Gesetz.

Zum Vergleich: Bisher (Alt)

1.Es besteht allgemeine Schulpflicht

2.Für die Aufnahme in weiterführende Schulen sind außer dem Wunsch der Erziehungsberechtigten nur Begabung und Leistung maßgebend.

3.Die öffentlichen Schulen fassen als Gemeinschaftsschulen die Schülerinnen und Schüler ohne Unterschied des Bekenntnisses und der Weltanschauung zusammen.

4.Die Erziehungsberechtigten entscheiden, ob ihre Kinder die Schule einer nationalen Minderheit besuchen sollen.

5.Das Nähere regelt ein Gesetz.

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Begründung: I. Einleitung:

In seinem Geleitwort zu der 1995 erschienenen Denkschrift "Zukunft der Bildung - Schule der Zukunft" schrieb der Ministerpräsident Nordrhein-Westfalens, Johannes Rau, unter anderem:

"Wir müssen uns immer wieder neu fragen, was wir dazu beitragen können, damit junge Menschen als mündige Staatsbürger verantwortungsbewusst unsere soziale Demokratie mitgestalten - tolerant und weltoffen in einer Welt, die immer mehr zusammenwächst. Es geht um die ständige Vergewisserung, wie wir alle lern- und zukunftsfähig bleiben.

Ich meine, dass Antworten auf solche grundlegenden Fragen nicht "von oben" verordnet werden können. Dazu bedarf es vielmehr eines offenen Diskurses mit und zwischen allen, die an Schule, Bildung, Aus- und Weiterbildung beteiligt und auf sie angewiesen sind. Bildungsreformen sind nur erfolgreich, wenn sie von möglichst vielen Beteiligten und Betroffenen mitgestaltet und mitgetragen werden."

Mit diesen Worten ist ausgedrückt, was die Aktion mündige Schule als ihren Auftrag sieht. Sie möchte dazu beitragen, dass die notwendige Umstrukturierung des Schulwesens in Schleswig-Holstein mit dem Gestaltungswillen und Ideenreichtum umgesetzt wird, die durch ein allzu langes Verharren in den überkommenen, weitgehend verstaatlichten Strukturen jetzt dringend gefordert sind.

In Kapitel IV.2.1 der Denkschrift steht zu lesen:

"Eigenverantwortung ist gegenwärtig ein zwar fachlich und bildungspolitisch gewünschtes, von den vorliegenden rechtlichen Rahmenbedingungen und Kompetenzzuweisungen her jedoch nur nachrangig zugelassenes bzw. toleriertes Element. Verantwortung im Schulbereich ist weitestgehend zentral bei Regierung und Aufsichtsbehörden konzentriert."

Weiter unten heißt es:

"Das öffentliche Schulwesen leidet darunter, dass es mit weitgehend standardisierten Modellen betrieben wird und einer Herausforderung durch alternative und konkurrierende pädagogische und organisatorische Modelle kaum ausgesetzt ist.

Qualitätsverbessernde Impulse, die sich aus einem Wettbewerb unterschiedlicher Konzepte ergeben könnten, spielen bisher kaum eine Rolle im Steuerungssystem.

Mit der primär zentralen Steuerung geht eine Dominanz von Verwaltungs- und Organisationsbelangen gegenüber pädagogischen Zielen einher, weshalb derzeit solche pädagogischen Innovationen am ehesten Realisierungschancen haben, die mit den tradierten Organisationsstrukturen vereinbar sind.

Begünstigt werden also nicht das Experimentieren und das Entdecken neuer Problemlösungen. Das System tendiert vielmehr zur Stabilisierung vorhandener Strukturen und Verfahren. Es ist nicht auf Entwicklung und kontinuierliche Qualitätsverbesserung ausgerichtet, sondern auf Fehlersuche und Fehlervermeidung. Es behindert so oft Eigeninitiative, lähmt Risikobereitschaft und Selbstverantwortung. ... Das Schulsystem ändert sich zu langsam, um mit den Veränderungen der gesellschaftlichen Wirklichkeit Schritt halten zu können."

