Die Rolle der Theologischen Fakultäten an den Deutschen Universitäten
Peter Glotz Angesichts der Querelen um die Art der Integration der Katholischen Theologie in das Gesamt der in der Gründung befindlichen Hochschule in Erfurt skizziert der Gründungsrektor sein Interesse an einer Theologischen Fakultät. Nach einem Plädoyer für die Theologie vom Gesamtkonzept "Universität" her, skizziert er die Bedrohung der theologischen Disziplin angesichts der gewandelten gesellschaftlichen Situation der Großkirchen in Deutschland. "... Allerdings ist der Rahmen, in dem wir uns bewegen müssen, noch breiter. Ich habe bisher vom Standpunkt der Universitätsidee und aus der Praxis einer Universität gesprochen. Man muß aber auch von der geistigen Situation dieser Gesellschaft und dieses Staates sprechen. Max Scheler hat die Kirchen als eine der großen Lebensmächte bezeichnet. Selbstverständlich muß man kritisch die Frage stellen: Bleibt das so? Denn seit 1968 ist die Erosion volkskirchlicher Strukturen im Gang. Machen wir uns klar: Die Vereinigung Deutschlands hat erstens den Teil der Bevölkerung, der nicht den beiden großen christlichen Kirchen angehört, auf 30% hochschnellen lassen.
Zweitens macht die Einigung Europas die Singularität des in Deutschland historisch gewachsenen Verständnisses von Staat und Kirchen europaweit deutlich und wird die Sogwirkung laizistischer Modelle weiter verstärken. Drittens treten inzwischen andere Religionsgemeinschalten mit Anspruch auf Gleichbehandlung auf. Die Zeugen Jehovas haben in einem ersten Rechtsurteil einen Anspruch hierzu erlangt. Die Debatten um Scientology sind bekannt. Islamische Gemeinschaften und andere Religlonsgemeinschaften verfolgen all diese Debatten mit großer Aufmerksamkeit. Ich will es knapp und unhöflich ausdrücken: Wenn es den Kirchen nicht gelingt, diesen Erosionsprozeß zu stoppen, könnte es in absehbarer Zeit keine staatlichen Theologischen Fakultäten mehr geben, auch konfessionsgebundenen Religionsunterricht an öffentlichen Schulen würde es dann nicht mehr geben. Ein Staat, in dem die größte Kirche aus Nichtgläubigen bestünde, in dem sechs oder sieben ,,große Religionen" mehr oder weniger gleichberechtigt nebeneinander lebten und im übrigen auch viele Freikirchen, Sekten und Orden existierten, wäre so prinzipiell verschieden von jenem Preußen, in dem der Nuntius Pacelli sein beispielgebendes Konkordat ausgehandelt hat, so daß neue Saiten aufgezogen würden und wohl auch aufgezogen werden müßten. Wobei man sich klar machen sollte: Der Zweifel am bisherigen Verhältnis von Staat und Kirche kommt von zwei Seiten. Er stammt einerseits von Verfechtern einer strikten Trennung von Staat und Kirche, von Leuten also, die einen weltanschaulich neutralen Verfassungsstaat wollen und für die Religion und Philosophie »bunte Vielfalt« sind. Der Staat, so diese Position, ist bekenntnisfrei und orientiert tolerant über alles, was da kreucht und fleucht. In die gleiche Richtung wirkt eine Tendenz, die Theologische Fakultäten und Religionsunterricht wieder stärker an die Kirche anbinden wollen. Die heute vorfindbare Theologie sei, so muß man z.B. wichtige Tendenzen im Vatikan verstehen, zu wesentlichen Teilen modisch verseucht, durchsetzt von eitlen und 'treulosen Selbstvermarktern' (Erzbischof Dyba). Zur Zukunft der Kirche formuliert dieser Bischof: ,,Wir tragen inzwischen die Rüstung des Goliath und sie lähmt uns zunehmend - werden wir den Stein des David wiederfinden, bevor wir in die Knie gehen?" So deutlich mag in der Evangelischen Kirche nicht formuliert werden. Aber man sollte sich nicht täuschen: Überall wird debattiert, ob eine kleine staatsfreie radikal fromme, sozusagen partikulare Kirche nicht besser überleben könne als das Modell der Volkskirche. Es gibt inzwischen Gläubige, die sagen: Die Idee, im Medium des Staates potentiell alle Bürgerinnen und Bürger mit christlicher Wertorientierung zu durchdringen, radikaler formuliert: Zu Gläubigen zu machen, ist sowieso eitel. Also sei es besser kleine Gruppen mit der vollen Glaubenslehre zu konfrontieren, als eine ganze Gesellschaft mit verwässerter zeitgeistunterworfener, entstellter Theologie. Ich nehme zu dieser innerhalb der Kirchen ablaufenden Kontroverse nicht Stellung. Empirisch ist es nicht leicht zu entscheiden, was größere Überlebenschancen hat, eine vorsichtige Volkskirche oder eine kleine entschlossene Gemeinde von Menschen. Ich könnte sagen: Vom Standpunkt des vermittelnden, neutralen, an Kommunikation, sozialem Konsens und Zusammenhalt Interessierten Verfassungsstaats sind zwei Volkskirchen leichter zu integrieren als sechs oder sieben militante Kampfkirchen. Das könnte die Befürworter einer »fundamentalstischen« Haltung - ich verwende das Wort mit Anführungszeichen und spitzen Fingern - aber eher bestärken. Also beschränke ich mich auf den Hinweis, daß die Extreme sich hier wie so oft berühren: Von entgegengesetzten Seiten wird mit unterschiedlichen Motiven das