Todesfälle bei Drogenabhängigen:

durch Sucht, Probibition, Abstinenztherapie oder Methadon?
 
Von Dr. med. Rainer Ullmann, Hamburg

Die Methadonsubstitution macht derzeit Negativ-Schlagzeilen. Eine Veröffentlichung der Arbeitsgruppe um Professor Achim Schmoldt führt zu Meldungen wie "Tod ohne Warnung", "Blühender Schwarzmarkt", "Methadon im Babyfläschen" und diskreditiert damit die konstruktive Behandlung Drogenabhängiger. Dr. Rainer Ullmann, substituierender Arzt in Hamburg, setzt sich kritisch mit der im Hamburger Ärzteblatt erschienenen Arbeit auseinander.

Die vorläufige Veröffentlichung von Schmoldt u.a. (1999) läßt einige Fragen offen: Die Zahl der Drogentoten wird vom BKA für Hamburg 1998 mit 132 angegeben. Schmoldt u.a. legen die Untersuchungsergebnisse von 78 Toten vor. Unklar ist, wie andere Todesursachen ausgeschlossen wurden, ob die "Todesursache Methadon" eine Ausschlußdiagnose war und ob von diesen 78 auf alle geschlossen werden kann. Es ist außerdem bei unbekannter Toleranz schwierig, von einem Methadonplasmaspiegel auf seine tödliche Wirkung zu schließen.

Viele Heroinabhängige sterben nicht an einer Substanz allein, sondern an einem Gemisch mehrerer Substanzen und an ihrem oft schlechten Allgemeinzustand. Auch Suizide sind häufig. Besonders hoch ist die Sterblichkeit nach Entzug (freiwillig oder in Haft) und abgebrochenen Entwöhnungsbehandlungen.

Wenn Abhängige gezwungen sind, Methadon auf dem Schwarzmarkt zu kaufen, weil sie keinen Behandlungsplatz finden oder weil die Aufnahmeregularien zu lange dauern, dann sind sie dem selben Risiko ausgesetzt wie unbehandelte Heroinabhängige. Möglicherweise neigen unerfahrene Konsumenten auch dazu, Methadon wegen seiner langsam eintretenden Wirkung überzudosieren oder mit anderen Sedativa zu kombinieren, um eine schnellere Wirkung zu erzielen.

Mit der Änderung der BtMVV vom 12.98 sollten schlechte Behandlungen mit Codein/DHC verhindert werden, die angeblich für viele Todesfälle verantwortlich waren (Penning u.a. 1993). Einige Kollegen haben daraufhin die Behandlung mit Codein/DHC eingestellt, die vorhandenen Behandlungsmöglichkeiten reichten nicht aus, viele Heroinabhängige waren auf den Schwarzmarkt angewiesen. DHC, mit dem die aus der Behandlung entlassenen Patienten vertraut waren, war durch die Änderung der BtMVV nicht mehr verfügbar. Das ist eine mögliche Erklärung für die dramatische Zunahme der Zahl der Drogentoten in Bayern.

Will man die Zahl der Drogentoten senken, ist es in erster Linie notwendig, die Behandlung leicht zugänglich zu machen. Der Nutzen der Behandlung mit Methadon für die Behandlung Opiatabhängiger ist seit vielen Jahren in großen Untersuchungen in zahlreichen Ländern bewiesen. Forderungen nach Behandlungsabbruch wegen Beikonsum lassen sich nicht wissenschaftlich begründen, sondern sind Ausfluß der weit verbreiteten Einstellung, Sucht als Laster (und nicht als Krankheit) anzusehen. Patienten mit Beikonsum sind meistens die schwerer Kranken, die intensiver behandelt werden müssen.

Sorgfältige Arbeitsweise der substituierenden Ärzte muß Heroinabhängige, Angehörige und Freunde vor den Gefahren des verordneten und des Schwarzmarktmethadons schützen.

Dazu gehört:

  • In der Eindosierungsphase sorgfältig zu kontrollieren, um Überdosierungen zu vermeiden.
     

