Ethische Grenzen der Toleranz
von Karl-Heinz & Sabine Meyer (Delphin
Gemeinschaft)
29.Okt. 2001
Toleranz statt Fundamentalismus
Zig Millionen Menschen sind in Geschichte und Gegenwart durch politischen,
religiösen und wirtschaftlichen Fundamentalismus ums Leben gekommen.
Klar, daß Toleranz gegenüber Andersgläubigen /-denkenden
dadurch einen hohen Stellenwert in der Alternativbewegung bekam. So z.B.
auch für einige der bekanntesten Lebensgemeinschaften der Gegenwart:
Findhorn (Schottland) und Lebensgarten (BRD).
Der Lebensgarten z.B. nutzt seit seiner Gründung 1985 die Gebäude
einer ehemaligen Nazi-Arbeitersiedlung. Deshalb empfinden die BewohnerInnen
es dort als innere Verpflichtung, es anders als die Nazis zu machen: Alle
sollen dort mitleben dürfen, unabhängig von Religion, sozialem
Status, politischer Überzeugung... (nur harte Drogen sind
unerwünscht).
Auch als wir 1995 die "Delphin-Gemeinschaft - Wege zu Gott" gründeten,
war Toleranz einer unserer zentralen Begriffe, was sich noch heute in unserer
Präambel ausdrückt: "Wir helfen uns gegenseitig auf dem Weg zum
Göttlichen. Und auch Menschen außerhalb unserer Gemeinschaft,
die dies wünschen." (Wobei wir Gott nicht als etwas sehen, daß
nur außerhalb von uns exitiert). Inzwischen haben wir unsere Präambel
durch folgende Erfahrungen ergänzt:
Toleranz ohne Grenzen ?
In den letzten Jahren haben wir u.a. durch unsere Arbeit in der
Gemeinschaftsbewegung festgestellt, daß die Überbewertung von
Toleranz zu einer fast grenzenlosen Beliebigkeit führt, die kaum noch
gemeinsame ethische Grundwerte kennt. Dadurch wird auch Gemeinschaft (und
große Teile der Alternativbewegung) zu einer leeren Hülse, für
die sich ein Engagement immer weniger lohnt. Auf Schlagworte wie
ökologisch, sozial, spirituell... hat mensch sich in Netzwerken wie
HOLON, ComeTogether etc. zwar schnell geeinigt. Doch was heißt das
konkret? Keinen Konsens gibt es z.B. zu Fragen wie
-
Ehe oder freie Sexualität?
-
Der Zweck heiligt die Mittel ? Ist z.B. Betrug gegen einen schlechten Staat
(Finanzamt, Arbeitsamt...) legitim? Oder Schwarzfahren?
-
Können wir Geld annehmen (und damit gute Projekte finanzieren), an dem
Blut klebt? z.B. Aktiengewinne durch Ausbeutung der Erde oder der sogenannten
3.Welt.
-
Ist das Töten von Tieren legitim, obwohl die gesamte Menschheit viel
besser pflanzlich zu ernähren wäre?
Ethische Grundwerte
In der Delphin-Gemeinschaft sind wir auch noch nicht erleuchtet oder allwissend,
bemühen uns aber, an all diesen Fragen sehr gewissenhaft zu arbeiten.
Dabei haben wir für uns die ethischen Grundwerte der Weltreligionen
übernommen, da die Grundwerte in allen ursprünglichen Lehren sich
sehr ähneln. Gut zusammengefaßt sind sie u.a. von Jörg Zink
in der Neuinterpretation der christlichen 10 Gebote: Wahrheit, nicht stehlen,
nicht töten, nicht ehebrechen, Eltern ehren, den Sonntag heiligen...
Diese Gebote markieren für uns die Grenzen der Toleranz.
Zu ähnlichen Ergebnissen kamen in den letzten Jahren u.a.
-
Prof. Hans Küng mit seinem Projekt Weltethos. Dazu gibt es eine sehr
gute aktuelle Wanderausstellung und Videos: Aus den ethischen Grundwerten
der Weltreligionen ein gemeinsames Weltethos ableiten, das z.B. auch für
wirtschaftliche Aktivitäten Gültigkeit haben sollte.
-
verschiedenste Basisgruppen aus aller Welt, aus Friedens- und Umweltbewegung,
Globalisierungskritiker und EineWeltarbeiterInnen u.ä. haben sich in
einem jahrelangem Verständigungsprozeß 1999 auf eine gemeinsame
Erdcharta geeinigt, die Mitte 2001 vom BUND und der ÖIEW (Ökumenische
Initiative Eine Welt) auf deutsch veröffentlicht wurde.