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Die Konsequenz

Als Konsequenz kommt die Denkschrift u.a. zu folgendem Schluss:

"Die Kommissionsempfehlungen intendieren eine Veränderung der Aufgaben und Rechte von Einzelschulen, Trägern und Schulaufsicht und ihrer Stellung zueinander im System; sie verändern aber auch die Rollen der Beteiligten in diesen Institutionen. ...

Voraussetzung ist ein Wechsel der Grundorientierung: Erforderlich ist ein am Prinzip der Selbstorganisation und am Subsidiaritätsgedanken orientierter Umbau der gegenwärtigen Entscheidungs- und Verantwortungsstrukturen. Dies schließt eine Umkehrung der bisherigen primären "Zuständigkeitsvermutung" ein: Nicht bei den staatlichen Aufsichtsbehörden - und hier möglichst weit oben im System - wird die größte Kompetenz zur Lösung der Probleme angenommen, sondern zunächst bei den Beteiligten und Betroffenen vor Ort.

Steuerungsentscheidungen sollen auf der möglichst niedrigsten Ebene getroffen und auch verantwortet werden. So ist es möglich, tatsächliche Handlungsmöglichkeiten und Verantwortlichkeiten zur Übereinstimmung zu bringen."

Schleswig-Holstein hat bereits heute eine Verfassung, welche die Rechte der nationalen Minderheiten auch für den schulischen Bereich sichert. Die Schulen nationaler Minderheiten sind in ihrem Verhältnis zu den staatlichen Organen des Landes autonom und arbeiten damit faktisch unter Bedingungen, die den oben zitierten Empfehlungen weitgehend entsprechen.

Ansonsten folgt die jetzt gültige Verfassung in ihrem Artikel 8 aber der unausgesprochenen Voraussetzung, dass Schule im Grundsatz eine staatliche Veranstaltung sei - nicht anders als Polizei, Justiz und Armee. Diese Auffassung steht im Widerspruch zu einem Bildungsverständnis, welches Bildung als anthropologisch begründete, öffentliche Aufgabe mündiger Bürger versteht. Der Widerspruch, der sich aus der unreflektierten Gleichsetzung von "öffentlich" und "staatlich" ergibt, lässt sich nur auflösen, indem der Gedanke der Autonomie und Selbstverantwortung konsequent Einzug hält in die Umstrukturierung des Schulwesens. An erster Stelle steht bei einer Schule der pädagogische Auftrag, und der ist immer individuell-konkret. Er kann daher auch nur "vor Ort" sachgemäß gestaltet und entwickelt werden. Für den Staat bedeutet dies, dass er dafür Sorge tragen muss, dass die Bildungseinrichtungen ihre Aufgabe in weitestgehender Selbstverwaltung erfüllen können - und in ihren Rechten gleich behandelt werden, anstatt, wie heute noch, je nach Trägerschaft verschieden. Als weiterer wesentlicher Gesichtspunkt muss gelten, dass sich die Schulaufsicht zu einem Koordinationsorgan der betroffenen Einrichtungen entwickeln muss, das der Verständigung und Einigung in übergreifenden Fragen dient und seine Aufsichtsfunktionen entsprechend an dem individuellen Schulprofil zu orientieren hat.

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II. Die Begründung im Einzelnen:

1."Jede Schülerin und jeder Schüler hat das Recht auf Bildung. Zur Ausübung ihres Rechtes auf Bildung und Ausbildung stehen allen Kindern und Jugendlichen die Schulen in staatlicher, kommunaler oder freier Trägerschaft, sowie die Schulen einer nationalen Minderheit zur Verfügung."

Der Begriff "Recht auf Bildung" wird hier in Übereinstimmung mit Artikel 26 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, verabschiedet von der Generalversammlung der UNO am 10.12.1948, verwandt. - In Artikel 26 (Recht auf Bildung), Absatz 1 dieser Erklärung heißt es: "Jeder Mensch hat das Recht auf Bildung. Der Unterricht muss wenigstens in den Elementar- und Grundschulen unentgeltlich sein. Der Elementarunterricht ist obligatorisch. Fachlicher und beruflicher Unterricht soll allgemein zugänglich sein; die höheren Schulen sollen allen nach Maßgabe ihrer Fähigkeiten und Leistungen in gleicher Weise offen stehen."

