Humanistischer Aufbruch 2000
Ein anspruchsvoller Titel von großer inhaltlicher Spannweite und möglicher gesellschaftlicher Bedeutung angesichts des zunehmenden gewalttätigen Extremismus bei uns, der Dauerkrisen in Israel/Palästina, Südost-Europa, Irland etc. und angesichts der Tatsache, daß alle bisherigen Lösungsversuche keine nachhaltig befriedigenden Ergebnisse gebracht haben. Deshalb hier eine kurze Vorstellung dieser Veranstaltung auch für nicht Eingeladene, weil es hier um eine der eigentlichen Ursachen der Probleme geht - oder gehen könnte - um Identität. Es geht um einen - nicht so offensichtlichen - Versuch, (Menschen guten Willens, aber doch irgendwie ideologische) Extremisten, zumindest aber gesellschaftliche Separatisten für ein deutlicheres Bekenntnis zu verantwortlicher Menschlichkeit und mehr Zusammenarbeit zu gewinnen. Wer will oder soll da humanistisch aufbrechen und warum? Laut Einladung geht es um "einen umfassenden und gleichberechtigten Gedankenaustausch, ein sachliches und zukunftsorientiertes Streitgespräch über aktuelle Anliegen der freigeistigen, freireligiösen, freidenkerischen, humanistischen und ihnen nahestehenden bzw. verwandten Organisationen. Gesprochen werden soll über gemeinsame wie auch unterschiedliche Sichten, über Projekte und Ziele - vor allem aber über unsere geistige Vergewisserung in der Welt von heute. Dazu zählt auch die Vorstellung wissenschaftlich begründeter Ansichten. Trennendes soll nicht verschwiegen werden. Dennoch signalisiert das Motto Humanistischer Aufbruch 2000 einen Blick nach vorn. Selbstredend ist der Gedankenaustausch im Ergebnis offen. Auswahl der Referenten wie der Arbeitskreisleitungen betonen den Dialogcharakter wie die realen Strukturen der Weltanschauungsvereinigungen in der Gegenwart. Um Teilnahme gebeten werden in erster Linie - über ihre Organisationen - die Mitglieder unserer Verbände, ihre Funktionsträger und Angestellten; Einzelpersonen, die unsere Tätigkeit aufgeschlossen und kritisch begleiten; die Mitglieder beider Akademien sowie der Akademien und Bildungsträger der angesprochenen Vereine." Initiator ist der 'Humanistische Verband Deutschlands' (HVD), der bis 1993 ein Verband der Freidenker war. Zu den Eingeladenen gehören Freidenker, die ihre Wurzeln in der klassischen Arbeiterbewegung haben, Freireligiöse Gemeinden, die sich teilweise schon vor über 100 Jahren von der Kirche getrennt haben und Freigeistige Vereinigungen, die aus den Freireligiösen hervorgegangen sind, weil diese oft noch an einer - wenn auch freien - Gottesvorstellung und kirchennahen Strukturen festhalten. Es handelt sich überwiegend um traditionell sehr auf Eigenständigkeit bedachte und in der Gesellschaft kaum in Erscheinung tretende, teilweise auch überalterte und hierarchisch geführte Organisationen, von denen die freireligiösen und freigeistigen den Status von 'Körperschaften des öffentlichen Rechts' besitzen. Die Veranstaltung bietet allen Beteiligten die Chance, durch eine stärkere Zielorientierung hinsichtlich verantwortlicher Menschlichkeit ihre Bedeutung sowohl für sich selbst, als auch für die Gesellschaft zu vergrößern. Es wäre zu wünschen, daß sie zumindest erwägen, dies auch in den jeweiligen Namen ihrer Organisation zum Ausdruck zu bringen, was einerseits zur eigenen Qualitätssteigerung Anstoß geben, und andererseits zu einer gesellschaftlichen Zeichensetzung beitragen könnte. In unserer Gesellschaft stehen im Angebot: Christentum, andere religiöse Konfessionen, Liberalismus, Konfessionslosigkeit, Wirtschaftswachtum und Humanismus als formelle oder ethische Orientierung. Das Problem der Gesellschaft ist vor allem die mangelnde Qualität der Menschlichkeit, deshalb ist es sinnvoll und not-wendig, die vorhandene Freiheit noch vor aller erforderlichen Gesellschaftskritik für das Ziel verantwortlicher Menschlichkeit einzusetzen, das sowohl Freiheit, als auch Kritik unabdingbar enthält. - Dieses Ziel ist zugleich auch der Weg. Das deutliche Bekenntnis zum Humanismus ist eine grundlegende Voraussetzung für menschenwürdiges Denken und Handeln, weil es die eigene Person in ganzheitlicher Weise mit einbezieht. Rudolf Kuhr
Humanistischer Aufbruch 2000
Situation und Perspektiven
freigeistiger Verbände in Deutschland Fachtagung 11./12. November 2000 Tagungsort: Hiroshimastr. 17 - 10785 Berlin Tagungsleitung: Dr. Johannes Kandel Eine Einladung mit Vorbemerkungen eines Lesers