Gleiche befördert. Es ist noch offen, ob aus dieser Entwicklung ein neues Verhältnis zwischen Staat und Kirche in Deutschland folgen wird. Ich will mit meiner grundsätzlichen Position aber nicht hinter dem Berg halten. ich verspreche mir von einem solchen Traditionsbruch nichts Gutes. Die Idee, daß Wertevermittlung nicht mehr von Leuten mit erkennbaren Standpunkten betrieben werden könnte, sondern von »neutralen« Lehrern, die irgendwo im Niemandsland zwischen römischen Katholizismus, protestantischen Strömungen, Islam und Nietzsche herumschwimmen, halte ich für ebenso unbehaglich, wie die Vorstellung, daß Studierende oder Schulkinder separiert wurden, daß also der Dialog zwischen Gläubigen und Ungläubigen zerbräche. Auf lange Sicht verlangte ein solcher Denkansatz übrigens auch eine Umstellung in der Kirchensteuerfrage und damit in der Sozialpolitik. Mag sein, daß solche Veränderungen irgendwann - eben wegen der Erosion volkskirchlicher Strukturen - unausweichlich werden. Sie zu befördern oder zu beschleunigen liegt aber nicht in meinem Interesse. Wenn Sie jetzt fragen, warum es nicht in meinem Interesse liegt, will ich Ihnen darauf eine offene Antwort geben. Mein Motiv folgt aus einer skeptischen Diagnose unserer Situation. Ich spreche von dem Prozeß der Selbstzersetzung der wertrationalen Vernunft in den letzten 150 Jahren. Bismarck schied aus seinem Gymnasium, wie man in »Gedanken und Erinnerungen« nachlesen kann, als »landläufiger Pantheist«. An die Stelle dieses Pantheismus ist heutzutage die Auffassung getreten, daß es keine rationale Begründung letzter Werte und Normen geben könne. Die Folge ist die Ausbreitung des Relativismus, aber eben nicht in der höchstlegitimen Form eines reflektierten Wertskeptizismus .... Genau um diesen Ernst geht es mir. Er verlangt, in der Hochschule wie in der Schule authentische Positionen. Lehren und Lernen ist - auf allen Stufen - ein personales Geschehen. Mir ist verständlich, warum sich gläubige Christen dagegen wehren, daß ihr Glaube zu einem unverbindlichen und bequemen »Humanismus« verdünnt wird, der niemandem mehr weh tut. Mir ist genauso verständlich - umgekehrt der Widerstand gegen Indoktrination, einsinnige Publizistik, manipulative Überredung, z. B. im Religionsunterricht. Aber ich fürchte, daß durch eine reinliche Trennung von Staat und Kirche (in der Universität wie in der Schule) diejenige Fraktion gestärkt würde, die ohnehin schon die stärkste ist, die der Salon-, der Feld-, Wald- und Wiesenrelativisten. Eine solche reinliche Scheidung würde die Kommunikation - und den Streit - authentischer Sprecher mindern. Das wäre ein Schaden für eine Gesellschaft, deren größte Gefahr die Segmentierung, das Auseinanderfallen." aus: Der Beitrag der Theologischen Fakultäten an den Universitäten angesichts moderner/postmoderner Wissenschaftsverständnisse. In: Bernhard Nacke (hg.) Kirche in Staat und Gesellschaft, Mainz 1998, S.200 f Quelle: Umwidmung von Kirchensteuern e.V. INFO 18 / Mai 99
Anmerkung aus humanistischer
Sicht Wenn Peter Glotz von einem Prozeß der Selbstzersetzung spricht, dann wäre wohl am ehesten an einen solchen zu denken, den zwangsläufig die Theologie in sich trägt, wenn sie den Begriff Wahrheit zuläßt. Wenn er davon spricht, daß ein Glaube zu einem unverbindlichen und bequemen »Humanismus« verdünnt wird, der niemandem mehr weh tut, dann gibt er zu erkennen, daß es ihm eigentlich weniger um verantwortliche Menschlichkeit, als vielmehr um einen Glauben mit mystisch-autoritären Strukturen geht. Die Befürchtung, daß es keine rationale Begründung letzter Werte und Normen geben könne, ist das Ergebnis einer christlich-abendländischen Kultur. Da der Mensch die Gabe zum Streben nach Wahrhaftigkeit hat, die ihn vor Realitätsverlust schützen kann, tut es zunehmend mehr Menschen weh, an den Formen eines Glaubens festzuhalten, die ein Umsetzen seines wesentlichen - nämlich humanistischen - Inhaltes erschweren. Deshalb wird die Zukunft weniger einer christlichen als einer humanistischen Kirche gehören. Nichts ist verbindlicher - schon vom Namen her - und daher unbequemer als ein konsequent gelebter Humanismus, darum ist dieser auch noch so wenig verbreitet. In der ARD-Sendung 'Sabine Christiansen' vom 10.10.99, in der es u. a. um Probleme mit Parteigenossen ging, sagte Peter Glotz zu Oskar Lafontaine: "... du glaubst doch auch nicht etwa an das Gute im Menschen als Prinzip?" Diese spontane Äußerung zeigt den Unterschied zwischen christlichem Glauben und humanistischer Orientierung. Christlicher Glaube verleitet dazu, wenig vom Menschen zu halten. Eine humanistische Einstellung muß deshalb nicht so unrealistisch sein, zu glauben, daß alle Mensch gut seien, aber sie geht grundsätzlich davon aus, das die Anlage dazu in jedem Menschen vorhanden ist, und daß ein Streben danach zur Würde und damit zur Aufgabe des Menschen gehört. Rudolf Kuhr
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Aktualisiert am 11.11.11