Gleichgewichts-StörungGedanken zum 11. September 2001
von Michael Rückert Die Terroranschläge vom 11. September haben die Welt nachhaltig verändert. Sie können als Beginn eines großen Dramas gelten, das sich in den nächsten Monaten auf der Weltbühne abspielen wird. Weltanschauungen und starre Überzeugungen stehen sich unbeugsam gegenüber; die Kontrahenten wollen nicht von ihnen lassen, obwohl doch alles im Leben im Fluss ist und gerade auch Überzeugungen überdacht und geändert werden müssen. Zwei Gegner bekriegen sich, verherrlichen ihre Weltanschauung und sehen im Gegner jeweils den Teufel. Die einen wurzeln in der jüdisch-christlichen Tradition, die anderen berufen sich auf Mohammed, den Propheten Gottes. Die USA nannten ihr Vergeltungsprogramm zuerst "Infinite Justice" - Grenzenlose Gerechtigkeit, nahmen dann aber den Namen zurück, weil nach dem moslemischen Glauben nur Allah unendlich gerecht ist. Dies war einer der wenigen auf Einsicht beruhenden Handlungen dieses laufenden Krieges. Ansonsten herrschen Kurzschlusshandlungen ohne Weitblick vor. Die Anhänger der drei Offenbarungsreligionen - Christen, Juden, Muslime - glauben an einen - personifizierten - Gott und meinen, nur ihnen hätte Gott die jeweils wirkliche Wahrheit verkündet. Ihr Weltbild ist linear: Man lebt nur einmal, Gott entscheidet am Ende des Lebens über Himmel oder Hölle bzw. Fegefeuer. Gerade im Islam wird den guten Gläubigen das Paradies mit Milch, Honig und Frauen versprochen. Alle drei genannten Religionen gründen sich auf Abraham. Unbedingter Gehorsam für Gott als allerhöchste personifizierte Autorität und gegenüber seinen Stellvertretern auf Erden ist die höchste Tugend dieser abrahamitischen Religionen. Symptomatisch dafür ist die Stelle im Alten Testament, in dem Gott Abraham befiehlt, seinen geliebten Sohn Isaak zu opfern (Abrahams Opfergang nach Morija, Genesis I, 22). Man kann diese Bibelstelle symbolisch deuten: Dem Lebensziel muss man das Liebste opfern. Man kann es aber auch ganz konkret sehen: Da liegt ein junger Mann und erwartet den Tod durch seinen Vater, der von einer fremden Macht beherrscht wird und seinen eigenen Willen aufgegeben hat. Was mochte wohl in diesem Jungen vorgegangen sein ? Ein weiteres Bibel-Wort birgt Brisanz: "Macht euch die Erde untertan" wird in der westlichen Kultur umgesetzt in eine teilweise gnadenlose und rücksichtslose Ausbeutung von Natur und Menschen. Der American Way of Life, den die Amerikaner als die beste Lebensform missionieren, stellt Geld in der Werteskala ganz oben an. Und nun stehen diese beiden Blöcke feindlich gegeneinander und wollen die Weltherrschaft erringen: Globalisierung des Wirtschaftssystems auf der einen Seite, Globalisierung der Religion andererseits. Individualismus und Freiheit hier, Unterwerfung und Gottesstaat dort. Ein interessanter Tatbestand soll hier erwähnt werden: Waffenexportierende Länder sind vorrangig die Länder mit einer jüdisch-christlichen Tradition. Waffenimporteure sind vorrangig islamische Länder. Im Gegensatz zu den "westlichen bzw. nahöstlichen" Religionen wurde im Namen des fernöstlichen Buddhismus bisher kein Krieg geführt. Buddha fordert die Menschen auf, nur auf der Basis ihrer eigenen Erfahrungen zu handeln und keinem anderen Mensch blind zu vertrauen. Glaube nur das, was Du selber erfahren hast. Im Gegensatz dazu sagte Ignatius von Loyola, der Begründer des Jesuitenordens: "Ich glaube, dass das Weiße, das ich sehe, schwarz ist, wenn die hierarchische Kirche es so bestimmt." Buddhisten denken in Kreisläufen. Dazu gehört auch der Kreislauf des Lebens einschließlich der Wiedergeburt. "Was ihr sät, das erntet ihr". Dieses Karma-Prinzip bedeutet letztendlich grenzenlose Gerechtigkeit. Nicht ein persönlicher Gott richtet uns, sondern dieses Gesetz. Unsere jetzige Situation ist die Folge unserer eigenen Gedanken und Taten. Das Jüngste Gericht findet hier und jetzt statt, das Fegefeuer ist unser irdisches Leben. Ist diese Idee von der Wiedergeburt nicht reizvoll, gerade wenn wir sie auf unsere Umwelt anwenden. Nachhaltigkeit gewinnt so eine völlig neue Dimension: Nicht unseren Nachfahren hinterlassen wir eine eventuell entwicklungshemmende Umwelt, sondern wir verbauen uns selber die Chance einer Weiterentwicklung. Die Terroranschläge vergleiche ich mit einer menschlichen Krankheit. Da sind Bakterien und Viren am Werk, und vordergründig meinen wir, diese verursachten die Krankheit. In Wirklichkeit drückt unsere Seele ihr Ungleichgewicht und ihre Krankheit über den Körper aus - und die Viren sind das Vehikel dazu, diesen Vorgang zu verwirklichen. Im Notfall ist es sicherlich wichtig, die Viren zu bekämpfen. Viel wichtiger ist es aber, das Ungleichgewicht und die Krankheit der inneren Einstellung und der Seele zu beseitigen. Den Terroristen den Krieg anzusagen nutzt wenig, wenn man nicht den Blick auf die Botschaft lenkt, die das Geschehen uns schickt: Der American Way of Life ist der Weg der Ausbeutung und der obersten Priorität des Geldes. Neben dem Prinzip von Ursache und Wirkung gilt noch ein weiteres Naturgesetz: das der Polarität. Wir kennen es z.B. aus der Physik bei elektrischen Ladungen oder im Magnetismus und wir können es auf alle Bereiche des Lebens anwenden, so auch auf die jetzige Kriegssituation: Je mehr auf der einen Seite Geld und Profit in extremer Form an die Spitze der Werteskala gestellt werden und je weniger über den Sinn des Lebens reflektiert wird, desto extremer gedeihen auf der anderen Seite die fundamentalistischen Auswüchse der Religionen. Es findet kein gesundes Hin- und Herschwingen mehr statt zwischen den beiden Polen, sondern beide Parteien hängen in den extremsten Positionen. Das ist das Wesen von Krankheit. Aus ihnen kommt man nur heraus über Einsicht oder über Katastrophen. So gesehen sind diese notwendig und heilsam. Sie wenden das Denken, so wie in der griechischen Tragödie auf dem Höhepunkt des Dramas der Chor sich wendet, umkehrt.
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Entwurf und Aufruf zur Mitwirkung an der 'Stiftung Verantwortliche Menschlichkeit'
www.humanistische-aktion.de/rueckert.htm |
Aktualisiert am 06.07.02