  • Bei Mitgabe von Methadondosen das Risiko in jedem Einzelfall sorgfältig abzuschätzen und auf die Gefahren für die nicht-behandelten Heroinabhängigen hinzuweisen. Die Vorschriften der BtMVV müssen beachtet werden. Gegen Mitgabe sprechen "Szenekontakte", unkontrollierter Konsum von Alkohol und anderen Drogen.
     

  • Methadon nur in Behältern mitzugeben, die mit eindeutigen Warnhinweisen und mit kindersicherem Verschluß versehen sind.
     

  • Zu überprüfen ist, ob eine zentrale Meldung der substituierten Patienten Doppelbehandlungen verhindern hilft. Wenn ausreichende Dosen verordnet werden und die Einnahme kontrolliert wird,
    ist die Gefahr nicht groß, aber bei Mitgabe des Substitutionsmedikaments an noch nicht sicher stabile Patienten besteht diese Gefahr.

Informationen der Rechtsmediziner über Risiken der Heroinabhängigkeit und ihrer Behandlung sind zur Verbesserung der Behandlungsmöglichkeiten sehr wichtig. Sie sollten aber nicht mißbraucht werden, um eine seit Jahrzehnten international bewährte Behandlung zu diskreditieren.

(Literatur beim Verfasser)

Substitution - sinnvoll oder nicht?

Todesfälle bei Methadonsubstituierten

In Deutschland wird zunehmend über Todesfälle in der Drogenszene berichtet, bei denen Methadon im Körper der Toten nachgewiesen werden konnte. Auch wenn in den seltensten Fällen eine ursächliche Beteiligung von Methadon vorlag, könnte die Berichterstattung doch zur Diskriminierung der Substitutionstherapie führen. Hamburger Rechtsmediziner untersuchten über 1.000 Todesfälle im Detail und sehen keine Veranlassung, die bisherige Substitutionspraxis für eine Gefährdung verantwortlich zu machen.

Von 1990 bis 1996 wurde die Ausweitung der Methadonsubstitution in Hamburg vergleichsweise intensiv betrieben. Im gleichen Zeitraum stabilisierte sich die Zahl der Rauschgifttoten nach starken Anstiegen in den Jahren bis 1992 auf erhöhtem Niveau. Das Hamburger Institut für Rechtsmedizin analysierte nun retrospektiv 1.086 Rauschgifttodesfälle aus dem Zeitraum 1990 bis 1996 im Hinblick auf die Einnahme von Ersatzdrogen, insbesondere von Methadon.

Der chemisch-toxikologische Nachweis eines Methadon-(Begleit-)Konsums wurde bei insgesamt 89 Todesfällen erbracht. Die Nachweiszahl zeigt eine stark ansteigende Tendenz mit einem Inzidenzmaximum von ca. 20% aller Drogentoten im Jahre 1995. Der Anteil der Fälle mit tödlicher Monointoxikation bzw. Mischintoxikation mit relevanter Methadonbeteiligung betrug dagegen nur ca. 1% der Gesamtzahl. Ein Drittel der Todesopfer war zu keinem Zeitpunkt als Teilnehmer eines Substitutionsprogrammes registriert und hatte somit keinen regulären Zugang zu der Ersatzdroge. 21,2% der Todesfälle mit Methadonnachweis ließen sich auf natürliche Todesursachen (Krankheit) zurückführen, während dies nur 8,3% der Fälle ohne den Nachweis betraf.