In Absatz 3 heißt es weiter: "In erster Linie haben die Eltern das Recht, die Art der ihren Kindern zuteil werdenden Bildung zu bestimmen."

Mit dem "Recht auf Bildung" wird also ein Grundrecht für alle Kinder und Jugendlichen ausgesprochen, das den Begriff der Schulpflicht durch eine Unterrichtspflicht ersetzt. Es ist Sache des Ausführungsgesetzes, die materiellen und rechtlichen Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass alle Kinder und Jugendlichen ihr Recht auf Bildung wahrnehmen können.

2."Schulen in staatlicher, kommunaler oder freier Trägerschaft, sowie die Schulen der nationalen Minderheiten nehmen gleichberechtigt ihren öffentlichen Bildungsauftrag wahr. Ihre Finanzierung hat unabhängig von ihrer Trägerschaft nach gleichen Maßstäben zu erfolgen. Die öffentlichen Zuschüsse müssen in ihrer Höhe so bemessen sein, dass sie den unentgeltlichen Zugang zu den Schulen ermöglichen." - Alle Schulen leisten ihren Beitrag zu dem öffentlichen Auftrag "Bildung". Soll die Vielfalt und freie Zugänglichkeit aller Angebote gewährleistet sein, so lassen sich unterschiedliche Maßstäbe in der Finanzierung, abhängig vom jeweiligen Träger, nicht rechtfertigen. Es gehört vielmehr zu den Aufgaben des Staates, über die gleichberechtigte Behandlung aller Träger die finanziellen Voraussetzungen für deren pädagogische Wirksamkeit zu schaffen. Entscheidend ist die Vergleichbarkeit der Schulen auf Grundlage ihrer Gleichwertigkeit, nicht aber die Trägerschaft. Diese Regelung schließt selbstverständlich nicht die Möglichkeit für die einzelnen Schulen aus, sich über Fördervereine o.ä. zusätzliche Mittel zu verschaffen, wie es bereits heute gängige Praxis ist.

3."Das Recht jeder Schule auf Selbstverwaltung ist entsprechend ihrer Trägerschaft zu gewährleisten." - Pädagogik ist immer individuell-konkret. Selbstverwaltung ist eine elementare Voraussetzung für die Entfaltung und Entwicklung pädagogischer Konzepte, die den tatsächlichen Gegebenheiten und Bedürfnissen vor Ort entsprechen. Dazu gehört die Berufung des pädagogischen Kollegiums ebenso, wie die Rechtsfähigkeit der einzelnen Schule. (Anmerkung: Kriterium für die Zulässigkeit einer Berufung und für die Unterrichtsgenehmigung kann dabei nur die Gleichwertigkeit, nicht etwa eine Gleichartigkeit der Ausbildung der Lehrkräfte sein. Vergl. hierzu auch § 105 des Musterentwurfes für ein Landesschulgesetz vom deutschen Juristentag.)

4."Vertreter der Schulen wirken bei der Ausübung der staatlichen Schulaufsicht mit." - Innerhalb eines auf Initiative und Eigenverantwortung basierenden Schulwesens muss sich auch die Schulaufsicht wandeln. Sie ist zu einem Organ weiterzuentwickeln, welches die Belange der Schulen koordiniert. Es entspricht einem modernen Demokratie- und Staatsverständnis, dass die Vertreter der unterschiedlichen Schularten und -trägerschaften so weit als möglich in die Erstellung verbindicher Richtlinien einbezogen werden und dass die verschiedenen Schularten durch Fachleute beaufsichtigt werden, die für ihre jeweiligen Konzepte geschult sind.

5."Das Land gewährleistet die freie Wahl zwischen den verschiedenen bestehenden Schularten durch die Erziehungsberechtigten" - Die Eigenverantwortung der Erziehungsberechtigten für die Wahl der Schulart ist zu respektieren.

6."Das Nähere regelt ein Gesetz."

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Schluss

Abschließend sei noch auszugsweise eine Entschließung des Europäischen Parlaments vom 14.3.1984 zitiert, welche den Titel trägt: "Entschließung zur Freiheit der Erziehung in der Europäischen Gemeinschaft".

