Die OdenwaldschuleEin Überblick Die Odenwaldschule in Heppenheim/Ober-Hambach, 1910 von Paul Geheeb gegründet, gehört zu den derzeit 18 Landerziehungsheimen, die sich aus der reformpädagogischen Bewegung zu Beginn des Jahrhunderts heraus entwickelt haben. Die Odenwaldschule ist eine Schule in freier Trägerschaft; ihr Träger ist seit 1949 der gemeinnützige Verein "Odenwaldschule e.V.". Am ehesten einer integrierten Gesamtschule ähnlich führt sie zu staatlich anerkannten Abschlüssen der Hauptschule, der Realschule, der Fachoberschule und des Gymnasiums, und sie bietet, kombinierbar mit schulischen Abschlüssen, berufliche Ausbildungsgänge an bis zur Gesellenprüfung im Schreiner- und Schlosserhandwerk sowie zur Abschlussprüfung für den Beruf des Chemisch-technischen Assistenten. Die Odenwaldschule ist eine Internatsschule für ca. 250 Jungen und Mädchen. Sie leben in kleinen, altersgemischten Wohngruppen zusammen - in "Familien" mit 5 - 10 Mitgliedern, die jeweils von einem Lehrerehepaar, einer Lehrerin oder einem Lehrer betreut werden. Zu diesen "internen" Schülerinnen und Schülern kommen noch 20 - 30 "externe" hinzu, die in der Regel Kinder von Mitarbeitern der Odenwaldschule sind. Von den ca. 110 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Odenwaldschule ist knapp die Hälfte mit Unterrichts- und Erziehungsaufgaben betraut. Die anderen arbeiten in der Bibliothek, im Garten, auf der Krankenstation und in der technischen Betriebsabteilung - dort als Maler, Maurer, Klempner, Schreiner, Elektroinstallateur, Heizungsmonteur - sowie in Küche und Hauswirtschaft und in der Verwaltung. Die Odenwaldschule liegt am Ende des Hambachtals, das von Heppenheim aus in den Odenwald hineinführt - also etwa auf halber Strecke zwischen Darmstadt und Heidelberg und 40 - 60 Autominuten von Mannheim, Frankfurt und Wiesbaden entfernt. In einem hügeligen Wald- und Wiesengelände finden sich hier 32 Gebäude, in Hanglage errichtet, mal enger gruppiert, mal eher vereinzelt gelegen. Sie bilden als Ortsteil des Dorfes Ober-Hambach die Odenwaldschule. (Daher erklärt sich auch ihr Kürzel: OSO - Odenwaldschule Ober-Hambach.) Jedes dieser Gebäude trägt seinen eigenen Namen - wie z.B. Platonhaus, Pestalozzihaus, Humboldthaus, Geheebhaus, Edith-Cassirer-Haus -, oder es heißt entsprechend seiner Zweckbestimmung z.B. Werkstättenhaus, Laborgebäude, Sporthalle, Theaterhalle. Jedes hat seine eigene Geschichte, seine individuell geprägte und deshalb unverwechselbare Identität. Sie alle zusammen sind durch ein Netz von Fahr- und Fußwegen, Trampelpfaden und Treppen miteinander verbunden: ein weitgesteckter Rahmen in einer herrlichen Naturlandschaft und ein vielgestaltiger Raum zum Leben, Lernen und Arbeiten für 400 Kinder, Jugendliche und Erwachsene. Bildungs- und Erziehungsziele: Die Odenwaldschule möchte ein Ort sein, an dem Jugendliche heimisch werden können, der ihnen ein zweites Zuhause werden kann, eine Lern- und Lebensumwelt, die ihrem Aufwachsen und Erwachsenwerden guttut,
"Werde, der du bist" lautet ein von Paul Geheeb, dem Gründer der Odenwaldschule, und auch heute noch von uns gern zitiertes Wort des griechischen Philosophen Pindar: "Entwickele dich zu dem - einmaligen, unverwechselbaren, unaustauschbaren - Menschen, der in dir angelegt ist." Wer Kindern und Jugendlichen die Einlösung dieser Maxime ermöglichen will, muss ihnen einerseits Offenheit und Freiräume zugestehen (ihnen erlauben, ihren eigenen Weg zu finden und dabei auch Umwege, ja Irrwege zu gehen), muss sie andererseits aber auch Verbindlichkeit und Orientierung erfahren lassen (in verläßlichen zwischenmenschlichen Beziehungen und in Ordnungen mit vorgegebenen Regeln, Riten und Revieren). In der Spannung zwischen diesen beiden Forderungen gestalten wir unsere Lebens- und Lernumwelt mit einer pädagogischen Grundhaltung, die durch Ruhe, Zeit-Haben und Zeit-Geben, Achtung vor dem