Arbeit - was ist das?

Was einst für Fron und Mühsal stand, hat heute fast sakralen Charakter

Von Catharina Aanderud
 

In Zeiten, in denen Börsenfieber, Internet-Hype und StartUp-Euphorie die beherrschenden Themen sind, gerät leicht aus dem Blick, dass an dieser Entwicklung nur eine vergleichsweise kleine Anzahl von Menschen beteiligt ist und es ein Zurück ins "Paradies" der alten Arbeitswelt kontinuierlicher Vollbeschäftigung nicht geben wird. Wenn künftig nur noch kleine Eliten fest in dauerhaften Strukturen arbeiten werden und für die anderen 80 Prozent das eintritt, was der Soziologe Ulrich Beck als "Brasilianisierung" bezeichnet - nämlich fragmentierte Biografien mit unsicheren, wechselnden Arbeitsverhältnissen und Perioden der Erwerbslosigkeit - bedeutet das einen radikalen Bruch mit einer Vielzahl von Wertvorstellungen, die sich um das Thema Arbeit und seine Bedeutung für unser Leben ranken.

Denn neben der Sicherung des Lebensunterhaltes sind auch unsere psychische Identität und gesellschaftliche Partizipation an sie gebunden; darüber hinaus scheint sie zum zentralen Sinnstifter geworden zu sein. Eine zunehmende Erwerbsfixierung macht sich breit: Arbeit gewinnt mit zunehmender Verknappung dieses Gutes, das einmal für Fron und Mühsal stand, inzwischen einen fast sakralen Charakter: Sie ist so bestimmend für unser Sein und Selbstbewusstsein geworden wie einst die Religion.

Umgekehrt vermag eine Gesellschaft, die ihren Dreh- und Angelpunkt, ihre Sinnkomponente in der Erwerbsarbeit gefunden hat, denjenigen, die aus dem Arbeitsprozess ausgeschlossen sind, keinerlei Sinnzusammenhänge mehr zu vermitteln.

Absurderweise erreicht diese Entwicklung, Arbeit zum einzig gültigen Maßstab für die Wertschätzung eines Menschen zu machen, ihren Höhepunkt gerade in dem Moment, wo es an der Zeit wäre, den eigenen Sinnhorizont ein Stück weit von der unsicherer werdenden Erwerbsarbeit abzukoppeln und andere Tätigkeiten - vor allem im zwischenmenschlichen Bereich - stärker mit Sinn zu erfüllen. Und so sind es in erster Linie auch mentale Blockaden, das krampfhafte Festhalten am gestern noch Gültigen, die eine längst überfällige öffentliche Debatte über einen Umbau und eine Neugestaltung von Arbeit und Leben verhindern.

Denn wir leben ja längst in einem von vielen inzwischen als unhaltbar empfundenen Paradoxon: Während ein Teil der Bevölkerung bis zur Erschöpfung arbeitet und dabei zwar reicher, aber immer "zeitärmer" und mußeloser wird, versinkt der andere Teil mit großem Zeitreichtum in Armut und Apathie, während das Geld und die Kraft fehlen, die freie Zeit sinnvoll zu gestalten.

Der überhöhte Stellenwert, den die Erwerbsarbeit genießt, versperrt zudem den Blick auf die vielfältigen Formen der Arbeit, die in einer Gesellschaft geleistet werden und entwertet sie. Dies ist insofern fatal, als sich unser Wirtschaftssystem weitgehend auf nichtbezahlte Arbeit wie Haus-, Erziehungs- und Versorgungsarbeit stützt. Wenn nur wichtig ist, was auf dem Markt passiert und Tätigkeiten wie das Sorgen für andere, das Zuhören und Sicheinlassen auf ihre Bedürfnisse - was zunächst gar nicht mit Arbeit in Verbindung gebracht wird - nicht nur nicht bezahlt, sondern auch abgewertet und missachtet werden (weil nur das zählt, was bezahlt wird), darf man sich über das Schwinden von Wärme, Einfühlungsvermögen und Gemeinschaftsgefühl nicht wundern.

Die entfesselte Ökonomie ist dabei, die Resourcen, auf denen sie aufbaute, langsam aber sicher zu verbrauchen. Auf dem Weg in die Tätigkeitsgesellschaft, auf die wir zusteuern, wird es zunächst darum gehen, die vielfältigen Formen von Arbeit als gleichwertig zu sehen, wertzuschätzen und insbesondere Versorgungs- und Erwerbsarbeit in ein besseres Gleichgewicht zu bringen. Dazu gehört auch eine gleichmäßigere Verteilung der Familienverpflichtungen zwischen Männern und Frauen. Nur wenn es gelingt, die überzogene Erwerbsfixierung etwas zu lockern, entsteht für jeden Einzelnen Zeit und Raum für ein balanciertes Leben zwischen Beruf, Muße und unentgeldlichem Engagement für andere - mit anderen Worten: Lebensqualität.

Hamburger Abendblatt 2.05.2000

 

Sinn unseres Lebens ist größtmögliche Entfaltung
und Vervollkommnung der eigenen Persönlichkeit
in größtmöglicher Harmonie und Verbundenheit
zu unserer Mitwelt.

humanistisch

 
lesen Sie hierzu auch 'Gedanken zur Lebensqualität' 


 
Mit freundlichen Empfehlungen
 
Humanistische AKTION
 
5/2000 

 
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Aktualisiert am 11.02.09