Am 14.3.1984 forderte das Europäische Parlament "... für den Bereich der Europäischen Gemeinschaft die Anerkennung folgender Grundsätze:

1.Kinder und Jugendliche haben Anspruch auf Erziehung und Unterricht; dazu gehört das Recht des Kindes, seine Fähigkeiten und Talente zu entwickeln; die Eltern haben im Rahmen der gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten und der auf diesen beruhenden Gesetzen das Recht, die Erziehung und die Art des Unterrichts ihrer Minderjährigen Kinder zu bestimmen;

2.alle Kinder und Jugendlichen haben das Recht auf Erziehung und Unterricht ohne Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, der Rasse, der philosophischen oder religiösen Überzeugungen, der Staatszugehörigkeit oder der sozialen oder wirtschaftlichen Lebensumstände;

3....
4....

5.die Erziehung und der Unterricht haben zum Ziel, die Persönlichkeit zur vollen Entfaltung zu bringen, sowie die Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten zu stärken;

6.- die Freiheit der Erziehung und des Unterrichts ist zu gewährleisten;

- die Freiheit der Erziehung und des Unterrichts beinhaltet das Recht, eine Schule zu eröffnen und Unterricht zu erteilen;

- diese Freiheit beinhaltet ferner das Recht der Eltern, für ihre Kinder unter den vergleichbaren Schulen eine Schule zu wählen, in der diese den gewünschten Unterricht erhalten; ...

- entsprechend dem Recht der Eltern ist es deren Sache, über die Auswahl der Schule ihrer Kinder bis zu deren eigener Entscheidungsfähigkeit zu entscheiden; Sache des Staates ist es, die dafür nötigen Einrichtungen öffentlicher oder freier Schulen zu ermöglichen; ...

7....

8.- die freigegründeten Schulen, die die gesetzlich festgelegten, sachlichen Voraussetzungen für die Verleihung der Zeugnisse erfüllen, werden staatlich anerkannt; sie verleihen die gleichen Berechtigungen wie die staatlichen Schulen;

- aus dem Recht der Freiheit der Erziehung folgt wesensnotwendig die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, die praktische Wahrnehmung dieses Rechts auch finanziell zu ermöglichen und den Schulen die zur Durchführung ihrer Aufgaben und zur Erfüllung ihrer Pflichten erforderlichen öffentlichen Zuschüsse ohne Diskriminierung der Organisatoren, der Eltern, der Schüler oder des Personals zu den gleichen Bedingungen zu gewähren, wie sie die entsprechenden öffentlichen Unterrichtsanstalten genießen; ..."

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Nachwort

Die Nachbarschaft Schleswig-Holsteins zu Dänemark, mit dem uns eine lange gemeinsame Geschichte verbindet, lässt unser Land als prädestiniert erscheinen, einen nächsten Schritt in Richtung eines freien, auf Entwicklung angelegten Schulwesens zu tun. Dänemark hat durch seine Geschichte bereits wesentliche Schritte in dieser Richtung getan, während Deutschland sich im Laufe dieses Jahrhunderts mit verschiedenen Formen des Obrigkeitsstaates auseinander setzen musste. Unser Schulwesen trägt noch immer Merkmale eines Obrigkeitsstaates, obwohl allein schon der Umstand, dass die staatlichen Schulverwaltungen seit dem Jahrhundertbeginn fünf verschiedenen politischen Systemen dienten, Anlass genug sein sollte, für ein unabhängiges Bildungswesen einzutreten. Es ist an der Zeit, das Zusammenwachsen Europas auch durch ein Schulwesen zu fördern, welches der Vielfalt, die immer ein Merkmal der europäischen Geschichte war, Rechnung trägt.

Handewitt, 11. Mai 1997

Aus der Homepage der 'Aktion mündige Schule e.V.' - http://www.freie-schule.de
Zur Anhöhe 23 - D-24983 Handewitt - Telefon/Fax: 04608-970158 - email: hkullak (at) freie-schule.de

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Aktualisiert am 12.11.11