Kind/dem Jugendlichen und seiner unverwechselbaren Einmaligkeit, Vorgabe von Vertrauen, geduldiges Abwarten, aufmerksames - aber nie neugieriges - Beobachten, und taktvolle Hilfe bestimmt ist. Einem ganzheitlichen pädagogischen Konzept entsprechend und geleitet von der Pestalozzi Formel "Kopf, Herz und Hand", versucht die Odenwaldschule durch ihr besonders reichhaltiges Angebot an theoretischen, praktischen und sozialen Lernsituationen und durch individualisierte Fördermaßnahmen bereits vorhandene Entwicklungsdefizite auszugleichen und alle Anlagen eines Kindes oder Jugendlichen entwickeln zu lassen. Quelle: www.odenwaldschule.de
Internat der 100 Opfer Missbrauchsskandal an der Odenwaldschule Internat der 100 Opfer Kurz vor der 100-Jahr-Feier des Eliteinternats in Heppenheim kommen die schockierenden Fakten ans Tageslicht: In den 1970er und 1980er Jahren wurden hier Schüler regelmäßig missbraucht, am Wochenende zu sexuellen Diensten abgeordnet und offenbar im altgriechischen Sinne als "Lustknaben" betrachtet. Nach Angaben der "Frankfurter Rundschau" könnte es bis zu 100 Opfer an der Schule gegeben haben, die von vielen Prominenten besucht wurde. Der Vorstand der Odenwaldschule (OSO) hat nach Informationen der Zeitung "den jahrelangen Missbrauch von Schutzbefohlenen durch Pädagogen" eingeräumt. Die Schulleiterin Margarita Kaufmann bestätigte: "Es ist für mich eine Tatsache, dass hier mindestens seit 1971 sexueller Missbrauch stattgefunden hat." Schüler als "sexuelle Dienstleister" Ehemalige Schüler berichteten der "Frankfurter Rundschau" davon, wie sie von Lehrern regelmäßig durch das Streicheln der Genitalien geweckt, wie sie als "sexuelle Dienstleister" eingeteilt und zu Oralverkehr gezwungen wurden. Einzelne Pädagogen hätten ihren Gästen Schüler zum sexuellen Missbrauch überlassen. Lehrkräfte hätten Schutzbefohlene geschlagen, mit Drogen und Alkohol versorgt oder beim gemeinschaftlichen Missbrauch eines Mädchens nicht eingegriffen. Erste Vorwürfe gegen den langjährigen Rektor Gerold Becker, der die OSO von 1971 bis 1985 leitete, waren der "Frankfurter Rundschau" zufolge bereits 2000 publik geworden. Damals berichteten ehemalige Schüler von massiven Übergriffen Beckers gegen 13-Jährige. Die Vorwürfe wurden aber nur halbherzig aufgegriffen. "Es war eine Unterlassung und ein grober Fehler, dass die Schule damals nicht nachgeforscht hat", sagt Kaufmann, die seit 2007 im Amt ist. Sie selbst sei 2009 erneut von Altschülern angesprochen worden, die fürchteten, die Schule werde sich auch bei der 100-Jahr-Feier im April 2010 wieder ihrer Verantwortung entziehen. Daraufhin habe sie etliche Gespräche mit ehemaligen Schülern geführt und dabei erst "das wahre Ausmaß" des Skandals erahnt. Kaufmann geht von mindestens drei Lehrern aus, die sich sexueller Übergriffe schuldig gemacht haben sollen. Von Zeugen habe sie "die Namen von 20 Opfern gehört". Das Leitwort der Schule: "Werde, wer du bist" Die Odenwaldschule im südhessischen Heppenheim gilt als eine der bekanntesten deutschen Reformschulen. Vor 100 Jahren vom Pädagogen Paul Geheeb (1879-1961) gegründet, stellt sie bis heute das Lernen in Gemeinschaft in den Vordergrund. Die gut 200 Internatsschüler wohnen in rund 30 Gruppen zusammen, gemischt nach Alter und Geschlecht. "Schüler und Lehrer leben unter einem Dach im selben Haus, auf demselben Flur, essen zusammen und duzen sich", beschreibt die Odenwaldschule im Internet das Leben in der Schulgemeinde. "Familienoberhaupt ist jeweils ein Lehrer." Als Leitwort hat sich die Schule in freier Trägerschaft den Satz des griechischen Philosophen Pindar gewählt: "Werde, wer du bist." Auf der Liste der ehemaligen Schüler des Internats stehen prominente Namen. Schriftsteller Klaus Mann etwa war nach Angaben der Schule im Odenwald. Grünen-Politiker Daniel Cohn-Bendit besuchte die Schule von 1958 bis 1965. Der frühere Bundespräsident Richard von Weizsäcker schickte einen seiner Söhne auf die Schule. 