Samstag, 11. November 2000
Sonntag, 12. November 2000
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Gründung neuer Regionalgruppen
von Bernhard Jooß Vor etwa vier Jahren wurde ich einmal von einem anderen diesseits-Leser angerufen, ob ich mich an der Bildung einer Regionalgruppe des Humanistischen Verbandes beteiligen wolle. Ich lehnte damals aus beruflichen Gründen ab (...). Heute wäre ich bereit mitzumachen. In der Region Mannheim-Ludwigshafen-Heidelberg gibt es Aktivitäten des Internationalen Bundes Konfissionsloser und Atheisten (IBKA), des Freidenkerverbandes (Sitz Dortmund) und von drei Freireligiösen Gemeinden (...) Lässt sich gegen diese Zersplitterung der humanistisch-atheistischen Kräfte etwas tun? (...) Meine Idee: diesseits ruft dazu auf, dass verstreute Einzelmitglieder und diesseits-Leser neue Regionalgruppen bilden. So zum Beispiel im Großraum Frankfurt, im Raum Mainz-Wiesbaden, im Saarland und eben in meiner Gegend. Interessierte würden dazu ihre Daten und ihr Einverständnis an diesseits in einem Formularvordruck schicken und zirka ein Vierteljahr später wird in jeder Region, aus der es Rückläufe gibt, eine Versammlung einberufen. Zu dieser ersten Versammlung sollte ein auswärtiger Vertreter des Humanistischen Verbandes anreisen und ein zündendes Referat halten. Dann sollen die Anwesenden diskutieren, ob und wie sie sich organisieren wollen. Sollten mit der Zeit in einem Bundesland mehrere Regionalgruppen entstehen, könnten diese zu Landesverbänden zusammenwachsen.
'diesseits' 3/2000 Anmerkung Die Gründung von Regionalgruppen ist eine gute Idee! Auch in Hamburg, Köln, München und weiteren größeren Städten müßte es eigentlich genügend Menschen geben, welche die Zeichen und Not-wendigkeiten der Zeit erkennen, um bisherige Bekenntnislosigkeit, trennende und unspezifische Bekenntnisse zu überwinden und dabei mitzuhelfen, einer universellen ethischen Orientierung an verantwortlicher Menschlichkeit die ihr gebührende Aufmerksamkeit zu verschaffen. Daß unsere Gesellschaft und unsere Welt mehr an Qualität des Menschlichen braucht, das zeigen die Ereignisse im In- und Ausland täglich; Extremismus und Gewalt bei uns und schlimmer noch in Israel/Palästina, Südost-Europa, Irland usw. Daß nachhaltige Verbesserungen nicht durch Verbote oder Gegengewalt erreicht werden können, das sollte allmählich klar werden. Verbesserungen können nur durch ursächliche Denkweisen erfolgen, welche auf die Bildung der individuellen Identität gerichtet sind und das Trennende durch das Verbindende überwinden. Unsere Gesellschaft braucht geistig bewegliche, mutige Bürger mit innerer Stabilität und Fantasie, die in der Lage und bereit sind zur konstruktiven Mitgestaltung durch neue Ideen, zukunftsweisende Visionen und innovative Projekte. Diese Bürger brauchen eine Orientierung, die nicht nur freies Denken, freien Geist und freie Religion enthält, sondern in ganzheitlicher Weise und in aller Deutlichkeit auch ein sinnvolles Ziel benennt. Ein solches Ziel ist verantwortliche Menschlichkeit, Humanismus als ethische Orientierung. Gibt es ein sinnvolleres und notwendigeres Ideal zur Orientierung des Menschen als den Humanismus? Gibt es ein anderes Ideal, das den Weg vom ersten Schritt an und das letztliche Ziel gleichzeitig in sich vereinigt? Gibt es ein anderes Ideal als den Humanismus, der im Gegensatz zu vielen anderen Ideologien keinen Menschen ausgrenzt, sondern alle Menschen dieser einen Welt vereint? Glaubens-Lehren wie beispielsweise Buddhismus, Christentum, Hinduismus, Islam, Judentum, grenzen sich allein schon von ihrem Namen her untereinander und von allen übrigen Menschen ab. Ähnlich verhält es sich mit Identifikationen, wie zum Beispiel Deutschtum und anderen Nationalismen. Auch der Liberalismus hat als übergeordnete Orientierung keine integrierende Wirkung, sondern nur eine die Freiheit an sich verteidigende, die auf die Frage: "Freiheit wofür?" jedoch noch keine Antwort gibt. Alle ab-grenzenden beziehungsweise be-grenzten Orientierungen sind vermutlich Versuche, Identität, Sicherheit und Grund-Orientierung zu finden. Es sind Bemühungen, die eher einer pubertären Phase entsprechen, in der der Mensch gleichzeitig nach Freiheit und nach Bindung sucht. Ein höherer Entwicklungsstand