Die Letalität unter Substituierten berührt den primären Anspruch aller Therapiebemühungen, das Überleben der Drogenabhängigen zu sichern. Die erforderliche präzise Erfassung der Sterblichkeit gegenüber einem unbehandelten Vergleichskollektiv gestaltet sich bei i.v.-Drogenabhängigen jedoch schwierig. Von den ca. 3.000 Substituierten, die in den Jahren 1995/1996 in Hamburg registriert waren, verstarben innerhalb dieses Zeitraums etwa 20 Personen jährlich. Dies entspricht einer Letalitätsrate von ca. 0,7% und damit einem gegenüber der Gesamtheit reduzierten Sterberisiko. Ein weiterer Anhaltspunkt ergibt sich aus der Analyse aller Hamburger Personen, die seit 1990 an einem Methadonsubstitutionsprogranim teilgenommen haben. Von ihnen sind bisher 2% verstorben, während die Sterblichkeitsrate der Drogenabhängigen ohne Substitution und entsprechende institutionelle Anbindung im Untersuchungszeitraum bei 10% lag. Diese Relationen entsprechen auch Studienresultaten aus den Jahren 1990 und 1995, die ebenfalls eine deutlich niedrigere Letalitätsrate Substituierter gegenüber Drogenabhängigen der Straßenszene belegen.

Gerade angesichts der Diskussion zum Sterberisiko Methadonsubstituierter besteht dringender Bedarf an der exakten Erfassung und Dokumentation aller Drogentodesfälle sowie an rechtsmedizinischen und sozialwissenschaftlichen Analysen. Auch gezielte Kohortenstudien stellen für diesen Zweck ein geeignetes Instrument dar. Die vorliegende Analyse jedenfalls ergibt keine Hinweise darauf, den bewährten Weg der geregelten Methadonsubstitution mit begleitender psychosozialer Betreuung in Frage zu stellen.
(Red.)

Heinemann, A. et al. Rauschgifttodesfälle mit Methadonbeteiligung (Hamburg 1990-1996) Rechtsmedizin 1998; 8; 55-60
 

Der Kommentar

Dankenswerte Klarheit

In dem Artikel von Heinemann et al. wird mit dankenswerter Klarheit darauf hingewiesen, daß die Behandlung Heroinabhängiger mit Methadon die Sterblichkeit drastisch senkt, wie es auch aus anderen Ländern seit langem bekannt ist. Sie differenzieren zwischen Methadonvergiftungen und anderen Todesursachen bei methadonbehandelten Heroinabhängigen und korrigieren damit Angaben wie "Immer mehr Metliadontote" o.ä.

Mit der zunehmenden Zahl der Heroinabhängigen die mit Methadon behandelt werden, steigt natürlich auch die Zahl derer, bei denen Methadon nachgewiesen wird, wenn sie an einer schweren Krankheit oder an einer Überdosis meist verschiedener psychoaktiver Substanzen sterben. Methadon heilt genauso wenig wie andere Therapieformen die Heroinabhängigkeit sofort, kann aber die Folgen mildern. Tödliche Monointoxikationen mit Methadon, z.B. wenn mehrere Tagesdosen auf einmal genommen werden, sind sehr selten, wenn durch die Behandlung eine stabile Opiattoleranz ausgebildet ist.

Ein höheres Risiko besteht zu Beginn der Behandlung wenn die Opiattolerenz noch unbekannt ist, und für Heroinabhängige, die - ohne in regulärer Behandlung zu sein - das Methadon auf dem Schwarzmarkt kaufen. Das höchste Risiko besteht für Angehörige von methadonsubstituierten Patienten ohne Opiattoleranz, besonders für Kinder. Vor einer Mitgabe von Methadon muß daher sorgfältig abgeschätzt werden, ob der Patient in der Lage ist, das Methadon wie vorgeschrieben aufzubewahren und einzunehmen, es nicht weiterzugeben oder zu verkaufen. Die Patienten müssen ausdrücklich auf diese Risiken hingewiesen werden.

Dr. med. Rainer Ullmann, Hamburg

aus 'Sub-letter' 5/99, mitgeteilt im Rundbrief  vom 25.09.99 des 'Forum Sucht Ohne Strafe - Elterninitiative für humane Drogenarbeit', Ansprechpartner: Gertraud Wicht, Hartliebstr.1, 80637 München, Tel. 089 1576785

  


 
Mit freundlichen Empfehlungen
 
Humanistische AKTION
 
10/1999
 


 
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www.humanistische-aktion.de/methadon.htm

Aktualisiert am 05.07.02