Dialog mit unseren befreundeten Gruppen
Wir wünschen uns einen Dialog v.a. mit befreundeten Netzwerken, bei
denen wir Mitglied sind, um möglichst zu gemeinsamen ethischen Grundwerten
zu kommen: HOLON (v.a. AG Reiche Dörfer), Come Together der
deutschsprachhigen Gemeinschaften, Global Ecovillage Network GEN,
Netzkraftbewegung...
Literatur:
BUND: Erdcharta, 2001 (kostenlos)
Küng, Hans: Spurensuche, 1999 (Videoreihe über die
Weltreligionen)
Zink: Neue Zehn Gebote
Meyer, K.-H.: Zukunftswerkstatt Gemeinschaftsprojekte, 1992
Meyer, Sabine: CD Engellieder, 2002
www.kuehlungsborn.de/ethikgipfel
K.-H. Meyer lebt seit 1980 in Gemeinschaften, 1987-95 Lebensgarten Steyerberg,
1992 Gründung des ÖKODORF-Instituts (Beratung bei
Gemeinschaftssuche/-gründung). Sabine Meyer ist Musikerin und singt
seit über 10 Jahren regelmäßig in einer Gruppe Lieder aus
verschiedenen spirituellen Traditionen. 1995 zusammen mit Ihrem Mann K.-H.
Gründung der Delphin-Gemeinschaft Schwarzwald.
*
Toleranz sollte eigentlich nur eine
vorübergehende Gesinnung sein
sie muß zur Anerkennung führen. Dulden heißt
beleidigen.
Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832)
*
Verbundenheit
Die Fähigkeit zur Verbundenheit ist eine grundlegende Voraussetzung
zur Menschlichkeit. Ohne die Verbundenheit zur Natur z.B. ist Menschlichkeit
auf Dauer nicht möglich, ebensowenig wie Menschlichkeit ohne die
Verbundenheit von Verstand und Gefühl. Der Begriff Verbundenheit wird
derzeit noch wenig verwendet. Er enthält in seiner unscheinbaren Bezeichnung
jedoch das Wesentliche dessen, was auch der anspruchsvolle Begriff Liebe
enthält. In dem Begriff Verbundenheit ist auch das eigentliche Wesen
von Religion enthalten. Er enthält das Streben nach Ganzheit, nach Heil
und nach Frieden, ohne Gegensätzlichkeiten aufzuheben und überwindet
so die mit der Polarisierung einher gehende dualistische Spaltung sowie den
Extremismus.
Verbundenheit bedeutet mehr als nur Verbindung. Während Verbindung als
eine gegebene, materielle, aus einer Situation zwangsläufig entstandene
Beziehung zwischen Menschen und der Mitwelt angesehen werden kann, stellt
Verbundenheit eine akzeptierte, ein bewußt gewähltes oder angestrebtes
geistiges und gefühlsmäßiges Wahrnehmen einer Verbindung
dar. Der Begriff der Verbundenheit kann auch die Stellung des menschlichen
Individuums als Teil des Organismus der Gesellschaft beziehungsweise der
Menschheit deutlicher werden lassen und so einem Zerfall der Gesellschaft
entgegenwirken. (aus: 'Humanistisches
Werte-System')
Ethik
Sittlichkeit ist ohne die Mitwirkung religiöser oder transzendenter
Vorstellungen möglich, weil sie in Gefühl und Vernunft der Individuen
wie in den Bedürfnissen der sozialen Gemeinschaft genügend starke
Wurzeln hat; sie ist ein Entwicklungsprodukt des Wechsellebens von Individuum
und Gesellschaft, die Frucht eines Ausgleichs zwischen Einzelwillen und
Gemeinschaftswillen. Die Ethik muß auf dem festen Grunde rein
wissenschaftlicher Weltbetrachtung fußen: einer immanenten, nicht einer
transzendenten; sie muß sozial und human, nicht religiös sein;
geschichtlich erarbeitet, da sie nicht geoffenbart sein kann; mit der Menschheit
und Kultur sich entwickeln, nicht als ein für allemal fertig und unwandelbar
betrachtet werden. Die Ideen und Ideale der Menschheit sind nicht Wirklichkeiten
einer transzendenten Welt, wie der falsche Idealismus meint, sie sind wirklich,
d. h. wirkend nur insofern, als wir Menschen daran glauben und sie als wahre
Idealisten zur Richtschnur und zu Zielpunkten unseres theoretischen und
praktischen Verhaltens machen.
Friedrich Jodl, Philosoph (1849-1914)
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Ethik ist eine bis ins Unendliche erweitere
Verantwortung.
Albert Schweitzer, Humanist 1875-1965
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Lesen Sie hierzu auch den Text 'Stiftung
Verantwortliche Menschlichkeit'
Mit freundlichen Empfehlungen
Humanistische AKTION
10/2001
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