dagegen ermöglicht es, alle diese begrenzten partikularen Interessen in der übergeordneten Orientierung des Humanismus wiederzufinden und auch in dieser Bindung Freiheit gleichzeitig zu erleben und somit das Leben sinnvoll zu gestalten. Andere Ideologien wie Christentum, Buddhismus, oder Kommunismus, Marxismus-Leninismus bezeichnen religiös oder materialistisch orientierte Wege, und nicht das eigentliche Ziel. Sie wollen paradiesische Zustände im Diesseits oder im Jenseits und veranlassen immer wieder ihre Anhänger, den Weg zum Ziel zu machen, da es ist meist einfacher ist, die Umwelt zum Ziel von Veränderungen zu haben, als sich selbst. Durch das Nicht-benennen des eigentlichen Zieles, das im Menschen selbst liegt, verführen sie ihre Anhänger immer wieder dazu, ihrem Ideal, einem Weg zu dienen, anstatt sich dem Ziel durch Arbeit an sich selbst und an der Gemeinschaft zu nähern. Eine differenzierte Auseinandersetzung mit der Frage nach dem Sinn des Lebens führt folgerichtig zum Humanismus, dem Ideal vom verantwortlichen Menschentum. Humanismus, nicht nur als schulische Bildungsrichtung, nicht nur als Geschichtsepoche, sondern jetzt als Wertesystem, als Ideal, als Ideologie, Weltanschauung oder auch Religion, Konfession oder Glaube, - ganz wie es dem Einzelnen gefällt. - Auf jeden Fall Humanismus als eine allem anderen übergeordnete Orientierung. Humanismus ist nicht nur ein Ziel, sondern zugleich auch ein Weg, denn das Ideal vom Menschentum umfaßt den ganzen real existierenden Menschen in seiner Entwicklung vom Kind bis zum Greis und enthält real betrachtet neben den edlen auch seine weniger edlen Seiten. Humanismus konsequent als Orientierung angewandt, führt schon vom Namen her zur Arbeit am Menschen. Und ganz konsequent angewandt veranlaßt er noch vor einer Arbeit an und mit anderen Menschen vor allem zur Arbeit an der eigenen Person. Humanistischer Aufbruch 2000 - was kann das konkret heißen? Das kann zumindest heißen: Wir gründen unsere Identität auf die natürliche Vorgabe, daß wir nur durch die Verbundenheit zu unserer Mitwelt, bestehend aus Mitmenschen und der Natur, zu Menschen werden. Deshalb bekennen wir uns vorrangig vor allen anderen differenzierenden Identifizierungsmöglichkeiten zum ganzheitlichen Menschsein - im Vertrauen auf unsere unverwechselbare, naturgegebene individuelle Einmaligkeit. Die Würde des Menschen beginnt mit dem Bekenntnis zum Menschsein und den diesem innewohnenden, unendlichen Möglichkeiten wie sie der Begriff Humanismus in idealer Weise in sich vereint. Rudolf Kuhr
Säkularisierung in Deutschland.
Soziologische Befunde und die Perspektiven freigeistiger Verbände. Unter diesem Thema wird die erfolgreiche Tagung "Humanistischer Aufbruch" vom November 2000 am 1./2. Dezember 2001 fortgesetzt, erneut in Berlin, wieder als gemeinsame Veranstaltung der Akademie der politischen Bildung der Friedrich-Ebert-Stiftung und der Humanistischen Akademie Berlin und auch diesmal geht die Einladung an alle freigeistigen, freireligiösen, freidenkerischen, atheistischen und humanistischen Verbände. Es soll drei Referate namhafter Forscher geben. Arbeitskreise beschäftigen sich mit Säkularisierung aus religionswissenschaftlicher Sicht, der Rechtsverfassung im säkularisierten Staat, der Politisierung von Religionen und den organisierten Freigeistern zwischen "Gegenkirche" und Säkularistenvereinigungen. Eine öffentliche Podiumsveranstaltung am Samstagabend diskutiert "Säkularisierung, Weltanschauungspluralität und Grenzen der Religionsfreiheit" (Arbeitstitel). Für eine Geselligkeit danach wird wieder gesorgt. Das genaue Programm soll bis zum Sommer vorliegen. Referate im Plenum und Einleitungsbeiträge der Arbeitskreise werden in humanismus aktuell Heft 10 gedruckt. Eine Tagungsgebühr wird nicht erhoben. Die beiden Akademien haben vereinbart, künftig jedes Jahr eine Tagung auszurichten, die sich besonders an den freigeistigen Interessentenkreis richtet. 2004 soll Ludwig Feuerbach Gegenstand sein. Weitere Auskünfte und Anmeldungen: Humanistische Akademie, Wallstr. 65, 10179 Berlin, Telefon: 030-613904-0 oder Fax: -50 oder hvd (at) humanismus.de Dr. Horst Groschopp
Texte zum Thema Humanismus als ethische Orientierung
Mit freundlichen Empfehlungen Humanistische AKTION 10/2000
www.humanistische-aktion.de/aufbruch.htm |
Aktualisiert am 30.11.11