2005 kürte sie das Wirtschaftsmagazin "Capital" zur besten hessischen Schule mit gymnasialer Oberstufe, bundesweit kam sie auf Platz fünf. Zuletzt profilierte sich die ländlich gelegene Odenwaldschule auch als Alternative zum achtjährigen Gymnasium (G8). Als Gesamtschule bietet sie Haupt- und Realschule sowie das Abitur nach neun Jahren. Das Schulgeld für die Internatsschüler beträgt auf der staatlich anerkannten Ersatzschule über 2000 Euro im Monat. 3sat Kulturzeit 12.03.2010 http://www.3sat.de/dynamic/sitegen/bin/sitegen.php?tab=2&source=/kulturzeit/themen/142762/index.html
Und wir sind nicht die Einzigen Der Missbrauch an der Odenwaldschule Die Odenwaldschule galt als eine der angesehensten Internatsschulen Deutschlands und der Reformpädagogik, bis 2010 Berichte über massiven sexuellen Missbrauch bekannt wurden, die die Öffentlichkeit schockierte. Regisseur Christoph Röhl versucht in seinem Film, nicht nur den Ursachen des Missbrauchs auf den Grund zu gehen, sondern er beschäftigt sich auch mit dem "Schweigen" auf allen Seiten. Wie konnte das passieren? Die Odenwaldschule galt jahrelang als eine der besten Internatsschulen Deutschlands und der Reformpädagogik. Umso erschütterter reagierte die Öffentlichkeit auf die Berichte über massiven sexuellen Missbrauch an der "OSO", die Anfang 2010 aufkamen. Bis heute haben sich knapp 130 Opfer persönlich gemeldet, 18 Täter sind namentlich bekannt. Wie konnte so etwas Ungeheuerliches über Jahrzehnte hinweg geduldet und vertuscht werden? Besonders wenn man bedenkt, dass bereits 1999 zwei ehemalige Schüler mit ihren Erfahrungen an die Öffentlichkeit gingen. "Schweigen" auf allen Seiten Regisseur Christoph Röhl, selbst ehemaliger English Helper an der Odenwaldschule, war es aufgrund seiner guten Kontakte möglich, im Umfeld der 100-Jahr-Feier der OSO im Juli 2010 Gespräche mit zahlreichen Altschülern, Lehrern und Personen aus dem Umfeld der Schule zu führen. Mit seinem Film, der sich ganz auf die Aussagen der Protagonisten konzentriert, versucht er nicht nur den Ursachen des Missbrauchs auf den Grund zu gehen, sondern er beschäftigt sich auch mit dem "Schweigen" auf allen Seiten. Die Gespräche machen die schockierende Dimension und Systematik der Missbrauchs an der OSO deutlich. Die Berichte und Reflexionen der Betroffenen stehen dabei auch stellvertretend für alle anderen Orte, an denen Missbrauch in unserer Gesellschaft geschieht. "Meine Recherchen haben mir gezeigt, dass viele Leute, die den Missbrauch geahnt haben, trotzdem nicht gehandelt haben, weil sie nicht emotional begriffen haben, worum es eigentlich geht. Genau das wollte ich mit diesem Film ändern." (Christoph Röhl) Über Regisseur Christoph Röhl Christoph Röhl wurde in Brighton, England geboren. Nach seinem Studium an der University of Manchester, studierte der Deutsch-Brite in den neunziger Jahren Regie- und Drehbuch an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin. Neben seinen englischsprachigen fiktionalen Regiearbeiten für die BBC- realisierte Röhl mehrere, z.T. preisgekönte Kurzfilme. "Und wir sind nicht die Einzigen" ist sein erster Dokumentarfilm. 20.05.2011 / Filmredaktion 3sat, URL dieses Artikels: http://www.3sat.de/film/woche/154307/index.html
Links in diesem Artikel:
Offizielle Homepage
zum Film von Christoph RöhlHomepage der Bundesbeauftragten für
MissbrauchHomepage "Runder Tisch: Sexueller Kindesmissbrauch" der
BundesregierungHomepage der Bundesarbeitsgemeinschaft zur Prävention
& Prophylaxe von sexuellem MissbrauchN.I.N.A. - Nationale Infoline, Netzwerk
und Anlaufstelle zu sexueller Gewalt an Mädchen und Jungen weitere Texte zum Thema Schule Mit freundlichen Empfehlungen Humanistische AKTION 8/2000 nach oben - Service - Menue - Texte-Verzeichnis - Stichwörter www.humanistische-aktion.de/odenwald.htm |
Aktualisiert am 08.08.11